OGH vom 21.02.2017, 4Ob148/16t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Dr. E***** T*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, gegen die Beklagten 1. U***** AG, *****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, 2. K***** AG, *****, vertreten durch Dr. Peter Thyri, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.383,05 EUR sA, über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 166/15f14, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 2 C 329/14t10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Zweitbeklagten binnen 14 Tagen die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin kaufte bei der zweitbeklagten Bank Anleihen eines Bauunternehmens. Emissionsbank war die Erstbeklagte. Über das Vermögen der Emissionsschuldnerin wurde in der Folge das Konkursverfahren eröffnet.
Das Verfahren gegen die Erstbeklagte, die in ihrer Eigenschaft als Emissionsbank für eine Anleihe der A***** Holding GmbH in Anspruch genommen wird, ruht.
In Bezug auf die zweitbeklagte Bank machte die , die ein BWL-Studium abgeschlossen und bis zu ihrer Pensionierung an einer Handelsakademie die Fächer Betriebswirtschaft und Rechnungswesen unterrichtet hat, mit Klage vom geltend, sie habe aufgrund einer Empfehlung der Zweitbeklagten Mitte 2010 in Anleihen der A***** Holding GmbH investiert. Über deren Vermögen sei am das Konkursverfahren eröffnet worden. Die Zweitbeklagte habe die Klägerin nicht ausreichend über das mit Unterzeichnung der Anleihe verbundene Risiko aufgeklärt. Sie sei weder auf die Möglichkeit eines Kapitalverlusts hingewiesen worden, noch auf das Risiko drastischer Verluste der Emittentin aufgrund schlechter Bonität bis hin zum Totalverlust bei Insolvenz. Darüber hinaus sei die Beklagte auch Mitglied der S***** Gruppe, deren Mitglied auch die E***** Group ***** AG sei, die emissionsbegleitende Bank der klagsgegenständlichen Anleihe und auch eine der größten Kreditgeber der späteren Konkursgesellschaft. Diese Bank habe von der Überschuldung gewusst, und auch andere Mitglieder der Gruppe hätten ebenso wie die Zweitbeklagte ausreichend Möglichkeit gehabt, sich bei ihr ein umfassendes Bild über die tatsächliche finanzielle Situation der Anleiheemittentin zu machen. Das Wissen der genannten Bankengruppe sei der Zweitbeklagten als deren Mitglied zuzurechnen. Die Zweitbeklagte sei als faktisch unselbständig anzusehen, die S*****gruppe habe einen einheitlichen Markenauftritt und sei auch für die Erstellung und Prüfung der einzelnen Finanzprodukte verantwortlich. Die Klägerin sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass sie in Wirklichkeit gar nicht in ein bekanntes Bauunternehmen wie die A***** Bau Ges.m.b.H. investiere, sondern lediglich in die A***** Holding Ges.m.b.H.. Bei korrekter Aufklärung hätte die Klägerin nicht in die gegenständliche Anleihe investiert. Ferner sei die Klägerin nicht darüber aufgeklärt worden, dass es durchaus denkbar sei, dass der Emissionserlös der Anleihe 2010 vor allem dazu diene, Altschulden und sonstige Verbindlichkeiten zu begleichen. Die Klägerin fechte daher den Vertrag mit der Zweitbeklagten wegen Irrtums an, darüber hinaus stütze sie sich noch auf den Titel des Schadenersatzes, auf die entsprechenden Bestimmungen des WAG 2007 sowie auf Schadenersatz aus culpa in contrahendo. Sie begehrte von der Zweitbeklagten die Aufhebung des zwischen ihnen geschlossenen Kaufvertrags ex tunc und Zahlung (in Solidarverpflichtung mit der Erstbeklagten) von 9.383,05 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung der Anleihe, sowie in eventu die Feststellung, dass die Zweitbeklagte (solidarisch mit der Erstbeklagten) für jeden Schaden hafte, der der Klägerin aus dem Anleihekauf entstehen werde.
