OGH vom 11.01.2001, 2Ob309/99a

OGH vom 11.01.2001, 2Ob309/99a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Hoch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** versicherungsanstalt, *****, vertreten durch Dr. Stefan Hornung, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Josef Dengg und Dr. Milan Vavrousek, Rechtsanwält in St. Johann in Pongau, wegen S 217.779,-- sA und Feststellung (Streitwert S 50.000,--), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 39/99g-28, womit infolge Berufung klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 6 Cg 187/97x-21, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei die mit S 12.960,-- (darin S 2.160 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die beklagte Partei lieferte und montierte ein mit Rechnung vom fakturiertes Hubgliedertor für die Lackiererei der P***** AG in Wr. Neudorf. Michael B***** arbeitete dort als Mechaniker. Am wurde er durch das plötzlich herabstürzende Halltentor schwer verletzt.

Die klagende Unfallversicherung begehrt von der Beklagten gestützt auf § 332 Abs 1 ASVG Zahlung von S 217.779,-- samt Nebengebühren für Heilbehandlungskosten und Sachaufwand sowie zuletzt (ON 7) die Feststellung, dass die Beklagte der klagenden Partei für von dieser an Michael B***** aus dem Vorfall vom zu erbringende Leistungen zu haften habe, soweit sie in den Ansprüchen des Michael B***** gegenüber der beklagten Partei Deckung fänden (AS 29).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte hafte weder deliktisch noch auf Grund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, weil sie das Tor dem damaligen Stand der Technik entsprechend, mängelfrei hergestellt und ordnungsgemäß montiert habe. Eine zusätzliche Fangsicherung sei für derartige Tore nicht vorgeschrieben. Für die Haftung der Beklagten sei auf den Zeitpunkt des Einbaus des Tores abzustellen. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Nachrüstung bei etwaigen technischen Neuerungen, höheren Sicherheitsmaßnahmen udgl könne "nicht ernsthaft" verlangt werden. Damit wäre nämlich jede "Firma" gezwungen, sämtliche ehemaligen Kunden anzuschreiben und eine Nachrüstung anzubieten, was eine in der Praxis unzumutbare und nahezu undurchführbare Vorgangsweise darstellen würde. Außerdem würden derartige, lediglich mit Schlaffseilschalter ausgestattete Hubgliedertore auch heute noch von der Behörde und vom TÜV im Rahmen der Überprüfung nicht beanstandet.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000,-- übersteige und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass das Tor den Anforderungen der damals gültigen technischen ÖNORM entsprochen habe, sodass kein Verstoß gegen die Regeln der Technik vorgelegen sei. Da ein Produkt nicht deshalb als fehlerhaft angesehen werden könnte, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht worden sei, komme auch eine Anwendung des - außerdem erst am und damit nach dem Inverkehrbringen des Tores in Kraft getretenen - PHG nicht in Betracht.

Nach den "Umständen des Einzelfalls" (S 11 unten des Aufhebungsbeschlusses) bestünden jedoch insbesondere beim Verkauf von Maschinen und Geräten nebenvertragliche Aufklärungspflichten, wozu im vorliegenden Fall auch eine Produktbeobachtungs- und Rückrufpflicht gehöre. Im vorliegenden Fall sei eine solche vertragliche Nebenpflicht umso mehr anzunehmen, weil - das gegenständliche Tor betreffend - der ursprüngliche vertragliche Kontakt durch die von der Beklagten am vorgenommene (Wartung und) wiederkehrende Prüfung des Tores (Beilage ./B) "erneuert" worden sei.

Es sei zwar nicht festgestellt worden, dass bereits im September 1995 nur mehr Tore mit einer zusätzlichen Vorrichtung gegen das Abstürzen ausgeliefert worden seien. Dass die Beklagte seit September 1995 auch Tore mit einer zusätzlichen Fangvorrichtung in den Verkehr bringe und dass beim gegenständlichen Tor nach dem Unfall vom eine Fangsicherung eingebaut worden sei, stehe hingegen fest. Da nicht anzunehmen sei, dass die Torbesteller über die entsprechenden Torbaukenntnisse verfügten, müsse davon ausgegangen werden, dass derartige - zusätzliche - Fangsicherungen über Empfehlung der Beklagten eingebaut worden seien, wenn auch auf Kosten der Besteller.

Wenn aber die Beklagte bei neuen Toren den zusätzlichen Einbau einer - neben dem Schlaffseilschalter nicht verpflichtenden - Fangsicherung empfohlen habe, sei angesichts der "geschilderten Vertragsbeziehung zur Fa. P*****" auch eine Verpflichtung anzunehmen, einem solchen 'Altkunden' den nachträglichen Einbau einer Fangvorrichtung zu empfehlen. Da der Beweis, die nötige Sorgfalt nicht vernachlässigt zu haben, dem "Schadenersatz - Beklagten" obliege, und das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin nicht konkret bestritten worden sei, habe die Beklagte eine derartige 'Nachrüstung' offenbar nicht angeboten. Die Frage der Kausalität dieser Unterlassung für den gegenständlichen Unfall sei bisher unbeachtet geblieben und werde mit den Parteien noch zu erörtern sein. Für die Begründung eines Schadenersatzanspruches gegen die Beklagte wäre es erforderlich, dass die Käuferin ein derartiges Nachrüstangebot der Beklagten rechtzeitig vor dem gegenständlichen Unfall angenommen hätte.

