OGH 30.01.2003, 2Ob314/02v
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Univ. Doz. Dr. M. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach Dr. Karl M*****, vertreten durch Dr. G. Heinz Waldmüller, Dr. Peter Riedmann und Dr. Martin Baldauf, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 88.207,67 sA, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 156/02m-23, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom , GZ 10 Cg 109/00w-18, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Beiden Revisionen wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Teiles wie folgt zu lauten haben:
1.) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 71.326,45 samt 4 % Zinsen aus EUR 58.138,27,-- vom bis zum , aus EUR 66.329,27 vom bis zum , aus EUR 64.149,08 vom bis und aus EUR 71.326,45 seit binnen 14 Tagen zu bezahlen.
2.) Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 14.701,04 samt 4 % Zinsen seit sowie 4 % Zinsen aus EUR 69.765,92 seit bis , 4 % Zinsen aus EUR 11.627,65 vom bis , 4 % Zinsen aus EUR 13.807,84 vom bis , sowie weitere 4 % Zinsen aus EUR 2.180,19 seit zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 7.720,67 (darin enthalten EUR 890,87 USt und EUR 2.375,46 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit EUR 5.334,48 (darin enthalten EUR 446,67 USt und EUR 2.654,75 Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am geborene Dr. Karl M***** kam am in der Kundler Klamm zwischen Wildschönau und Kundl als Benützer eines Mountainbikes zu Sturz und wurde schwer verletzt. Er hatte ursprünglich die Absicht, von Wildschönau nach Wörgl zu fahren, benützte aber, da ihm dieser Weg zu weit war, einen Weg durch die Kundler Klamm nach Kundl. Bei diesem Weg handelt es sich um eine Straße ohne öffentlichen Verkehr. Am Beginn der Straße ist ein Vorschriftszeichen "Allgemeines Fahrverbot" mit der Zusatztafel "ausgenommen Wirtschaftsfahrzeuge" angebracht. Die Bezirkshauptmannschaft Kufstein hat das Fahrverbot für alle Dienstkraftfahrzeuge der Bundesgendarmerie sowie für acht Fahrzeuge eines weiteren Betriebes aufgehoben und eine Ausnahmegenehmigung zum Befahren dieser Straße erteilt.
Der Beklagte war an diesem Tag mit Holzbringungsarbeiten auf der Kundler Klammstraße beschäftigt. Um diese Arbeiten durchführen zu können, stellte er einen nicht zum Verkehr zugelassenen Traktor Baujahr 1965 am östlichen Fahrbahnrand ab und zog mit Hilfe einer am Traktor montierten Seilwinde Rundholz von einem Ufer ans andere Ufer der Wilschönauer Ache. Dabei lief das Stahlseil quer über die Kundler Klammstraße zum jeweils zu transportierenden Holzblock. Der Beklagte hatte seinen am Unfallstag 12-jährigen Sohn bei sich und diesen angewiesen, darauf zu achten, dass sich kein Holz verhängt. Der Sohn sollte primär auf das Holz schauen und nur so "nebenbei" auch die Straße beobachten. Der Beklagte schätzte die Gefahr, dass sich ein Holz verhängt, wesentlich höher ein, als dass sich auf der Straße ein Verkehrsteilnehmer nähert. Er hatte seinem Sohn auch gesagt, wenn "irgend etwas sei", müsse er ihm ein Zeichen geben, weil er Rufe wegen des Lärms des Traktors nicht hören konnte. Ein Warnschild war nicht aufgestellt; das quer über den Weg laufende Seil war nicht besonders gekennzeichnet, sondern nur eine "Staude" auf die Straße geworfen, wobei nicht feststellbar war, ob sich diese in Fahrtrichtung des Klägers befunden hat und in welcher Entfernung sie sich vom Stahlseil befand. Am Unfallstag war es sonnig, das Seil war auf Grund des Umstandes, dass es sich teils im Schatten, teils in der Sonne befand, nur sehr schwer vom Schotterweg zu unterscheiden. Es war nur unter großer Anstrengung und mit dem Wissen, dass an dieser Stelle ein Seil vorhanden sei, zu erkennen.