Die wandte im Wesentlichen ein, es habe sich um ein Execution-only-Geschäft gehandelt. Die Klägerin verfüge seit Jahren über ein Wertpapierdepot bei der Zweitbeklagten und habe sich im Kundenprofil als spekulative Kundin deklariert. Sie verfüge über umfassende Kenntnisse und Wissen über Wertpapiere im Allgemeinen und den Begriff Anleihe im Besonderen. Die Klägerin habe sich nicht zuletzt aufgrund des hohen Zinssatzes entschieden, die gegenständliche Anleihe zu zeichnen, wobei ihr aus der allgemeinen Lebenserfahrung bewusst sein hätte müssen, dass eine höhere Rendite ein höheres Risiko bei der Veranlagung bedeute. Die Klägerin habe an der Handelsakademie die Fächer Betriebswirtschaft und Rechnungswesen gelehrt und sei zudem langjähriges aktives Mitglied einer Anlegergruppe der Zweitbeklagten. Zwischen der E***** Group ***** AG und der Zweitbeklagten bestehe keinerlei gesellschaftsrechtliche Beziehung. Sämtliche Geschäftsanteile der Zweitbeklagten würden von einer Privatstiftung gehalten. Der Haftungsverbund agiere in Form einer selbständigen Gesellschaft. Das von ihm betriebene Früherkennungssystem stelle den Mitgliedern lediglich eine aktuelle Übersicht zur Verfügung, aus der hervorgehe, wo sich die Verbundmitglieder selbst (nicht aber deren Kunden) auf der Frühwarnskala gerade befinden. Die behauptete Informations- und Wissenszurechnung aufgrund des Frühwarnsystems im Haftungsverbund gehe daher fehl. Der Vorwurf der Fehlberatung gehe auch deshalb ins Leere, da die A***** Holding GmbH bis zur Konkurseröffnung ein sehr gutes Rating gehabt habe. Es habe keinen Hinweis auf eine drohende Insolvenz gegeben. Das Emissionsrisiko sei daher sehr gering gewesen, die Ausfallswahrscheinlichkeit minimal. Die Anleihe habe zum Zeitpunkt des Ankaufs dem Veranlagungswunsch und der Risikobereitschaft der Klägerin entsprochen. Selbst wenn ein Mitglied des S*****sektors Kenntnis von der wirtschaftliche Schieflage der A***** gehabt haben sollte, sei aus rechtlicher Sicht eine Wissenszurechnung ausgeschlossen. Die Beklagte habe bei der Anleihe lediglich den Ankauf durch die Klägerin vermittelt, sei jedoch nicht als Emittentin aufgetreten. Die Anleihe sei niemals im Besitz oder im Eigentum der Zweitbeklagten gewesen. Der Kaufvertrag sei direkt zwischen der emittierenden Gesellschaft und der Klägerin geschlossen worden.
