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OGH vom 23.10.2019, 1Ob180/19f

OGH vom 23.10.2019, 1Ob180/19f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.

Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** und 2. M*****, beide *****, 3. Dr. A*****, 4. G*****, 5. D*****, 6. N***** und 7. P*****, beide *****, alle vertreten durch die Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte GmbH, Zell am See, gegen die beklagten Parteien 1. Bringungsgemeinschaft *****, und 2. Land Salzburg, beide vertreten durch Dr. Roland Reichl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 16.194,60 EUR sA sowie Feststellung, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 53 R 285/18w-134, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom , GZ 18 C 31/16a-126, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem

Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die Kläger bezogen als Allein- und/oder Miteigentümer von bebauten und unbebauten (aber „bebaubaren“) Liegenschaften – aufgrund eines im Grundbuch eingetragenen Rechts der Quellfassung und Wasserleitung – Wasser aus drei auf bestimmten (anderen) Grundstücken gelegenen Quellen. Eine Quelle versorgte die Grundstücke der Kläger mit Trinkwasser, die beiden anderen Quellen bestimmte Grundstücke mit Brauchwasser. Die erstbeklagte Bringungsgemeinschaft errichtete als „Bauherrin“ in der Nähe der Quellen einen Güterweg. Das zweitbeklagte Land übernahm dafür die Planung, Bauabwicklung, Auftragsvergabe und Ausschreibung.

Die begehren den Ersatz des Schadens (Kosten für den Anschluss ihrer Grundstücke an die öffentliche Wasserversorgung), der ihnen dadurch entstanden sei, dass die bisherige Trinkwasserquelle durch den Bau des Güterwegs verschmutzt worden sei und die Quelle seitdem nur mehr Brauchwasser liefere. Sie begehrten außerdem die Feststellung der Haftung für künftige Schäden (weitere Kosten für die öffentliche Wasserversorgung) aufgrund der von den Beklagten verursachten Verschlechterung der Wasserqualität dieser Quelle sowie für jene Nachteile, die ihnen durch eine Verminderung der Schüttmenge der beiden Brauchwasserquellen aufgrund der Errichtung des Güterwegs entstehen.

Das gab dem auf Zahlung und Feststellung der Haftung gerichteten Klagebegehren, soweit es aus einer Verschmutzung der bisherigen Trinkwasserquelle abgeleitet wurde, statt. Es ging davon aus, dass die Wasserqualität dieser Quelle durch die Errichtung des Güterwegs beeinträchtigt wurde, weil aufgrund einer Beschädigung der „Deckschicht“ sowie der fehlerhaften Ausführung einer Drainage (verschmutztes) Oberflächenwasser in den Untergrund gelangen konnte. Den klagenden Grundeigentümern stünden „unter Berücksichtigung der durchgeführten (naturschutzrechtlichen und – hinsichtlich der Einleitung von Drainage und Oberflächenwasser des Güterwegs in einen nahegelegenen Bach – wasserrechtlichen) Bewilligungsverfahren und ergangenen Bescheide“ verschuldensunabhängige (nachbarrechtliche) Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten als Errichterin des Wegs zu. Die zweitbeklagte Partei hafte solidarisch aufgrund eines (vom Erstgericht im Einzelnen nicht näher dargelegten) rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens bei der Errichtung des Wegs.

Das auf eine Verringerung der Schüttmenge der Brauchwasserquellen gestützte Begehren wies das Erstgericht ab, weil insgesamt (unter Berücksichtigung der Schüttmenge der vormaligen Trinkwasserquelle) eine ausreichende Brauchwassermenge zur Verfügung stehe.

