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OGH 23.07.2025, 1Ob181/11s

OGH 23.07.2025, 1Ob181/11s

Rechtssätze


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Normen
RS0042936
Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde.
Normen
RS0109021
Eine stillschweigende Erklärung im Sinne des § 863 ABGB besteht in einem Verhalten, das primär etwas anderes als eine Erklärung bezweckt, dem aber dennoch auch ein Erklärungswert zukommt, der vornehmlich aus diesem Verhalten und den Begleitumständen geschlossen wird. Sie kann in einer positiven Handlung (konkludente oder schlüssige Willenserklärung) oder in einem Unterlassen (Schweigen) bestehen. Nach den von Lehre und Rechtsprechung geforderten Kriterien muss die Handlung - oder Unterlassung - nach der Verkehrssitte und nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer Richtung zu verstehen sein, also den zwingenden Schluss zulassen, dass die Parteien einen Vertrag schließen, ändern oder aufheben wollten. Es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein ganz bestimmter Rechtsfolgewille vorliegt, wobei stets die gesamten Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung heranzuziehen sind.
Normen
RS0037612
Die den Anspruch begründenden Tatsachen (materielle Voraussetzungen) müssen von der klagenden Partei bereits in der Klage oder in erster Instanz behauptet und bewiesen werden. Im Revisionsverfahren kann eine solche Unterlassung nicht nachgetragen werden.
Normen
RS0016377
Den Vertrauensschaden (negatives Vertragsinteresse) kann nur derjenige begehren, der auf die Gültigkeit einer abgegebenen Erklärung oder auf das Zustandekommen eines Vertrages vertraut hat, obwohl die Erklärung ungültig war oder der Vertrag nicht zustande kam. In diesem Fall hat der Schädiger den Vertrauenden so zu stellen, wie er stünde, wenn er mit der Gültigkeit seiner Verpflichtung nicht gerechnet hätte. Entstand jedoch der Schaden durch Nichterfüllung einer gültig begründeten Leistungsverpflichtung, so hat der Schädiger den Zustand herzustellen, der im Vermögen des Geschädigten bei gehöriger Erfüllung (positives Erfüllungsinteresse oder Nichterfüllungsinteresse) entstünde.
Normen
RS0018239
Haftet ein Schuldner für den Nichterfüllungsschaden, dann hat er dem Gläubiger den Schaden zu ersetzen, der diesem durch die pflichtwidrige Nichterfüllung entstand (positives Vertragsinteresse); der Gläubiger muss daher vermögensmäßig so gestellt werden, wie wenn ordnungsgemäß erfüllt worden wäre.
Norm
RS0108267
Ein Anlageberater haftet nicht für das positive Vertragsinteresse. Der Anleger kann nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt hätte, ihn also richtig aufgeklärt hätte. Der Anleger kann daher nicht die mit dem gekauften Wertpapier theoretisch zu erzielende Rendite fordern, sondern die Beträge, die er bei richtiger Beratung erzielt hätte.
Normen
RS0125829
Bei fehlerhafter Anlageberatung gebührt der Vertrauensschaden, der konkret oder abstrakt berechnet werden kann und jedenfalls im rechnerischen Vermögensschaden besteht. Erfolgt die Schadenszufügung aber im Rahmen der Abwicklung eines Vermögensverwaltungsvertrags, so haftet der pflichtwidrig handelnde Vertragspartner für den Nichterfüllungsschaden. Im Fall einer vereinbarten Gesamtstrategie ist das Ergebnis der pflichtwidrigen Vermögensverwaltung der fiktiven Entwicklung des Portfolios unter Zugrundelegung einer ‑ aus Sicht ex ante ‑ vertragskonformen Gesamtstrategie gegenüberzustellen. Das Begehren auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens ist unabhängig davon zulässig, ob der Anleger die noch in seinem Vermögen befindlichen Wertpapiere verkauft hat oder Naturalrestitution geltend macht.
Normen
RS0020588
Soweit der Finanzierer nur als solcher tätig wird, kommt eine Haftung (wegen culpa in contrahendo) nur bei Kenntnis von Umständen in Betracht, die ein Fehlschlagen des finanzierten Geschäfts mit größter Wahrscheinlichkeit erwarten lassen (Ablehnung vom Graf, ecolex 1991, 591 593). Überschreitet das Kreditinstitut seine Rolle als Kreditgeber und wird es als Anlageberater tätig, hat es schadenersatzrechtlich dafür einzustehen, wenn die dem Anleger gegebenen Aufklärungen unvollständig sind, insbesondere wenn der Risikocharakter der Anlage (Erwerb eines "Hausanteilscheins" legt bücherliche Sicherheit nahe) verschleiert wird.
Normen
WAG §13 Z1
WAG §13 Z4
RS0123043
Ein Finanzdienstleister hat bei der Erbringung der Finanzdienstleistung diese mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse seines Kunden zu erbringen und dem Kunden alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen, soweit dies zur Wahrung der Interessen des Kunden und im Hinblick auf die Art und den Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich ist. Eine umfassende Interessenwahrungs- und Treuepflicht trifft den Vermögensverwalter darüber hinaus bereits nach § 1009 ABGB. Ein Vermögensverwaltungsvertrag ist als Bevollmächtigungsvertrag im Sinne der §§ 1002 ff ABGB einzuordnen. Eine Bank ist jedoch nicht verpflichtet, einen spekulierenden Kunden zu bevormunden.
Normen
RS0043325
Feststellungsmängel können nur im Rahmen des vom Beweispflichtigen behaupteten Sachverhaltes berücksichtigt werden.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A***** S*****, und 2. Dr. O***** S*****, beide vertreten durch Wille Brandstätter Scherbaum Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei E***** B***** AG, *****, vertreten durch Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Vertragsaufhebung (Streitwert 62.000 EUR) und 851.570 EUR sA, in eventu Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 58/11b-23, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 34 Cg 125/09b-17, teils abgeändert und teils bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

