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OGH vom 28.06.2000, 6Ob102/00v

OGH vom 28.06.2000, 6Ob102/00v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johanna W*****, vertreten durch Dr. Siegfried Schüßler, Rechtsanwalt in Wolfsberg, gegen die beklagte Partei Dorothea J*****, vertreten durch Dr. Werner Poms, Rechtsanwalt in Wolfsberg, wegen Feststellung einer Dienstbarkeit, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 57/00z, 64/00d, 65/00a und 66/00y-28, mit dem unter anderem die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Völkermarkt vom , GZ 2 C 1621/99g-7, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Bezirksgericht Wolfsberg als Pflegschaftsgericht mit der Verständigung übermittelt, dass sich bei der beklagten Partei mit Beziehung auf den Rechtsstreit Anzeichen auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben haben.

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes unterbrochen.

Text

Begründung:

Mit ihrer am beim Bezirksgericht Wolfsberg eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Feststellung des Bestehens einer näher bezeichneten Dienstbarkeit sowie die Einwilligung der Beklagten in die Einverleibung dieser Dienstbarkeit. Sie bewertete ihr Begehren mit 60.000 S.

Sämtliche Richter des Bezirksgerichtes Wolfsberg erklärten sich für befangen, weil die Klägerin die Mutter einer an diesem Bezirksgericht beschäftigten Fachinspektorin sei. Diese Befangenheitsanzeige wurde vom Landesgericht Klagenfurt für begründet befunden und das Bezirksgericht Völkermarkt gemäß § 30 JN zur Erledigung der Rechtssache bestimmt.

Zur Tagsatzung am erschien die Beklagte persönlich in Begleitung eines Bekannten. Trotz Rechtsbelehrung über den Anwaltszwang und die Möglichkeit der Verfahrenshilfe entfernte sie sich ohne Antragstellung wieder, weshalb das Bezirksgericht Völkermarkt auf Antrag der Klägerin ein der Klage stattgebendes Versäumungsurteil erließ. Dieses Versäumungsurteil wurde der Beklagten am zugestellt.

In der Folge brachte die Beklagte zahlreiche, von den Vorinstanzen als Rechtsmittel gewertete Eingaben ein, die jeweils zurückgewiesen wurden, weil die Beklagte Verbesserungsaufträgen zur Beibringung einer Anwaltsunterschrift nicht entsprach. Sowohl diese Entscheidungen als auch die Verbesserungsaufträge wurden von der Beklagten immer wieder bekämpft. Mit Beschluss des Erstgerichtes vom , der der Beklagten am selben Tag zugestellt wurde, wurde ihr sinngemäß gegen die Zurückweisung der Berufung mangels Anwaltsunterschrift erhobener Rekurs zurückgewiesen. Daraufhin langte abermals eine am zur Post gegebene "Beschwerde" der Beklagten gegen "alle Urteile und Beschlüsse des Bezirksgerichtes Völkermarkt" beim Erstgericht ein.

Mit am eingebrachten Schriftsatz teilte Rechtsanwalt Dr. Werner Poms mit, dass er gemäß § 10 RAO zum Vertreter der Beklagten bestellt worden sei, seine Zustimmung zu den von ihr verfassten Rechtsmitteln erteile und ersuche, diese Rechtsmittel als von ihm unterfertigt zu betrachten.

Bereits mit Beschluss vom hatte das Landesgericht Klagenfurt das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel der Beklagten gegen das Versäumungsurteil und gegen drei Beschlüsse des Bezirksgerichtes Völkermarkt hinsichtlich aller vier Entscheidungen zurückgewiesen und ausgesprochen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 52.000 S, nicht aber 260.000 S übersteige, hinsichtlich der Entscheidung über die Rekurse gegen die Beschlüsse des Erstgerichtes der ordentliche Revisionsrekurs nach § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gegen die Zurückweisung der Berufung gegen das Versäumungsurteil vom gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig sei. Wie sich aus der Begründung dieser Entscheidung ergibt, ging das Gericht zweiter Instanz davon aus, dass die "Beschwerde" der Beklagten unter anderem als neuerliche Berufung gegen das Versäumungsurteil aufzufassen sei. Diese Berufung sei verspätet und wegen des Grundsatzes der "Einmaligkeit des Rechtsmittels" und mangels Erfüllung der Erfordernisse des § 467 ZPO unzulässig.

Diese Entscheidung wurde dem Vertreter der Beklagten am zugestellt, der dagegen am einen an den Obersten Gerichtshof gerichteten Rekurs mit der Erklärung erhob, den Beschluss "seinem gesamten Inhalt nach anzufechten". Der Rekursantrag lautet dahin, den Beschluss im Sinne einer Stattgebung der Berufung und Aufhebung des Versäumungsurteiles abzuändern, hilfsweise den Beschluss aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz oder dem Erstgericht eine "Neuschöpfung eines Beschlusses bzw Urteils aufzutragen".