Das wies das Klagebegehren ab. Bei der Klägerin handelte es sich um eine sehr versierte Anlegerin, die detaillierte Kenntnisse hinsichtlich Eigenschaften und Risikogeneigtheit einzelner Wertpapiere hat. Ein Beratungsgespräch ist durch die Zweitbeklagte nicht erfolgt, sondern es hat sich um ein Execution-only-Geschäft gehandelt, bei dem die Klägerin den Auftrag zur Zeichnung von A***** Holding Anleihen im Wert von 10.000 EUR erteilt hat. Sie hat die Erklärung unterfertigt, dass das Geschäft über ihren ausdrücklichen Wunsch und nicht über Empfehlung des Beraters zustande gekommen ist und eine Eignungsprüfung gemäß § 44 WAG 2007 nicht durchgeführt wurde. Der Klägerin stünden daher keine Ansprüche gegenüber der Zweitbeklagten aus einer Fehlberatung zu. Eine Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums sei wegen Verjährung ausgeschlossen. Beim S*****verband, bei welchem die Zweitbeklagte Mitglied sei, handle es sich um einen Zusammenschluss aller Sparkassen Österreichs, dessen Aufgabenstellung lediglich administrativer Natur und mit dem operativen Bankgeschäft der einzelnen Mitglieder in keiner Form verbunden sei. Auch aus der Mitgliedschaft am Bankenhaftungsverbund des S*****sektors lasse sich keine Haftung der Zweitbeklagten ableiten. Dabei handle es sich lediglich um ein internes Instrument sämtlicher Sparkassen Österreichs, das darauf gerichtet sei, den einzelnen Mitgliedern einen Haftungsfonds zur Verfügung zu stellen. Auch dies stehe in keinem Zusammenhang mit dem operativen Geschäft einzelner Mitglieder. Dass die Zweitbeklagte ihre Wertpapiergeschäfte über die E***** Group abwickle, begründe ebenfalls noch keine Haftung, zumal sich gerade kleine Banken oder Sparkassen zur Abwicklung von Wertpapiergeschäften häufig Großbanken bedienten. Dies sei aber rein operativer Natur. Unstrittig sei jedenfalls die E***** Group nicht Emittentin der gegenständlichen Anleihe. Die Zweitbeklagte habe im Rahmen des S*****verbands und des Haftungsverbunds keinen Anspruch auf Auskünfte hinsichtlich der Bonität einzelner Kreditnehmer anderer Mitglieder.
Das bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob und unter welchen Voraussetzungen sich eine Sparkasse aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einem S*****- oder Haftungsverbund das Wissen eines anderen Mitglieds eines solchen Verbunds über die finanzielle Lage eines Kunden zurechnen lassen müsse. Dass eine grundsätzlich mögliche Insolvenz der „E***** Bank“ im Rahmen des Haftungsverbunds zu einer (begrenzten) Haftung der Zweitbeklagten führen würde, vermöge für sich allein keinen Interessenkonflikt zu begründen. Es liege auch keine „Gruppe“ iSv § 1 Z 32 WAG 2007 vor, da weder die vom Gesetz geforderten gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsverhältnisse vorlägen, noch eine vertraglich oder satzungsmäßig bestimmte einheitliche Leitung oder eine mehrheitliche Personenidentität der Organe gegeben sei. Weder die Mitgliedschaft im Österreichischen S*****verband noch jene im Haftungsverbund ***** führe zu einer rechtlichen Unselbständigkeit der Zweitbeklagten und einer Zurechnung eines allfälligen Wissens eines anderen Verbandsmitglieds. Im Hinblick darauf, dass ein Execution-only-Geschäft vorgelegen sei, sei die Zweitbeklagte auch nicht verpflichtet gewesen, sich über die Vermögenssituation „der A*****“ innerhalb der Sparkassen-Bankengruppe zu erkundigen. Abgesehen davon wäre es den solcherart befragten Banken schon im Hinblick auf das Bankgeheimnis verwehrt gewesen, der Zweitbeklagten Informationen über die finanzielle Lage ihrer Kunden zu erteilen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die der Klägerin mit dem Antrag, der Klage stattzugeben; in eventu stellte sie einen Aufhebungsantrag.
Die Zweitbeklagte beantragt in ihrer , die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist , aber .
1. Die Klägerin macht geltend, die Mitglieder der S*****gruppe seien analog zu § 1 Z 32 WAG 2007 als Gruppe zu behandeln, dies mit der Rechtsfolge, dass es zu einer Wissenszurechnung innerhalb derselben komme.
