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OGH vom 17.02.2011, 2Ob103/10a

OGH vom 17.02.2011, 2Ob103/10a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jasmin M*****, vertreten durch Anwälte Mandl Mitterbauer GmbH in Altheim, gegen die beklagten Parteien 1. Roland S*****, und 2. S***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Günther Klepp und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen 6.626,15 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 1.000 EUR) über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom , GZ 6 R 92/10m 11, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Braunau am Inn vom , GZ 2 C 2048/09g 7, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 612,69 EUR (darin 102,11 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am verschuldete die Lenkerin eines vom Erstbeklagten gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs einen Verkehrsunfall, bei dem die 1990 geborene Klägerin verletzt wurde. Sie erlitt ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule nach Erdmann I, eine Prellung des rechten Kniegelenks mit Hämatom und eine Zerrung der linken Schulter. Als Folge dieser Verletzungen hatte sie gerafft zwei Wochen mittelstarke und acht Wochen leichte Schmerzen zu erdulden. Sie steht wegen des erlittenen Schleudertraumas weiterhin in physiotherapeutischer Behandlung, um ihre Beschwerden dauerhaft hintanzuhalten. Dauerschäden sind zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten, können jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Mit der am zu AZ 2 C 805/09p beim Erstgericht eingebrachten Mahnklage hatte die Klägerin gegen die beklagten Parteien einen Betrag von 2.205,36 EUR sA geltend gemacht, der neben Spesen, Fahrtkosten, Pflegegebühren und Therapiekosten ein „offenes“ Schmerzengeld von 1.500 EUR umfasste. Sie bezifferte das ihr gebührende Schmerzengeld damals mit insgesamt 4.300 EUR, wovon die zweitbeklagte Partei lediglich 2.800 EUR bezahlt habe. Sie müsse nach wie vor physiotherapeutische Maßnahmen in Anspruch nehmen, die Beweglichkeit der Hals und der Brustwirbelsäule sowie der „Scapulo Thorakale“ sei weiterhin deutlich eingeschränkt.

Nachdem die beklagten Parteien gegen den antragsgemäß erlassenen Zahlungsbefehl Einspruch erhoben und die Höhe des Schmerzengeldes bestritten hatten, bestellte das Erstgericht einen medizinischen Sachverständigen, der in seinem „orthopädischen Fachgutachten“ vom zu den oben wiedergegebenen Schmerzperioden gelangte und auch festhielt, dass die physiotherapeutischen Behandlungen nach wie vor notwendig seien. Nach Zustellung dieses Gutachtens erklärten die beklagten Parteien innerhalb der ihnen vom Erstgericht eingeräumten Äußerungsfrist, ihren Einspruch gegen den Zahlungsbefehl zurückzuziehen. Das Erstgericht nahm dies mit Beschluss vom zur Kenntnis und erklärte mit weiterem Beschluss vom den Zahlungsbefehl für rechtskräftig und vollstreckbar.

Mit ihrer nunmehrigen, am beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin aufgrund des Unfalls vom 6.626,15 EUR sA, darin weitere 6.200 EUR an Schmerzengeld; ferner stellte sie ein Feststellungsbegehren. Sie verwies auf den Verfahrensgang des Vorprozesses und brachte vor, das dort eingeholte orthopädische Sachverständigengutachten habe ein Verletzungsbild hervorgebracht, welches ein Schmerzengeld von zumindest 10.500 EUR rechtfertige. Der „prolongierte Verlauf“ der Unfallsfolgen sei für einen medizinischen Laien zunächst nicht endgültig überschaubar gewesen.