Dr. Karl M***** näherte sich der späteren Unfallstelle mit einer Fahrgeschwindigkeit von ca 10 bis 20 km/h. Er durchfuhr vorerst eine Kurve und hatte danach zumindest 75 m Sicht auf die spätere Unfallstelle. Da er nicht wusste, dass das Seil über die Fahrbahn lief, erkannte er es nicht und konnte es auch nicht erkennen. Er sah den Beklagten am rechten Rand beim Traktor und den Sohn am linken Rand bei einem Holzstamm. Dr. Karl M***** konnte keine Gefahr erkennen, insbesondere auch das Seil nicht sehen. Er hatte den Eindruck, dass ihn beide Männer ebenfalls gesehen hatten, was allerdings nicht richtig war. Der Beklagte hatte den Dr. Karl M***** überhaupt nicht gesehen, sein Sohn sah ihn erst unmittelbar vor dem Seil. Der Beklagte begann den soeben angeseilten Baumstamm zu bewegen und schaltete dazu die Seilwinde ein. Dies hatte zur Folge, dass das bis dahin am Weg liegende Stahlseil unmittelbar vor Dr. Karl M***** auf eine Höhe von ca 20 bis 30 cm hochschnellte, wodurch er stürzte. Er trug bei der Fahrt einen Fahrradhelm. Der Beklagte wusste, dass der Weg durch die Kundler Klamm von Radfahrern benützt wird. Er hatte selbst unter Hinweis auf das bestehende Fahrverbot beim zuständigen Gendarmerieposten Oberau dahin interveniert, dass von dort aus strengere Kontrollen durchgeführt würden. Der Unfall hätte ohne weiteres vermieden werden können, wenn der Beklagte entsprechende Sicherungsmaßnahmen getroffen hätte, um Herannahende auf das über den Weg führende Stahlseil hinzuweisen.
Durch den Sturz erlitt Dr. Karl M***** neben äußeren Verletzungen an der rechten Gesichtshälfte, an der rechten Schulter, am rechten Fuß auch eine discoligamentäre Zerreissung zwischen 5. und 6. Halswirbel mit begleitender Quetschung des Halsmarks und dadurch ausgelöster hoher subtotaler Querschnittlähmung ab C 5. Er war nach dem Unfall nicht bewusstlos und hat alles mitbekommen. Er bemerkte, dass er Arme und Beine nicht mehr bewegen konnte und in diesen kein Gefühl mehr hatte. Dr. Karl M***** wurde vom Notarzthubschrauber in ansprechbarem Zustand in die Universitätsklinik für Unfallchirurgie in Innsbruck eingeliefert. Während des stationären Aufenthaltes bis besserte sich die Querschnittslähmungssymptomatik, eine Operationsindikation lag nicht vor. Unter konservativen Pflegemaßnahmen, intensiver Atemtherapie und Bewegungstherapie insbesondere der Gliedmaßen ergab sich eine Besserung der Gefühlswerte und geringe Mobilität bei schmerzhaften Dauerverkrampfungen von Muskeln. Dr. Karl M***** konnte anfangs nicht sprechen, sondern nur mehr flüstern und auch nichts essen. Er gelangte zu einer weiterführenden Therapie am in das Rehabilitationszentrum Bad Häring. Dort wurde die Mobilisierungsbehandlung und die Behandlung zur Erreichung einer Stuhl- und Harnfunktion wieder aufgenommen. Die konservative Therapie wurde mit einer allmählichen Mobilisierung im Rollstuhl fortgesetzt. Zusätzlich wurde das reaktiv-depressive Stimmungsbild medikamentös mittherapiert. Es bestand eine deutliche Paraspastik mit kompletter Blasen- und Mastdarmfunktionsstörung, wobei hinsichtlich dieser Funktionen am eine operative Durchtrennung des analen Schließmuskels durchgeführt wurde. Im