OGH vom 19.09.2012, 3Ob157/12b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am ***** verstorbenen, zuletzt in ***** wohnhaft gewesenen DI E*****, geboren am , wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Erbansprechern I. 1. Dr. H***** und 2. Ing. M*****, beide vertreten durch Mag. Laurenz Strebl und Dr. Hannes Wallisch, Rechtsanwälte in Wien, und den Erbansprechern II. 1. M*****, und 2. K*****, beide vertreten durch Dr. Rose Marie Rath, Rechtsanwältin in Wien, infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses der Erbansprecher zu I., gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 387/11t 74, womit über Rekurs der Erbansprecher zu I. der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom , GZ 14 A 64/09g 65, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Erbansprecher zu I. wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der verwitwete und kinderlose Erblasser ist am ***** verstorben.
Die Erbansprecher zu I. haben aufgrund der formgültigen letztwilligen Verfügung des Erblassers vom je zur Hälfte des Nachlasses eine unbedingte Erbantrittserklärung abgegeben. Die Erbansprecher zu II., Neffen des Erblassers, haben gestützt auf ein Testament vom , in eventu auf das Gesetz jeweils zur Hälfte des Nachlasses eine bedingte Erbantrittserklärung mit der Begründung abgegeben, die Erbansprecher zu I. hätten ein vom Erblasser am eigenhändig errichtetes Testament, das seinem wahren Willen entsprochen habe, unterdrückt und ihm die Möglichkeit genommen, eine neue letztwillige Verfügung zu errichten, indem sie verhindert hätten, dass ein Notar oder eine sonst geeignete Person zu einer Testamentserrichtung beigezogen werde.
Das Erstgericht wies die Erbantrittserklärungen der Erbansprecher zu I. ab und sprach aus, dass das Erbrecht aufgrund des Gesetzes je zur Hälfte den beiden Erbansprechern zu II. zukomme.
Aus den ausführlichen Tatsachenfeststellungen, die sich im Kern auf die Aussage einer Zeugin stützen, ist hervorzuheben, dass der Erblasser (aus dem Kontext zu ergänzen: eigenhändig) ein Schreiben verfasst und eigenhändig unterfertigt hat, das mit Testament überschrieben war und sinngemäß folgenden Inhalt hatte:
„Ich [Erblasser] zu gleichen Teilen W***** und M*****. , Baden.“
Dem Erblasser war bewusst, dass sein Bruder W***** bereits verstorben war; mit der Angabe dieses Namens wollte er seinen Neffen K***** (Erbansprecher zu II. 2.) bedenken, den er immer wieder „W*****“ nannte und der für ihn ein „M*****“ war.
Als der Erblasser kurz vor seinem Tod aus dem Krankenhaus nach Hause kam, fand die Erbansprecherin zu I. 1. das Schreiben in einer Ringbuchmappe. Sie las es durch und nahm es mit den Worten „Man sieht, wie verwirrt E***** schon ist, weil der W***** ist ja schon tot; vielleicht brauchen wir es noch einmal“ an sich. Sie verständigte ihren Mann, den Erbansprecher zu I. 2., von dem Schreiben, der sich dahin äußerte, dass es ungültig sei; der Erblasser habe bereits alles in Ordnung gebracht. Die Erbansprecherin zu I. 1. gab das Schreiben in der Folge nicht mehr heraus.
Das Erstgericht qualifizierte das Verhalten der Erbansprecher zu I. als vorsätzliche Unterdrückung eines letzten Willens im Sinne des § 542 ABGB; sie seien daher erbunwürdig, weshalb die Erbansprecher zu II. aufgrund der gesetzlichen Erbfolge zum Zuge kämen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erbansprecher zu I. nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts: Wenn jemand ein „Schreiben“ durchlese, das die Überschrift „Testament“ trage und eine Erbeneinsetzung enthalte, so könne nicht zweifelhaft sein, dass mit dem Beiseiteschaffen dieses „Schreibens“ das Bewusstsein einhergehe, ein „Testament“ zu verheimlichen. In dieses Bild passe, dass die Erbansprecher zu I. die Existenz des Testamens („Schreibens“) überhaupt in Abrede stellten.
