OGH vom 24.04.2020, 2Ob100/19y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** K*****, vertreten durch Gradischnig Gradischnig Rechtsanwälte GmbH in Villach, gegen die beklagte Partei S***** P*****, vertreten durch Mag. Hannes Arneitz und Mag. Eva Maria Dohr, Rechtsanwälte in Villach, wegen Einwilligung in die Einverleibung einer Servitut (Streitwert 7.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 15/19m19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 7 C 311/18a12, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst wie folgt erkannt:
„Die beklagte Partei ist schuldig, in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Wohnungsgebrauchsrechts ob der Liegenschaft ***** mit dem darauf befindlichen Wohnhaus *****, ohne räumliche Einschränkung, somit insbesondere dieses Wohnhaus umfassend, gemäß der letztwilligen Verfügung vom für T***** K*****, einzuwilligen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.008,13 EUR (darin enthalten 734,69 EUR USt und 1.600 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am um ca 3 Uhr früh verstarb der Vater der Beklagten, der über viele Jahre mit der Klägerin in Lebensgemeinschaft gelebt hatte. Mit letztwilliger Verfügung vom hatte er die Beklagte als Alleinerbin eingesetzt und angeordnet, dass der Klägerin bis zu ihrem Lebensende das uneingeschränkte Wohnrecht auf seiner Liegenschaft zukommen solle. Im Zeitpunkt des Todes des Erblassers befand sich das Testament in der Nachttischschublade der Klägerin. Diese kannte den Inhalt des Testaments. Um die Mittagszeit des begab sich die Klägerin in eine Filiale der Bank des Erblassers und behob am Schalter von dessen Sparkonto den Betrag von 10.000 EUR. Des weiteren behob sie mittels Bankomatkarte von dessen Girokonto 400 EUR. Bei der anschließenden Zusammenkunft mit der Beklagten beim Bestattungsunternehmen erwähnte sie, dass sie bereits für das Begräbnis Geld abgehoben habe, der Auftrag des Begräbnisses wurde unter dem Namen der Klägerin erfasst. Letztlich wurden aber sämtliche Auslagen des Begräbnisses (ca 8.000 bis 9.000 EUR) mit Ausnahme des Trauerredners von der Beklagten bestritten. Die Beklagte erfuhr erst im Rahmen der Todesfallaufnahme beim Notar am , welchen Betrag die Klägerin abgehoben hatte und dass das Geld vom Sparkonto des Erblassers stammte. Die Klägerin übergab der Beklagten bei dieser Gelegenheit die 10.000 EUR in bar. Die Behebung der 400 EUR vom Girokonto bemerkte die Beklagte erst viel später.
Die Klägerin hatte unter den Versicherungsunterlagen des Erblassers die Polizze einer im Jahre 1989 von ihm abgeschlossenen Er- und Ablebensversicherung mit einer Versicherungsleistung von jeweils 110.000 ATS vorgefunden. Im Punkt „Zahlung der Versicherungsleistung“ war für den Fall des Ablebens der versicherten Person sofortige Zahlung vermerkt, im Punkt „Bezugsrecht“ wurde für den Fall des Ablebens der Überbringer der Versicherungsurkunde genannt.
Einige Tage vor der Todesfallaufnahme am begab sich die Klägerin mit der Versicherungsurkunde zur Bank, im Wissen darum, dass die Versicherungsleistung nach dem Ableben des Versicherungsnehmers dem bzw jedem Überbringer der Urkunde auszuzahlen war. Sie hielt es ernstlich für möglich und hatte sich auch billigend damit abgefunden, dass sie dadurch dem Verlassenschaftsvermögen einen Wert von zumindest 110.000 ATS entziehen und der Versicherung gegenüber damit vorgeben würde, rechtmäßige Inhaberin des Leistungsanspruchs zu sein.