Rechtliche Beurteilung

Da sich der Rekurs eindeutig gegen die Zurückweisung einer Berufung der Beklagten gegen das Versäumungsurteil richtet, wurde er zutreffend dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Soweit damit - zumindest nach der Anfechtungserklärung - auch die Beschlüsse des Gerichtes zweiter Instanz über die Zurückweisung von Rekursen der Beklagten gegen erstgerichtliche Beschlüsse angefochten werden sollen, käme nur ein an das Gericht zweiter Instanz gerichteter Antrag auf Abänderung des Unzulässigkeitsausspruches, verbunden mit einem ordentlichen Rekurs, in Betracht (§ 528 Abs 2 Z 1a, Abs 2a ZPO iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO - vgl 6 Ob 4/00g ua). Insoweit ist der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung funktionell unzuständig.

In dem gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässigen Rekurs gegen die Zurückweisung der Berufung wird die Nichtigkeit des Verfahrens geltend gemacht und hiezu ausgeführt, dass die Vorinstanzen von Amts wegen die Prozessfähigkeit der Beklagten prüfen hätten müssen, weil sich aufgrund der Vielzahl der von ihr verfassten Rechtsmittel, die trotz mehrfacher Verbesserungsaufträge nicht von einem Rechtsanwalt gefertigt worden seien, erhebliche Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Beklagten ergäben. Damit wird der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO geltend gemacht.

War eine Partei bereits während des Verfahrens handlungs- und damit auch prozessunfähig, aber nicht gesetzlich bzw vor Eintritt der Prozessunfähigkeit durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, so liegt Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 5 ZPO vor. Gleiches gilt, wenn eine während des Prozesses (noch) nicht von einem Sachwalter vertretene Person nach Eintritt der Prozessunfähigkeit einem gewillkürten Vertreter Prozessvollmacht erteilt und dieser den Rechtsstreit namens des Prozessunfähigen geführt hat (6 Ob 145/97k; 1 Ob 111/99a). Dass im vorliegenden Fall die Auswahl des Rechtsanwaltes gemäß § 10 Abs 3 RAO durch den Rechtsanwaltsausschuss erfolgte, vermag darin nichts zu ändern (vgl 6 Ob 145/97k für den Fall der Bestellung eines Verfahrenshelfers auf Antrag der prozessunfähigen Partei).

Daraus folgt, dass die Rechtsmittelfrist gegen das Versäumungsurteil für den Fall, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Zustellung desselben prozessunfähig gewesen sein sollte, noch nicht zu laufen begonnen hat und die von ihr bislang eingebrachten Rechtsmittel nicht wirksam erhoben waren, sodass auch ihre Rechtsmittelbefugnis noch nicht verbraucht sein kann (5 Ob 694/80 ua; RIS-Justiz RS0006948). Solange nicht feststeht, ob und allenfalls in welchen Verfahrensphasen die Beklagte nicht prozessfähig war, kann über das vorliegende Rechtsmittel nicht entschieden werden.

Die Zivilprozessordnung eröffnet der von einem Nichtigkeitsfall nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO betroffenen Partei nach Bewirkung einer wirksamen Zustellung (§ 416 ZPO), ohne einen Zwang in der einen oder anderen Richtung auszuüben, das Wahlrecht, entweder eine Nichtigkeitsberufung oder die Nichtigkeitsklage zu erheben (6 Ob 145/97k; 1 Ob 111/99a).

Gemäß § 6a ZPO ist es dem Prozess- und auch dem Rechtsmittelgericht verwehrt, die Prozessfähigkeit von Parteien, die der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegen und für die kein Sachwalter bestellt wurde, selbständig zu prüfen. Es hat in einem solchen Fall vielmehr das Pflegschaftsgericht zu verständigen und ist gemäß § 6a dritter Satz ZPO an die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes gebunden (3 Ob 110/94 mwN).

Es ist daher auch dem Obersten Gerichtshof verwehrt, zum Rekursgrund der Nichtigkeit in der Weise Stellung zu nehmen, dass er die Prozessfähigkeit der Beklagten aufgrund der Aktenlage selbständig beurteilt. Er hat vielmehr, da in den Rekursausführungen behauptet wird, dass bei der Beklagten Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB mit Beziehung auf diesen Rechtsstreit bestehen, im Sinne der Vorschrift des § 6a ZPO die Akten dem zuständigen Pflegschaftsgericht mit der in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Verständigung zu übermitteln. Das Pflegschaftsgericht wird, wenn es die Prozessfähigkeit der Beklagten aus den in den § 273 Abs 1 ABGB normierten Gründen verneinen sollte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um die ordnungsgemäße Vertretung der Beklagten in diesem Verfahren, insbesondere auch im Rechtsmittelverfahren sicherzustellen haben, wobei auf die Möglichkeit der Genehmigung des vorliegenden Rekurses durch den zu bestellenden Sachwalter iSd § 477 Abs 1 Z 5 letzter Halbsatz ZPO iVm § 6 Abs 2 ZPO hinzuweisen ist. Andernfalls wird das Pflegschaftsgericht einen Einstellungsbeschluss nach § 243 AußStrG zu fassen haben, dem nach § 6a dritter Satz ZPO bei der Beurteilung der Frage der Prozessfähigkeit der Beklagten nach Eintritt seiner Rechtskraft Bindungswirkung zukommt (3 Ob 110/94; 2 Ob 14/88).

Bis zur der das Prozessgericht und die Rechtsmittelgerichte in dieser Rechtssache bindenden Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes ist das Verfahren auszusetzen (3 Ob 110/94 mwN).