Die beklagten Parteien erhoben den Einwand der res iudicata und vertraten den Standpunkt, dass nach Zuspruch eines global bemessenen Schmerzengeldes die Zuerkennung weiteren Schmerzengeldes nicht mehr möglich sei. Der Klägerin seien bereits im Zeitpunkt der Einbringung der ersten Klage die Verletzungen und ihre Folgen bekannt gewesen; eine nachträgliche Änderung des Sachverhalts sei nicht eingetreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht verwarf die Berufung wegen Nichtigkeit und änderte die erstinstanzliche Entscheidung in deren Ausspruch über das Leistungsbegehren im Übrigen (nur) dahin ab, dass es den Zuspruch an Schmerzengeld um 980 EUR verminderte.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit einer „Nachklage“ noch nicht für einen Fall beurteilt habe, in welchem einem Kläger im Vorprozess nach Vorliegen eines Sachverständigengutachtens die Möglichkeit einer darauf gegründeten Ausdehnung seines Schmerzengeldbegehrens durch Zurückziehung des gegen den Zahlungsbefehl zunächst erhobenen Einspruchs abgeschnitten worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von den beklagten Parteien gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Eine solche wird nicht schon dadurch begründet, dass sich der Oberste Gerichtshof zu einer völlig gleichgelagerten Fallkonstellation bisher noch nicht geäußert hat (vgl RIS Justiz RS0107773, RS0110702, RS0102181). Aber auch in der Revision werden keine (sonstigen) erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan.

1. Eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit (hier: res iudicata) kann im Revisionsverfahren nicht mehr wahrgenommen werden (RIS Justiz RS0043405), weshalb ihre abermalige Geltendmachung keine erhebliche Rechtsfrage zu begründen vermag.

2. Vorauszuschicken ist weiters, dass die beklagten Parteien in dritter Instanz weder die vom Berufungsgericht (entsprechend ihrem ausdrücklichen Zugeständnis in der Berufung) mit 9.520 EUR als angemessen erachtete Höhe des Schmerzengeldes, noch das Feststellungsinteresse der Klägerin (vgl dazu etwa 2 Ob 83/09h mwN) in Zweifel ziehen.

3. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global, dh als Gesamtentschädigung festzusetzen (2 Ob 232/07t; 6 Ob 185/09p; RIS Justiz RS0031191, RS0031055, RS0031307). Eine zeitliche Begrenzung des Schmerzengeldes oder die Geltendmachung bloß eines Teilbetrags hievon ist daher nur aus besonderen Gründen zulässig, die der Kläger darzutun hat (2 Ob 232/07t; RIS Justiz RS0031051). Eine mehrmalige (ergänzende) Schmerzengeldbemessung wird demnach nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände für zulässig erachtet; diese können auch im Prozessrecht begründet sein (6 Ob 204/98p; RIS Justiz RS0110739).

4. Der Oberste Gerichtshof hat die Zulässigkeit einer „Nachklage“ auf den angemessenen Differenzbetrag bereits bejaht, wenn der Kläger im Vorprozess aufgrund verfahrensrechtlicher Vorschriften an der Ausdehnung seines zunächst angesprochenen, angesichts der erlittenen Schmerzen als zu gering zu beurteilenden Ersatzbegehrens gehindert und ihm dies nicht vorzuwerfen war (6 Ob 204/98p; 2 Ob 173/01g; vgl auch 7 Ob 270/04p; 2 Ob 130/04p; 2 Ob 232/07t).

Im vorliegenden Fall gestehen die beklagten Parteien nun selbst zu, dass sich aus dem „orthopädischen Fachgutachten“ des Vorprozesses ein deutlich höheres Schmerzengeld ergibt, als es die Klägerin ursprünglich geltend gemacht hat. Die Ausdehnung auf den angemessenen Betrag wurde jedoch dadurch verhindert, dass die beklagten Parteien von der prozessualen Möglichkeit der Zurückziehung des gegen den Zahlungsbefehl erhobenen Einspruchs (§ 249 Abs 3 iVm § 484 ZPO) Gebrauch gemacht haben. Diese Vorgangsweise bewirkte, dass der Zahlungsbefehl rückwirkend in Rechtskraft erwuchs ( Fucik in Rechberger , ZPO³ § 249 Rz 5; G. Kodek in Fasching/Konecny ² III § 249 ZPO Rz 17).

Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei im Vorprozess aus prozessualen Gründen an der Ausdehnung ihres Klagebegehrens gehindert worden, es lägen daher die für die Zulässigkeit einer „Nachklage“ geforderten „besonderen Umstände“ vor, stimmt mit der erörterten Rechtsprechung überein und wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

5. Aus der in der Revision zitierten Entscheidung 2 Ob 242/98x sind keine Erkenntnisse zu gewinnen, die Anlass zu einer Korrektur der Rechtsansicht des Berufungsgerichts geben könnten:

Darin wurde zwar ausgeführt, es könne im Hinblick auf die prinzipielle Globalbemessung selbst bei Zuerkennung eines Schmerzengeldbetrags durch Versäumungsurteil ohne nachträgliche Sachverhaltsänderung ein weiteres Schmerzengeld nicht zuerkannt werden, und zwar auch dann nicht, wenn in der Klagserzählung die Ausdehnung der Forderung aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens ausdrücklich vorbehalten worden sei. Der Verletzte müsse besondere Gründe dafür darlegen, warum er bloß einen Teilbetrag geltend mache.