Das von den Beklagten angerufene (die Abweisung des auf eine Verringerung der Brauchwassermenge gestützten Klagebegehrens erwuchs in Rechtskraft) ging davon aus, dass gegen die Erstbeklagte (aufgrund der im Zusammenhang mit der Errichtung des Güterwegs eingeholten naturschutz und [auf Oberflächenwässer beschränkten] wasserrechtlichen Bewilligungen) verschuldensunabhängige Ersatzansprüche nach § 364a ABGB „möglich seien“ und dass dem zweitbeklagten Land eine Schutzgesetzverletzung vorzuwerfen sei, weil es keine (weitergehende) wasserrechtliche Bewilligung „im Zusammenhang mit dem Bau im Nahbereich der Quelle“ eingeholt habe.

Es hob das klagestattgebende erstinstanzliche Urteil jedoch auf, weil nicht feststehe, ob die Errichtung des Güterwegs durch die Beklagten oder die mangelhafte Fassung der Quelle durch die Kläger für die Verschlechterung der Wasserqualität ursächlich war. Die Negativfeststellung zur Quellfassung als Schadensursache erachtete es als unklar, die Feststellung zur Kausalität der Errichtung des Wegs als mangelhaft begründet und mangels Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht aus den Beweisergebnissen ableitbar. Es sei („falls im fortgesetzten Verfahren die Kausalität der Errichtung des Güterwegs für die Beeinträchtigung der Quelle nachgewiesen werde“) auch fraglich, inwiefern den einzelnen „Quellberechtigten“ (also den Klägern) ein Anspruch auf Feststellung der unbeschränkten Haftung der Beklagten für sämtliche künftigen Wassergebühren zustehe, könnten die (Gesamt-)Rechte mehrerer Servitutsberechtigter doch nicht einfach durch Teilung der herrschenden Grundstücke beliebig vervielfältigt werden. Vielmehr hätten sämtliche „Teilhaber“ insgesamt nur ein Recht auf die Gesamtschüttung (und der einzelne Berechtigte jeweils nur ein anteiliges Recht daran), wie sie die Quelle in Zukunft geliefert hätte, wobei es auch auf die ursprüngliche Nutzung(sart) der herrschenden Grundstücke ankomme. Es stehe auch nicht fest, wie sich das „Schüttungsverhalten“ (wohl gemeint: die Schüttmenge) „im Jahresverlauf“ verändere, sodass sich der künftige Schaden noch nicht abschätzen lasse. Mit den Klägern seien deren unbeschränkte Feststellungsbegehren daher zu erörtern. Es liege auch kein Beweisergebnis für die (von der Zweitklägerin begehrte) Anschlussgebühr für eines ihrer Grundstücke an die (Orts)Wasserleitung vor. Außerdem sei der (unklare) Beginn des Zinsenlaufs noch zu erörtern.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei aufgrund zahlreicher von diesem noch nicht behandelter Rechtsfragen zulässig. Ungeklärt sei die „Frage der analogen Anwendbarkeit des § 364a ABGB auf die anlässlich des Güterwegebaus übergangenen Quellleistungberechtigten“ sowie „ob angesichts der Querung des Quellgebiets eine wasserrechtliche Bewilligung einzuholen gewesen wäre, ob und wie die Frage der alternativen Kausalität zu lösen sei, wenn ein potentiell Haftpflichtiger ein Schutzgesetz übertreten habe, und wie bei mehreren schadenersatzberechtigten Quellberechtigten als Rechtsgemeinschaft ein Feststellungsbegehren auf zukünftige Versorgung von Trinkwasser zu erheben sei, wenn Ersatz an die Gemeinschaft lediglich im Umfang der verlustig gegangenen Trinkwasserquelle zu leisten sei und einzelne Liegenschaften noch gar nicht oder erst im Laufe des Verfahrens bebaut worden seien“.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs der Kläger ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses auch berechtigt.

1.1. Aufgrund des Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts ist dessen Aufhebungsbeschluss bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 528 ZPO grundsätzlich anfechtbar (§ 527 Abs 2 ZPO).

