OGH vom 08.07.2010, 2Ob107/10i

OGH vom 08.07.2010, 2Ob107/10i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** W*****, vertreten durch Dr. Friedrich Reiter, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei Fachverband der Versicherungsunternehmen Österreichs, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Rechtsanwälte Tramposch Partner in Innsbruck, wegen 21.640,10 EUR sA und Feststellung (Revisionsinteresse 21.640,10 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 38/10k 14, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 41 Cg 140/09w 10, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilzwischenurteil wird dahingehend abgeändert, dass in seinem Umfang (Leistungsbegehren) das Urteil des Erstgerichts als Teilurteil wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.912,80 EUR (darin 279,80 EUR USt und 1.234 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Als der Kläger am zwischen 3:00 Uhr und 4:00 Uhr früh seinen PKW auf der Inntalautobahn A 12 nach Osten lenkte, leuchtete am Armaturenbrett eine dreieckige rote Kontrollleuchte auf. Er hielt deshalb auf dem Pannenstreifen an, schaltete das Warnlicht ein und zog sich die Warnweste an. Er nahm das Pannendreieck und ging auf dem Pannenstreifen nach Westen, um das Pannendreieck aufzustellen. Als er sich zurück zu seinem Fahrzeug begab, hörte er das Herannahen eines LKW, worauf er sich umdrehte und feststellte, dass dieser mit aufgeblendeten Scheinwerfern nach Osten fuhr, wobei jedoch nicht festgestellt werden kann, dass der LKW auf dem Pannenstreifen gefahren oder vom LKW irgendeine Gefahr ausgegangen wäre. Der Kläger hatte jedoch aufgrund des Herannahens des LKW Todesangst und befürchtete, dass er überfahren werden könne. Er sprang nach links zum Fahrbahnrand, wo sich eine ca 85 cm hohe Betonleitwand rechts des Pannenstreifens befindet; daran schließt eine ca 65 cm breite Fläche und in weiterer Folge ein 90 cm hohes Brückengeländer an. Der Kläger sprang nicht nur über die Betonleitwand, sondern er übersprang den Zwischenraum zwischen Leitwand und Geländer und über das Geländer, weshalb er ca 34 m im freien Fall in steiles, felsdurchsetztes Gelände und sodann weitere 50 m abstürzte und schwer verletzt wurde.

Vor der Polizei begründete der Kläger diesen Sprung damit, dass er auf die Begrenzungsmauer habe springen wollen, dies aber offenbar mit zu viel Schwung getan habe. Er denke nicht, dass der LKW Fahrer Schuld am Unfall habe.

Der LKW konnte nicht eruiert werden.

Die Passivlegitimation der beklagten Partei aufgrund der Vorschriften des VOEG ist nicht strittig.

Der Kläger begehrte Schmerzengeld und Verdienstentgang in Höhe von 21.640,10 EUR sowie die Feststellung der Haftung des beklagten Verbandes für alle seine künftigen, nicht vorhersehbaren Schäden aufgrund des Unfalls. Er brachte vor, der LKW habe sich mit hoher Geschwindigkeit auf seiner Richtungsfahrbahn genähert und seine Fahrgeschwindigkeit nicht reduziert. In Todesangst (der Lenker des LKW habe ihn übersehen und könne ihn überfahren) habe er sich entschlossen, in Richtung Begrenzungsmauer (rechte Betonleitwand) zu springen. Dabei habe er sich verschätzt und sei über das Brückengeländer in die Tiefe gestürzt.

