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OGH vom 15.09.2009, 5Ob149/09m

OGH vom 15.09.2009, 5Ob149/09m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Außerstreitsache betreffend Josef S***** wegen Bestellung eines Abwesenheitskurators, infolge Revisionsrekurses der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 7 R 163/07m-6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 1 P 158/07s-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts als nichtig aufgehoben und der Rekurs der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde ersuchte das Erstgericht unter Berufung auf § 11 AVG um die Bestellung eines Abwesenheitskurators für Josef S*****. Bei der Behörde sei der Antrag eingebracht worden, hinsichtlich des GST .74 (EZ 409 GB *****) ein Flurbereinigungsübereinkommen zu beurkunden. Der im Grundbuch auf der Grundlage einer Einantwortungsurkunde vom 27. 7. 1885 (!) einverleibte Miteigentümer Josef S***** sei jedoch „unbekannt".

Das Erstgericht wies den Antrag mit der Begründung ab, auch wenn das Geburtsdatum des Liegenschaftsmiteigentümers nicht bekannt sei, müsse nach menschlichem Ermessen davon ausgegangen werden, dass dieser nicht mehr am Leben sei. Die Bestellung eines Abwesenheitskurators scheide damit aus.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Agrarbezirksbehörde nicht Folge. Im Grundbuch sei das Eigentumsrecht aufgrund einer Einantwortungsurkunde vom 27. 7. 1885 einverleibt. Dies bedeute, dass selbst wenn der Abwesende im Jahr 1885 gerade erst das Licht der Welt erblickt haben sollte, ein Alter von „zumindest 127" (?) Jahre erreicht haben müsste. Es sei dem Rekursgericht nicht bekannt, „dass weltweit Personen ein derartig hohes Lebensalter erreicht hätten". Erste Voraussetzung für die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 270 ABGB sei aber, „dass die Person lebend sein muss"; eine Kuratorbestellung für eine verstorbene natürliche Person sei unzulässig.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil - soweit überblickbar - zur Frage, wie weit davon ausgegangen werden könne, dass eine Person auch ohne Todeserklärung bzw Totenschein für nicht mehr am Leben gehalten werden dürfe, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses ist die dem angefochtenen Beschluss des Rekursgerichts anhaftende Nichtigkeit aufzugreifen:

1. Soll von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann gemäß § 11 AVG die Behörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Betrauung einer Person mit der Obsorge oder die Bestellung eines Sachwalters oder Kurators beim zuständigen Gericht (§ 109 JN) veranlassen.

Wie die Behörde in ihrem verfahrenseinleitenden, auf den wiedergegebenen § 11 AVG gestützten Ersuchen ausführte, soll ein Flurbereinigungsübereinkommen beurkundet werden.

Nach § 42 nö Flurverfassungs-Landesgesetz 1975 (FLG) sind dem Flurbereinigungsverfahren Verträge, die von den Parteien in verbücherungsfähiger Form abgeschlossen wurden, oder Parteienübereinkommen, die von der Behörde in einer Niederschrift beurkundet wurden (Flurbereinigungsübereinkommen), zugrundezulegen, wenn die Voraussetzungen der §§ 1 und 43 nö FLG vorliegen und die Behörde mit Bescheid feststellt, dass die Verträge oder Übereinkommen zur Durchführung der Flurbereinigung erforderlich sind. Voraussetzungen für solche Feststellungsbescheide sind, dass im Fall eines Grundtausches sich durch diesen für mindestens einen Tauschpartner eine Verbesserung der Betriebsverhältnisse ergibt (§ 43 Abs 1 Z 1 nö FLG) bzw im Falle des Grunderwerbs auf eine andere Art, insbesondere durch Kauf, Schenkung oder gegen Leibrente, das Eigentum an den Grundstücken nicht an einen Verwandten in gerader Linie, den Ehegatten, ein Stiefkind, Wahlkind, Schwiegerkind oder ein in Erziehung genommenes Kind übertragen wird, die erworbene Grundfläche an eine Grundfläche des Erwerbers angrenzt und hiedurch die gemeinsame Bearbeitung beider Flächen ermöglicht wird oder sonstige Vorteile für deren Bewirtschaftung entstehen (§ 43 Abs 1 Z 2 nö FLG).

Nach der Aktenlage liegt der Schluss nahe, dass vorliegend der Kurator zum Zweck der Wahrung der Rechte des vermeintlich abwesenden Miteigentümers bestellt werden soll, worauf auch die Behörde in ihrem Revisionsrekurs (S 4 in ON 7) ausdrücklich hinweist.