Vom Bankmitarbeiter wurde nach Durchsicht der Urkunde über Auftrag der Klägerin das für die Auszahlung der Versicherungsleistung vorgesehene Formular mit den Daten der Klägerin versehen und zur Unterschriftsleistung durch diese ausgedruckt. Die Klägerin stand unmittelbar vor der Unterschriftsleistung zur Realisierung der Versicherung. Zur Überraschung des Bankmitarbeiters enthielt dieses Formular gegen Ende die Passage, wonach der Antragsteller an Eides Statt erkläre, die Versicherungspolizze bereits zu Lebzeiten vom Versicherungsnehmer übertragen erhalten zu haben. Dieser Passus im Formular veranlasste die Klägerin von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen und doch nicht die Unterschrift unter den Auszahlungsantrag zu setzen. Die Klägerin übergab statt dessen die Versicherungsurkunde anlässlich der Todesfallaufnahme an die Beklagte, die sich noch vor Einantwortung die Versicherungsleistung von 10.751,23 EUR zu ihren Gunsten auszahlen ließ.
Der Erblasser war Eigentümer dreier Messgeräte sowie einer goldenen Uhr gewesen. Diese Fahrnisse waren, als der Vermögensbestand des Nachlasses durch die Beklagte aufgenommen wurde, nicht im Nachlass vorhanden. Ihr Wert übersteigt keinesfalls 4.000 EUR. Zu einer NikonKamera, deren Wert 500 EUR nicht übersteigt, gab die Klägerin an, dass ihr diese vom Erblasser zu Lebzeiten geschenkt worden sei. Zu einer Hantelbank, deren Wert 500 EUR ebenfalls nicht übersteigt, äußerte sie, dass diese von ihr gekauft worden und in ihrem Eigentum verblieben sei. Zwischen den Parteien besteht Uneinigkeit über das aktuelle Eigentum an der Einrichtung eines Schlafzimmers im Landhausstil sowie der Wohnzimmereinrichtung und zweier Esstische. Der Wert dieser Fahrnisse zum steht nicht fest.
Mit Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom wurde der Beklagten der gesamte Nachlass rechtskräftig eingeantwortet.
Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Wohnungsgebrauchsrechts ob der Liegenschaft des Erblassers mit dem darauf befindlichen Wohnhaus ohne räumliche Einschränkung, somit insbesondere dieses Wohnhaus umfassend, gemäß der letztwilligen Verfügung vom für die Klägerin einzuwilligen.
Die Beklagte wandte ua ein, dass die Klägerin erbunwürdig iSd § 539 ABGB sei. Diese habe versucht, eine in den Nachlass fallende Lebensversicherungssumme von mehr als 10.000 EUR durch Vorlage der auf Überbringer lautenden Polizze zu lukrieren. Dadurch sei das Tatbild eines versuchten schweren Betrugs zum Nachteil der Verlassenschaft verwirklicht worden. Die Klägerin habe der Verlassenschaft überdies diverse Fahrnisse (eine goldene Uhr, drei Messgeräte im Wert von 3.000 EUR, Einrichtungsgegenstände im Wert von 6.000 EUR) entzogen und noch am Sterbetag vom Sparkonto des Erblassers widerrechtlich 10.000 EUR sowie von dessen Girokonto 400 EUR behoben.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte noch fest, dass die Klägerin die Bank mit dem Vorhaben aufgesucht habe, die Versicherungsleistung für sich zu lukrieren.
Rechtlich erörterte es, für die Erbunwürdigkeit nach § 539 ABGB genüge auch der Versuch einer Straftat. Dem Täter komme weder die Verjährung noch der Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue zu Gute, sodass dies auch für den Strafaufhebungsgrund des hier relevanten (freiwilligen) Rücktritts vom Versuch nach § 16 StGB gelten müsse. Der Klägerin sei das Begehen eines versuchten schweren Betrugs nach § 15, 146, 147 Abs 2 StGB gegen die Verlassenschaft anzulasten. Sie verliere dadurch ihren Anspruch auf das testamentarisch eingeräumte Wohnrecht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und hob das erstinstanzliche Urteil auf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Das Berufungsgericht ließ die die oben kursiv wiedergegebene Feststellung bekämpfende Tatsachenrüge der Klägerin mangels rechtlicher Relevanz unerledigt. Es ließ auch die Frage offen, ob das Handeln der Klägerin tatsächlich als strafbarer Versuch zu beurteilen sei. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, sei es jedenfalls nicht angemessen, den Strafaufhebungsgrund des § 16 StGB nur im Strafverfahren und nicht auch bei Beurteilung der Erbunwürdigkeit nach § 539 ABGB zu berücksichtigen. Mit dem versuchten Lukrieren der Versicherungsleistung lasse sich somit eine Erbunwürdigkeit der Klägerin nicht begründen. Zu den übrigen geltend gemachten Erbunwürdigkeitsgründen fehlten allerdings noch ausreichende Feststellungen.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine Erbunwürdigkeit nach § 539 iVm § 543 Abs 2 ABGB durch Rücktritt vom Versuch gemäß § 16 StGB nachträglich wieder beseitigt werden könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; er ist – das Verbot der reformatio in peius gilt im Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts nicht (RS0043939) – im Sinn der Klagestattgebung auch berechtigt.