1.1. Die genannte Gesetzesbestimmung definiert eine „Gruppe“ als solche,
der eine Wertpapierfirma oder ein Kreditinstitut angehört, bestehend aus
a) einem Mutterunternehmen, dessen Tochterunternehmen und den Unternehmen, an denen das Mutterunternehmen oder seine Tochterunternehmen eine Beteiligung halten, sowie
b) mehreren Unternehmen, die untereinander nicht in einer Beziehung als Mutterunternehmen oder Tochterunternehmen stehen und
aa) die aufgrund eines untereinander geschlossenen Vertrags oder einer Satzungsbestimmung dieser Unternehmen einer einheitlichen Leitung unterstehen oder
bb) deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane sich mehrheitlich aus denselben Personen zusammensetzen, die während des Geschäftsjahres und bis zur Aufstellung des konsolidierten Jahresabschlusses im Amt sind.
1.2. Sämtliche der genannten Kriterien liegen im Zusammenhang mit der S***** Gruppe nicht vor. Die Klägerin leitet die behauptete Analogie im Wesentlichen daraus ab, dass die Mitglieder der S*****gruppe in einem Haftungsverbund zusammengeschlossen sind, dass der Verband als Interessensvertretung mit dem Zweck der Gesamtvertretung des Sparkassenwesens eingerichtet ist und seine Mitglieder gemeinsame Werbeauftritte für gemeinsame Produkte haben. Dies alles führe dazu, dass es sich bei der Zweitbeklagten nicht um ein eigenständiges Unternehmen handle, sondern um eine „faktisch unselbständige Vertriebsabteilung der E***** Group ***** AG“, sodass eine Wissenszurechnung von der E***** Group ***** AG an die Zweitbeklagte vorzunehmen sei.
1.3. Der Rechtsfigur der Wissensvertretung liegt der allgemeine Gedanke zugrunde, dass der Einsatz von Gehilfen, also die „Rollenspaltung", nicht zum Nachteil Dritter gehen darf und ansonsten der Einsatz eines Gehilfen eine Verschlechterung der vom Gesetzgeber im Sinne eines Interessensausgleichs vorgesehenen Rechtsposition Dritter mit sich brächte, weshalb der Geschäftsherr so zu behandeln ist, als wäre er selbst tätig geworden (RISJustiz RS0016312 [T4]). Das Gesetz stellt in § 1313 ABGB die Grundregel auf, dass für fremdes Verhalten (oder Wissen) nicht einzustehen ist (Reischauer in Rummel³ § 1313 ABGB Rz 1; Karner in KBB4§ 1313 ABGB Rz 1). Außerhalb sondergesetzlicher Normen ist eine Zurechnung des Handelns (oder Wissens) Dritter nur im Rahmen der Haftung für Repräsentanten und Besorgungsgehilfen möglich. Eine gesetzliche Sondernorm für die Zurechnung des Wissens des Geschäftsherrn an den Gehilfen besteht nicht (4 Ob 210/15h).
1.4. In der Literatur wird vertreten, dass das Wissen einer wirtschaftlich selbständigen Person einem anderen Unternehmer nur dann zuzurechnen sei, wenn dieser sie im Rahmen einer Sonderbeziehung mit einem Dritten als Erfüllungsgehilfen heranzieht oder von ihr auf Grund eines Auftragsvertrags oder freien Dienstvertrags solche Leistungen in Anspruch nimmt, die ein derartiger Unternehmer sonst üblicherweise durch eigene Angestellte besorgen lässt. Auch im Konzernverhältnis soll das Wissen der einen Gesellschaft an die andere Gesellschaft nur dann zuzurechnen sein, wenn die konzernmäßige Verbundenheit besonders stark ausgeprägt ist (Iro, Banken und Wissenszurechnung, ÖBA 2001, 112). Die bloße Abhängigkeit genüge für die Zurechnung nicht. Die Zurechnung von Wissen sei nur gerechtfertigt, wenn herrschendes und abhängiges Unternehmen als Teile einer arbeitsteiligen Organisation erscheinen. Dies setze ein Mindestmaß an einheitlicher Unternehmensplanung voraus. Sogar die Mehrheitsbeteiligung an einer AG reiche für die Wissenszurechnung nicht aus (Drexel, Wissenszurechnung im Konzern, ZHR 1997, 491 [517, 519]).
