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OGH vom 22.02.2001, 6Ob10/01s

OGH vom 22.02.2001, 6Ob10/01s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am ***** verstorbenen Franz M*****, wegen Bestimmung eines Anerben, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin Marianne U*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 55 R 126/00a-148, womit über den Rekurs der Antragstellerin (und einer weiteren Antragstellerin) der Beschluss des Bezirksgerichtes Mittersill vom , GZ 1 A 117/95s-144, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am verstorbene Erblasser war Alleineigentümer einer Landwirtschaft im Land Salzburg. Die Erbhofeigenschaft wurde rechtskräftig festgestellt. Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Seine Eltern und Großeltern sind vorverstorben. Eine letztwillige Anordnung wurde nicht errichtet. Zahlreiche Nachkommen der Großeltern väterlicherseits und der Geschwister des Vaters des Erblassers haben auf Grund des Gesetzes bedingte Erbserklärungen abgegeben. Die Miterben konnten sich über die Bestimmung des Anerben nicht einigen. Acht Miterben beantragten, sie als Anerben gerichtlich zu bestimmen. Im Revisionsrekursverfahren ist nur mehr strittig, ob Christine H*****, mit dem Erblasser im fünften Grad verwandt, oder Marianne U*****, mit dem Erblasser im vierten Grad verwandt, zur Anerbin zu bestellen ist.

Das Erstgericht bestimmte im zweiten Rechtsgang neuerlich Christine H***** (im Folgenden: die bestellte Anerbin) zur Anerbin. Es stellte zu den persönlichen Verhältnissen der beiden Antragstellerinnen Folgendes fest:

Die bestellte, am geborene Anerbin habe ein Jahr die landwirtschaftliche Schule besucht und sei auf einem Bauernhof aufgewachsen. Dort habe sie bis zu ihrer Verehelichung mit dem Sohn der "G*****" gearbeitet. Nach ihrer Verehelichung sei sie auf deren mittelgroßen Hof mit ca 11 bis 12 ha Grundfläche gezogen. Sie bewohne gemeinsam mit ihrem Mann und den beiden minderjährigen Kindern drei Zimmer. Für ihre Mitarbeit auf dem Hof beziehe sie kein Entgelt. Die Schwiegermutter gewähre freie Verpflegung in Form von Grundnahrungsmitteln. Der Ehemann der Anerbin helfe im Sommer in der Landwirtschaft seiner Mutter unentgeltlich mit. In den Wintermonaten von Mitte Dezember bis Ende März sei er bei einem Seilbahnunternehmen beschäftigt. Im Zeitraum Dezember 1998 bis April 1999 habe er ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 6.827 S erzielt. Er gehe hin und wieder Baggerarbeiten nach. Hiefür erhalte er kein Entgelt, dürfe den Bagger aber privat nutzen. In den Jahren 1998 und 1999 habe er keine Arbeitslosenunterstützung bezogen. Über eine allfällige Übergabe des Hofes an den Ehemann der Anerbin hätten bisher keine Gespräche mit der Hofbesitzerin stattgefunden. Die Anerbin sei vermögenslos.