1.2. Soweit die Rekursgegner meinen, der Rekurs des Sechstklägers und der Siebentklägerin (in den Entscheidungen der Vorinstanzen als viert und fünftklagende Parteien bezeichnet) sei jedenfalls unzulässig, weil das Erstgericht insoweit über einen Streitgegenstand entschieden habe, der an Geldeswert 2.700 EUR nicht überstieg, sodass das Berufungsgericht an den vom Kläger angegebenen Wert des Streitgegenstands (ausgenommen der Fall einer offensichtlichen Unterbewertung) gebunden war (RISJustiz RS0042584), wird übersehen, dass mehrere in einer Klage geltend gemachte Forderungen als einheitlicher Streitgegenstand im Sinn des § 501 Abs 1 ZPO zu beurteilen sind, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen (vgl Kodek in Rechberger5§ 501 ZPO Rz 1; Gitschthaler in Fasching/Konecny³ § 55 JN Rz 4; 6 Ob 79/09z). Nach Z 2 dieser Bestimmung sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche von mehreren Parteien zusammenzurechnen, wenn diese Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind, wofür es ausreicht, dass sie aus demselben tatsächlichen Grund berechtigt oder verpflichtet sind. Dies ist dann der Fall, wenn sie ihre Rechte aus einem für alle Rechtsgenossen insgesamt einheitlich zu beurteilenden Sachverhalt ableiten. Entscheidend ist der gleiche tatsächliche Klagegrund, also ein

einheitlicher rechtserzeugender Sachverhalt (RS0035528 [T1]).

1.3. Der Sechstkläger und die Siebentklägerin bilden eine solche materielle Streitgenossenschaft, weil sie ihr (Zahlungs und Feststellungs)Begehren aus einer einheitlichen Schädigung durch die Beklagten ableiten und den selben Schaden, nämlich die Kosten des Anschlusses ihres (im Miteigentum stehenden) Grundstücks sowie die Kosten dessen künftiger Wasserversorgung, geltend machen (zum Ersatzanspruch mehrerer Miteigentümer vgl etwa 8 Ob 62/05h). Damit kommt es zu einer Zusammenrechnung gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN, sodass insgesamt (bereits aufgrund der jeweiligen Zahlungsbegehren) ein 2.700 EUR übersteigender Streitwert vorliegt.

2.1. Zur Frage der Kausalität ging das Erstgericht davon aus, dass die Beeinträchtigung des Quellwassers (Verlust der Trinkwasserqualität) durch die fehlerhafte Errichtung des Güterwegs verursacht wurde. Es stellte – wie bereits dargelegt – fest, dass die das Oberflächenwasser an der Oberfläche haltende „Deckschicht“ im Hang beschädigt und außerdem die Drainage fehlerhaft ausgeführt wurde, sodass verschmutztes (Oberflächen-)Wasser in den Untergrund im Einzugsgebiet der Quelle gelangte. Dass die von den Klägern während des Wegebaus erneuerte Quellfassung nicht „entsprechend den geltenden Normen und Richtlinien bzw nicht nach dem Stand der Technik erneuert wurde“ (die Beklagten wandten ein, dass die Kläger die Verunreinigung der Quelle durch eine mangelhafte Fassung selbst verursacht hätten), habe hingegen nicht festgestellt werden können.

2.2. Ungeachtet dieser klaren Feststellungen erachtete das Berufungsgericht die Schadensursache als noch nicht ausreichend geklärt, weil nicht hinreichend feststehe, „dass die Beklagten beim Wegebau jedenfalls kausal einen Schaden in Form der Beeinträchtigung des Trinkwassers verursacht hätten“. Es hob das Ersturteil mit der Begründung auf, die erstinstanzlichen Feststellungen seien nicht hinreichend begründet und könnten ohne Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet Straßen- und Wegebau nicht zweifelsfrei hergeleitet werden, weshalb auch ein Stoffsammlungsmangel vorliege.