1. Die Revisionswerber wenden sich gegen die Annahme eines zwischen den Parteien konkludent zustande gekommenen Vermögensverwaltungsvertrags durch das Berufungsgericht und legen damit den Schwerpunkt ihrer Rechtsmittelausführungen auf die Auslegung von Willenserklärungen. Sie gestehen dazu zwar ein, dass die Vorlage eines Depotvertrags und der Abschluss einer Telefonvereinbarung nicht gegen eine solche Qualifizierung spreche, meinen aber, dass richtigerweise von einem Dissens auszugehen sei.

Rechtliche Beurteilung

2.1 Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS-Justiz RS0042936). Dies gilt auch für die Beurteilung von konkludenten Willenserklärungen; auch diese ist regelmäßig einzelfallbezogen und stellt in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0109021 [T5]; RS0081754 [T5]; RS0043253 [T14]).

2.2 Fest steht, dass zwischen den Klägern und der Beklagten Klarheit darüber bestand, dass die Hälfte des von jenen zunächst bei einem anderen Bankinstitut veranlagten Wertpapiervermögens zur Beklagten transferiert werden sollte, um nach einem Jahr zu vergleichen, welches Institut das bessere Ergebnis erzielte. Zum besseren Vergleich erhielt die Beklagte dabei unter anderem den mit dem bisherigen Institut abgeschlossenen Vermögensverwaltungsvertrag ausgehändigt. Das von den Klägern demnach offengelegte und von der Beklagten unwidersprochen zur Kenntnis genommene Ziel, die Ertragsergebnisse nach einem Zeitraum von einem Jahr zu vergleichen, ließe sich ohne Betreuung des Portfolios im Sinne einer Verwaltung der am Depot erliegenden Finanzinstrumente mit Verfügungsmacht im Auftrag der Kläger (vgl 9 Ob 85/09d = JBl 2010, 713 [P. Bydlinski]) wohl nicht erreichen. Ausgehend von den Feststellungen liegt in der Ansicht des Berufungsgerichts, zwischen den Streitteilen sei nicht nur ein Depot- sowie An- und Verkaufsvertrag, sondern konkludent auch ein Vermögensverwaltungsvertrag zustande gekommen, daher keine im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

3. Die Kläger räumen selbst ein, dass die Annahme eines Vermögensverwaltungsvertrags die in erster Instanz geltend gemachte Irrtumsanfechtung erübrigt. Soweit sie in ihrer Revision dennoch darauf zurückkommen, genügt es daher auf die vom Obersten Gerichtshof gebilligte Rechtsansicht des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 2 ZPO).