Nach § 19 Abs 5 lit c RPflG besteht nun ein Richtervorbehalt für ein Verfahren zur Bestellung oder Enthebung eines Kurators für einen Abwesenden (nur) dann, wenn dieser nicht österreichischer Staatsbürger ist oder wenn Anhaltspunkte für dessen Aufenthalt im Ausland gegeben sind. Da für das Vorliegen einer der beiden letztgenannten Voraussetzungen keinerlei Hinweise vorliegen, besteht zunächst kein Grund für die Annahme eines zum Wirkungskreis des Richters gehörenden Geschäftsfalls. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die in erster Instanz erfolgte Entscheidung durch die Rechtspflegerin nicht zu beanstanden ist.

2. Will die Behörde nach § 11 AVG zur Wahrung der Rechte eines vermeintlich Abwesenden die Bestellung eines Kurators veranlassen, dann entspricht dies der in § 270 (§ 276 ABGB vor dem SWRÄG 2006) 1. Fall ABGB vorgesehenen Konstellation der Bestellung eines Kurators für Abwesende zur Vermeidung einer Gefährdung ihrer Rechte (vgl dazu Stabentheiner in Rummel³, § 276 ABGB [vor dem SWRÄG 2006] Rz 2). Für diesen Fall des § 270 ABGB entspricht es der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass einem an der Bestellung eines Abwesenheitskurators zur Wahrung gefährdeter Rechte des Abwesenden - aus welchem Grund immer - Interessierten zwar eine Antragslegitimation im Sinn einer Anregungslegitimation, aber (gegen den abweisenden Beschluss des Gerichts) keine Rechtsmittellegitimation zukommt (6 Ob 163/97g; 7 Ob 167/04s). Dieses Verständnis einer fehlenden Rechtsmittellegitimation im Fall einer bloßen Anregungslegitimation in erster Instanz entspricht dem nunmehr gesetzlich gefassten Unterschied zwischen der Partei (im materiellen Sinn; § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG; vgl RIS-Justiz RS0006497) und jenen Personen, denen nur ein Anregungsrecht (§ 2 Abs 2 AußStrG) zukommt.

3. Im vorliegenden Fall, wenn also die Behörde nach § 11 AVG zur Wahrung der Rechte eines vermeintlich Abwesenden die Bestellung eines Kurators anstrebt, deutet zunächst schon die Verwendung des Verbs „veranlassen" anstatt „beantragen" auf ein bloßes Anregungsrecht hin. Wortlaut und Zweck der Regelung erlauben auch nicht die Annahme, § 11 2. Fall AVG räume der Behörde die Rechtsstellung einer Amtspartei (§ 2 Abs 2 Z 4 AußStrG) ein, kann doch die Behörde eigene Interessen, namentlich an der Verfahrensbeteiligung von Personen, durch die Vornahme von Zustellungen ohnehin im Wege des § 25 ZustG wahren (vgl Hengstschläger/Leeb, § 11 AVG Rz 5). Es entspricht schließlich auch herrschender Lehre, dass der Behörde im Fall eines unbekannten Aufenthalts des Beteiligten nach § 11 AVG lediglich ein (qualifiziertes) Anregungsrecht zusteht (Zierl, Sachwalterrecht, 35; Hengstschläger/Leeb, § 11 AVG Rz 2; Maurer, Sachwalterrecht3, § 11 AVG Rz 4; Kremzow, Sachwalterrecht, 387; vgl auch Ferrari [Buchbesprechung], JBl 2008, 543; die gegenteilige Ansicht von Knell (Die Kuratoren im österreichischen Recht [1974], 141) beruht auf der Rechtslage vor Inkrafttreten des SachwalterG). Diesem herrschenden Verständnis schließt sich der erkennende Senat an und geht daher ebenfalls nur von einem bloßen Anregungsrecht der Behörde nach § 11 AVG aus, welches dieser keine Rechtsmittellegitimation gegen einen abweisenden Beschluss des Erstgerichts vermittelt (so ausdrücklich auch Zierl, Sachwalterrecht, 35).

4. Entscheidet ein Gericht zweiter Instanz über einen unzulässigen Rekurs meritorisch, so ist der Mangel der funktionellen Zuständigkeit für eine solche Erledigung vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen; als Folge dessen ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0115201, RS0042059; s zur Entwicklung der Rechtsprechung Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 Vor §§ 514 ff ZPO Rz 36, § 515 ZPO Rz 20, § 528 ZPO Rz 24; vgl überdies RIS-Justiz RS0043969). Dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt nicht nur im Zivilprozess, sondern, wie aus § 54 AußStrG iVm § 71 Abs 4 AußStrG herzuleiten ist, auch für eine vom Obersten Gerichtshof im Außerstreitverfahren zu treffende Entscheidung (5 Ob 128/08x mwN).