"Erforderlichenfalls" werde auch noch zu erörtern sein, inwieweit das Vorbringen der Beklagten, das Abspringen des Seiles habe nur durch eine unsachgemäße Bedienung passieren können, einen Mitverschuldenseinwand darstelle.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil zu einer derartigen, dem neben- bzw nachvertraglichen Bereich entspringenden, Produktbeobachtungspflicht oder "ähnlichen Verpflichtung" keine oberstgerichtliche Judikatur aufgefunden habe werden können und dieser Bereich, wie die zitierte Literatur zeige, von erheblicher Bedeutung sei, sodass eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

Gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird beantragt den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die sachliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht zulässig.

Vorauszuschicken ist, das die Ausführungen der Rekurswerberin zu einer vom Berufungsgericht unterlassenen Vorgangsweise nach § 473a ZPO schon deshalb nicht zielführend sind, weil es - ausgehend von einer gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge der klagenden Partei - seiner Begründung keine (in der Beweiswürdigung oder rechtlichen Beurteilung des Ersturteils) "verborgenen", sondern folgende ausdrückliche Feststellungen zugrunde gelegt hat:

"Es erfolgten wiederkehrende Überprüfungen des Tores sowohl durch den Technischen Überwachungsverein Österreich als auch durch die Beklagte. Die letzte Überprüfung durch die Beklagte vor dem gegenständlichen Unfall erfolgte am . Bei dieser Überprüfung wurden keine Mängel festgestellt (Beilage ./B)."

Die Bestimmung des § 473a ZPO ist daher nicht anzuwenden (RIS-Justiz RS0112020; stRsp seit 1 Ob 41/99g = EvBl 1999/180 = JBl 1999, 661 = RZ 1999/42; zuletzt: 7 Ob 210/00h und 9 Ob 254/00v). Das Berufungsgericht ist aber auch nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen abgegangen, wenn es den wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin beurteilt hat, das der ursprüngliche vertragliche Kontakt durch die von der Beklagten am vorgenommene (Wartung und) wiederkehrende Prüfung des Tores (Beilage B) "erneuert" worden sei (S 12 des Aufhebungsbeschlusses).

Vor Eingehen in die Sache selbst ist zunächst die Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittels zu prüfen:

Die hier maßgebliche Vorschrift des § 519 Abs 2 ZPO bindet die Rekurszulässigkeit an die Voraussetzungen des § 502 ZPO, also an das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen. Die Anfechtung der berufungsgerichtlichen Entscheidung ist daher nur möglich, wenn das Rechtsmittel die unrichtige Lösung einer in diesem Sinne erheblichen Rechtsfrage geltend macht (JBl 1992, 794; 1 Ob 127/98b mwN). Nur in diesem Fall muss der Oberste Gerichtshof aus Anlass des Rekurses gegen den Aufhebungsbeschluss die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht in jeder Richtung überprüfen und dabei auch die in der Rekursbeantwortung vorgebrachten rechtlichen Argumente beachten (SZ 58/210; 9 ObA 331/99p ua). Bei der Prüfung der Zulässigkeit des Rekurses ist der Oberste Gerichtshof an den Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht gebunden (§ 508a ZPO) und nicht auf jene Rechtsfragen beschränkt, die das Berufungsgericht zur Begründung seines Ausspruches angeführt hat (RIS-Justiz RS0048272). Selbst wenn das Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen hat, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, das Rechtsmittel aber dann nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist der Rekurs trotz der Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (RdW 1998, 454; 9 ObA 331/99p; Kodek in Rechberger2 Rz 3 vor § 502

ZPO).

Die Rekurswerberin macht in ihrem Rechtsmittel geltend, dass das Berufungsgericht nicht den von der herrschenden Meinung vertretenen Grundsätzen der Haftung auf Grund unzureichender Produktbeobachtung gefolgt sei. Anstelle einer Warnpflicht (als Reaktion auf das Erkennen der Fehlerhaftigkeit und Gefährlichkeit) habe es eine vorausgehende Pflicht zur Information sämtlicher Abnehmer über Produktverbesserungen angenommen; und zwar auch für den Fall, dass ein Produkt - wie hier - sowohl im Zeitpunkt seines Inverkehrbringens als auch im Zeitpunkt des Schadenseintritts dem Stand der Technik entsprochen habe. Damit werde der radikalen US-Produkthaftungsjurisdiktion gefolgt, die eine spätere Produktverbesserung als praktisch unwiderlegbaren Beweis der Fehlerhaftigkeit des älteren Produkts ansehe.