4.1 Ihr hilfsweise erhobenes Schadenersatzbegehren haben die Kläger in erster Instanz auf die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten gestützt und dazu die zur Haftung des Anlageberaters judizierten Grundsätze herangezogen. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätten sie ihr Vermögen nicht zur Beklagten transferiert und weder den Depot- noch den An- bzw Verkaufsvertrag unterfertigt. In ihrer außerordentlichen Revision berufen sie sich demgegenüber auf eine Schädigung aus unterlassener Vermögensverwaltung.

4.2 Die schadenersatzrechtliche Haftung des Anlageberaters knüpft bei einem Beratungsfehler an der Verletzung vorvertraglicher oder beratervertraglicher Aufklärungs- bzw Informationspflichten an (vgl 9 Ob 85/09d = JBl 2010, 713 [P. Bydlinski] mwN). Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt, ihn also richtig aufgeklärt hätte (RIS-Justiz RS0108267). Für das positive Erfüllungsinteresse aus dem Anlagevertrag haftet der Berater grundsätzlich nicht (4 Ob 28/10m). Betrifft der Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens demgegenüber die Nichterfüllung einer gültig begründeten Leistungsverpflichtung, so leitet sich der begehrte Schadenersatz nicht aus der Wurzel des Geschäfts, sondern aus dessen Abwicklung ab. Der Schädiger hat jenen Zustand herzustellen, der im Vermögen des Geschädigten bei gehöriger Erfüllung entstünde (positives Erfüllungsinteresse: RIS-Justiz RS0016377; positives Vertragsinteresse: RS0018239). Erfolgt die behauptete Schadenszufügung daher im Rahmen der Abwicklung eines Vermögensverwaltungsvertrags, so haftet der pflichtwidrig handelnde Vertragspartner für den Nichterfüllungsschaden. Zur Schadensermittlung ist dann das Ergebnis der pflichtwidrigen Vermögensverwaltung der fiktiven Entwicklung des Portfolios unter Zugrundelegung einer - aus Sicht ex ante - vertragskonformen Gesamtstrategie gegenüberzustellen (RIS-Justiz RS0125829).

4.3 Weder das Bestehen eines Vermögensverwaltungsvertrags, noch eine Schädigung aus einem rechtswidrigen Verhalten der Beklagten, das sich auf die Abwicklung eines wirksam zustande gekommenen Vermögensverwaltungsvertrags bezieht, waren Gegenstand des Vorbringens der Kläger in erster Instanz. Insoweit liegt damit eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung vor (RIS-Justiz RS0037612). Darauf ist nicht Bedacht zu nehmen. Auf die in erster Instanz geltend gemachte schadenersatzrechtliche Haftung wegen einer Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten kommen die Kläger nicht mehr zurück.

5. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang geltend machen, das Berufungsgericht hätte ergänzende Feststellungen zu ihrem Vermögensstand bei angenommener Vermögensverwaltung durch die Beklagte zu treffen gehabt und daraus eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ableiten, zielen sie auf Feststellungen zur Höhe des positiven Vertragsinteresses ab und machen damit einen Feststellungsmangel geltend. Ein solcher liegt aber nur dann vor, wenn ein ausreichendes, das Begehren tragendes Tatsachenvorbringen erstattet wurde (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 503 ZPO Rz 138, ähnlich Rz 197; vgl auch RIS-Justiz RS0043325). Das war - wie dargelegt - hier nicht der Fall. Darüber hinaus leiten die Kläger eine primäre Mangelhaftigkeit und damit einen Revisionsgrund nach § 503 Z 3 ZPO aus der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht ab.

6. Das Rechtsmittel der Kläger, das damit insgesamt keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist daher zurückzuweisen, ohne dass es noch einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00181.11S.1222.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
RAAAD-43557