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OGH vom 05.06.2008, 6Ob102/08f

OGH vom 05.06.2008, 6Ob102/08f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sigrid G*****, vertreten durch RA Dr. Franz P. Oberlercher Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Spittal/Drau, gegen die beklagte Partei J*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Flucher, Rechtsanwalt in Villach, wegen Leistung (Streitwert 3.600 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 273/07k-29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 9 C 1331/06y-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie

insgesamt zu lauten haben:

„Das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig,

1. den nordwestlichen Bereich der Parzelle 361/2 und den nordöstlichen Bereich der Parzelle .17/2 je Grundbuch ***** der Klägerin in der Länge von rund 15 m und im Osten in einer Breite von 5,42 m und im Westen in einer Breite von 3,54 m durch Humusabtrag und Einbringung von Befestigungsmaterial (Schotter) zu einer Parkplatzfläche umgestaltete Grünfläche durch Entfernung des Befestigungsmaterials (Schotter) und Aufbringung von Humusmaterial niveaugleich mit der angrenzenden Grünfläche der Klägerin und durch Einsäen mit Wiesensamen wiederum als Grünfläche (in den ursprünglichen Zustand) binnen 14 Tagen herzustellen, sowie

2. es zu unterlassen, die zu Punkt 1. beschriebene Fläche als Parkplatz oder als sonstige Stellfläche zu nutzen,

wird abgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 5.697,47 EUR (darin 782,91 EUR Umsatzsteuer und 1.000 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 1.627,04 EUR (darin 173,84 EUR Umsatzsteuer und 584 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** (unter anderem) mit den Parzellen 361/2 und .17/2. Der Beklagte ist Alleineigentümer der Liegenschaft EZ ***** selbes Grundbuch (unter anderem) mit der Parzelle 358/1. Diese grenzt im Süden und im Südosten an die Parzellen der Klägerin, wobei es zwischen den Parteien - jedenfalls im Revisionsverfahren - nicht strittig ist, dass der tatsächliche Grenzverlauf weder aufgrund getroffener Vereinbarungen bzw eines übereinstimmenden Parteiwillens noch aufgrund von Naturgrenzen feststeht; es sind auch keine Grenzzeichen vorhanden. Die Parzellen sind nicht im Grenzkataster eingetragen, wohl aber in der Grundbuchsmappe. Überträgt man deren Grenzen in die Natur, verläuft die „Katastergrenze" im strittigen Bereich entlang jener Linie, wie sie sich aus dem Gutachten ON 18 (AS 109) ergibt.

Anlässlich des Erwerbs der Liegenschaft durch den Beklagten kam es zwar im Jahr 1962 zu einer Begehung der Grenze mit der damaligen Verkäuferin, wobei diese „damals den Grenzverlauf von der Hälfte der Hütte in die Richtung der Straße hinunter" erklärte; diese Hütte, ein Holzschuppen, befand und befindet sich dabei östlich der vom Beklagten aufgeschotterten Fläche, die Gegenstand dieses Rechtsstreits ist. Diese Bezeichnung des Grenzverlaufs durch die damalige Verkäuferin war jedoch zu unpräzise, um den tatsächlichen Grenzverlauf feststellen zu können.

Im Sommer 2003 befestigte der Beklagte eine Grünfläche im Bereich der Grenze zwischen den Liegenschaften der Parteien durch das Einbringen von Schottermaterial; Angehörige und Gäste des Beklagten benutzen diese Fläche seither als Parkplatz. Die Fläche gehört laut übertragener Grundbuchsmappe mit einer Teilfläche von 71 m² zur Parzelle 358/1 des Beklagten und mit einer Teilfläche von 69 m² zu den Parzellen 361/2 und .17/2 der Klägerin. Auch der bereits erwähnte Holzschuppen befindet sich zur Gänze auf der Parzelle 361/2 der Klägerin.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten auch noch im Revisionsverfahren die Wiederherstellung der Grünfläche (Punkt 1.), während ihr Begehren, der Beklagte möge außerdem die Nutzung der Fläche als Parkplatz oder sonstige Stellfläche unterlassen (Punkt 2.), bereits von den Vorinstanzen rechtskräftig abgewiesen worden ist. Die Klägerin beruft sich auf ihr Eigentum und einen maßgeblichen Grenzverlauf im Sinne der Grundbuchsmappe.