Rehabilitationszentrum Bad Häring wurde Dr. Karl M***** logopädisch betreut. Er lernte wieder zu sprechen und selbst zu essen. Letztlich wurde er mit Bauchatmung bei einer Atrophie der Intercostalmuskulatur mit bronchitischen Schüben mit atrophen Muskeln im oberen Extremitäten-Handbereich mit der Möglichkeit, die Gelenke nur passiv begrenzt durchzubewegen, auch mit einer Verschmächtigung im Muskelbereich der unteren Extremität bei einem Zustand nach Sphinkterektomie mit suprabubischer Triggerung und Kondomableitung des Harn sowie Zäpfchenversorgung zur Stuhlentleerung in die Pflege des Altersheims in Kitzbühel entlassen. Dr. Karl M***** konnte nicht so weit rehabilitiert werden, dass er sich mit einem Elektrorollstuhl fortbewegen konnte, er zeigte keine ausreichende aktive Funktion im Hand-Armbereich beidseits. Diese Verletzungen, insbesondere die subtotale Querschnittslähmung (an der Grenze zur totalen Lähmung) war rein sturzbedingt. Es handelte sich um eine Zerreißung in einem Halswirbelsäulensegment mit Kneifen des Rückenmarkes und entsprechender substantieller Zerstörung desselben. Dr. Karl M***** wurde am in das Krankenhaus der Stadt Kitzbühel wegen eines fieberhaften Infektes wegen Verdachtes einer Lungenentzündung eingewiesen. Derartige Infekte treten bei Querschnittsgelähmten meist pulmonal oder urogenitalbedingt auf, sie sind jedoch zumindest über lange Zeit hinweg medikamentös gut beherrschbar. Dr. Karl M***** hatte bei vollem Bewusstsein eine Therapie abgelehnt. Er lehnte auch im Krankenhaus der Stadt Kitzbühel bei vollem Bewusstsein eine infektabwehrende Medikamenten-Infusionstherapie ab. Er wünschte keine Medikation und lehnte auch die Einnahme der verordneten Medikamente ab, verbat sich jede intravenöse oder sonstige Flüssigkeitszufuhr außer durch den Mund und war nur mit einer Schmerztherapie einverstanden. Der Infektzustand verschlechterte sich ohne kausale Therapie zunehmend. Dr. Karl M***** fieberte hoch und starb letztlich am Nachmittag des . Die Todesursache war ein hochfebriler Zustand als Folge des infektösen Geschehens, insbesondere der Lungen- und Atemwege, wobei die abgelehnte kausale Infekttherapie mit hoher Wahrscheinlichkeit entscheidend für den Todeseintritt war und Dr. Karl M***** bis zuletzt bei vollem Bewusstsein blieb.
Rein aus körperlicher Sicht hatte Dr. Karl M***** auf Grund seiner Verletzungen Schmerzen schweren Grades für 11 Tage, Schmerzen mittleren Grades für 17 Wochen und Schmerzen leichten Grades für 3 Wochen, alle in komprimierter Form und als dauernde dargestellt, erlitten. Dr. Karl M***** hat das gesamte Geschehen bei vollem Bewusstsein und die ihm widerfahrende Querschnittslähmung ohne ausreichende Hand-/Beinleistung voll miterlebt.
Der Beklagte wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Rattenberg vom wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung an Dr. Karl M***** nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB zu einer bedingten Geldstrafe und zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrages von S 30.000,-- an die Verlassenschaft nach Dr. Karl M***** verurteilt. Das Urteil erwuchs nach erfolgloser Berufung durch den Beklagten am in Rechtskraft.