Der beklagte Verband wendete ein, für den Kläger habe zu keinem Zeitpunkt die Notwendigkeit bestanden, in Richtung Begrenzungsmauer zu springen, da keine Gefahr bestanden habe, übersehen und überfahren zu werden. Weder sei ein unbekanntes Fahrzeug beim gegenständlichen Vorfall unfallkausal beteiligt gewesen, noch treffe dessen Lenker ein Verschulden. Der Unfall sei auf das Alleinverschulden des Klägers zurückzuführen, der grundlos über die Betonleitwand gesprungen sei. Der Kläger selbst habe bei seiner polizeilichen Einvernahme seinen Sprung über die Mauer als Überreaktion bezeichnet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die bereits wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch liege zwar die geforderte Kausalität, nicht jedoch die Adäquanz vor. Die beim Kläger eingetretenen Schäden seien auf eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen zurückzuführen, nämlich darauf, dass er nicht nur über die Betonabgrenzung sondern auch über den Zwischenraum und schließlich das Brückengeländer gesprungen sei. Einem Menschen sei zwar zuzubilligen, dass er aus Angst möge sie objektiv auch nicht begründet sein auf die Seite springe, nicht jedoch in diesem Ausmaß. Überdies sei dem Kläger der Beweis eines rechtswidrigen Verhaltens des LKW Lenkers nicht gelungen, da nicht festgestellt habe werden können, dass dieser auf den Pannenstreifen gefahren sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts dahingehend ab, dass es hinsichtlich des Zahlungsbegehrens ein klagsstattgebendes Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs fällte und hinsichtlich des Feststellungsbegehrens das Urteil des Erstgerichts aufhob und die Sache diesbezüglich zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, über die Fahrweise des LKW Lenkers hätten keine Feststellungen getroffen werden können. Es stehe nicht fest, ob der LKW sich der Gefahrenstelle auf dem Pannenstreifen oder dem rechten Fahrstreifen und mit welcher Geschwindigkeit er sich der Gefahrenstelle angenähert habe. Weiters stehe nicht fest, ob und inwieweit der Lenker der unklaren Verkehrssituation durch eine Herabsetzung der Geschwindigkeit Rechnung getragen habe. All diese Ungewissheiten gingen gemäß § 9 EKHG zu Lasten des unbekannten Kraftfahrzeughalters. Voraussetzung jeder Haftpflicht sei nicht nur die Kausalität, sondern auch die Adäquanz. Im vorliegenden Fall sei diese zu bejahen, sei doch der Kläger wegen des herannahenden LKW in Panik geraten und habe nicht ausgeschlossen werden können, dass sich der LKW tatsächlich in gefährlicher Weise der Gefahrenstelle angenähert und der Kläger somit durchaus Veranlassung für einen Sprung zur Seite gehabt habe. Hinsichtlich des Leistungsbegehrens sei die Sache im Sinne eines klagsstattgebenden Zwischenurteils spruchreif, hinsichtlich des Feststellungsbegehrens fehlten entscheidungsrelevante Feststellungen.

Das Berufungsgericht ließ die Revision gegen sein Teilzwischenurteil zu, weil zur Frage des Zurechnungszusammenhangs zwischen einer durch die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs ausgelösten Panikreaktion des Verletzten und den dadurch eingetretenen Schadensfolgen oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Hinsichtlich des aufhebenden Teils seiner Entscheidung sprach das Berufungsgericht nicht aus, dass dagegen der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zulässig sei.

Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des beklagten Verbandes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Der Revisionswerber bringt zusammengefasst vor, aus vergleichbarer oberstgerichtlicher Rechtsprechung ergebe sich, dass im vorliegenden Fall eine adäquate Schadensverursachung beim Betrieb des LKW nicht vorliege. Überdies sei der Geschädigte dafür beweispflichtig, dass ein Schaden „beim Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs eingetreten und somit das EKHG überhaupt anwendbar sei.

Diese Ausführungen sind zutreffend:

Nach dem hier anzuwendenden § 4 Abs 1 Z 2 VOEG hat der Fachverband Entschädigung für Personen und Sachschäden zu leisten, die im Inland durch ein nach den kraftfahrrechtlichen Bestimmungen versicherungspflichtiges Fahrzeug verursacht wurden, wenn eine zivilrechtlich haftpflichtige Person nicht ermittelt werden konnte.

Es gibt (auch in den Gesetzesmaterialien) keine Indizien dafür, der Gesetzgeber des VOEG (BGBl I 2007/37) habe mit dem Wort „verursacht“ eine Haftung auch für nicht adäquat verursachte Schäden (vgl RIS Justiz RS0098939) anordnen wollen, ist doch dem österreichischen Schadenersatzrecht eine derartige Haftung generell fremd. Auch für eine Haftung nach § 4 Abs 1 Z 2 VOEG muss daher die Adäquanz vorliegen. Den Geschädigten trifft im deliktischen Bereich die Beweislast auch für die Adäquanz des schadensverursachenden Ereignisses (vgl RIS Justiz RS0022560 [T20]).

Die vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellungen schlagen somit zu Lasten des geschädigten Klägers aus. Somit ist davon auszugehen, dass der LKW den Pannenstreifen nicht befahren hat und dass von ihm auch keine Gefahr ausgegangen ist.