Die Beklagte stützt sich in ihrem Rechtsmittel vor allem auf die Auslegung des Wortlauts des § 539 ABGB unter Hinweis auf Regelungen in anderen Gesetzesbestimmungen. Dort werde im Tatbestand jeweils genau zwischen der Notwendigkeit einer gerichtlich strafbaren Handlung oder einer strafgerichtlichen Verurteilung unterschieden. Da § 539 ABGB nur auf die gerichtlich strafbare Handlung abstelle, komme es auf die Frage, ob dieses Verhalten auch konkret strafbar sei, nicht an. Weiters verweist die Rechtsmittelwerberin auf die tätige Reue und die Verjährung, die bei Beurteilung der Erbunwürdigkeit ebenfalls nicht berücksichtigt würden.
Die Klägerin macht geltend, sie habe keine Erbunwürdigkeit zu vertreten, wenn sie infolge eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch nicht bestraft hätte werden können. Es wäre unbillig, wenn die Regeln über den freiwilligen Rücktritt vom Versuch im strafrechtlichen Sinn nicht auch im Zivilrecht angewendet werden müssten.
Hierzu wurde erwogen:
1. Aufgrund des Todeszeitpunkts des Erblassers sind gemäß § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB auf den Sachverhalt die einschlägigen Bestimmungen idF des ErbRÄG 2015 anzuwenden. Es ist daher zu prüfen, ob die Klägerin gegen die Verlassenschaft „eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist“ (§ 539 ABGB idF des ErbRÄG 2015). Die in diesem Fall bestehende Erbunwürdigkeit führte auch zur hier strittigen Legatsunwürdigkeit (7 Ob 43/07k; RS0012264).
Zu diesem Zweck ist das Verhalten der Klägerin zunächst strafrechtlich zu beurteilen (unten Punkt 2). In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob auf der Grundlage dieser strafrechtlichen Beurteilung der Tatbestand des § 539 ABGB erfüllt ist (unten Punkte 3 und 4).
2. Aus ist die Klägerin in strafbefreiender Weise (§ 16 StGB) vom Versuch eines schweren Betrugs (§§ 15, 146, 147 Abs 2 StGB) zurückgetreten.
2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass es für die Frage der Tatbildlichkeit des Verhaltens der Klägerin als (versuchter) schwerer Betrug auf die vom Erstgericht getroffene, von der Klägerin bekämpfte Feststellung nicht ankommt: Denn nach den Feststellungen lag bei der Klägerin bedingter Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) in Bezug auf die Tatbildelemente des Betrugs vor. Da die vom Vorsatz umfasste unrechtmäßige Bereicherung eines Dritten ausreicht, kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin die Versicherungsleistung für sich lukrieren wollte.
2.2. Nach § 15 Abs 1 StGB ist die Tat versucht, sobald der Täter seinen Entschluss, sie auszuführen oder einen anderen dazu zu bestimmen (§ 12), durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt. Strafbarer Versuch beginnt, wenn das Täterverhalten mit der geplanten Tat schon in einem derart sinnfälligen Zusammenhang steht, dass es direkt auf sie ausgerichtet ist und nach den Zielvorstellungen des Täters in unmittelbarer Folge in die Ausführung übergehen soll (RS0089871).
Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin mit der Vorlage der Polizze an den Bankmitarbeiter eine (tatplangemäße) Täuschungs, somit Ausführungshandlung gesetzt und war damit in das Versuchsstadium eingetreten.
2.3. Gemäß § 16 Abs 1 erster Halbsatz StGB wird der Täter wegen des Versuchs oder der Beteiligung daran nicht bestraft, wenn er freiwillig die Ausführung aufgibt.