Die klagende Partei begehrt letztlich den Zuspruch von EUR 88.207,67. Sie begehrt unter Anrechnung eines Mitverschuldens von 1/5, weil Dr. Karl M***** das Fahrverbot nicht beachtet habe, den Ersatz von 4/5 ihres Unfallschadens. Den Beklagten treffe das weit überwiegende Verschulden, weil er nicht die notwendige Aufmerksamkeit habe walten lassen, obwohl er gewusst habe, dass der Weg trotz des Fahrverbotes von Mountainbikern benützt werde und sich nicht vergewissert habe, dass die Holzbringungsarbeiten ohne Gefährdung für Dritte durchgeführt werden könnten. Der Beklagte sei auch unaufmerksam gewesen, weil er den Kläger, der eine mäßige Geschwindigkeit eingehalten habe, rechtzeitig sehen hätte können. Die Verletzungen des Dr. Karl M***** rechtfertigen ein Schmerzengeld von S 1,200.000,--, wovon 4/5 begehrt würden. Im Zuge des Verfahrens dehnte die klagende Partei ihr Begehren unter Hinweis auf unfallskausal entstandenen Schäden von S 169.065,95 (sonstige Kosten) und S 148.144,-- (Todfallskosten) aus. Daraus errechnete sich letztlich anteilig der Klagebetrag von EUR 88.207,67.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Alleinverschulden treffe Dr. Karl M*****, der trotz entsprechender Hinweis- und Verbotsbeschilderung unaufmerksam und mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und durch eine untaugliche Brille das sichtbare Zugseil am Traktor übersehen habe. Der Beklagte hätte nicht damit rechnen müssen, dass sich Dr. Karl M***** über allfällige Verbote hinwegsetze. Bei diesem Weg handle es sich um eine Forststraße, weshalb nach § 176 Abs 4 ForstG für die Haftung für den Zustand der Forststraße oder eines sonstigen Weges § 1319a ABGB anzuwenden sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren hinsichtlich eines Betrages von EUR 2.180,19 zurück, weil dieser Betrag als Teilschmerzengeld bereits im Strafverfahren rechtskräftig zugesprochen worden sei und in diesem Umfang entschiedene Rechtssache vorliege. Es sprach der klagenden Partei EUR 86.027,48 samt gestaffelter Zinsen zu.
Neben den eingangs wiedergegebenen Feststellungen hielt es noch fest, dass auf Grund des Todes von Dr. Karl M***** insgesamt Kosten in Höhe von S 148.144,-- (EUR 10.766,04) entstanden sind und weitere sonstige Kosten von insgesamt S 169.065,95 (unfallskausal) aufgelaufen sind.
Rechtlich erörterte das Erstgericht, an den Schuldspruch des Beklagten im Strafverfahren gebunden zu sein. Dr. Karl M***** treffe kein über das zugestandene Mitverschulden im Ausmaß von 1/5 hinausgehendes Verschulden, weil er einerseits die notwendige Aufmerksamkeit aufgewendet und eine entsprechende Fahrgeschwindigkeit eingehalten sowie eine die Fehlsichtigkeit korrigierende Brille getragen habe. Auf Bestimmungen des Forstgesetzes könne sich der Beklagte nicht berufen, weil nicht feststehe, dass es sich bei der Straße um eine Forststraße gehandelt habe. Auf die Haftungserleichterung nach § 1319a ABGB könne sich der Beklagte ohnehin nicht berufen, weil der Unfall nicht durch den Zustand des Weges herbeigeführt worden sei, sondern deshalb, weil der Beklagte ein Stahlseil über den Weg habe laufen lassen, weshalb weder die Bestimmungen des § 176 Abs 4 ForstG noch § 1319a Abs 1 zweiter Satz ABGB auf den Rechtsstreit Anwendung finden könnten. Der Beklagte habe eine Gefahrenquelle geschaffen, weil er ein Stahlseil über den Weg habe laufen lassen, das infolge Beschaffenheit des Weges und der Witterung kaum zu erkennen gewesen sei. Er hätte für die Absicherung der Gefahrenquelle Sorge tragen müssen. Das Spannen eines fast unsichtbaren Stahlseils über eine Straße ohne jede Sicherungsmaßnahme stelle ein extremes Abweichen von der objektiv gebotenen Sorgfalt dar, das dem Beklagten auch subjektiv schwer anzulasten sei, weil feststehe, dass er davon gewusst habe, dass der Weg von Mountainbikern immer wieder benützt werde, weshalb er jedenfalls zur Einleitung und Durchführung notwendiger Sicherungsmaßnahmen verpflichtet gewesen wäre.