In vergleichbaren Fällen hat der Oberste Gerichtshof die Adäquanz der Schadensverursachung verneint:

In 2 Ob 17/94 = ZVR 1995/135 verneinte der Senat einen adäquaten Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs, als ein Radfahrer nach einem Überholvorgang durch einen Radlader zu Sturz kam, wobei die Ursache dafür aber nicht das Überholmanöver, sondern die durch das Betriebsgeräusch ausgelöste Furcht des Radfahrers vor einem möglichen Kontakt mit dem Fahrzeug war.

In 2 Ob 336/99x hielt der Senat die Auffassung des Berufungsgerichts nicht für korrekturbedürftig, dass das Heranfahren eines PKW an einen Fußgänger auf einer unter anderem dem Kraftfahrzeug dienenden Verkehrsfläche auf eine Entfernung von nicht unter 10 m unter Zugrundelegung der einem Durchschnittsmenschen bekannten oder erkennbaren Umstände des Falls nicht geeignet sei, ein derartiges Erschrecken des Fußgängers herbeizuführen, dass dieser daraufhin stürze.

In 2 Ob 215/06s wurde ein adäquat ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verletzung des Klägers, der seinem Kind, das plötzlich auf die Fahrbahn gelaufen war, nacheilte, und einem sich nähernden PKW verneint.

In 2 Ob 3/09v wurde die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht für korrekturbedürftig erachtet: Dort erschrak die radfahrende Klägerin über die aus einer Grundstückszufahrt mit ihrem PKW herausfahrende Beklagte, die ihr Fahrzeug spätestens 1 m nach dem Einfahren in die Gemeindestraße zum Stillstand brachte, derart, dass sie die Lenkung nach rechts verriss und stürzte.

Im Sinn dieser Entscheidungen ist auch im vorliegenden Fall dem Kläger der Beweis nicht gelungen, dass das Herannahen des LKW seinen Sprung nicht nur über die Betonleitplanke, sondern auch über das Brückengeländer adäquat verursacht hat.

Das VOEG enthält zwar im Gegensatz zu dem bis geltenden VerkOG (vgl dessen § 1 Abs 2) keinen Verweis auf die sinngemäße Anwendbarkeit des EKHG. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass der Fachverband nicht nur für Ansprüche aus einem vom Gegner verschuldeten Unfall, sondern auch für auf das EKHG gestützte Schadenersatzforderungen einzustehen hat ( Kathrein , Verkehrsopferschutz neu Das Verkehrsopfer Entschädigungsgesetz, ZVR 2007, 243 [246]).

Auch eine Prüfung des vorliegenden Falls unter diesem Aspekt führt zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis:

Ein nach dem EKHG ersatzfähiger Schaden ist dann beim Betrieb des Kraftfahrzeugs eingetreten, wenn zwischen dem Betrieb und dem Unfall ein adäquat kausaler Zusammenhang und ein Gefahrenzusammenhang in dem Sinn besteht, dass der Unfall mit einem jener Umstände zusammenhängt, die die Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugs ausmachen und derentwegen die verschuldensunabhängige Haftung festgesetzt ist (RIS Justiz RS0022569 [T5]; vgl auch RS0022592 [T19], RS0022728 [T2]). Der Geschädigte hat die (adäquate) Verursachung seines Schadens durch das Kraftfahrzeug zu beweisen (RIS Justiz RS0022871). Bleibt zweifelhaft, ob ein Schaden beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs eingetreten ist oder eine andere Ursache hat, so kann der Geschädigte eine Haftpflicht nicht in Anspruch nehmen (RIS Justiz RS0022871 [T3]; 2 Ob 336/99x; 2 Ob 215/06s).

Es war somit hinsichtlich des Leistungsbegehrens das klagsabweisende erstgerichtliche Urteil als Teilurteil wiederherzustellen.

Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens, das Gegenstand des berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschlusses ist, wird das Erstgericht unter Bindung an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs entscheiden müssen (RIS-Justiz RS0042279).

Der Kostenvorbehalt für das erst und zweitinstanzliche Verfahren gründet sich auf § 52 ZPO.

Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Da nur das Teilurteil des Berufungsgerichts Gegenstand des Revisionsverfahrens war, beträgt die Bemessungsgrundlage 21.640,10 EUR. Der Einheitssatz beträgt 50 %.