OGH 18.11.2015, 3Ob157/15g
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Dr. Jensik, die Hofrätin Dr. Grohmann, den Hofrat Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei H*****, vertreten durch Loimer Scharzenberger-Preis Rechtsanwälte Partnerschaft in Salzburg, gegen die verpflichtete Partei DI P*****, vertreten durch Hochsteger Perz Wallner & Warga Rechtsanwälte in Hallein, wegen 22.740 EUR sA, über den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 22 R 38/15i-14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hallein vom , GZ 21 E 1708/14m-6, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Bestätigung der Exekutionsbewilligung richtet, zurückgewiesen.
Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben und die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass der Antrag der betreibenden Partei auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Tribunal de Grande Instance de Nanterre vom abgewiesen wird.
Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit 1.450,32 EUR (darin enhalten 203,22 EUR USt, 231 EUR anteilige Pauschalgebühr) bestimmten Kosten beider Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Mit Urteil des Tribunal de Grande Instance de Lyon vom , AZ 92/4612, Code 204, wurde der Verpflichtete (unter anderem) zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente von je 1.000 Franc (wertgesichert nach einem französischen Verbraucherpreisindex) und zahlbar zu Handen der Mutter seiner Kinder, der Betreibenden, verpflichtet. Diese Unterhaltsverpflichtung wurde vom Appellationsgericht Lyon mit Urteil vom , AZ 95/08811, bestätigt.
Mit Urteil des Tribunal de Grande Instance de Nanterre vom , AZ 06/03744, wurde die vom Verpflichteten zu leistende monatliche Unterhaltszahlung auf 300 EUR je Kind, neuerlich wertgesichert nach dem französischen Verbraucherpreisindex, festgesetzt.
Am erklärte das Erstgericht die vorgenannten Urteile für Österreich für vollstreckbar (21 E 2520/09s). Die Vollstreckbarerklärung ist nach Rückziehung eines Rekurses des Verpflichteten in Rechtskraft erwachsen.
Am erließ das Tribunal de Grande Instance de Nanterre zu AZ 11/00965 ein weiteres Urteil, mit dem es sein Urteil vom dahin interpretierte, dass der vom Verpflichteten für seine Kinder zu leistende Unterhaltsbetrag von je 300 EUR im Monat an die Betreibende zu leisten ist. Gegen dieses Urteil wurde keine Berufung erhoben.
Am beantragte die Betreibende beim Erstgericht die Vollstreckbarerklärung des zuletzt genannten Interpretationsurteils vom sowie aufgrund der oben angeführten Urteile vom , und zur Hereinbringung von 22.740 EUR sA an näher aufgeschlüsselten rückständigen Unterhaltsbeiträgen für den Zeitraum vom bis Forderungsexekution und zwangsweise Pfandrechtsbe-gründung sowie Zwangsversteigerung betreffend eine Liegenschaft des Verpflichteten.
Das Erstgericht erklärte das Urteil des Landgerichts Nanterre vom für vollstreckbar und bewilligte aufgrund sämtlicher genannter Exekutionstitel Forderungsexekution nach § 294a EO sowie die Pfändung bestimmter Forderungen des Verpflichteten gegenüber einem bestimmten Drittschuldner. Die auf die Liegenschaft des Verpflichteten gerichteten Exekutionsanträge wies es hingegen ab.
Das Rekursgericht bestätigte die erstgerichtliche Vollstreckbarerklärung und Exekutionsbewilligung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung zur Vollstreckbarerklärung eines französischen Interpretationsurteils zulässig sei. Da zur Entscheidung des Landgerichts Nanterre vom eine Bescheinigung nach den Art 54 und 58 EuGVVO vorliege, habe der Verpflichtete nur die Möglichkeit, die von ihm im Rekurs vorgetragenen Umstände beim Ursprungsgericht im Rahmen eines Antrags auf Widerruf der Bestätigung geltend zu machen. Im Übrigen dürfe eine ausländische Entscheidung nicht im Inland nachgeprüft werden. Allfällige Verfahrensmängel im Titelverfahren bildeten auch keine Oppositionsgründe nach § 35 EO oder Impugnationsgründe nach § 36 EO. Allfällige mit den Kindern als Unterhaltsgläubiger geschlossene nachträgliche Vereinbarungen könnten keine tauglichen Rekursgründe bilden.
Der Revisionsrekurs des Verpflichteten, mit dem er die Abweisung der Anträge der Betreibenden auf Vollstreckbarerklärung und Exekutionsbewilligung anstrebt, ist in Ansehung der Exekutionsbewilligung jedenfalls unzulässig, zur Vollstreckbarerklärung aber zulässig und im Ergebnis berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Das Exekutionsverfahren kennt zwar eine Ausnahme von der Unbekämpfbarkeit bestätigender Beschlüsse in § 84 Abs 4 EO für die Fälle der Erteilung oder Versagung der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Exekutionstitels; die Ausnahmeregelung nach § 84 Abs 4 EO ist aber nur auf abweisende Entscheidungen über den Exekutionsantrag auszudehnen, bei bewilligenden Entscheidungen in zwei Instanzen bleibt es bei der Unanfechtbarkeit wegen Vollbestätigung gemäß § 78 EO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO (RIS-Justiz RS0114023 [T3]).
Soweit sich der Revisionsrekurs auch gegen die Exekutionsbewilligung der Vorinstanzen richtet, erweist er sich daher als absolut unzulässig.
