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OGH vom 12.10.2006, 6Ob229/06d

OGH vom 12.10.2006, 6Ob229/06d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef P*****, vertreten durch Mag. Birgit Brass, Rechtsanwältin in Villach, gegen die beklagte Partei Brigitte P*****, vertreten durch Mag. Barbara Schütz, Rechtsanwältin in Villach, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 2 R 119/06m-38, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 10 C 1/05s-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 399,74 EUR (darin 66,62 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 402, 78 EO,§ 526 Abs 2 ZPO) - Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Zulässigkeit und den Kriterien einer allfälligen Interessenabwägung bei wechselseitig berechtigten Wegweisungsanträgen nach § 382b Abs 1 EO. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kam es zwischen den Parteien seit 2004 nahezu täglich zu Auseinandersetzungen, deren Ursache der Umstand war, dass sich der Mann von der Frau völlig abgewendet hatte und seiner eigenen Wege ging. Dieses Verhalten belastete die Frau psychisch massiv. Sie litt unter Angstgefühlen und depressiven Stimmungen, hinzu traten Beschwerden im Magen/Darmbereich und in der Speiseröhre. Sie wollte das Verhalten des Mannes nicht akzeptieren und stellte ihn wiederholt zur Rede. In der Folge begann sie, ihn auch zu provozieren, indem sie sich ihm „laufend in den Weg stellte", ihn an den Haaren erfasste und ihn aufforderte, sie tätlich anzugreifen. Sie sperrte ihn in verschiedenen Räumen der Ehewohnung (richtig: des Wohnhauses) ein. Oder sie versuchte, sich Zutritt zu Räumen zu verschaffen, die der Mann von innen versperrt hatte. Der Mann, von dem derzeit nicht feststeht, ob er sich von seiner Frau wegen einer Beziehung zu einer anderen Frau abgewendet hatte, beschimpfte und beleidigte in der letzten Zeit seinerseits wiederholt seine Frau; dies auch in Gegenwart dritter Personen und auch, ohne von ihr vorher tätlich angegriffen worden zu sein.

Die tätlichen Angriffe und Provokationen der Frau fanden regelmäßig im Beisein der gemeinsamen Kinder statt. Dadurch wurden diese massiv psychisch belastet und in ihrem Wohl gefährdet. Am erfolgte daher zum Schutz der Kinder deren Aufnahme auf der Abteilung für Neurologie und Psychiatrie des Landeskrankenhauses V*****. Nunmehr lebt die ältere Tochter beim Vater im Wohnhaus, die jüngere Tochter bei der Mutter. Die beiden bezogen am eine möblierte Mietwohnung. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hätte die Frau aus dieser Wohnung bis spätestens ausziehen müssen; in seiner Rekursbeantwortung vom behauptete der Mann allerdings, die beiden lebten nach wie vor dort; dem trat die Frau in ihrem Revisionsrekurs nicht entgegen.

Die Vorinstanzen gingen vom Vorliegen der Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1 EO und einem dringenden Wohnbedürfnis am Wohnhaus auf beiden Seiten aus. Sie verboten der Frau die Rückkehr in das Haus und auf die dazugehörende Liegenschaft; den Antrag der Frau, dem Mann das Verlassen des Hauses aufzutragen und ihm dessen Betreten zu verbieten, wiesen sie hingegen ab. Bei Abwägung der wechselseitigen Interessen sei zu berücksichtigen, dass die ältere Tochter sich weigere, aus dem Wohnhaus auszuziehen; sie wolle mit der Mutter auch nicht im gemeinsamen Haushalt leben. Eine neuerliche Veränderung der Wohnsituation würde mit einer neuerlichen Belastung der älteren Tochter einhergehen.

