OGH vom 01.12.2005, 6Ob226/05m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Kurt F*****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Thomas M*****, vertreten durch Ploil Krepp & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Widerruf, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 17 R 45/05x-40, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 3 C 316/03x-36, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat dem Beklagten die mit 665,66 EUR (darin enthalten 110,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Hält der Oberste Gerichtshof entgegen dem nach § 508 Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO für nicht zulässig, kann sich die Zurückweisung der ordentlichen Revision auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Das Berufungsgericht begründete seinen Zulässigkeitsausspruch damit, dass die Rechtsfrage von Bedeutung sei, ob demjenigen, der bei einer vertraulichen Mitteilung mit der Veröffentlichung dieser Mitteilung drohe, den Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 dritter Satz ABGB verliere. Diese Frage stellt sich hier aber nicht.
Das österreichische bürgerliche Recht enthält keine allgemeine Regelung der vorbeugenden Unterlassungsklage, sondern sieht außerhalb von Schuldverhältnissen einen Unterlassungsanspruch nur in bestimmten Fällen einer rechtswidrigen Beeinträchtigung oder Gefährdung ausdrücklich vor, etwa zum Schutz vor Eingriffen in dingliche Rechte oder vor sonstigen konkret bezeichneten Fällen einer rechtswidrigen Beeinträchtigung (RIS-Justiz RS0010540). Nach einigen (älteren) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gewährt § 1330 ABGB keine vorbeugende Unterlassungsklage (RIS-Justiz RS0010483). Nunmehr erkennt die (aktuelle) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aber auch bei Ehrverletzungen nach § 1330 ABGB einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch zu. Selbst wenn daher auch die Zulässigkeit der vorbeugenden Unterlassungsklage beim bloß drohenden Eingriff in das absolut geschützte Rechtsgut der Ehre und des wirtschaftlichen Rufs grundsätzlich zu bejahen wäre (vgl Reischauer in Rummel ABGB² § 1294 Rz 23; ABGB³ § 1330 Rz 23), setzt doch die vorbeugende Unterlassungsklage regelmäßig den Beginn der Rechtsverletzung voraus. Die bloße Drohung einer Rechtsverletzung vermag die vorbeugende Unterlassungsklage nur unter besonderen Umständen zu rechtfertigen. Unterlassungsansprüche können nur ausnahmsweise auch vorbeugend erhoben werden (RIS-Justiz RS0009357). Der Kläger muss in einem solchen Fall die tatsächlichen Umstände, die eine ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr erstmaliger Begehung begründen, im einzelnen darlegen und im Bestreitungsfall beweisen (4 Ob 22/04w).
Hier hat der Kläger sein Unterlassungsbegehren (das Widerrufsbegehren umfasst nur den Widerruf gegenüber der Schuldirektion und dem Stadtschulrat für Wien) nicht auf den im strittigen Schreiben enthaltenen Hinweis auf eine allfällige weitere Verbreitung gestützt und die diesbezügliche Passage („... und ich behalte mir das Recht vor, bei Ausbleiben einer Reaktion ebenfalls eine Kopie an die Redaktion der Presse, des Kurier und der Kronenzeitung zu senden") in seinem Klagevorbringen gar nicht erwähnt. Nach dem Inhalt des Vorbringens des Klägers leitet er seinen Unterlassungsanspruch allein daraus ab, dass die Mitteilung des Schreibens an die Direktorin der Schule, an der er unterrichtet hat und an den Stadtschulrat für Wien infolge der darin enthaltenen ehrenbeleidigenden und kreditschädigenden Vorwürfe rechtswidrig gewesen sei. Abgesehen davon kann eine unmittelbar drohenden Gefahr, der Beklagte werde das Schreiben tatsächlich an die Redaktionen von Tageszeitungen senden, nicht ohne weiteres erkannt werden, vergingen doch zwischen der Abfassung des Schreibens () und dem Schluss der Verhandlung erster Instanz () fast zwei Jahre, ohne dass sich Anhaltspunkte dafür ergaben, dass der Beklagte das Schreiben an weitere Stellen verschickt hat. Zudem musste sich der Kläger nach eigenem Vorbringen gegenüber seiner Dienststelle wegen des strittigen Schreibens rechtfertigen, eine „Reaktion" darauf ist daher nicht ausgeblieben. Da der Kläger nie vorgebracht hat, der Beklagte habe das Schreiben an Zeitungsredaktionen versandt, kann eine Mangelhaftigkeit des Berufungsgerichts keinesfalls darin erblickt werden, dass es zu dieser Frage keine Feststellungen getroffen hat. Die erstmals in der Revision aufgestellte Behauptung, der Beklagte habe keine Kenntnis vom disziplinarrechtlichen Vorgehen der vorgesetzten Dienststellen erhalten, weshalb er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit versuchen werde, durch Zusendung des Schreibens an mehrere Printmedien eine Veröffentlichung des Schreibens zu erreichen, stellt eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung dar.