2. Seit dem ist die VO (EG) 2009/4 des Rates vom über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUVO) anwendbar (Art 76 EuUVO). Österreich und Frankreich sind Mitgliedstaaten, auf die diese Verordnung anwendbar ist. Gemäß Art 75 Abs 1 EuUVO ist die Verordnung auf alle nach dem eingeleiteten Verfahren anzuwenden (6 Ob 240/12f mwN). Diese Übergangsvorschrift bezieht sich aber nur auf das Erkenntnisverfahren (Fucik in Fasching/Konecny ZPG2 Art 75 EuUVO Rz 1; Rauscher/Andrae, EuZPR/EuIPR [2010] Art 75 EG-UntVO Rn 3).
Das Verfahren, das zum hier zu beurteilenden Interpretationsurteil vom führte, wurde aber bereits vor dem eingeleitet (entsprechend der Urteilsbegründung mit Antrag der Betreibenden vom ). Gemäß Art 75 Abs 2 lit b EuUVO ist daher Kapitel IV Abschn 2 und 3 der Verordnung anzuwenden, somit die Art 23 ff, welche (weiterhin) eine Exekutionsführung nach Vollstreckbarerklärung vorsehen.
3. Der sachliche Anwendungsbereich der EuUVO umfasst alle Unterhaltspflichten, die „auf einem familien-, verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen“ (Art 1 Abs 1 EuUVO). Eine allgemeine Definition, was alles zum Unterhalt zählt, also etwa auch Abfindungen, Vermögensaufteilungen nach der Scheidung, Naturalien, Erfüllungsübernahmen uva konnte in der Erstellung der Verordnung nicht erreicht werden (Fucik in Fasching/Konecny, ZPG2 Art 1 EuUVO Rz 1). Gemeint sind nur gesetzliche Unterhaltsansprüche, allerdings fällt selbstverständlich durch eine den gesetzlichen Anspruch konkretisierende Vereinbarung der grundsätzliche Charakter als „gesetzlicher“ Anspruch nicht weg. Weiters will die EuUVO selbst den Begriff möglichst weit ausgelegt wissen (Fucik Rz 3 mwN). Ob auch der Regressanspruch eines privaten Dritten, der aufgrund eigener Verpflichtung Unterhalt geleistet hat, in den sachlichen Anwendungsbereich der EuUVO fällt (vgl Weber, Der sachliche Anwendungsbereich der EU-Unterhaltsverordnung, ÖJZ 2011/99; Lipp in Münchener Kommentar zum FamFG Art 1 EuUVO Rn 49 ff; Garber in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, Art 1 EuUVO Rz 37 ff je mwN) braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden, weil verfahrensgegenständlich ein die Geldunterhaltspflicht des Vaters konkretisierendes Urteil ist, welches die Betreibende als obsorgeberechtigte Mutter als Vertreterin in Unterhaltssachen bzw Zahlstelle für die gesetzliche Unterhaltspflicht nennt.
4. Das französische Interpretationsurteil vom ändert den Inhalt der Unterhaltspflicht des Verpflichteten gegenüber dem Urteil vom nicht. Es nennt/berichtigt lediglich die Person des Anspruchsberechtigten im Spruch der Entscheidung, die sich aber bereits aus dem gesamten Inhalt des ursprünglichen Urteils, insbesondere aus der Nennung der Betreibenden als Klägerin, ergibt. Insoweit ist dieses Interpretationsurteil der Urteilsberichtigung gemäß § 419 Abs 1 ZPO vergleichbar. Es enthält keinen selbständigen Leistungsbefehl, dieser ist schon im ursprünglichen Urteil vom enthalten.
Da das Urteil vom bereits mit dem Beschluss des Erstgerichts vom für Österreich für vollstreckbar erklärt worden ist, bedarf es keiner neuerlichen Vollstreckbarerklärung des nicht veränderten, sondern bloß verdeutlichten („interpretierten“) Leistungsbefehls. Der darauf abzielende Antrag der Betreibenden ist daher abzuweisen.
5. Eines selbständigen Anerkennungsverfahrens bedarf es gemäß Art 23 Abs 1 EuUVO mangels hier gestellten diesbezüglichen Antrags (vgl Art 23 Abs 2 EuUVO) nicht, die Anerkennung ist lediglich als Vorfrage im Exekutionsbewilligungsverfahren zu prüfen. Dieses ist aber bereits rechtskräftig abgeschlossen (siehe oben 1.).
6. Der Verpflichtete obsiegte im Umfang des Antrags auf Vollstreckbarerklärung. Hingegen blieb sein Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung erfolglos; sein diesbezüglicher Revisionrekurs ist absolut unzulässig. Das Obsiegen und das Unterliegen des Verpflichteten ist als gleichteilig zu beurteilen. Daraus folgt für die Kostenentscheidung, dass die Betreibende - die wegen der Einseitigkeit des Exekutionsbewilligungsverfahrens keinen Kostenersatz für die Beantwortung des Rekurses bzw des Revisionsrekurses betreffend die Exekutionsbewilligung beanspruchen kann (RIS-Justiz RS0118686 [T12] - dem Verpflichteten die Hälfte der Kosten des Rekurses und des Revisionrekurses zu ersetzen hat. Die überhöht verzeichnete Pauschalgebühr war zu berichtigen (Tarifansatz nach TP 4 iVm TP 12a RAT).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00157.15G.1118.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAD-42864