Zum hier maßgeblichen Kriterium der Freiwilligkeit hat die Rechtsprechung folgende Kriterien herausgearbeitet: Freiwillig ist der Rücktritt vom Versuch, wenn sich der Täter sagt, er könnte die Tat vollenden, aber er wolle es überhaupt nicht oder wenigstens nicht jetzt. Dafür können auch äußere Umstände – wie etwa ein Appell des Opfers – maßgebend sein, sofern beim Täter gleichwohl die Vorstellung erhalten bleibt, dass eine dem Tatplan entsprechende Vollendung der Tat noch möglich wäre (RS0089877; vgl auch RS0089897), ihr also auch (wenigstens zum Teil) keine tatsächlichen oder vermeintlichen Hindernisse entgegenstehen (RS0090216). Freiwilligkeit liegt vor, wenn der Täter aus eigenem Antrieb von einem von ihm für durchführbar gehaltenen deliktischen Vorhaben ablässt. Dies trifft etwa nicht bei Furcht vor drohender Entdeckung zu (RS0089989). Der Rücktritt ist freiwillig, wenn er aus autonomen (keineswegs aber zwingend ethisch wertvollen) Motiven erfolgt (RS0089892). Dabei schadet es nicht, wenn der Täter von der Deliktsvollendung aus Furcht vor Entdeckung oder Strafe Abstand nimmt (RS0089813). Die Freiwilligkeit des Rücktritts fehlt jedoch, wenn der Täter nicht aus (allgemeiner) Furcht vor Entdeckung und Strafe die Ausführung der Tat aufgibt, sondern weil er sich infolge der konkreten Befürchtung, entdeckt zu werden, aufgrund der gegebenen Situation (Tatsituation) außer Stande fühlt, den Tatplan zu Ende zu führen (RS0089862).
Nach diesen Kriterien ist hier die Freiwilligkeit des Rücktritts zu bejahen: Die Klägerin konnte keinesfalls annehmen, dass ihr die Versicherungssumme anonym ausgezahlt würde; sie musste daher von vornherein mit einer Unterschriftsleistung rechnen. Dass das ihr vorgelegte Formular eine Erklärung zu ihrer Berechtigung enthielt, führte ihr zwar in besonderer Weise die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens vor Augen, vergrößerte aber nicht die Gefahr der Entdeckung. Vielmehr konnte sie weiterhin darauf hoffen, dass ihr die Versicherungssumme ausgezahlt würde, ohne dass der Gerichtskommissär oder die Erbin davon erführe. Dennoch nahm sie aus Eigenem von der Vollendung ihres Vorhabens Abstand, ohne durch äußere Umstände oder die Vorstellung, das Vorhaben nicht vollenden zu können, daran gehindert gewesen zu sein.
3. Damit stellt sich die Frage, ob der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch der Anwendung von § 539 ABGB entgegensteht. Die Rechtsprechung hat sich dazu bisher nicht geäußert; die Literatur sieht den Rücktritt überwiegend als irrelevant an:
3.1. Nach ist erbunwürdig, wer gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, sofern der Verstorbene nicht zu erkennen gegeben hat, dass er ihm verziehen hat. Wer nach dem Erbanfall eine gerichtlich strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft iSd § 539 ABGB begeht, verliert gemäß § 543 Abs 2 ABGB nachträglich seine Erbfähigkeit. Die Bestimmung des § 539 ABGB entspricht weitgehend dem früheren § 540 ABGB, erweitert die Erbunwürdigkeit aber auf strafbare Handlungen gegen die Verlassenschaft (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5).
3.2. Nach den sollen mit dem neu gefassten § 539 ABGB strafbare Handlungen wie etwa Unterschlagung, Zerstörung oder Diebstahl von in der Verlassenschaft befindlichen Sachen oder die widerrechtliche Kontobehebung mit Bereicherungsvorsatz zur Erbunwürdigkeit führen, weil dadurch der letzte Wille des Verstorbenen oder die gesetzliche Erbfolge faktisch vereitelt würden (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5). Straftaten gegen die Verlassenschaft werden demnach deshalb berücksichtigt, weil damit de facto „in die vom Erblasser hinterlassene Ordnung“ eingegriffen wird (so Likar-Peer in Klang³ § 540 Rz 68; Welser, Erbrechts-Kommentar § 540 Rz 10). Das ist im vorliegenden Fall das vom Erblasser hinterlassene Testament, das die Beklagte zur Alleinerbin bestimmt.