Der Beklagte hält dem, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, entgegen, die Klägerin habe jenen Teil der nunmehr befestigten Fläche, der sich laut übertragener Grundbuchsmappe auf ihren Liegenschaften befindet, nie in ihr Eigentum erworben; maßgeblich sei vielmehr die Verlängerung der Linie durch den Holzschuppen zur Straße hin, womit er Eigentümer der strittigen Fläche sei.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren statt. „Wegen" des Fehlens von Grenzzeichen, Naturgrenzen und vertraglicher Regelungen bzw eines übereinstimmenden Parteiwillens sei „unter Würdigung aller Beweise und unter Berücksichtigung der Kataster- und Grundbuchsmappe davon auszugehen, dass der Beklagte Eigentum an der Parzelle 358/1 innerhalb der Grenzen, die von der Grundbuchsmappe dargestellt werden und die nunmehr sowohl durch die Vermessung als auch das Gutachten im vorliegenden Verfahren in die Natur übertragen und vermarkt wurden, erworben hat". Eigentümer der strittigen Fläche sei der Beklagte damit nicht geworden, weshalb er durch deren Befestigung eigenmächtig in das Eigentum der Klägerin eingegriffen habe. Das Begehren auf Wiederherstellung sei gemäß § 523 ABGB berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass es eine Leistungsfrist von vier Monaten festsetzte. Es sprach aus, dass (auch) der Wert des Leistungsbegehrens 4.000 EUR übersteige und dass - dies über Antrag des Beklagten auf Abänderung seines ursprünglichen Ausspruchs - die Revision zulässig sei. Konkrete Überlegungen zur im Revisionsverfahren entscheidenden Frage des tatsächlichen oder anzunehmenden Grenzverlaufs zwischen den Liegenschaften der Parteien enthält das Berufungsurteil nicht. In seinem Beschluss, mit dem es die Revision nachträglich zuließ, meinte das Berufungsgericht jedoch, es teile wegen des Fehlens von Grenzzeichen und Naturgrenzen die Auffassung des Erstgerichts, dass der Beklagte Eigentum an der Parzelle 358/1 lediglich innerhalb jener Grenzen erworben habe, die von der Grundbuchsmappe dargestellt werden; „allein es [sei] nicht gänzlich von der Hand zu weisen", dass die Entscheidung EvBl 1998/110 dem Standpunkt des Beklagten „zum Durchbruch verhelfen könnte".

Die Revision ist zulässig; sie auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Das Berufungsgericht stellte zwar seinen Beschluss vom , mit dem es nunmehr die Revision zugelassen hatte, dem Vertreter der Klägerin am zu, unterließ es dabei aber, diesem auch eine Gleichschrift des Revisionsschriftsatzes zu übermitteln, obwohl dies bereits auch das Erstgericht entgegen § 507 Abs 2 ZPO unterlassen hatte. Erst nach entsprechendem Ersuchen erhielt der Vertreter der Klägerin am eine Gleichschrift und überreichte am (mittels ERV) - somit fristgerecht - die Revisionsbeantwortung.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beurkundet die Grundbuchsmappe nicht die Grenze; sie ist nur ein Beweismittel wie jedes andere auch (RIS-Justiz RS0049559; Sailer in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² [2007] § 852 Rz 2; Höller in Kodek, Grundbuchsrecht [2007] § 1 GBG Rz 18). Erst durch die Eintragung der Grundstücke im Grenzkataster wird die „Papiergrenze" verbindlich (6 Ob 656/87). Die Frage, wo die natürliche Grenze verläuft, ist eine Frage der Würdigung aller Beweise einschließlich der Kataster- und der Grundbuchsmappe sowie eine Frage der Feststellung von Tatsachen (6 Ob 230/98m).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die im Revisionsverfahren auch nicht angezweifelt werden, sind die Liegenschaften der Parteien nicht im Grenzkataster eingetragen; den Verlauf der natürlichen Grenze wiederum konnte das Erstgericht nicht feststellen.