1.5. Alle diese Bedingungen liegen hier nicht vor: Weder sind die Zweitbeklagte und die E***** Group ***** AG konzernverbunden, noch ist die Zweitbeklagte ein abhängiges Unternehmen. Die Mitgliedschaft in einem gemeinsamen Haftungsverbund bewirkt nämlich entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin noch keinen Verlust der Eigenständigkeit, bezweckt der Haftungsverbund doch lediglich die Vermeidung von Überschneidungen und Doppelgleisigkeiten im lokalen Marktauftritt mit dem Hauptziel der Steigerung von Marktanteilen und betriebswirtschaftlichen Erfolgen der S*****gruppe (vgl 16 Ok 12/06). Auch der gemeinsame Werbeauftritt für bestimmte Produkte führt noch nicht zum Verlust der rechtlichen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit der im Haftungsverbund zusammenarbeitenden selbständigen Banken. Organverflechtungen oder Beteiligungen zwischen der Zweitbeklagten und anderen Mitgliedern des Haftungsverbunds sind nicht festgestellt und werden auch in der Revision nicht behauptet.
1.6. Die Revisionsbehauptung, die Zweitbeklagte beschränke sich lediglich auf den Vertrieb vorgegebener Finanzprodukte, widerspricht der Feststellung, wonach die Zweitbeklagte nur jene Wertpapiere zur Beratung freigibt, die zuvor einer hausinternen Risikoprüfung unterzogen wurden. In diesem Sinn hat die Zweitbeklagte konkret entschieden, die gegenständliche Anleihe der A***** Holding GmbH nicht zum Verkauf durch die Berater freizugeben.
1.7. Insoweit sich die Revisionswerberin auf die Rechtsprechung zur Haftung von Verhandlungsgehilfen beruft, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Zweitbeklagte im Verhältnis zur Klägerin bei Ankauf der gegenständlichen Anleihe nicht Verhandlungsgehilfin der E***** Group ***** AG oder der ***** AG war, bestand ein Vertragsverhältnis doch nur zwischen den Streitteilen. Dass die Klägerin den Vertrag nicht geschlossen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass sie insoweit nicht Kundin der S***** Bankengruppe, sondern lediglich einer Regionalbank ist, steht nicht fest.
1.8. Die Entscheidung 6 Ob 313/03b, auf die sich die Revisionswerberin bezieht, ist nicht einschlägig, geht es doch dort um die Durchgriffshaftung der Gesellschafter einer GmbH. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang erkennbar auf die zu RISJustiz RS0019726 ergangene Rechtsprechung Bezug nimmt, wonach der Vertreter für ein unterlaufenes Verschulden dem Vertragspartner seines Geschäftsherrn direkt haftet, wenn er ein erhebliches und unmittelbares eigenwirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrags hat, oder wenn er bei Vertragsverhandlungen in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat, scheitert deren Anwendung auf den vorliegenden Fall schon daran, dass die Zweitbeklagte nicht als Vertreterin eines Dritten tätig wurde. Ob die Beteiligung der Zweitbeklagten am Haftungsverbund ausreicht, um ein erhebliches und unmittelbares eigenwirtschaftliches Interesse zu begründen, kann daher dahingestellt bleiben (vgl 4 Ob 170/11w, wonach eine bloße Minderheitsbeteiligung nicht ausreicht, um das erforderliche eigenwirtschaftliche Interesse zu begründen).
1.9. Mangels einer Rechtsgrundlage für eine Wissenszurechnung von der E***** Group ***** AG an die Zweitbeklagte bedurfte es folglich keines Sachverständigengutachtens zur Frage, inwieweit die desolate Finanzlage der A*****-Gruppe für Emissionsbanken und Kreditgeber im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses erkennbar war, war doch die Zweitbeklagte weder das eine noch das andere.