Dr. M***** sei nur vorzuwerfen, dass er den Weg trotz Fahrverbotes befahren habe. Das Fahrverbot nach § 52 lit a Z 1 StVO diene dem Schutz vor allen Gefahren, die durch das Befahren eines Weges mit Fahrzeugen welcher Art auch immer verursacht oder erhöht werden könnten. Unter Abwägung des beiderseitigen Verschuldens sei dem Beklagten ein Verschulden von 4/5 am Unfall anzulasten. Als Ersatz für die von Dr. M***** erlittenen Schmerzen sei insgesamt ein Schmerzengeld von S 1,200.000,-- angemessen. Zu berücksichtigen sei, dass er nach dem Unfall die gesamten Geschehnisse bei klarem Verstand verfolgen habe müssen und bemerkt habe, dass er kein Gefühl mehr in Armen und Beinen gehabt habe. Er habe die gesamten Verletzungen bei vollem Bewusstsein miterlebt, insbesondere, dass er nicht mehr "rollstuhlfähig" sein werde und dass eine komplette Blasen- und Mastdarmfunktionsstörung bestehe. Er habe miterleben müssen, dass das, was nach herkömmlicher Ansicht ein lebenswertes Leben ausmache, für ihn nie mehr zu erreichen sein werde, wobei dieser Zustand bis zu dem von ihm in gewissem Sinne selbst herbeigeführten Tod fast ein Jahr gewährt habe.
Diese Entscheidung erwuchs insoweit in Rechtskraft, als die Klage zurückgewiesen und ein Zinsenmehrbegehren abgewiesen wurde.
Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte dessen rechtlichen Erwägungen, wonach sich der Beklagte auf eine Haftungsbeschränkung nach § 176 Abs 3 ForstG nicht berufen könne, weil nicht festgestellt worden sei, dass es sich bei dem Weg um eine Forststraße gehandelt habe die als solche gekennzeichnet worden sei. Bei der Verschuldensabwägung sei aber zu berücksichtigen, dass Dr. M***** den Weg verbotswidrig als Radfahrer benützt habe. Wer einen Weg verbotswidrig benützte, sei nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie der berechtigte Benützer, weshalb sein sorgloses Verhalten doppelt so schwer wiege, wie jenes des Beklagten und demnach die klagende Partei Anspruch auf Ersatz von 1/3 des Unfallsschadens habe. Zu diesem zählten auch die Todfallskosten im Gesamtbetrag von S 317.209,95, weil sie durch den Unfall adäquat verursacht worden seien. Dass Dr. Karl M***** auf Grund der Schwere seiner Verletzungen und der Hoffnungslosigkeit seines Zustandes letztlich den Lebenswillen aufgegeben habe, sei eine adäquat verursachte Unfallsfolge, weshalb der Beklagte auch für diese anteilsmäßig hafte. Auch das Schmerzengeld sei nach den dargestellten Umständen nicht unangemessen hoch bewertet worden. Dass Dr. Karl M***** seinen Leidenszustand letztlich selbst beendet habe, zeige die Hoffnungslosigkeit seines durch das Schmerzengeld auszugleichenden Leidenszustandes und könne den Schädiger nicht entlassen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil ein vergleichbarer Sachverhalt an den Obersten Gerichtshof bisher noch nicht herangetragen worden sei.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Streitteile.
Die klagende Partei beantragt die Abänderung der Entscheidung dahingehend, dass ihr das gesamte Klagebegehren zugesprochen werde.
Der Beklagte beantragt im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens.