Die Behauptung solch besonderer Gründe erblickte der Senat aber im Vorbringen der damaligen Klägerin, dass sie nach wie vor an den Unfallsfolgen leide und diese noch nicht „endgültig abgegrenzt“ werden könnten. Dies sei im Sinne der Behauptung zu deuten, dass künftige Schmerzen in ihrem Ausmaß noch nicht abschätzbar seien.

In diesem Zusammenhang wurde auch dargelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob im Zeitpunkt der Einbringung der Klage die Schmerzen in ihren Auswirkungen schon endgültig überschaubar waren, der damalige Wissensstand des Verletzten maßgeblich sei. Verfüge der Verletzte selbst nicht über entsprechende medizinische Fachkenntnisse, so sei er nicht verpflichtet, umfassende Privatgutachten einzuholen.

Mit dieser Begründung wurde die Zulässigkeit der nachträglichen Ergänzung des Schmerzengeldes auch für den damaligen Anlassfall dem Grunde nach bejaht (ebenso 2 Ob 306/00i [Zahlungsbefehl]; vgl auch schon 2 Ob 49/72 = ZVR 1973/93 [Anerkenntnisurteil]).

6. Auch die Klägerin hatte schon in der Klage des Vorprozesses behauptet, immer noch an den Unfallsfolgen zu leiden, weshalb die Inanspruchnahme weiterer physiotherapeutischer Maßnahmen erforderlich sei. In einem weiteren Schriftsatz sprach sie von anhaltenden Schmerzen im Lenden-, Becken- und Hüftbereich (ON 5). Bis zur Befundaufnahme durch den Sachverständigen hatte sich an diesem Zustand offenkundig wenig geändert, bescheinigte ihr das Gutachten doch die medizinische Notwendigkeit der Fortsetzung der Physiotherapie, „um die Beschwerden dauerhaft hintanzuhalten“.

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin über ausreichende medizinische Fachkenntnisse verfügte, die ihr schon bei Klagseinbringung eine verlässliche Abschätzung (auch) ihrer künftigen Schmerzen (im Sinne einer endgültigen Überschaubarkeit) ermöglicht hätten, liegen nicht vor und werden auch von den beklagten Parteien nicht dargetan. Das von der zweitbeklagten Partei in Auftrag gegebene „Aktengutachten“, das ohne vorherige Untersuchung der Klägerin erstellt worden war, wird in der Revision als taugliche Grundlage für eine Globalbemessung des Schmerzengeldes schon in der Klage zu Recht nicht mehr ins Treffen geführt.

Da die Klägerin somit erst nach Vorliegen des „orthopädischen Fachgutachtens“ in der Lage gewesen wäre, sich das Wissen des Sachverständigen zu eigen zu machen und das Klagebegehren entsprechend auszudehnen, hält sich die angefochtene Entscheidung auch unter dem Aspekt der mangelnden Vorwerfbarkeit der Bemessung des Schmerzengeldes mit einem geringeren als dem letztlich angemessenen Betrag im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 2 Ob 242/98x; 2 Ob 306/00i; 2 Ob 173/01g; 2 Ob 8/05y).

7. Die Frage, ob ausreichendes Vorbringen zu einer bestimmten Tatsache erstattet wurde, ist typischerweise eine solche des Einzelfalls und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl 2 Ob 40/10m; RIS Justiz RS0042828). Das Berufungsgericht hat die ausreichende Behauptung „besonderer Umstände“ für die Zulässigkeit der „Nachklage“ im Wesentlichen darin erblickt, dass die Klägerin auf die Vorgänge des Vorprozesses verwies. Auch diese Auslegung des Prozessvorbringens der Klägerin lässt keine grobe Fehlbeurteilung erkennen, die durch den Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden müsste.

8. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.