Die am geborene Antragstellerin Marianne U***** sei die Tochter eines Bauern. Sie habe die landwirtschaftliche Lehre abgeschlossen und bis zu ihrem 30. Lebensjahr auf dem Bauernhof gearbeitet. Sie sei Alleineigentümerin der von ihr und ihrem Ehemann um ca 200.000 S umgebauten, verpachteten "*****alpe" mit einem Flächenausmaß von 104 ha. Sie habe in den Jahren 1998 und 1999 je 50.000 S an Pachteinnahmen bezogen, im Jahr 1997 25.000 S. Für die Ausübung der Jagd bezahle die Gemeinde an die Antragstellerin 25.000 S netto jährlich. Sie bewohne den ersten Stock eines Wohnhauses, das in ihrem Hälfteeigentum stehe. Ihre 30-jährige Tochter sei unentgeltlich im Erdgeschoss untergebracht. Aus der Vermietung des Dachgeschosses habe die Antragstellerin in den Jahren 1997 bis 1999 Einnahmen von jährlich 20.000 S netto erzielt. Ihr Ehemann verdiene in den Sommermonaten (Mai bis Oktober) als Maschinist durchschnittlich 14.000 bis 16.000 S netto monatlich. Im Winter beziehe er eine Arbeitslosenunterstützung von ca 9.000 S netto monatlich. Die Antragstellerin sei Hausfrau. Sie beziehe keine Pension.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass die Antragstellerin im Sinne des § 3 Abs 1 Z 3 AnerbenG auf Grund ihrer Einkünfte aus eigenem Vermögen anderweitig versorgt sei. Überdies könnte sie aus der Wohnung im Erdgeschoss des Wohnhauses ein weiteres Einkommen erzielen. Die bestellte Anerbin hingegen sei wirtschaftlich von ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter abhängig. Sie habe nicht auf einen anderen Bauernhof eingeheiratet. Die derzeit noch nicht absehbare Hofübergabe an ihren Ehemann bleibe außer Betracht. Die Anerbin habe auch nur einen geringen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehemann im Hinblick auf dessen geringes Einkommen und die beiden Sorgepflichten für die minderjährigen Kinder.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es teilte seine Auffassung über die anderweitige Versorgung der Antragstellerin. Die Mitarbeit der bestellten Anerbin auf dem Hof der Schwiegermutter sei nicht arbeitsrechtlichen Kriterien zu unterstellen. Es könne nur der Wert der Naturalversorgung für die Mitarbeit am Hof in Anschlag gebracht werden. Die Versorgungssituation der bestellten Anerbin sei ungleich schlechter als diejenige der Antragstellerin. Feststellungen über entgeltliche Baggerarbeiten des Ehemanns der Anerbin hätten nicht getroffen werden können. Mutmaßungen der Antragstellerin zu diesem Thema könnten an der Beweissituation nichts ändern. Allfällige freiwillige Verzichtsleistungen ihres Ehemanns könnten bei der Frage der anderweitigen Versorgung der bestellten Anerbin nicht in Anschlag gebracht werden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Antragstellerin die Abänderung dahin, dass sie zur Anerbin bestimmt werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nach bewilligter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig. Er ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichtes zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach den Auswahlkriterien des § 3 Abs 1 Z 1 und 2 AnerbenG sind zunächst jene Nachkommen des Erblassers zu Anerben berufen, die zur Land- und Forstwirtschaft erzogen werden oder wurden. Trifft diese Voraussetzung für mehrere Nachkommen zu, wird derjenige bevorzugt, der auf dem Erbhof aufwächst oder aufgewachsen ist. Miterben, auf die diese Voraussetzungen zutreffen, scheiden jedoch dann als Anerben aus, wenn sie anderweitig versorgt sind und in derselben Linie Nachkommen vorhanden sind, für die das nicht zutrifft (Z 3 leg cit). Bleiben nach der in der zitierten Gesetzesstelle vorgenommenen Auslese noch mehrere gleich nahe Miterben übrig, die als Anerben in Betracht kommen, gilt mangels eines anderslautenden örtlichen Brauchs Ältestenrecht (§ 3 Abs 2 Z 2 leg cit). Unter Erziehung zur Land- und Forstwirtschaft ist jene Ausbildung zu verstehen, die die für die Führung eines derartigen Betriebes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, und zwar unabhängig davon, ob sie in einer Fachschule, Hochschule und auf dem Hof selbst erfolgte (6 Ob 254/00x mwN).