Beide beantragten die Rechtsmittelschriften der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.
Die Revisionen sind zulässig, weil sich einerseits der Oberste Gerichtshof mit der Frage der Bemessung des Schmerzengeldes bei Tod des Verletzten vor Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht zu beschäftigen hatte und andererseits die Verschuldensteilung nicht gebilligt wird.
Rechtliche Beurteilung
Der in der Revision des Klägers erhobene Vorwurf der Aktenwidrigkeit wurde geprüft. Er liegt nicht vor, was nicht weiters zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zum Schmerzengeld:
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld7, 88 und 166, jeweils mwN; RIS-Justiz RS0031307; ZVR 1999/50). Wenngleich bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist, ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen; dabei darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen bei der Bemessung nicht gesprengt werden (ZVR 1997/66). Tendenziell erscheint es dabei geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (2 Ob 295/01y; 2 Ob 12/02g; 2 Ob 237/01v).
Zu beurteilen ist die Angemessenheit des Schmerzengeldes; die klagende Partei und die Vorinstanzen erachten ein solches von S 1,2 Mio für angemessen, während der Beklagte ein solches von S 300.000,-- für angemessen erachtet.
Vom Obersten Gerichtshof wurden ua Schmerzengeldbeträge von S 1,2 Mio einem infolge Sauerstoffmangels während einer Geburt schwerste Gehirnschädigungen aufweisendem Kläger, der nunmehr an einem kompletten appallischen Syndrom leidet, zugesprochen (6 Ob 535, 1558/92). Derselbe Betrag wurde einer Verletzten zugesprochen, die ein schwerstes lebensbedrohliches Schädelhirntrauma mit Gehirnprellungen erlitt und nunmehr an einem mittelgradigen posttraumatischen Psychosyndrom mit nachfolgender Tetraspastik leidet (2 Ob 100/97p). Einem 27-jährigen Verletzten, der eine komplette Querschnittlähmung unterhalb des 6. Halswirbels erlitt und nunmehr an Harn- und Stuhlinkontinenz leidet, sowie psychische Schmerzen lebenslang (45 Jahre) erdulden musste, ein Betrag von S 1,5 Mio zugesprochen (2 Ob 57/93).
All diesen Fällen ist gemeinsam, dass die Verletzten ihre Schmerzen ein Leben lang zu erleiden haben. Hier ist zu berücksichtigen, dass der Verletzte vor Schluss der Verhandlung erster Instanz verstorben ist, was bei der Schmerzengeldbemessung zu berücksichtigen ist (Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld7, 185), weil der Verletzte die Dauerfolgen nicht ein ganzes Leben lang erdulden musste. Berücksichtigt man aber die Tendenz, höhere Schmerzengeldbeträge zuzusprechen, ist das begehrte Schmerzengeld von S 1,2 Mio (EUR 87.204,40) auch unter Berücksichtigung des Todes des Verletzten vor Schluss der Verhandlung erster Instanz angemessen.
Zur Verschuldensteilung:
Dem verletzten Radfahrer ist vorzuwerfen, dass er die Straße trotz des Vorschriftszeichens nach § 52 lit a Z 1 StVO (Fahrverbot in beiden Richtungen) mit dem Fahrrad befuhr. Er hätte sein Fahrrad nur schieben dürfen. Dem Beklagten ist vorzuwerfen, dass er in Kenntnis, dass die Straße auch von Fahrrädern benützt wird und diesbezüglich bereits bei der Gendarmerie vorgesprochen hatte, dennoch quer über die Straße ein Seil spannte und den Straßenverkehr nicht beobachtete. Der erkennende Senat hat ein derartiges Verhalten (Spannen eines Weidezaunes über eine Forststraße) bereits als rechtswidrig und schuldhaft angesehen (ZVR 1995/61).
Bei Abwägen des beiderseitigen Verschuldens ist aber zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Gefahr geschaffen hat und ihn daher das überwiegende Verschulden trifft.