3. Die Vorinstanzen vertraten offensichtlich (arg: „Wegen" des Fehlens von ...) die Auffassung, der Grenzverlauf richte sich nach der in die Natur übertragenen Grundbuchsmappe, wenn der natürliche Grenzverlauf anders nicht festgestellt werden kann. Dem folgt auch die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung.

3.1. Die Frage der rechtlichen Beurteilung von Mappengrenzen gehört zur rechtlichen Beurteilung, die Frage, wo die natürliche Grenze (tatsächlich) verläuft, ist hingegen eine solche der Feststellung von Tatsachen und kann vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden (6 Ob 230/98m). Das Erstgericht hat zwar - im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung - ausgeführt, „unter Würdigung aller Beweise und unter Berücksichtigung der Kataster- und Grundbuchsmappe" sei davon auszugehen, dass der Beklagte Eigentum an der Parzelle 358/1 „innerhalb der Grenzen [erworben hat], die von der Grundbuchsmappe dargestellt werden und die nunmehr ... in die Natur übertragen und vermarkt wurden". Die Verwendung dieser Floskel vermag aber nichts daran zu ändern, dass das Erstgericht konträr dazu dargestellt hat, dass es tatsächlich keinerlei Beweise dafür finden konnte, wo die natürliche Grenze zwischen den Liegenschaften der Parteien verläuft, nämlich weder Grenzzeichen noch vertragliche Regelungen noch Naturgrenzen noch einen übereinstimmenden Parteiwillen. Zur Begehung der Grenze bei Erwerb der Liegenschaft durch den Beklagten, bei der die damalige Verkäuferin den Grenzverlauf darstellte, führte das Erstgericht sogar aus, dass diese Darstellung derart „unpräzise" gewesen sei, dass sich Feststellungen darauf nicht gründen ließen. Damit trafen die Vorinstanzen in Wahrheit keine irrevisiblen Feststellungen über den natürlichen Grenzverlauf, sondern vertraten die Rechtsansicht, mangels Feststellbarkeit desselben komme es auf die Grundbuchsmappe an.

3.2. Der Oberste Gerichtshof hat allerdings in der Entscheidung 6 Ob 12/98b (= EvBl 1998/110) klargestellt, dass der Kläger in einem Verfahren nach § 523 ABGB den richtigen Grenzverlauf zu bezeichnen und auch zu beweisen habe, wenn dieser, weil zwischen den Parteien strittig, eine Vorfrage bildet; der Kläger habe nämlich den Nachweis seines Eigentums und eines Eingriffs in dieses zu behaupten und zu beweisen; Gegenstand dieser Behauptungs- und Beweislast sei dabei auch die richtige Grenze, weil nur danach Eigentum und Eingriff geprüft werden könnten. Ließen sich nun entsprechende Feststellungen über den richtigen Grenzverlauf nicht (mehr) treffen, sei das Klagebegehren angesichts der den Kläger für den richtigen Grenzverlauf treffenden Behauptungs- und Beweislast mangels Nachweises der Verletzung des Eigentumsrechts abzuweisen. Der Kläger sei insofern auf das außerstreitige Grenzfestsetzungsverfahren nach §§ 850 f ABGB verwiesen (so auch 1 Ob 512/96 = SZ 69/187; RIS-Justiz RS0106314; vgl auch Sailer in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB2 [2007] § 851 Rz 5).

Kann also die richtige Grenze nicht ermittelt werden („Grenzverwirrung"; Klang in Klang III² [1952] 1146, 1152; Sailer aaO § 850 Rz 2), muss sie neu festgesetzt werden. Da der Klägerin der Beweis des tatsächlichen bzw richtigen Grenzverlaufs nicht gelungen ist - was sie im Übrigen ja in ihrer Revisionsbeantwortung selbst zugesteht -, ist ihr auf § 523 ABGB gestütztes Klagebegehren aber jedenfalls abzuweisen.

3.3. Die Klägerin meint in der Revisionsbeantwortung, es wäre „ausschließlich" am Beklagten gelegen, einen vom Grenzverlauf „nach Mappe bzw Kataster abweichenden Eigentumsgrenzverlauf" unter Beweis zu stellen. Damit weicht sie jedoch von der bereits wiedergegebenen Rechtsprechung ab; der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 1 Ob 512/96 und 6 Ob 12/98b eine derartige Beweislastumkehr ausdrücklich abgelehnt.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.