Die Versorgung der beiden Antragstellerinnen ist die im Rechtsmittelverfahren entscheidende Frage. Auf den näheren Verwandtschaftsgrad käme es nur dann an, wenn bei beiden Frauen von einer Versorgung oder Nichtversorgung auszugehen wäre. Die Rekurswerberin steht auf dem Standpunkt, dass auf Grund ihrer geringen eigenen Einkünfte und eines ebenfalls nur geringfügigen gesetzlichen Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Ehegatten keine Versorgung im Sinne des § 3 Abs 1 Z 3 AnerbenG vorliege und dass die bestellte Anerbin sogar besser versorgt sei. Zu diesem Thema geht die Rekurswerberin allerdings nur teilweise von den getroffenen Feststellungen aus. Danach verfügt sie über jährliche Eigeneinkünfte von 95.000 S 50.000 S Pachterlöse, 25.000 S Jagdeinnahmen und 20.000 S Mieteinnahmen), monatlich also über rund 8.000 S. Zusätzlich hat die Rekurswerberin gegenüber ihrem Ehegatten einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch auf der Basis einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von rund 12.000 S. Der Unterhaltsanspruch ist allerdings nach der in ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung als Orientierungshilfe herangezogenen 40 %-Regel, wonach der Unterhaltsberechtigte mit eigenem Einkommen Anspruch auf 40 % des gemeinsamen Einkommens abzüglich des Eigeneinkommens hat (6 Ob 217/00f mwN), höchstens marginal. Der erkennende Senat hatte sich erst jüngst mit der Frage zu beschäftigen, wie hoch der Unterhaltsanspruch eines Miterben, der die Bestimmung zum Anerben anstrebt, sein muss, damit von einer anderweitigen Versorgung im Sinne des Anerbenrechts ausgegangen werden kann und ist zum Ergebnis gelangt, dass der Unterhaltsanspruch einer verheirateten, über kein weiteres Einkommen verfügenden Miterbin gegen ihren Ehegatten sie nur dann materiell absichern könne, wenn sie damit einen zumindest angemessenen Versorgungsgrad erreiche. Dabei könnten der unpfändbare Freibetrag des § 291a EO oder der Richtsatz für die Ausgleichszulage nach den Sozialversicherungsgesetzen als Orientierungshilfe dienen (6 Ob 254/00x). Hier geht es nicht um den Unterhaltsanspruch der Miterbin als Versorgungsgrundlage, sondern um das festgestellte Eigeneinkommen. Nach der Höhe dieses Eigeneinkommens im Vergleich zu den gesetzlichen Bestimmungen über das Existenzminimum könnte noch nicht von einer anderweitigen angemessenen Versorgung ausgegangen werden. In der Vorentscheidung wurde jedoch auf die jeweils maßgeblichen besonderen Umstände des Einzelfalls hingewiesen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen können. Anders als in der zitierten Vorentscheidung ist hier der Umstand zu berücksichtigen, dass die Eigeneinkünfte der Rekurswerberin aus ihrem erheblichen Vermögen stammen (Almgrundstücke von 104 ha; Hälfteeigentum einer Liegenschaft mit Wohnhaus) und dass sie in der Lage ist, ihre Wohnbedürfnisse schon durch das Wohnen im eigenen Haus zu befriedigen, sodass sich die für die Höhe des Existenzminimums maßgebliche Bedarfskomponente um die Mietkosten reduziert. Bei den festgestellten Einkommens- und Vermögensverhältnissen ist die Rechtsansicht des Rekursgerichtes über eine anderweitige Versorgung der Rekurswerberin zu billigen, ohne dass es auf die vom Rekursgericht angenommene weitere Verdienstmöglichkeit (die Rekurswerberin könnte von ihrer im selben Haus wohnenden Tochter einen Mietzins verlangen) noch ankäme. Insoweit die Rekurswerberin gegen die Heranziehung der Pachterlöse Investitionen von 200.000 S ins Treffen führt, die erst die Erzielung eines höheren Pachtzinses ermöglicht hätten, geht sie von dem nicht festgestellten Sachverhalt aus, dass die Investitionen im Kreditweg und von ihr allein geleistet wurden, dass also eine zurückzuzahlende Kreditschuld den erzielbaren Ertrag mindere. Ein solcher Sachverhalt wird im Rekurs allerdings konkret nicht releviert.

