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OGH vom 06.11.1990, 4Ob145/90

OGH vom 06.11.1990, 4Ob145/90

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*** R***, Wien 13.,

Würzburggasse 30, vertreten durch Dr. Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Siegfried H***, Hauptschullehrer, Siezenheim, Lindenweg 266, vertreten durch Dr. Ernst Pallauf und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung und Beseitigung (Streitwert im Provisorialverfahren S 450.000) infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom , GZ 3 R 196/90-11, womit der Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 6 Cg 144/90-5, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die beklagte Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Beklagte ist Hauptschullehrer in Oberndorf bei Salzburg. Am hatte er nach Unterrichtsende eine Auseinandersetzung mit einem Schüler der Handelsakademie Oberndorf. Der Kläger berichtete am in den regionalen Hörfunknachrichten des Landesstudios Salzburg über diesen Vorfall. Der im Rahmen dieser Sendung für den Kläger tätige Redakteur sprach dabei ua folgenden Satz:

"Turnlehrer Siegfried H*** packt den 17-jährigen Michael am Hals und stößt ihn die Stiege hinunter. Er läuft dem Schüler nach und versetzt ihm noch einen Schlag gegen den Hals."

In einem wegen dieses Vorfalles eingeleiteten Strafverfahren wurde der Beklagte freigesprochen. In der Absicht, sich damit in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren, verfaßte der Beklagte ein Lied mit dem Titel "Turnlehrer H***", welches den Vorfall vom und die Berichterstattung des Klägers darüber zum Inhalt hat. Von diesem Lied ließ er 972 Schallplatten mit dem Titel "Oberndorfer Gschichtn" herstellen. Am Ende der 4.Strophe verwendete er für diese Schallplattenaufzeichnung eine Tonaufnahme der oben wiedergegebenen Sätze aus der Nachrichtensendung des Klägers vom . Der Beklagte hat rund 100 dieser Schallplatten unentgeltlich an Privatpersonen verteilt.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches beantragt der Kläger, dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, Sendungen des Klägers, und zwar den von Redakteur Gerd S*** im "Salzburg-Journal" am gesprochenen Beitrag über einen Vorfall zwischen dem Beklagten und Michael K***, über den Zweck des eigenen Gebrauches hinausgehend festzuhalten, zu verfielfältigen und zu verbreiten, insbesondere durch die Schallplatte "Oberndorfer Gschichtn".

Der Beklagte habe durch das Herstellen einer Schallplatte mit Teilen aus einer Rundfunksendung des Klägers in die Leistungsschutzrechte des Rundfunkunternehmers, die Sendung auf einem Schallträger festzuhalten sowie diesen zu vervielfältigen und zu verbreiten, eingegriffen. Der Kläger habe daher Anspruch auf Unterlassung dieses - sein Ausschließungsrecht

verletzenden - Verhaltens.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrages. In der Rundfunksendung sei über den Vorfall vom nicht objektiv berichtet worden. Da der Kläger nach dem Freispruch des Beklagten im Strafverfahren seine Berichterstattung nicht richtiggestellt habe, habe der Beklagte mit der Schallplatte "Oberndorfer Gschichtn" selbst für seine Rehabilitierung sorgen müssen. Diese Schallplatte sei nicht zur Verbreitung bestimmt. Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Der Beklagte habe - nicht bloß zum eigenen Gebrauch - eine Nachrichtensendung des Klägers auf einem Schallträger festgehalten, durch Übertragung (von Teilen davon) auf Schallplatten vervielfältigt und diese durch Verteilen an ca. 100 Personen verbreitet; damit habe er in die ausschließlich dem Rundfunkunternehmer gemäß § 76 a UrhG zustehenden Rechte eingegriffen. Die Ausnahmebestimmung des § 76 a Abs 3 UrhG, zum eigenen Gebrauch eine Rundfunksendung auf einem Bild- oder Schallträger festzuhalten und von diesem einzelne Vervielfältigungsstücke herzustellen, komme dem Beklagten unter diesen Umständen nicht zustatten.