Die Rekusausführungen gehen schon deshalb ins Leere, weil das Berufungsgericht eine Fehlerhaftigkeit des gegenständlichen Tores ausdrücklich verneint und diese Beurteilung damit begründet hat, ein Produkt könne nicht deshalb als fehlerhaft angesehen werden, "weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht worden ist" (S 10 unten des Aufhebungsbeschlusses). Außerdem wird übersehen, dass der Umfang vertraglicher Nebenpflichten - im Rahmen der Vertragsauslegung - nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0044358 [T 16]), denen auch hier keine darüber hinausgehende erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt, weil eine offenkundige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht nicht vorliegt (RIS-Justiz RS0042776; Kodek aaO Rz 3 zu § 502 ZPO):

Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, kommt eine Ersatzpflicht der Beklagten nach dem PHG nicht in Betracht, weil hiezu ein fehlerhaftes Produkt erforderlich wäre und das gegenständliche Garagentor überdies vor dem Inkrafttreten des PHG () in Verkehr gebracht wurde. Eine Haftung des Herstellers/Lieferanten könnte jedoch unter dem Aspekt der Verletzung der Produktbeobachtungspflicht im Rahmen der Verschuldenshaftung nach allgemeinen Regeln begründbar sein (Posch in Schwimann VIII2 Rz 11 zu § 8 PHG; Fitz/Purtscheller/Reindl, Rz 48 ff zu § 5 PHG; Koziol/Welser II11 347). Nach stRsp bestehen Schutz- und Sorgfaltspflichten nämlich nicht nur zwischen den Vertragspartnern, sondern auch gegenüber Dritten, die - wie der im vorliegenden Fall verletzte Arbeitnehmer (EvBl 1993/97) - zwar aus dem Vertrag nicht unmittelbar berechtigt sind, der vertraglichen Leistung jedoch nahestehen (1 Ob 2317/96h = HS 27.459 mwN; 2 Ob 136/99k uva; RIS-Justiz RS0034594).

Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht nicht abgewichen, wenn es die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten (Aufklärungspflichten) ua auch daraus abgeleitet hat, dass die beklagte Lieferantin rund vier Monate vor dem Unfall eine Prüfung des Tores durchführte, ohne den zusätzlichen Einbau einer Fangvorrichtung zu empfehlen. Eine krasse Verkennung der Rechtslage, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste ist darin jedenfalls nicht zu erblicken; gesteht die Rekurswerberin mittlerweile doch selbst zu, der Schaden könnte gegenüber der Beklagten - wenn auch nur teilweise - mit der Begründung geltend gemacht werden, dass sie (auch) als "Fachfirma für die Prüfung" des Tores beigezogen wurde, "ohne auf Neuentwicklungen auf dem Markt hinzuweisen" (S 3 des Rekurses).

Dies ist der Rekurswerberin auch zu erwidern, wenn sie zuletzt darauf hinweist, dass selbst nach der Wertung des Berufungsgerichtes ein Anspruch gegenüber der Beklagten auf Beseitigung des Fehlers nicht bestehe, und sich darauf stützt, dass sie nicht als Produzent sondern nur als Vertriebsunternehmen aufgetreten sei.

Davon abgesehen räumt die Rekurswerberin selbst ein, dass der Produzent (nach den von Welser [PHG Rz 34 zu § 5] dargestellten Regeln der deutschen Lehre und Rsp zur Produktbeobachtungspflicht) verpflichtet sei, auch die Weiterentwicklung in Wissenschaft und Technik zu verfolgen und für seine Produkte die Konsequenzen zu ziehen, wozu auch die Änderung der Gebrauchs- und Warnhinweise gehöre, und dass die Intensität der Gefahrabwendungspflichten mit der Größe des drohenden Schadens "korreliere", dass also angesichts drohender Personenschäden stärkere Pflichten anzunehmen seien, als bei Sachschäden (S 5 des Rekurses; Welser aaO). Wenn es auch zutrifft, dass sich die Vorbeugungspflicht nicht auf jede denkbare Gefahr bezieht, darf nämlich andererseits auch nicht abgewartet werden, ob tatsächlich derartige Schäden eintreten und bekannt werden (Welser aaO). Fitz/Purtscheller (in Fitz/Purtscheller/Reindl, PHG Rz 50 zu § 5) vertreten ebenfalls den Standpunkt, dass hier der Grad der potentiellen Gefährlichkeit und die Art der betroffenen Rechtsgüter ins Kalkül einzubeziehen sei, wobei unter besonderen Umständen die Beobachtungs- und Gefahrbeseitigungspflicht schon vor Eintreten konkreter Schadensfälle Platz greifen könne und halten ausdrücklich fest, dass diese Produktbeobachtungspflicht ausnahmsweise auch Händler treffe, wenn sie vom Hersteller mit der Beratung und Aufklärung der Abnehmer betraut wurden oder dem Kunden gegenüber als Produzenten auftreten (Fitz/Purtscheller aaO Rz 53 zu § 5 PHG mwN), was auch im Fall eines "Vertriebsunternehmens" anzunehmen wäre.

Im Rekurs wird daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt, weshalb das Rechtsmittel - ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruches des Berufungsgerichtes - als unzulässig zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.