OGH vom 22.09.2020, 4Ob150/20t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) ***** „O*****“ ***** KG, und 2) ***** „A*****“ ***** KG, *****, beide vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Mayrhofer & Rainer Rechtsanwälte KG in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 40 R 290/19x-26, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Beklagte ist Mieterin des aufgekündigten Bestandobjekts, in dem sie ein Tanzstudio betreibt. Die gemieteten Räumlichkeiten befinden sich im Erdgeschoss und im 1. Stock des Hauses. Die Vermieterrechte am Bestandobjekt kommen den Klägerinnen zu.
Im Haus gibt es unterschiedliche Deckentypen. Im Rahmen einer Begutachtung im Jahr 2017 ergaben sich Fehler bei früheren Umbau- und Sanierungsarbeiten, die zu statischen Mängeln führten. Über Empfehlung des beauftragten Statikers wurden die Decken im Haus, mit Ausnahme jener oberhalb des Tanzstudios der Beklagten, überprüft und die festgestellten statischen Mängel saniert. Im Anschluss daran empfahl der Statiker, auch die Decken oberhalb des Tanzstudios zu überprüfen, um sicher zu gehen, dass dort keine Mängel bestehen. Er hielt solche Mängel für wahrscheinlich; Gefahr im Verzug bestand nicht.
Bei einer Besprechung am wurde der Geschäftsführer der Beklagten darüber informiert, dass auch einige Probeöffnungen im Deckenbereich der Tanzschule geplant seien, um Gewissheit über die tatsächliche Ausführung zu erlangen. Mit E-Mail vom teilte die Beklagtenvertreterin mit, dass den Maßnahmen nicht zugestimmt werde, weil eine Deckenöffnung „von oben“ wesentlich einfacher und schonender sei.
Ein Verfahren gemäß § 8 Abs 2 MRG haben die Klägerinnen bisher nicht eingeleitet.
Die Klägerinnen kündigten das Mietverhältnis gegenüber der Beklagten aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG (erheblich nachteiliger Gebrauch) wegen Verweigerung des Zutritts und willkürlicher Behinderung der Sanierung auf.
Die Vorinstanzen hoben die Kündigung als rechtsunwirksam auf und wiesen das Räumungsbegehren ab. Der in Anspruch genommene Kündigungsgrund werde nur bei einer akuten Gefahrensituation verwirklicht. Die Voraussetzungen dafür seien nicht gegeben. Eine willkürliche Behinderung notwendiger Sanierungsarbeiten durch die Beklagte liege nicht vor. Zu dem weiche die Berufung zum Teil vom festgestellten Sachverhalt ab.
Rechtliche Beurteilung
Mit der gegen diese Entscheidung erhobenen außerordentlichen Revision zeigen die Klägerinnen keine erhebliche Rechtsfrage auf:
1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel und behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.
Das Berufungsgericht hat den Ausführungen in der Berufung, wonach das erforderliche Sicherheitsniveau auch bei den Geschossdecken oberhalb der Tanzschule nicht mehr gegeben sei, entgegengehalten, dass diese Annahme keineswegs gesichert sei. In diesem Zusammenhang ist richtig, dass der von den Klägerinnen beauftragte Statiker („Ingenieurkonsulent für das Bauwesen“) statische Mängel auch im Bereich der fraglichen Decken für wahrscheinlich hielt. Er bezog dies – entgegen den Ausführungen der Klägerinnen – allerdings nicht auch auf eine Bedrohung für das Sicherheitsniveau. Nach den Feststellungen besteht keine Gefahr im Verzug.
Die in Rede stehende Entgegnung des Berufungsgerichts ist zutreffend. Entgegen den Ausführungen in der außerordentlichen Revision besteht im gegebenen Zusammenhang zwischen den Begriffen „wahrscheinlich“ und „vermutet“ kein substantieller Unterschied.
2.1 Ein erheblich nachteiliger Gebrauch im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG liegt im gegebenen Zusammenhang nach der Rechtsprechung dann vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgt oder droht (RS0068076; RS0020981). Ob ein erheblich nachteiliger Gebrauch anzunehmen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RS0021018; RS0068103).
Bei Verweigerung des Zutritts zum Mietgegenstand durch den Mieter wird der in Rede stehende Kündigungsgrund nur ausnahmsweise, vor allem im Fall einer akuten Gefahrensituation, wie etwa einer aktuellen Gefährdung für die Bausubstanz, verwirklicht (RS0068424; 5 Ob 128/12b; 1 Ob 112/15z).
2.2 Ausgehend von den Feststellungen waren die in der außerordentlichen Revision angesprochenen statischen Mängel auf Umbau- und Sanierungsarbeiten sowie auf den Dachgeschossausbau zurückzuführen. Davon waren vor allem die Decken ab dem 2. Stock betroffen. Die Decken über dem Tanzstudio waren zunächst von der Überprüfung ausgenommen. Später sollte auch dort eine Abklärung der tatsächlichen Ausführung erfolgen, um Gewissheit zu erlangen; Gefahr im Verzug besteht nicht.
Unter diesen Voraussetzungen ist der für eine Kündigung erforderliche Schweregrad der Verweigerung des Zutritts zum Bestandgegenstand – selbst bei von einem Statiker für wahrscheinlich gehaltenen statischen Mängeln – nicht erreicht. Da kein aktueller Handlungsbedarf besteht, ist die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der in Rede stehende Kündigungstatbestand nicht verwirklicht sei, nicht korrekturbedürftig.
Die Vorinstanzen haben die Klägerinnen zur Klärung der Frage, ob die Beklagte die in Aussicht genommenen Deckenöffnungen dulden muss, zu Recht auf ein Verfahren nach § 8 Abs 2 MRG verwiesen. Sie müssen in dieser Hinsicht zwischen dem Bestehen eines Zutrittsrechts zum Bestandgegenstand und der Durchsetzung der Duldungspflicht des Mieters nach § 8 Abs 2 MRG einerseits und der Verwirklichung des hier fraglichen Kündigungsgrundes andererseits unterscheiden.
2.3 Die von den Klägerinnen als erheblich qualifizierte Frage, ob der in Rede stehende Kündigungsgrund auch dann verwirklicht sein kann, wenn bei wahrscheinlicher Gefährdung der umliegenden Bausubstanz eine bautechnische Klärung erforderlich sei, stellt sich nicht, weil eine solche Gefahrensituation nicht feststeht.
3. Insgesamt gelingt es den Klägerinnen mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00150.20T.0922.000 |
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Fundstelle(n):
WAAAD-44254