OGH 09.11.2006, 6Ob227/06k
Rechtssätze
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RS0113882 | Wird der Kreditgeber selbst aktiv, um die Einbeziehung der Interzedentin in das Schuldverhältnis zu erreichen, so weist dies prima facie darauf hin, dass er die Einbringung der Forderung beim Hauptschuldner als nicht gesichert ansah. |
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RS0115982 | Bei Beurteilung der Frage, ob der Kreditgeber hätte erkennen müssen, dass der Kreditnehmer seine Verbindlichkeit nicht oder nicht vollständig werde erfüllen können, sind Umstände wie dass der Bürge seine Bereitschaft zur Interzession aus eigenem Antrieb erklärte (als in casu früherer Leiter einer Bankfiliale), geschäftserfahren war und durch die Kreditgewährung die Erstattung dem Kreditnehmer vorgeschossener Beträge erreichte, besonders zu berücksichtigen. |
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RS0112839 | Ob ein Kreditgeber (= Bank) dem Interzedenten (hier: Bürge und Zahler) ausreichende Informationen über die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Sinne des § 25c KSchG gegeben hat, ist von der Beurteilung ganz konkreter Individualumstände abhängig. Dabei kommt im vorliegenden Fall dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass es der Interzedent war, der spontan und aus eigenem Antrieb seine Bereitschaft zur Bürgschaftsübernahme erklärte; weiters - als Freund des Kreditnehmers - diesem bereits bei einer anderen Bank kurz zuvor einen weiteren Kredit vermittelt und sich in der Folge eigeninitiativ bemüht hatte, bei eben dieser Bank noch eine weitere Kreditfinanzierung für seinen Freund zu erreichen, damit also im Umgang mit Kreditinstituten keineswegs geschäftsunerfahren war. Darüber hinaus war er über alle wesentlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten (Debetsituation) des Kreditnehmers informiert. |
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RS0116208 | Die Frage, ob ein Gläubiger unter den gegebenen Umständen erkennt oder erkennen muss, dass der Hauptschuldner seine Verbindlichkeiten voraussichtlich nicht oder nicht vollständig erfüllen werde, kann regelmäßig nur einzelfallbezogen beantwortet werden, wobei meist erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten sind. |
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RS0119014 | Der Anwendungsbereich des § 25c KSchG soll sich auf solche Mitschuldner beschränken, die einer materiell fremden Verbindlichkeit (Übernahme einer Haftung für Rechnung eines anderen und im fremden Interesse) beitreten. Personen, die gemeinsam und im gemeinsamen Interesse eine Verbindlichkeit als echte Mitschuld eingehen, sind nicht erfasst. In wessen Interesse die Übernahme einer Verbindlichkeit liegt, ist aus der Sicht des Schuldners zu beurteilen. Kommt die Kreditaufnahme auch dem Mithaftenden zugute, liegt keine fremde Verbindlichkeit im Sinne des § 25c KSchG vor. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch Herdey & Gsellmann Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Marc S*****, vertreten durch Dr. Hannes Pflaum und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 87.281,41 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 45/06d-62, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. § 25c KSchG verpflichtet den Gläubiger, im Falle einer Interzession den Verbraucher auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners hinzuweisen, wenn er erkennt oder erkennen muss, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht oder nicht vollständig erfüllen wird. Der Begriff umfasst auch die Übernahme der Haftung für eine bereits bestehende fremde Verbindlichkeit (Kathrein in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB [2006] § 25c KSchG Rz 3).
2. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Gläubiger die wirtschaftliche Notlage des Schuldners kannte oder kennen musste, trifft den Interzedenten; wird aber der Kreditgeber selbst aktiv, um die Interzession des Verbrauchers zu erreichen, so weist das prima facie darauf hin, dass er die Einbringlichkeit der Hauptschuld als nicht gesichert ansah (RIS-Justiz RS0113882; Kathrein, aaO Rz 7).
2.1. Das Erstgericht hat festgestellt, die Klägerin habe nicht erkannt, dass die Kreditnehmerin als Hauptschuldnerin ihre Verbindlichkeiten voraussichtlich nicht oder nicht vollständig erfüllen werde. Damit ist aber der Anschein bereits widerlegt; einen Anschein des „Kennenmüssens", wie der Beklagte offensichtlich meint, gibt es nicht. Im Übrigen verneint der Oberste Gerichtshof diesen prima-facie-Beweis dann, wenn der Hauptschuldner - so wie im vorliegenden Fall - eine erst ganz knapp vor der Interzession gegründete Gesellschaft mbH war (3 Ob 58/05h = JBl 2006, 384).
