OGH vom 13.09.2012, 6Ob107/12x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** W*****, vertreten durch MMag. Dr. Verena Rastner, Rechtsanwältin in Lienz, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Putz Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Datenlöschung (Streitwert 4.000 EUR) und Unterlassung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 25/12d-43, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 10 Cg 37/10x 39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben .
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im übrigen (klageabweisenden) Teil unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sind, werden dahin abgeändert , dass sie zu lauten haben:
„Das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, nachstehenden mit den Personendaten des Klägers verbundenen Datensatz in der von der Beklagten betriebenen Wirtschaftsdatenbank, nämlich
'Bonitätsdaten
Insolvenz ***** Zahlungsplan wurde erfüllt
Beginn der Insolvenzentwicklung 2006 08 25
Aktueller Verfahrensstand seit 2006 12 06',
zu löschen sowie es zu unterlassen diesen Datensatz zu verwenden, insbesondere zu speichern, aufzubewahren, zu verknüpfen, auszugeben, zu benützen oder an Dritte zu übermitteln, wird abgewiesen.
Die Beklagte ist schuldig, nachstehenden mit den Personendaten des Klägers verbundenen Datensatz in der von der Beklagten betriebenen Wirtschaftsdatenbank, bestehend aus der Produktionsdatenbank und der Bonitätsdatenbank, nämlich
'Bonitätsdaten
Insolvenz ***** Zahlungsplan wurde erfüllt
Beginn der Insolvenzentwicklung 2006-08-25
Aktueller Verfahrensstand seit 2006-12-06'
binnen 14 Tagen zu löschen und seine Verwendung, insbesondere seine Speicherung, Aufbewahrung, Verknüpfung, Ausgabe, Benützung oder Übermittlung an Dritte, zu unterlassen.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 1.071 EUR an Barauslagen bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 2.631,15 EUR (darin 136,19 EUR Umsatzsteuer und 1.814 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das beklagte Unternehmen verfügt über eine Gewerbeberechtigung nach § 152 GewO als Kreditauskunftei, verarbeitet Daten im Sinn des Datenschutzgesetzes und betreibt dabei mehrere Datenbanken.
Die Beklagte ist unter anderem datenschutzrechtlicher Auftraggeber der Wirtschaftsdatenbank; diese enthält Bonitätsdaten von Unternehmen und Insolvenzmeldungen von Nichtunternehmern. Die Wirtschaftsdatenbank besteht aus einer öffentlichen, allen Kunden zugänglichen Bonitätsdatenbank und einer davon komplett (physisch) getrennten, auf einem eigenen Rechner gespeicherten, rein internen und nur ausgewählten Mitarbeitern der Beklagten zur Verfügung stehenden Produktionsdatenbank; letztere Datenbank dient den Mitarbeitern der Beklagten als Arbeitsunterlage für deren Recherchen aufgrund externer Anfragen.
Sämtliche Daten der Wirtschaftsdatenbank werden zunächst in die Produktionsdatenbank eingegeben. Von dort werden sie dann auf elektronischem Weg aufgrund eines bewussten und gewollten Vorgangs und nur in dem Ausmaß und in dem Umfang in die Bonitätsdatenbank überspielt, wie dies die Verantwortlichen der Beklagten entscheiden. Nur die in der Bonitätsdatenbank enthaltenen Daten sind allen Kunden via Internet zugänglich. Der Betrieb dieser beiden Datenbanken ist nicht gesetzlich vorgeschrieben.
Aus den Datensätzen der Produktionsdatenbank erteilt die Beklagte nur dann Auskünfte, wenn der Auskunftswerber sein rechtliches Interesse an der Auskunft konkret und ausreichend bescheinigt. Dies gilt auch für Datensätze, die aus allen anderen Datenbanken, insbesondere auch aus der Bonitätsdatenbank, bereits gelöscht wurden. Ist diese Löschung aufgrund eines Widerspruchs eines Betroffenen erfolgt, legt die Beklagte vor Erteilung einer Auskunft aus der Produktionsdatenbank besondere Aufmerksamkeit auf eine Bescheinigung des rechtlichen Interesses des Auskunftswerbers. In der Regel erfordert dies die Übermittlung von Urkunden.
Der Kläger ersuchte am um Auskunft über alle ihn betreffenden gespeicherten personenbezogenen Daten, legte Widerspruch im Sinn des § 28 DSG 2000 ein und forderte die Löschung der in den Listen des K***** über ihn gespeicherten persönlichen Daten binnen acht Wochen; des Weiteren forderte er eine ausreichende Unterlassungserklärung dahingehend, dass diese Daten nicht mehr für Wirtschaftsauskunftszwecke oder vergleichbare Zwecke verwendet werden.