Rechtliche Beurteilung
In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs machen die Erbansprecher zu I. keine erhebliche Rechtsfrage geltend.
Zutreffend weisen die Erbansprecher zu I. darauf hin, dass die Entscheidung im Wesentlichen von der Lösung von Tatfragen abhängt. Der Oberste Gerichtshof teilt die Ansicht der Revisionsrekurswerber, die Tatsacheninstanzen hätten sich nur ungenügend mit der Beweiswürdigung auseinandergesetzt, nicht. Im Gegenteil liegt eine ausführliche Auseinandersetzung mit den einzelnen die Tatsachenebene betreffenden Argumenten vor.
In der Rechtsrüge argumentieren die Erbansprecher zu I., dass § 542 ABGB in Bezug auf die Testamentsunterdrückung vorsätzliches Handeln voraussetze; mit anderen Worten hätte ihnen, um die Tatbestandsmerkmale des § 542 ABGB zu erfüllen, bewusst sein müssen, dass sie eine letztwillige Erklärung unterdrücken. Sie hätten aber mit Gewissheit davon ausgehen können, dass es sich bei dem Schreiben gar nicht um eine letztwillige Verfügung handle.
Nun ist richtig, dass § 542 ABGB („Wer den Erblasser zur Erklärung des letzten Willens gezwungen, oder betrüglicher Weise verleitet, an der Erklärung, oder Abänderung des letzten Willens gehindert, oder einen von ihm bereits errichteten letzten Willen unterdrückt hat, ist von dem Erbrechte ausgeschlossen, und bleibt für allen einem Dritten dadurch zugefügten Schaden verantwortlich.“) nach einhelliger Lehre ( Welser in Rummel 3 § 542 Rz 1; Eccher in Schwimann 3 § 542 Rz 3; Apathy in KBB 3 § 542 Rz 1) und Rechtsprechung (RIS Justiz RS0012273, RS0112469) vorsätzliches Handeln voraussetzt. Die Unterdrückung führt auch dann zur Erbunwürdigkeit, wenn der letzte Wille nicht formgültig war ( Welser in Rummel 3 § 542 Rz 3), weil die Bestimmung Verfehlungen gegen den letzten Willen des Erblassers sanktionieren will.
Selbst wenn in den Feststellungen das Wort „vorsätzlich“ oder ein sinngleiches Wort nicht verwendet worden ist, so geht aus dem Gesamtkontext der (ausführlichen) Feststellungen mit der erforderlichen Klarheit hervor, dass die Erbansprecher zu I. durch die Nichtherausgabe des Schreibens vom vorsätzlich einen letzten Willen des Erblassers unterdrückt haben; der Text des „Schreibens“ kann nicht anders interpretiert werden, als dass er einen letzten Willen ausdrücken soll. Der Erbrechtsstreit drehte sich zentral um die Frage der Existenz des genannten Schreibens. Die Erbansprecher zu I. haben seine Existenz geleugnet, weshalb sie es aus ihrer Sicht auch nicht herausgeben konnten. Anders die Feststellungen, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist: Demnach hat die Erbansprecherin zu I. 1. das Schreiben an sich genommen und nicht wieder herausgegeben. Aus dem äußeren Sachverhalt war durchaus der Schluss auf das Vorliegen von Vorsatz zu ziehen (zur Beweisführung durch Indizien: RIS Justiz RS0040249 [T4]; im Anfechtungsrecht König , Anfechtung 4 Rz 7, 18).
Mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 62 Abs 1 AußStrG) ist der außerordentliche Revisionsrekurs der Erbansprecher zu I. zurückzuweisen.