2.2. Im Zusammenhang mit dem „Kennenmüssen" dürfen die Prüf- und Informationspflichten des Gläubigers nicht überspannt werden. Es treffen ihn keine Nachforschungspflichten, die über die mit der notwendigen kaufmännischen Sorgfalt durchgeführte Bonitätsprüfung hinaus gehen; letztlich kann auch das Verhalten des Interzedenten und dessen Bereitschaft zur Übernahme der Interzession die Nachforschungs- und damit auch die Informationspflichten des Gläubigers einschränken (Kathrein, aaO Rz 6; 7 Ob 261/99d = ÖBA 2000, 527).
Nach den der Klägerin zum Zeitpunkt der Interzession vorliegenden Unterlagen war es ihr nicht möglich, eine wirtschaftlich nachteilige Entwicklung der Kreditnehmerin vorauszusehen. Schwierigkeiten hätten sich nur erkennen lassen, wenn die Klägerin sich die Zwischenbilanz der Kreditnehmerin zum beschafft oder deren Steuerberater kontaktiert hätte. Allerdings hätte auch eine ex-ante-Betrachtung des wirtschaftlichen Zustands der Kreditnehmerin zum keinen unmittelbaren Anlass gegeben, am Fortbestand des Unternehmens zu zweifeln; dass die Kreditnehmerin einen Steuerberater hatte, war der Klägerin nicht bekannt.
Auch unter Beachtung der vom Beklagten in der außerordentlichen Revision zitierten Entscheidung 8 Ob 121/05k kann somit nicht von einer Verletzung der Prüf- und Informationspflichten der Klägerin ausgegangen werden. Im Übrigen richtet sich die Beurteilung der Frage, ob dem Gläubiger bekannt oder erkennbar war, dass der Hauptschuldner seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht (vollständig) erfüllen werde, nach den Umständen des Einzelfalls (vgl die Nachweise bei Apathy in Schwimann, ABGB³ V [2006] § 25c KSchG Rz 4).
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird derjenige selbst unternehmerisch tätig, der als Unternehmensgründer die Organisationsform einer „Ein-Mann-GmbH" wählt und in der Folge selbst Mitkreditnehmer der Gesellschaft mbH wird, weil dieser ein Kredit wegen fehlender Sicherheiten nicht gewährt würde (RIS-Justiz RS0116313). Diese Rechtsprechung soll nach Auffassung der Vorinstanzen nicht zulasten des Beklagten anwendbar sein, weil er die Interzessionsurkunden 2 Tage vor Übernahme der Gesellschaftsanteile an der Kreditnehmerin unterfertigt hat.
4. Selbst wenn dies (3.) trotz des engen zeitlichen und sachlichen
Zusammenhangs der Interzessionserklärung mit der Übernahme der
Gesellschaftsanteile tatsächlich richtig sein sollte, ist es aber
ebenso ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die
Interzedenteneigenschaft im Sinne des § 25c KSchG in jenen Fällen zu
verneinen ist, in denen ein Eigeninteresse des Haftenden an der
Kreditgewährung bestanden hat, wenn also die gewährten Kreditmittel
(auch) dem Interzedenten zugute kamen oder kommen sollten (7 Ob
65/04s = ÖBA 2005, 51 [Anschaffung von Möbeln für die gemeinsame
Wohnung]; 7 Ob 89/04w = ÖBA 2005, 52 [Finanzierung eines gemeinsamen
Hauses]; 5 Ob 33/05x = ZIK 2005/216 [Abdeckung eines aufgrund der
Reparatur des gemeinsamen PKW überzogenen Kontos]; vgl auch 10 Ob 34/06p; krit P. Bydlinski, ÖBA 2005, 53; Kathrein, aaO Rz 3; Apathy, aaO Rz 1).
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen träumte der Beklagte, „endlich Inhaber eines eigenen Unternehmens zu werden". Voraussetzung für die Übernahme der Gesellschaftsanteile des ursprünglichen Alleingesellschafters war aber dessen Haftungsentlassung durch die Klägerin. Diese verlangte wiederum die selbstschuldnerische Mithaftung des Beklagten. Hätte er eine derartige Erklärung abgelehnt, hätte sich sein Traum vom eigenen Unternehmen nicht erfüllt. Dann erfolgte die Interzession aber im eigenen Interesse des Beklagten.
Damit war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in ecolex 2007/49 S 106 - ecolex 2007,106 = ZFR 2007/12 S 56 - ZFR 2007,56 = ÖBA 2007,403/1415 - ÖBA 2007/1415 XPUBLEND |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2006:0060OB00227.06K.1109.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAD-43051