In diesem Zusammenhang schlägt der in der Revision enthaltene Hinweis, dem Beklagten komme eine Haftungserleichterung im Sinne des § 176 ForstG fehl. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war der Weg nicht als Forststraße gekennzeichnet bzw entsprechend abgeschrankt, weshalb sich weitergehende Überlegungen dazu erübrigen.
Soweit schließlich der Beklagte die Adäquität der Todfallskosten bestreitet, ist ihm entgegenzuhalten, dass nach der im Schadenersatzrecht herrschenden Adäquanztheorie eine Haftung für alle Folgen eines schädigenden Verhaltens bessteht, mit denen abstrakt nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gerechnet werden musste. Die Adäquanz fehlt, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen Bedingung für den Schaden war (2 Ob 2244/96f mwN, Koziol, Haftpflichtrecht3 I Rz 8/4). Bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung (vgl Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs3 Rn 158 zu § 7 StVG) ist der Tod des Verletzten, der zwar letztlich auf seinem freien Willensentschluss beruhte, im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen und Behinderungen noch als adäquate Unfallsfolge anzusehen.
Zusammenfassend hat daher der Beklagte unter Berücksichtigung des ihn treffenden überwiegenden Verschuldens für zwei Drittel des Schadens einzustehen. Vom angemessenen Schmerzengeld in der Höhe von S 1,2 Mio sind daher zwei Drittel (S 800.000 = EUR 58.138,27) zuzusprechen. Dazu kommen zwei Drittel der weiteren Kosten von S 169.065,95, demnach S 112.710,63 (= EUR 8.191) und zwei Drittel der Todfallskosten von S 148.144 demnach S 98.762,67 (= EUR 7.177,36) insgesamt sohin EUR 73.446,63.
Die klagende Partei hat insgesamt zu 83 % obsiegt. Ihr steht daher ein Kostenersatzanspruch von 66 % bzw von 83 % der Barauslagen (§ 43 Abs 2 ZPO) im Verfahren erster Instanz zu. Im Berufungsverfahren hat sie die Berufung des Beklagten im selben Ausmaß abgewehrt und Anspruch auf 66 % der Kosten der Berufungsbeantwortung. Im Revisionsverfahren ist die klagende Partei mit etwa drei Viertel ihres Begehrens durchgedrungen und hat daher Anspruch auf Ersatz der halben Kosten der Revision sowie auf drei Viertel der Barauslagen. Die Revision des Beklagten hat sie etwa zur Hälfte abgewehrt und hat daher diesem die halben Barauslagen zu ersetzen. Die Saldierung dieser Beträge ergibt den im Spruch genannten Betrag.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache Verlassenschaft nach Dr. Karl M*****, vertreten durch Dr. G. Heinz Waldmüller, Dr. Peter Riedmann und Dr. Martin Baldauf, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 88.207,67 sA, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , 2 Ob 314/02v wird in ihrem Spruch dahin berichtigt, dass er - mit Ausnahme der unverändert bleibenden Kostenentscheidung - wie folgt zu lauten hat:
"1.) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 71.326,45 samt 4 % Zinsen aus EUR 58.138,27 vom bis zum , aus EUR 66.329,27 vom bis zum , aus EUR 64.149,08 vom bis und aus EUR 71.326,45 seit binnen 14 Tagen zu bezahlen.
2.) Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 14.701,04 samt 4 % Zinsen seit sowie 4 % Zinsen aus EUR 69.765,92 seit bis , 4 % Zinsen aus EUR 11.627,65 vom bis , 4 % Zinsen aus EUR 13.807,84 vom bis , sowie weitere 4 % Zinsen aus EUR 2.180,19 seit zu bezahlen, wird abgewiesen."
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 22,85 (darin enthalten EUR 3,81 USt) bestimmten Kosten des Berichtigungsantrages binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Offenkundige Schreib- und Rechenfehler können jederzeit, auch nach Eintritt der formellen Rechtskraft, berichtigt werden (Rechberger in Rechberger ZPO² § 419 Rz 1 mwN). Ein solcher offenkundiger Rechenfehler liegt hier vor.