Die Beklagte entfernte in weiterer Folge folgende personenbezogenen und kreditrelevanten Daten aus der Bonitätsdatenbank:
„Bonitätsdaten
Insolvenz ***** Zahlungsplan wurde erfüllt
Beginn der Insolvenzentwicklung 2006-08-25
Aktueller Verfahrensstand seit 2006-12-06“
In der Produktionsdatenbank sind diese Daten nach wie vor vorhanden.
Ein Kunde der Beklagten erhält bei Anfrage betreffend den Kläger aus der Wirtschaftsdatenbank der Beklagten nur mehr die Information „keine Daten vorhanden“. Der Kläger hat bei einer Selbstanfrage am aus der Produktionsdatenbank die genannten Daten über ihn erhalten.
Mit E-Mail vom teilte die Beklagte dem Kläger in einer als „Unterlassungserklärung“ bezeichneten Erklärung mit, der K***** habe aufgrund seines Widerspruchs sämtliche seine Person betreffenden, in öffentlich zugänglichen Datenbanken gespeicherten Daten so gelöscht, dass diese öffentlich nicht mehr zugänglich seien, diese Daten nicht mehr für Wirtschaftsauskunftszwecke oder vergleichbare Zwecke verwendet würden und Auskunftswerbern sinngemäß mitgeteilt werde, es seien keine Daten vorhanden. Diese Unterlassungserklärung wurde ausdrücklich zeitlich unbefristet abgegeben.
Die Vorinstanzen wiesen die auf Löschung der angeführten Daten und Unterlassung deren weiterer Verwendung gerichteten Haupt- und Eventualbegehren des Klägers ab; das Berufungsgericht erklärte darüber hinaus die ordentliche Revision für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Begehren auf Löschung von Daten in zwei Datenbanken, wobei die öffentliche aus der nicht öffentlichen willentlich gespeist wird, fehle.
In der Sache selbst meinte das Berufungsgericht, die beiden Datenbanken seien physisch getrennt; darüber hinaus seien die Zugriffsmöglichkeiten auf die beiden Datenbanken völlig unterschiedlich ausgestaltet. Damit handle es sich aber nicht um eine (einheitliche) Datenanwendung, sondern um zwei voneinander getrennte Anwendungen. In der Bonitätsdatenbank seien die Daten physisch vollständig gelöscht worden; nur diese Datenbank sei aber öffentlich zugänglich. Die Produktionsdatenbank wiederum sei nur einem ausgewählten Kreis von Mitarbeitern der Beklagten zugänglich, wobei die dort gespeicherten Daten niemals öffentlich zugänglich gewesen seien; die Beklagte habe daher diese Daten nicht erst nach dem Widerspruch des Klägers dort archiviert. Der Kläger könne sein Unterlassungsbegehren aber auch nicht auf die Unterlassungserklärung der Beklagten stützen; darin sei nämlich lediglich von „öffentlich zugänglichen Datenbanken“ die Rede.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; sie ist auch berechtigt.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt eine öffentlich zugängliche Datei im Sinne des Datenschutzgesetzes 2000 als Grundvoraussetzung für ein Widerspruchs- und Löschungsbegehren nach dessen § 28 Abs 2 dann vor, wenn sie einem nicht von vornherein bestimmten, nach außen hin begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht wird und der Zugang zur Datei nur von der Entscheidung des Auftraggebers über das ausreichende berechtigte Interesse des Abfragenden abhängig ist. Es ist nicht erforderlich, dass „jedermann“ im wörtlichen Sinne Einsicht nehmen kann (6 Ob 156/09y; 6 Ob 41/10p jusIT 2010/69 [ Kastelitz/Leiter ]; vgl auch 6 Ob 195/08g; 6 Ob 275/05t); auch Entgeltpflicht und Erfordernis der Behauptung eines berechtigten Interesses sind kein Hindernis für die Qualifikation als „öffentlich zugängliche Datei“ (6 Ob 156/09y; 6 Ob 41/10p; die insoweit abweichende Entscheidung 6 Ob 41/09m wurde nicht fortgeschrieben). An dieser Rechtsansicht hält der Oberste Gerichtshof trotz teilweise kritischer Stellungnahmen im Schrifttum weiterhin ausdrücklich fest.