3.3. Einigkeit besteht in Rechtsprechung und Lehre darin, dass bei Vorliegen von strafrechtlichen - oder Erbunwürdigkeit nicht eintreten kann (6 Ob 636/93 [mangelnde Zurechnungsfähigkeit]; 6 Ob 286/07p [mutmaßliche Einwilligung]; RS0123753; Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von „betrügerischer Krida“ [§ 156 StGB] im Familienkreis? NZ 2019/124, 361; Likar-Peer in Klang³ § 540 Rz 9 ff; Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 539 Rz 6; Welser, Erbrechts-Kommentar § 539 Rz 6 ff). Das folgt schon daraus, dass selbst tatbestandsmäßiges Handeln bei fehlender Schuld des Täters oder fehlender Rechtswidrigkeit der Tat nicht strafbar ist.
3.4. Nach ständiger führt auch der einer strafbaren Handlung zur , weil dieser gemäß § 15 StGB der vollendeten Tat gleichgestellt ist (6 Ob 286/07p mwN; RS0014988; Apathy/Neumayr in KBB5 §§ 539–541 Rz 2). Nicht geäußert hat sich der Oberste Gerichtshof aber bisher zu der Frage, ob der (§ 16 StGB) die bereits eingetretene Erbunwürdigkeit wieder beseitigen kann. Strafrechtlich handelt es sich dabei – ebenso wie bei der tätigen Reue – um einen Strafaufhebungsgrund (Hager/Massauer in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 16 Rz 126; Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 167 Rz 1).
In der Entscheidung 1 Ob 175/99p, die sich mit den Folgen der Unterdrückung eines vom Erblasser errichteten letzten Willens gemäß § 542 ABGB aF befasste, ließ der Oberste Gerichtshof die Frage, ob die bestehende Erbunwürdigkeit allenfalls durch tätige Reue beseitigt werden könne, in Ermangelung des Erfordernisses der „Freiwilligkeit“ als innere Umkehr dahingestellt; das gleiche gelte auch dann, wenn man die Rechtsfolgen des Rücktritts vom Versuch (§§ 15, 16 StGB) „ins Spiel bringen“ wollte.
3.5. In der wird zu den Strafaufhebungsgründen – allerdings ohne nähere Begründung – vor allem für die tätige Reue überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Erbunwürdigkeit nicht beseitigt wird (vgl Kralik, Erbrecht³ 36; Welser, Erbrechts-Kommentar § 539 Rz 8; Werkusch-Christ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05§ 539 Rz 1; generell zu „Strafausschließungsgründen“ Likar-Peer in Klang³ § 540 Rz 9).
Zweifelnd äußern sich – allerdings zur Enterbung – Bittner/Hawel (in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05§ 770 Rz 1): Während die Verjährung die Enterbungstauglichkeit der Tat nicht beseitige, erscheine es fraglich, ob dies auch für andere Strafaufhebungsgründe, wie Rücktritt vom Versuch oder tätige Reue gelte, weil die Strafbarkeit in diesen Fällen nicht durch objektive, die Tat oder den Täter betreffende Kriterien, sondern durch die Wiederherstellung der Rechtssphäre des Verletzten aufgehoben werde.
Auch Nemeth (in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 539 Rz 6) vermeidet es, sich festzulegen. Sie sieht eine mögliche Begründung für die herrschende Ansicht darin, dass Verjährung, tätige Reue oder Rücktritt vom Versuch zwar die Notwendigkeit der Bestrafung des Täters beseitigen würden, nicht aber die „Verwerflichkeit“ der Tat selbst.
4. Nach Auffassung des Senats schließt ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch die Annahme von Erbunwürdigkeit aus.