Die ehemals klagende Partei hat in ihrer Klage unter Einrechnung eines Eigenverschuldens von einem Fünftel ausgehend von einem insgesamt angemessenen Schmerzengeld von S 1,200.000 S 960.000 geltend gemacht. In der Folge hat sie ihr Klagebegehren um vier Fünftel weiterer Unfallfolgekosten von S 169.065,95, also um S 135.252,76 ausgedehnt. Letztlich hat die Verlassenschaft nach dem Tod des Klägers noch Todfallskosten von S 148.144 (4/5 = S 98.762,67 = EUR 7.177,36) geltend gemacht. Insgesamt wurde zuletzt ein anteiliger Klagebetrag von EUR 88.207,67 geltend gemacht.
Der Beklagte wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Rattenberg vom wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung an Dr. Karl M***** nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB zu einer bedingten Geldstrafe und zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrages von S 30.000 an die Verlassenschaft nach Dr. Karl M***** verurteilt. Das Urteil erwuchs am in Rechtskraft.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren hinsichtlich eines Betrages von EUR 2.180,19 (S 30.000) zurück, weil dieser Betrag als Teilschmerzengeld bereits zugesprochen worden sei und in diesem Umfang entschiedene Rechtssache vorliege und sprach im Übrigen EUR 86.027,48 samt gestaffelten Zinsen zu.
Die Zurückweisung des Klagebegehrens im Umfang von EUR 2.180,19 blieb unbekämpft.
Das Berufungsgericht erachtete sowohl das geltend gemachte Schmerzengeld als angemessen und auch die Todfallskosten und Unfallsfolgekosten als ersatzfähig, vertrat aber die Ansicht, dass das Verschulden des verstorbenen Dr. Karl M***** überwiege und sprach ausgehend von einer Verschuldensteilung 2 : 1 zu Lasten der klagenden Partei dieser ein Drittel der Klageforderung zu. Beim Zuspruch berücksichtigte es den Privatbeteiligtenzuspruch im Strafverfahren gegen den Beklagten.
Der erkennende Senat ist in seiner Entscheidung ebenfalls davon ausgegangen, dass das geltend gemachte Schmerzengeld im konkreten Fall angemessen sei und die Todfallskosten als noch adäquat ersatzfähig seien; hat aber dem Verschulden des Beklagten ein größeres Gewicht beigemessen, das Verschulden 2 : 1 zu Lasten des Beklagten geteilt und daher der klagenden Partei zwei Drittel ihrer Forderungen zugesprochen.
Bei Berechnung des Schmerzengeldes wurde auf Grund eines offensichtlichen Rechenfehlers der von den Vorinstanzen berücksichtigte, nicht mehr verfahrensgegenständliche, Teilzuspruch von EUR 2.180,19 im Strafverfahren außer Acht gelassen. Die beklagte Partei hat auf diesen Umstand mit Berichtigungsantrag hingewiesen und beantragt, Punkt 1. des Urteilsspruchs dahingehend zu berichtigen, dass der klagenden Partei nur EUR 71.326,44 sA zugesprochen werden (berichtigtes Schmerzengeld EUR 55.958,08 zuzüglich anteilige Unfallfolgekosten von EUR 8.191 zuzüglich anteilige Todfallkosten von EUR 73.446,63 ergibt EUR 71.326,45). Der Berichtigungsantrag ist berechtigt. Es handelt sich - wie dargestellt - um einen offenkundigen Rechenfehler, der zu berichtigen war. Bei Gesamtbetrachtung des Prozesserfolges hatte die Urteilsberichtigung nur einen geringfügigen Einfluss auf die Obsiegensquote, weshalb eine Neuberechnung der Kostenentscheidung nicht in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2003:0020OB00314.02V.0130.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAD-43017