Die Beurteilung der Bonitätsdatenbank durch die Vorinstanzen steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Entgegen deren Auffassung ist aber auch die Produktionsdatenbank als öffentlich zu qualifizieren, erhalten doch nach den Feststellungen der Vorinstanzen Auskunftswerber Auskunft auch über in dieser Datenbank gespeicherte Daten, wenn sie ein rechtliches Interesse an der Auskunft konkret und ausreichend bescheinigen. In der Entscheidung 6 Ob 41/10p hat es der Oberste Gerichtshof außerdem für ausreichend gehalten, dass die „Daten zwar nicht mehr online erhältlich sind, aber nach wie vor einem 'bestimmten Kreis' [ von Mitarbeitern des K***** ] vollinhaltlich zugänglich sind“; gerade dies gilt hier aber auch für jene Datensätze, die aus allen anderen Datenbanken, insbesondere auch gelöscht wurden. Dass die Beklagte im Fall einer Löschung der Daten aus der Produktionsdatenbank aufgrund eines Widerspruchs vor Auskunftserteilung besondere Aufmerksamkeit auf eine Bescheinigung des rechtlichen Interesses des Auskunftswerbers legt, ändert daran nichts.
2. Bereits der Widerspruch nach § 28 Abs 2 DSG 2000 verpflichtet den Auftraggeber, die Daten physisch zu löschen, also so unkenntlich zu machen, dass eine Rekonstruktion nicht mehr möglich ist; eine Änderung der Datenorganisation dahingehend, dass ein gezielter Zugriff auf die betreffenden Daten ausgeschlossen ist, reicht hingegen nicht aus (6 Ob 41/10p; 6 Ob 112/10d ZFR 2011/10 [ Ennöckl ] = jusIT 2011/12 [ Thiele ]). Dieser Verpflichtung ist die Beklagte hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Daten des Klägers nicht nachgekommen. Sie sind weiter rekonstruierbar und werden tatsächlich auch unter bestimmten Voraussetzungen Auskunftswerbern zur Verfügung gestellt.
3. Dass nach den Feststellungen der Vorinstanzen die von der Beklagten eingerichteten Datenbanken physisch komplett getrennt und auf eigenen Rechnern gespeichert sind, ändert an dieser Beurteilung nichts. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in der Entscheidung 6 Ob 112/10d mit der Frage der Archivierung von „gelöschten“ Daten befasst. Demnach reicht eine Archivierung von Daten bei einer anderen Gesellschaft (wie im Fall der Entscheidung 6 Ob 112/10d) nicht aus; umso mehr muss dies dann aber für eine Archivierung bei der Beklagten (wie im vorliegenden Fall) selbst gelten. Maßgeblich ist, dass der Auftraggeber auf die Daten wieder zugreifen und diese rekonstruieren kann. Ob diese Archivierung erst aufgrund des Widerspruchs oder bereits von Anfang an erfolgte, spielt entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung keine Rolle.
4. Die von der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung aufgeworfene Frage, ob es nicht öffentlich zugängliche Dateien geben müsse, bedarf hinsichtlich der Daten des Klägers keiner weiteren Erörterung. Die Beklagte stellt diese Daten wenn auch unter bestimmten Bedingungen Auskunftswerbern zur Verfügung; sie sind damit nicht „nicht öffentlich zugänglich“.
5. Damit war aber dem Klagebegehren in der Fassung des ersten Eventualbegehrens stattzugeben. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen besteht die Wirtschaftsdatenbank der Beklagten aus der Produktions- und der Bonitätsdatenbank. Ihre Löschungsverpflichtung nach § 28 Abs 2 DSG 2000 bezieht sich auf die aus dem Spruch ersichtlichen Daten des Klägers, unabhängig davon, in welcher der beiden Datenbanken diese gespeichert sind. Der Unterlassungsanspruch des Klägers ist durch § 32 Abs 2 DSG 2000 gedeckt.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO; der Kläger war hinsichtlich eines inkriminierten Datensatzes erfolgreich, hinsichtlich eines weiteren Datensatzes jedoch erfolglos, weshalb die Beklagte ihm lediglich die halben Barauslagen zu ersetzen hat. Dies gilt auch für die Kosten des Berufungsverfahrens (§ 43 Abs 1, § 50 ZPO). Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich hingegen auf §§ 41, 50 ZPO (Bemessungsgrundlage 10.500 EUR).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2012:0060OB00107.12X.0913.000