Nicht nur das Widerrufsbegehren, sondern auch das Unterlassungsbegehren könnte daher nur berechtigt sein, wenn die strittige Mitteilung des Beklagten an die Direktorin und an den Stadtschulrat nicht gerechtfertigt gewesen wäre.
Für Ansprüche nach § 1330 ABGB gilt, dass vertrauliche Mitteilungen an Behörden oder sonst zuständige Stellen, die nicht nur zur Verschwiegenheit, sondern auch zu einer gewissenhaften Nachprüfung der Angaben verpflichtet sind, selbst bei Unwahrheit der Tatsachenmitteilungen nicht schlechthin rechtswidrig sind. Derjenige, der eine seiner Meinung nach im Interesse der Gesamtheit wesentliche Anzeige oder Mitteilung macht, soll davor geschützt werden, den Wahrheitsbeweis antreten zu müssen (RIS-Justiz RS0031927). Wesentlich ist hiebei die Zuständigkeit des Empfängers zur Nachprüfung der Angaben, weil bei Bejahung dieser Zuständigkeit das im § 1330 Abs 2 dritter Satz ABGB angeführte berechtigte Empfangsinteresse vorliegen kann (6 Ob 2235/96m; 4 Ob 187/99z; 6 Ob 239/02v). Straf- und Disziplinaranzeigen an die zuständigen Stellen sind also grundsätzlich gerechtfertigt, es sei denn, die Beschuldigung wird vom Anzeiger wider besseres Wissen erhoben (SZ 59/190; 6 Ob 103/04x ua). Davon kann hier nach den getroffenen Feststellung aber nicht ausgegangen werden. Die dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Ausführungen des Berufungsgerichts, dem Kläger sei bei keinem der im Schreiben enthaltenen Vorwürfe der Beweis der Unwahrheit gelungen, sind vom Obersten Gerichtshof im Rahmen einer Rechtsrüge nicht überprüfbar. Soweit das Schreiben bloß Werturteile enthält, kann den Beklagte der Vorwurf der wissentlich unwahren Tatsachenbehauptungen nicht treffen. Am Interesse des Schulleiters als unmittelbaren Vorgesetzten (§ 56 Abs 2 Schulunterrichtsgesetz 1986) und des Landesschulrats (Stadtschulrats für Wien) als vorgesetzte Dienststelle (§ 3 Abs 1 Z 1 lit b Bundes-Schulaufsichtsgesetz), bei dem die Disziplinarkommission eingerichtet ist (§ 222 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 - BDG), an der Kenntnis des im Schreiben dargelegten Verhaltens des Klägers im Unterricht ein berechtigtes Interesse besteht, kann nach den besonderen Umständen dieses Falles nicht zweifelhaft sein (vgl § 2 Schulorganisationsgesetz, wonach zu den Aufgaben der Schule unter anderem die Vermittlung sittlicher Werte gehört). Die Verschwiegenheitspflicht der Mitteilungsempfänger ergibt sich aus § 46 BDG. Diese waren ohne Rücksicht auf die im Schreiben enthaltene Ankündigung, allenfalls die Presse zu informieren, nicht befugt, selbst mit den gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu treten. Die betreffende „Drohung" hebt die Vertraulichkeit der Mitteilung nicht auf.
Ein Abweichen des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt daher ebenso wenig vor wie eine unrichtige Anwendung ihrer Grundsätze auf den vorliegenden Einzelfall.
Die Revision ist daher mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Gemäß den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO hat der Kläger dem Beklagten die Kosten der Revisionsbeantwortung, die begründete Ausführungen zur Unzulässigkeit der Revision enthält, zu ersetzen.