2. Die Revisionswerberin macht weiters geltend, aufgrund der Abhängigkeit der Zweitbeklagten von der E***** Group ***** AG und der ***** AG liege kein reines Ausführungsgeschäft vor. Die Zweitbeklagte sei ihren Pflichten nach §§ 34, 35 WAG 2007 nicht nachgekommen und hätte die Klägerin über ihre Interessenkollision wegen des Haftungsverbunds mit der Kreditbank der Anleihe-Emittentin aufklären müssen. Diese Ausführungen überzeugen nicht.
2.1. Bei einem (auch als Execution-only-Business neuer Prägung bezeichneten) „reinen Ausführungsgeschäft“ gemäß § 46 WAG 2007 ist der Rechtsträger nicht verpflichtet, sich über Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden zu versichern, und er ist von der Durchführung eines Eignungs- und Angemessenheitstests befreit (6 Ob 179/12k; 1 Ob 48/12h; vgl auch Oppitz, Das Execution-only-Geschäft neu. Zur Befugnis für die Geschäftstätigkeit nach § 46 WAG 2007, ÖBA 2007, 953f).
2.2. Nach § 46 Z 4 WAG 2007 setzen die Erleichterungen für das reine Ausführungsgeschäft jedoch voraus, dass der Rechtsträger seinen Pflichten gemäß den §§ 34 und 35 leg cit nachkommt. Die §§ 34, 35 WAG setzen das dreistufige Modell der RL 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID I, ab RL 2014/65/EU, MiFID II) für das Management von Interessenkonflikten (Erkennen, Verhindern und Offenlegen) um (Gruber in Gruber/Raschauer, Wertpapieraufsichtsgesetz [2009] § 34 Rz 7). Die Verpflichtung nach § 34 Abs 1 WAG 2007, angemessene Vorkehrungen zur Erkennung von Interessenkonflikten zu treffen, erfasst sowohl (vertikale) Interessenkonflikte zwischen dem Rechtsträger und seinen Kunden als auch (horizontale) Interessenkonflikte zwischen seinen Kunden untereinander. Zusätzlich zum Rechtsträger sind in § 34 Abs 1 WAG 2007 genannt: Relevante Personen, vertraglich gebundene Vermittler, andere Personen, die mit dem Rechtsträger direkt oder indirekt durch Kontrolle verbunden sind (Gruber, aaO Rz 10). Mit den zuletzt genannten Personen sollen laut Gruber (aaO Rz 13) erkennbar Konzernsachverhalte erfasst werden. Kontrolle ist nach § 1 Z 26 WAG 2007 ein Verhältnis zwischen einem Mutterunternehmen und einem Tochterunternehmen im Sinne von § 244 Abs 1 und 2 UGB oder ein ähnliches Verhältnis zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und einem Unternehmen, das im vorliegenden Fall nicht gegeben ist.
2.3. Seggermann (in Brandl/Saria, WAG, 7. Lfg, § 34 Rz 27) betrachtet § 34 WAG 2007 im Zusammenhang mit § 35 WAG 2007. In letzterer Bestimmung würden Konzernsachverhalte für das Vermeiden und Offenlegen von Interessenkonflikten nicht unter dem Aspekt der Kontrolle, sondern dem der Gruppe iSv § 1 Z 32 WAG 2007 behandelt. Dass die S***** Gruppe nicht die Voraussetzungen der „Gruppe“ im Sinn der genannten Gesetzesbestimmung erfüllt, wurde bereits oben ausgeführt. Stichhältige Argumente für eine analoge Anwendung des § 1 Z 32 WAG 2007, somit Argumente dafür, weshalb über den Wortlaut der genannten Bestimmung hinaus Interessenkollisionen berücksichtigt werden sollten, sind der Revision nicht zu entnehmen.
2.4. Die Vorinstanzen haben daher die Haftung der Zweitbeklagten für den von der Klägerin aus dem Anleihe-Investment erlittenen Kapitalverlust zu Recht verneint. Der Revision der Klägerin ist somit nicht Folge zu geben.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00148.16T.0221.000 |
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