OGH vom 17.09.2015, 1Ob182/15v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach M***** W*****, vertreten durch Mag. Dr. Marc Gollowitsch, Rechtsanwalt in Pöchlarn, gegen die beklagten Parteien 1. Republik Österreich (Bund), und 2. Dr. F***** A*****, Rechtsanwalt, *****, wegen Feststellung und Leistung über den außerordentlichen Revisionrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 14 R 102/15w 17, mit dem der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 4 Cg 74/14d 13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Rekursgericht übermittelt.
Text
Begründung:
Der vom Alleinerben beauftragte Klagevertreter erhebt namens der jenem bereits eingeantworteten Verlassenschaft Schadenersatzansprüche gegen die Beklagten, die im Kern darauf zurückgeführt werden, dass die gerichtlichen Organe der Erstbeklagten zu Unrecht einen einstweiligen Sachwalter für die Erblasserin bestellt hätten und der Zweitbeklagte als einstweiliger Sachwalter fehlerhafte Vertretungshandlungen gesetzt hätte. Im Einzelnen wird von beiden Beklagten als Solidarschuldner ein Betrag von 15.473 EUR samt Zinsen begehrt, weil die später Verstorbene ohne Notwendigkeit in einem Pflegeheim untergebracht worden sei, was entsprechende Kosten verursacht habe; das Pflegschaftsgericht habe die Einholung eines Pflegegutachtens grob fahrlässig unterlassen und die Eingaben des Rechtsvertreters der Betroffenen nicht oder nur ungenügend behandelt. Gegenüber der Erstbeklagten wird weiters aus dem Titel der Amtshaftung Schadenersatz von 64.771,60 EUR samt Zinsen mit der Begründung gefordert, das Bezirksgericht habe ohne Notwendigkeit Rodungsarbeiten zu einem weit überhöhten Preis auf einer Liegenschaft der später Verstorbenen genehmigt, durch die letztlich auch kein Ertrag sondern ein Schaden in Höhe der genannten Summe herbeigeführt worden sei. Schließlich werden gegen die Erstbeklagte zwei schadenersatzrechtliche Feststellungsbegehren erhoben. Das Begehren auf Feststellung der Haftung für sämtliche Schäden, die durch einen Polizeieinsatz von „Cobrabeamten“ am an der Wohnliegenschaft der später Verstorbenen entstanden seien, bewertete der Einschreiter mit 2.180 EUR. Für das weitere Feststellungsbegehren, die Erstbeklagte hafte für sämtliche „aus der ungerechtfertigten Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens und der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters“ entstandenen Schäden, unterblieb eine Bewertung.
Nach einem gerichtlichen Verbesserungsauftrag, in dem der Einschreiter unter anderem aufgefordert wurde, klarzustellen, ob nach der rechtskräftigen Einantwortung die Bezeichnung der klagenden Partei auf die Person des eingeantworteten Alleinerben berichtigt werden solle, antwortete er, der Erbe sei trotz mehrfachen Befragens der Ansicht, dass er aufgrund eines nicht ordnungsgemäßen Verlassenschaftsverfahrens und der gerichtlich angeordneten Nachlassseperation nicht Gesamtrechtsnachfolger sei.
Das Erstgericht wies die Klage wegen fehlender Parteifähigkeit des als Klägerin genannten Gebildes a limine zurück. Mit formeller Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses trete der Erbe in die Rechtsstellung des Verstorbenen ein und höre der ruhende Nachlass auf zu existieren, und zwar unabhängig von einer weiterbestehenden Nachlassseparation. Im Übrigen sei der Alleinerbe bereits wiederholt darauf hingewiesen worden, dass ihm keine Vertretungsbefugnis für die Verlassenschaft mehr zugekommen sei, nachdem ihm die Benützung und Verwaltung des Nachlasses rechtskräftig entzogen worden war. Es würde daher auch bei Vorliegen der Parteifähigkeit an der Vertretungsmacht des Einschreiters als absoluter und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmender Prozessvoraussetzung mangeln.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, nahm von einem Bewertungsausspruch Abstand und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands erübrige sich im Hinblick darauf, dass das Feststellungsbegehren sich lediglich auf die Erstbeklagte beziehe, hinsichtlich derer schon die begehrte Zahlung den Betrag von 30.000 EUR übersteige. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil die angesprochenen Rechtsfragen in Übereinstimmung mit der eindeutigen Gesetzeslage und der herrschenden Rechtsprechung gelöst worden seien.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Einschreiterin kann vom Obersten Gerichtshof derzeit nicht behandelt werden, weil noch nicht feststeht, inwieweit seine funktionelle Zuständigkeit letztlich gegeben sein wird. Das Rekursgericht wird fehlende Bewertungsaussprüche nachzuholen und über die allfällige nachträgliche Zulassung des Revisionrekurses abzusprechen haben, soweit die als Rekurs bezeichnete Eingabe als Antrag nach § 528 Abs 2a iVm § 508 Abs 1 ZPO zu behandeln ist.