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei. Der Beklagte habe zwar einen Teil einer Rundfunksendung nicht bloß zum eigenen Gebrauch auf einem Schallträger festgehalten, diesen vervielfältigt und durch das Verteilen an ca. 100 Personen auch verbreitet; dennoch habe er damit nicht in die gemäß § 76 a UrhG dem Rundfunkunternehmer zustehenden Rechte eingegriffen: Zweck dieser Bestimmung sei der Schutz des Rundfunkunternehmers gegen die mühelose Ausbeutung des organisatorisch-technischen und wirtschaftlichen Aufwandes bei der Veranstaltung von Sendungen. Durch die Verwendung zweier Sätze mit nur 29 Worten aus einer 7 Minuten langen Rundfunksendung habe der Beklagte keine derartigen schutzwürdigen Interessen des Klägers verletzt. Der Kläger habe sich nicht die Leistungen des Klägers zunutze gemacht, sondern sie von sich abzuwehren versucht. Die dabei verwendeten, aus der Sendung stammenden Sätze und die dahinter stehende Leistung des Klägers seien - auch im Verhältnis zur Dauer der gesamten Sendung - unbedeutend und für sich allein praktisch wertlos. Mit dem Begriff "Sendung" in § 76 a UrhG seien nur in sich geschlossene Programmabschnitte oder Teile hievon gemeint, die qualitativ oder quantitativ bedeutsam sind und denen eine nicht ganz unerhebliche Leistung des Rundfunkunternehmers zugrunde liegt. Würde man unter dem Begriff "Sendung" alles verstehen, was durch den Rundfunk gesendet werde, dann würden selbst Bild- oder Tonstörungen den Schutz des § 76 a UrhG genießen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil zu der entscheidungswesentlichen Frage, ob das Übertragen zweier Sätze aus einem durch Rundfunk gesendeten Bericht auf Schallträger und deren Verbreiten gemäß § 76 a UrhG dem Rundfunkunternehmer vorbehalten ist, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt; er ist auch berechtigt.

Gemäß § 76 a UrhG hat der Rundfunkunternehmer das ausschließliche Recht, die Sendung gleichzeitig über eine andere Anlage zu senden, die Sendung auf einem Bild- oder Schallträger (besonders auch in Form eines Lichtbildes) festzuhalten, diesen zu vervielfältigen und zu verbreiten; unter der Vervielfältigung wird auch die Benützung einer mit Hilfe eines Bild- oder Schallträgers bewirkten Wiedergabe zur Übertragung auf einen anderen verstanden. Zum eigenen Gebrauch darf gemäß Abs 3 dieser Gesetzesstelle jedermann eine Rundfunksendung auf einem Bild- oder Schallträger festhalten und von diesem einzelne Vervielfältigungsstücke herstellen; solche Bild- oder Schallträger dürfen weder verbreitet noch zu einer Rundfunksendung oder zu einer öffentlichen Wiedergabe benutzt werden. Mit dieser durch die UrhG-Novelle 1972 BGBl 492 eingefügten Bestimmung wurde das UrhG an das auch von Österreich ratifizierte, auf der diplomatischen Konferenz vom Oktober 1961 in Rom über den Schutz der ausübenden Künstler, der Schallplattenhersteller und der Rundfunkunternehmen geschlossene Abkommen angepaßt. Dieses Abkommen bildete ua auch die Grundlage für eine gleichartige Regelung in der Bundesrepublik Deutschland (§ 87 dUrhG). Durch § 76 a UrhG ist jede Rundfunksendung im Sinne des § 17 UrhG erfaßt; über die Mindestrechte des Abkommens hinausgehend wurde den Rundfunkunternehmen das ausschließliche Recht der Vervielfältigung von Bild- und Schallträgern ohne jede Einschränkung und darüber hinaus auch das ausschließliche Recht der Verbreitung solcher Bild- oder Schallträger eingeräumt (EB z UrhG-Novelle 1972, 238 BlgNR 13.GP, abgedruckt bei Dillenz, Materialien zum österreichischen Urheberrecht 311). Das Leistungsschutzrecht des Sendeunternehmers ist vermögensrechtlicher Natur ohne persönlichkeitsrechtlichen Gehalt (v. Gamm, Urheberrechtsgesetz 76 Einf. Rz 37). Die als schützenswert erachtete Leistung liegt in den für eine Rundfunksendung erforderlichen aufwendigen, kostspieligen Maßnahmen organisatorischer und technischer Art, welche sich Dritte nicht mühelos zunutze machen sollen (v. Gamm aaO 675 Rz 1 zu § 87 dUrhG, Hertin in Fromm-Nordemann, Urheberrecht7 Rz 3 zu § 87 dUrhG, v.