2.3. Dem ist zunächst zu entgegnen, dass aus rechtlichen Gründen keine Notwendigkeit zur Ergänzung der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen bestand, konnte doch eine Beurteilung der Kausalität der Errichtung des Güterwegs für die Verschlechterung der Wasserqualität der Quelle auf Basis des festgestellten Sachverhalts problemlos erfolgen. Ein Stoffsammlungsmangel (im Sinn eines sekundären Feststellungsmangels) lag daher nicht vor. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts litt das erstinstanzliche Urteil auch nicht an einem – seine Aufhebung rechtfertigenden – Begründungsmangel, setzte sich das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung doch (ausführlich) mit den möglichen Ursachen für die Verschlechterung der Wasserqualität der (früheren Trinkwasser-)Quelle auseinander.

2.4. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Oberste Gerichtshof, wenn das Berufungsgericht einen für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt – ausgehend von einer zutreffenden Rechtsansicht – als noch nicht ausreichend geklärt ansah, dieser Auffassung, da er nicht Tatsacheninstanz ist (vgl RS0123663 [T2]), zwar nicht entgegentreten (RS0042179). Das Berufungsgericht darf sich dadurch aber nicht seiner Verpflichtung entziehen, die in der Berufung bekämpfte Beweiswürdigung des Erstgerichts zu überprüfen (vgl RS0042159; SZ 46/34 mwN). Insbesondere darf es dem Erstgericht von Amts wegen keine Beweisaufnahme auftragen, die von keiner Partei beantragt wurde (RS0042159 [T3]). Hat das Berufungsgericht Bedenken gegen die Feststellungen des Erstgerichts bzw gegen dessen (auf einer unmittelbaren Beweisaufnahme beruhenden) Beweiswürdigung, muss es vielmehr selbst alle mit dem betreffenden Beweisthema zusammenhängenden Beweisaufnahmen wiederholen. Eine Aufhebung des Ersturteils kommt in diesem Fall nicht (auch nicht bei – unrichtiger – Einordnung als Begründungsmangel des Erstgerichts; vgl RS0040132 [T5]; RS0042179 [T5]) in Betracht (RS0042159).

2.5. Entgegen dieser Rechtsprechung hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts wegen eines (tatsächlich nicht vorliegenden) Begründungsmangels auf, anstatt aufgrund seiner Bedenken gegen die (in zweiter Instanz bekämpfte) Beweiswürdigung eine Beweiswiederholung bzw ergänzung (etwa durch Einholung des als erforderlich angesehenen weiteren Gutachtens) vorzunehmen. Der angefochtene Aufhebungsbeschluss ist daher mit einem Verfahrensmangel behaftet, der in der Revision auch inhaltlich angesprochen wird. Dieser führt zur Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und Zurückverweisung der Rechtssache an dieses zur Behandlung der bisher unbehandelt gebliebenen Tatsachenrüge.

3. Auf die vom Berufungsgericht sowie den Rekurswerbern angesprochenen weiteren – als im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblich angesehenen – Rechtsfragen (betreffend den von den Rekurswerbern naturgemäß nicht in Zweifel gezogenen Haftungsgrund; die im Aufhebungsbeschluss erörterte Frage der alternativen Kausalität, die derzeit noch nicht beurteilt werden kann; sowie den „richtigen“ Umfang der Feststellungsbegehren, wofür zunächst ebenfalls abschließend zu klären ist, ob die Beklagten den Schaden der Kläger überhaupt verursacht haben) muss im derzeitigen Verfahrensstadium (solange die grundlegende Frage der Kausalität auf Sachverhaltsebene nicht geklärt ist) nicht eingegangen werden, zumal es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs ist, Rechtsfragen zu beantworten, die sich nach endgültiger und vollständiger Klärung der Tatfrage möglicherweise gar nicht stellen (vgl 1 Ob 112/17b).

4. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 50, 52 ZPO iVm § 2 ASGG.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00180.19F.1023.000

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Fundstelle(n):
PAAAD-43455