Gemäß § 528 Abs 2 Z 1a ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt (§ 502 Abs 3 ZPO). Da gemäß § 528 Abs 2a ZPO die Bestimmungen über einen Antrag auf Abänderung des Ausspruchs nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO verbunden mit einer ordentlichen Revision (§ 508 ZPO) sinngemäß anzuwenden sind, ist im Streitwertbereich zwischen 5.000 EUR und 30.000 EUR eine (unmittelbare) Anrufung des Obersten Gerichtshofs etwa im Wege eines außerordentlichen Rechtsmittels nicht zulässig.
Das Berufungs oder Rekursgericht hat bei allen nicht ausschließlich in Geld bestehenden Ansprüchen mit Ausnahme jener, für die die Ausnahmeregelung des § 502 Abs 3 ZPO gilt einen (bindenden) Anspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands zu treffen (RIS Justiz RS0042437). Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts kann ein solcher Ausspruch hinsichtlich einzelner Teile des Streitgegenstands nur dann unterbleiben, wenn bereits der in Geld bestehende Streitgegenstand 30.000 EUR übersteigt und der weitere Entscheidungsgegenstand in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN mit dem Zahlungsbegehren steht (vgl RIS Justiz RS0042258 [T2]; RS0042741). Ein solcher tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang fehlt in der Regel, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann bzw die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts erforderlich ist; dann findet keine Zusammenrechnung statt, sondern es ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen und zu bewerten (RIS Justiz RS0037899).
Insbesondere reicht für eine Zusammenrechnung der bloße Umstand, dass mehrere Ansprüche bzw Feststellungsbegehren auch darauf zurückgeführt werden, dass der später Verstorbenen zu Unrecht ein einstweiliger Sachwalter bestellt worden sei, nicht aus, zumal in der Klagebegründung auf unterschiedliche schadensverursachende gerichtliche Handlungen bzw Unterlassungen Bezug genommen wird (vgl nur RIS Justiz RS0037899 [T17]). Damit wird jener Teil des Entscheidungsgegenstands (erstes Feststellungsbegehren), mit dem die Haftung für sämtliche Schäden aus der „ungerechtfertigten Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens und Bestellung eines einstweiligen Sachwalters“ begehrt wird, gesondert zu bewerten sein.
Gänzlich unabhängig von der Frage des Sachwalterschaftsverfahrens ist nach der Klageerzählung die behauptete Schadenszufügung durch einen Polizeieinsatz im Haus der später Verstorbenen, wobei dieses Feststellungsbegehren in der Klage mit 2.180 EUR bewertet worden war. Auch dazu wird das Rekursgericht einen eigenen Bewertungsausspruch nachzuholen haben.
Soweit nach der Entscheidungsergänzung ein einzelner gesondert zu bewertender Entscheidungsgegenstand den Wert von 5.000 EUR, nicht aber von 30.000 EUR übersteigt dies betrifft auch das Zahlungsbegehren über 15.473 EUR , wird das Rekursgericht zu prüfen haben, ob es den vorliegenden Schriftsatz als Antrag nach § 528 Abs 2a ZPO zu behandeln oder einen Verbesserungsauftrag zur Klarstellung zu erteilen hat. Soweit das Rekursgericht über die nachträgliche Zulässigerklärung des Revisionsrekurses hinsichtlich einzelner Entscheidungsgegenstände abzusprechen hat, werden solche Entscheidungen zu treffen sein.
Sollte ein einzelner Entscheidungsgegenstand mit einem 5.000 EUR nicht übersteigenden Betrag bewertet werden, wird schließlich auch der bisherige Zulässigkeitsausspruch zu berichtigen sein, wäre doch insoweit der ordentliche Revisionrekurs „jedenfalls“ unzulässig.
Erst danach werden die Akten dem Obersten Gerichtshof neuerlich zur Entscheidung über die dann noch anfechtbaren Entscheidungsgegenstände vorzulegen sein.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00182.15V.0917.000
Fundstelle(n):
XAAAD-43730