Ungern-Sternberg in Schricker, Urheberrecht 984 Rz 1 zu

§ 87 dUrhG). Jede Sendung, gleich welchen Inhalts, fällt unter

diesen Schutz; es kommt weder auf die Sendung eines

urheberrechtsschutzfähigen Werks noch auf eine eigenschöpferische

Gestaltung der Sendung noch auf die wettbewerbliche Höhe und

Schutzwürdigkeit der Leistung an (v. Gamm aaO 676 Rz 3 zu

§ 87 dUrhG; Hertin aaO, v. Ungern-Sternberg aaO 989 Rz 14 zu

§ 87 dUrhG). Das Schutzrecht ist - wie das Verbreitungsrecht des

Urhebers gemäß § 16 UrhG (Rintelen, Urheber- und

Urhebervertragsrecht 118) - nicht auf die Benützung zu

Erwerbszwecken beschränkt (vgl Hertin aaO Rz 4 zu § 87 dUrhG).

Gemäß § 76 a Abs 5 UrhG gelten für das Leistungsschutzrecht des Rundfunkunternehmers eine Reihe von Vorschriften über Werke, beispielsweise über die Bearbeitung oder über einzelne freie Werknutzungen entsprechend. Daher greift auch die Nutzung in veränderter Form in das Leistungsschutzrecht ein (v. Ungern-Sternberg aaO 989 Rz 15 zu § 87 dUrhG). Obwohl § 1 Abs 2 UrhG, wonach ein Werk als Ganzes und in seinen Teilen urheberrechtlichen Schutz genießt, in dieser Verweisungsbestimmung nicht vorkommt, ist dieser allgemeinen Grundsätzen entspringende Rechtsgedanke auf Leistungsschutzrechte analog anwendbar (Dittrich, Überlegungen zum Urheberrechtsschutz von Bearbeitungen von Schallträgern und Rundfunksendungen, in Hübner-FS 737 ff, insb. 742 f; v. Ungern-Sternberg aaO 989 Rz 15 zu § 87 dUrhG). § 76 a UrhG gibt durch den Klammerausdruck "besonders auch in Form eines Lichtbildes" einen Hinweis darauf, daß auch relativ kleine Teile von Rundfunksendungen dem Leistungsschutzrecht des Rundfunkunternehmers unterliegen.

Nach den dargestellten Grundsätzen hat der Beklagte in das Leistungsschutzrecht des Klägers eingegriffen. Er hat - angesichts der großen Anzahl von Vervielfältigungsstücken und des Verteilens von ca. 100 Stück davon an einen unbestimmten Personenkreis - nicht bloß zum eigenen Gebrauch eine Rundfunksendung auf einem Schallträger festgehalten, einen nicht völlig unwesentlichen Teil davon auf Schallplatten vervielfältigt und diese verbreitet. Auch die Verwertung zweier einen in sich abgeschlossenen Gedanken enthaltenden Sätze aus einer Nachrichtensendung ist dem Rundfunkunternehmer vorbehalten, weil auch der dafür bei der Sendung vorgenommene Aufwand dem Schutzgedanken dieses Leistungsschutzrechtes entspricht. Da das Schutzrecht jede Art der Verbreitung erfaßt, mit der Bild- oder Schallträger von Rundfunksendungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kommt es auch nicht darauf an, daß der Beklagte mit seinen Handlungen nicht Erwerbszwecke verfolgt, sondern beabsichtigt hat, die für ihn nachteiligen Folgen einer Rundfunksendung abzuwehren. Der Beklagte kann sich auch nicht auf ein Zitatrecht berufen, weil diese eine Ausnahme von der Ausschließlichkeit originärer Verwertungsrechte bildende freie Werknutzung in der Verweisungsbestimmung des § 76 a Abs 5 UrhG nicht erwähnt wird. Zur Abwehr nachteiliger Folgen einer Rundfunksendung bedarf es keines Eingriffes in die dem Rundfunkunternehmer zustehenden Leistungsschutzrechte.

Inwiefern § 76 a UrhG in das Grundrecht der freien Meinungsäußerung eingreifen sollte, ist nicht zu sehen. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich in Ansehung des Klägers auf § 393 Abs 1 EO, in Ansehung des Beklagten auf §§ 78, 402 EO, §§ 40, 50, 52 Abs 1 ZPO.