Die Frau macht im Revisionsrekurs geltend, § 382b Abs 1 EO sehe eine Interessenabwägung zwischen den Parteien nicht vor; im Übrigen hätten die Vorinstanzen auch eine unrichtige Interessenabwägung vorgenommen, weil der Mann und die ältere Tochter auf das Wohnhaus gar nicht angewiesen seien. Auf diese Fragen kommt es aber nicht an:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 382b Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einem nahen Angehörigen durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf dessen Antrag das Verlassen der Wohnung und die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verbieten. Der Mann verweist in seiner Revisionsrekursbeantwortung zutreffend darauf, dass ihm nach den Feststellungen der Vorinstanzen aber weder ein effektiver körperlicher Angriff gegen die Frau noch eine Drohung mit einem solchen vorgeworfen werden kann. Das Erstgericht stellte nämlich in diesem Belang lediglich Angaben der Frau gegenüber behandelnden Ärzten des Landeskrankenhauses Villach (Hautabschürfung im Bereich des linken Ellenbogens aufgrund eines Raufhandels mit dem Mann) und den Sicherheitsbehörden (Schlag des Mannes gegen die Hand der Frau samt Kratzen und Werfen eines leeren Aktenkoffers gegen die linke Schulter der Frau) fest; die inhaltliche Richtigkeit dieser Angaben steht konkret jedoch nicht fest. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung spricht das Erstgericht vielmehr ausdrücklich von den „Angriffen der Antragsgegnerin [= Frau]".

2. Nach ständiger Rechtsprechung soll ein effektiver körperlicher Angriff oder die Drohung mit einem solchen die Ausweisung des Antragsgegners aus der oder ein Rückkehrverbot in die Wohnung rechtfertigen, darüber hinaus aber auch ein sonstiges Verhalten („Psychoterror") derartige Maßnahmen ermöglichen, wenn es eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (1 Ob 244/01s; 9 Ob 286/01a = EFSlg 102.513; RIS-Justiz RS0110446). Bei der Prüfung der Voraussetzung der Zumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens ist zugunsten der Opfer von Gewalttätigkeiten im Familienkreis grundsätzlich ein großzügiger Maßstab anzulegen (1 Ob 285/03y); von Bedeutung ist auch nicht ein Verhalten, welches der Durchschnittsmensch als „Psychoterror" empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche des Antragstellers (1 Ob 65/04x = EFSlg 109.364).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wandte sich der Mann von der Frau völlig ab und ging seiner eigenen Wege. Dieses Verhalten belastete die Frau psychisch massiv; sie litt unter Angstgefühlen und depressiven Stimmungen, hinzu traten Beschwerden im Magen/Darmbereich und in der Speiseröhre. In weiterer Folge kam es dann zu den Auseinandersetzungen.

Wendet sich ein Ehegatte vom anderen grundlos ab und geht seiner eigenen Wege, so mag dies durchaus eine Eheverfehlung nach § 49 EheG darstellen; „Psychoterror" im Sinne des § 382b Abs 1 EO kann darin aber noch nicht erkannt werden. Dazu bedürfte es weiterer relevanter Verhaltensweisen (vgl dazu etwa E. Kodek in Angst, EO [2000] unter Hinweis auf LGZ Wien EFSlg 35.160 [der Ehegatte unterhält ehewidrige Beziehungen in der Ehewohnung]; ders, aaO unter Hinweis auf 1 Ob 711/77 = MietSlg 29.002 [Aufforderung an den Ehegatten, sich umzubringen]; LG Salzburg ua EFSlg 102.510 [mehrfaches Bedrohen des Ehegatten mit dem Umbringen]; LGZ Wien EFSlg 112.570 [Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit dem Ehegatten gegen dessen Willen]). Die mit einem Scheidungsverfahren überlicherweise verbundene nervliche Belastung ist hingegen noch keine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit. Die Wegweisung darf in keinem Fall eine unangemessene Reaktion auf das Verhalten des Antragsgegners sein. Die subjektive Auslegung des Begriffs „Psychoterror" kann nicht so weit gehen, dass jegliches Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, aus einer subjektiven Sichtweise heraus die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens begründen könnte. Auch wenn die massive psychische Beeinträchtigung der Frau durch das ursprüngliche Verhalten des Mannes nachvollziehbar erscheint, könnte dies allein somit nicht die Erlassung einer einstweiligen Verfügung dahingehend rechtfertigen, dem Mann aufzutragen, das Wohnhaus zu verlassen und es nicht mehr zu betreten. Liegen aber auf Seiten des Mannes die Voraussetzungen für eine einstweilige Verfügung nicht vor, bedarf es der von den Vorinstanzen vorgenommenen Interessenabwägung gar nicht mehr.

3. Die Frage, ob auf Seiten der Frau die Voraussetzungen für eine einstweilige Verfügung nach § 382b Abs 1 EO vorlagen, ist eine solche des Einzelfalls (4 Ob 126/04i = EFSlg 109.396).

Damit war aber der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung richtet sich nach § 393 Abs 2 EO, §§ 41, 50 ZPO. Der Mann hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses der Frau hingewiesen; sein Schriftsatz war daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.