4.1. § 539 ABGB knüpft an die Begehung einer „gerichtlich strafbaren Handlung“ an. Dieser Begriff hat in der strafrechtlichen Rechtsprechung einen eindeutigen Inhalt: Eine strafbare Handlung liegt dann und nur dann vor, wenn ein Verhalten sein kann (17 Os 3/18x EvBl 2018/149 [Ratz] = RS0132159), wenn es also tatbestandsmäßig, rechtswidrig und (von § 21 Abs 1 StGB abgesehen) schuldhaft ist und (13 Os 53/02 = RS0090571 [T2]; 12 Os 44/04 = RS0119223; 13 Os 107/14f; 13 Os 1/15v; 13 Os 114/15m; 17 Os 3/18x; 13 Os 40/18h, 12 Os 136/18v; vgl auch 1 Ob 116/17s und 7 Ob 11/17v; ebenso Ratz in WK2 StGB Vor § 28–31 Rz 1; Lässig in WK2 FinStrG Vorbem Rz 7; Hinterhofer/Oshidari, System des österreichischen Strafverfahrens [2017] Rz 1.12; Fuchs/Zerbes, Strafrecht Allgemeiner Teil I10 [2018] Rz 6/2). Zu diesen zusätzlichen Voraussetzungen gehört – wie sich bereits aus der Bezugnahme auf § 260 Abs 1 Z 2 StPO ergibt – insbesondere das (17 Os 3/18x; dazu Ratz, EvBl 2018/149 [„Strafausschließungsgrund iwS“]) und von (Liebhauser-Karl/Riffel, Großverfahren in Wirtschaftsstrafsachen, RZ 2018, 243 [FN 71]; vgl [zu § 313 StPO]13 Os 129/16v; 15 Os 9/16m sowie [zum Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit nach § 65 StGB] 11 Os 84/17p).
4.2. Knüpft der Gesetzgeber eine zivilrechtliche Rechtsfolge an das Vorliegen einer „strafbaren Handlung“ an, so ist aus Gründen anzunehmen, dass dieser Begriff im oben genannten Sinn zu verstehen ist. Denn es wäre in sich widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber zwar auf strafrechtliche Begrifflichkeit zurückgriffe, diese jedoch in einem anderen Sinn verstanden wissen wollte als in ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich. Vielmehr folgt aus der Einheit der Rechtsordnung zumindest im Grundsatz auch die Einheit der Rechtssprache (1 Ob 22/91). Folgerichtig ist der Oberste Gerichtshof auch zu § 1328 ABGB vom hier vertretenen Verständnis des Begriffs „strafbare Handlung“ ausgegangen (7 Ob 11/17v SZ 2017/51).
4.3. Es ist nicht ausgeschlossen, dass historische oder objektiv-teleologische Auslegung trotz dieses systematischen Zusammenhangs zu einem abweichenden Begriffsverständnis führen kann. Für den Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch trifft das aber nicht zu:
(a) Den Materialien zum ErbRÄG 2015 (668 BlgNR 25. GP, zu § 539 ABGB) ist nicht zu entnehmen, dass eine vom strafrechtlichen Verständnis abweichende Begriffsbildung gewollt gewesen wäre. Es wird lediglich auf die „weitgehend“ entsprechende Vorgängerbestimmung des § 540 ABGB aF verwiesen und eine Begründung für die Aufnahme von strafbaren Handlungen gegen den Nachlass angeführt (oben 3.2.).
(b) § 16 StGB soll den Täter dafür belohnen, dass er die Tatausführung freiwillig aufgibt oder bewirkt, dass die Tat nicht vollendet wird. Denn mit dieser Rückkehr in die Legalität beseitigt er den korrumpierenden Eindruck der Tat auf die Gemeinschaft und verdient deswegen Nachsicht (Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht, Allgemeiner Teil15 [2016] 151 mwN). Das Strafrecht anerkennt somit den Sinneswandel des Täters als Grund, vom bereits eingetretenen Strafanspruch des Staats abzusehen.
Dieser Gedanke kann auf die Erbunwürdigkeit wegen Begehens einer strafbaren Handlung übertragen werden: Wie Kralik (Erbrecht [1982] 35) zutreffend ausführt, beruht die diesbezügliche Regelung auf zwei Erwägungen: Der Gesetzgeber nimmt an, dass eine strafbare Handlung den Erblasser, wenn er davon weiß oder wüsste, so verletzt oder verletzen würde, dass er dem Täter keine erbrechtlichen Vorteile mehr zugewendet wissen will oder wissen wollte (6 Ob 286/07p SZ 2008/94); und er sieht das Verhalten wegen dessen (qualifizierter) Strafbarkeit auch objektiv als so schwerwiegend an, dass ein solcher Wille gerechtfertigt ist oder gerechtfertigt wäre.
Im Gegensatz dazu liegt ein solcher (tatsächlicher oder hypothetischer) Wille des Erblassers zumindest nicht auf der Hand, wenn der Erbe oder Legatar freiwillig vom Versuch einer strafbaren Handlung absteht, und der dadurch verwirklichte Strafaufhebungsgrund lässt darauf schließen, dass dessen Verhalten nach der Wertung des Gesetzes auch objektiv nicht mehr so schwer wiegt, dass es eine Erb- oder Legatsunwürdigkeit rechtfertigen könnte. Auf dieser Grundlage wäre es nicht verständlich, wenn das Strafrecht den Sinneswandel des Täters belohnte, das Erbrecht hingegen nicht. Ein Grund für eine vom Strafrecht abweichende Begriffsbildung ist daher jedenfalls in dieser Fallgestaltung nicht zu erkennen.
(c) Gegen diese Auffassung könnte zwar eingewendet werden, dass die Erbunwürdigkeit nach § 539 ABGB schon mit dem (zunächst strafbaren) Versuch eingetreten sei und daher nach dem Wortlaut des Gesetzes nur noch durch Verzeihung beseitigt werden könnte. Dabei handelt es sich aber um ein reines Wortlautargument, das die dargestellten systematischen und teleologischen Erwägungen nicht entscheidend zu entkräften vermag. Zudem kann der Wortlaut von § 539 ABGB auch anders verstanden werden: Die Bestimmung zwingt nicht zu einer Zerlegung eines einheitlichen Lebenssachverhalts in einzelne Teile. Vielmehr kann die Frage, ob jemand eine strafbare Handlung begangen „hat“, auch aufgrund einer Gesamtbetrachtung beantwortet werden, die (jedenfalls) auch strafaufhebendes Verhalten des Täters mit einbezieht.
Dass Erbunwürdigkeit wegen einer strafbaren Handlung nach der Rechtsprechung „ipso iure“ wirkt (vgl etwa 2 Ob 53/18k; 2 Ob 125/18y), bedeutet nur, dass sie ohne weiteres Zutun des Erblassers eintritt. Aus dieser Formulierung lässt sich daher ebenfalls nicht ableiten, dass eine (jedenfalls) auch strafaufhebendes Verhalten des Täters einbeziehende Gesamtbetrachtung unzulässig wäre.
4. Der Senat gelangt daher zum Ergebnis, dass . Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Sache damit aber spruchreif im Sinne der Klagestattgebung:
Nähere Feststellungen zu den möglicherweise abhanden gekommenen Fahrnissen des Erblassers sind nicht erforderlich. Denn deren für die Strafdrohung maßgebender Wert (§ 128 Abs 1 Z 5 StPO) übersteigt – soweit er überhaupt feststellbar war und insofern unbekämpft – in Summe (vgl RS0090730) nicht 5.000 EUR, sodass die nach § 539 ABGB erforderliche Strafdrohung nicht erreicht und die Beklagte daher ihrer diesbezüglichen Beweispflicht nicht nachgekommen ist (vgl Likar-Peer in Klang3§ 540 Rz 18; Apathy/Neumayr in KBB5 §§ 539–541, Rz 1; Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 Vor § 539 Rz 12). In Bezug auf die Behebung von 10.000 EUR ergibt sich aus den insoweit ebenfalls unbekämpften Feststellungen kein für die einschlägigen Vermögensdelikte erforderlicher Vorsatz auf Schädigung und unrechtmäßige Bereicherung. Erbunwürdigkeit iSd § 539 ABGB scheidet daher auch insoweit aus. Auf die Frage, ob und unter welchen Umständen bei strafbaren Handlungen gegen den Nachlass § 166 StGB anzuwenden sein könnte, kommt es daher nicht an.
6. Damit ermöglicht der Rekurs eine Entscheidung in der Sache: Da die Klägerin nicht erbunwürdig ist, hat die Beklagte in die Einverleibung des testamentarisch zugunsten der Klägerin verfügten Wohnungsgebrauchsrechts einzuwilligen. Dem Klagebegehren ist daher stattzugeben.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41, 50 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00100.19Y.0424.000 |
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