Mit dem zweiten Teil ihres Rechtsmittelvorbringens versucht die Rekurswerberin darzulegen, dass auch die bestellte Anerbin anderweitig und sogar besser versorgt sei. Wenn sie dazu auf "gesicherte" Erbaussichten des Ehemanns der bestellten Anerbin verweist, so ist dem entgegenzuhalten, dass bei der Erwartung einer Hofübergabe oder einer Erbschaft grundsätzlich nie von einem gesicherten Vermögen, sondern nur von Hoffnungen ausgegangen werden kann und dass diese Erwartung nur das künftige Vermögen des Ehegatten und nicht der Anerbin selbst betreffen. Auch die weiteren Argumente der Rekurswerberin, die Anerbin sei auf Grund eines von ihrem Ehemann erzielbaren Einkommens als versorgt anzusehen und sie müsste ein Entgelt für ihre Tätigkeit auf dem Hof ihrer Schwiegermutter verlangen, sind aus dem Unterhaltsrecht abgeleitete Argumente, die bei der Beurteilung der Versorgung eines Miterben, der Anerbe werden will, nicht ausschlaggebend sind. Ehegatten können ihre Lebensverhältnisse einverständlich regeln, sich also dazu entschließen - etwa in Erwartung einer Erbschaft - im Familienverband auf einem bäuerlichen Hof der Eltern zu arbeiten und zu wohnen, auch wenn dabei nur ein geringes oder auch nur ein Naturaleinkommen erzielt wird und gleichzeitig in einem anderen Beruf ein wesentlich höheres Einkommen erzielbar wäre. Wenn eine solche einverständliche Lebensgestaltung der Eheleute existiert, kann ein Ehegatten davon nicht einseitig abgehen und vom anderen einen auf ein fiktives höheres Einkommen gestützten Unterhalt begehren. Jedenfalls besteht keine gesetzliche Grundlage, dass ein Ehegatte im Interesse eines konkurrierenden Miterben zu einer Kündigung einer die ehelichen Verhältnisse regelnden Vereinbarung verpflichtet wäre.

Insoweit der Revisionsrekurs Nebeneinkünfte des Ehegatten der bestellten Anerbin aus einer "Pfuschertätigkeit" als Baggerfahrer releviert, geht das Rechtsmittel nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

Die Gegenüberstellung der dargelegten Verhältnisse der Rekurswerberin und der bestellten Anerbin zeigen klar auf, dass bei Letzterer eine anderweitige Versorgung im Sinne des § 3 Abs 1 Z 3 AnerbenG nicht vorliegt:

Die bestellte Anerbin hat gegenüber ihrem Ehegatten, selbst wenn man vom Bezug eines Arbeitslosenentgelts in den Sommermonaten ausgeht, keinen nennenswerten Unterhaltsanspruch. Entscheidend ist hiefür neben der geringen Einkommenshöhe die Existenz zweier minderjähriger Kinder. Sie verfügt über kein eigenes Geldeinkommen, hat nur einen Anspruch gegenüber der Schwiegermutter auf Zurverfügungstellung der Grundnahrungsmittel und verfügt - ebenso wie ihr Ehemann - über kein Vermögen. Die Hoffnung auf die Übergabe oder Erbschaft des Bauernhofes der Schwiegermutter bleibt für die Frage der Versorgung, die nach den derzeitigen Verhältnissen zu beurteilen ist, außer Betracht.

Die Rekurswerberin bezweifelt die Erziehung der bestellten Anerbin für den Beruf in der Land- und Forstwirtschaft, geht dabei aber nicht von den getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes aus. Bei einem Aufwachsen des Kindes auf einem Bauernhof, dem Besuch einer landwirtschaftlichen Schule - wenn auch nur für ein Jahr - und einer Berufsausübung in der Landwirtschaft bis zur Verehelichung kann die im § 3 Abs 1 Z 1 AnerbenG angeführte Berufsausbildung bejaht werden. Auf den Schulabschluss kommt es nicht an.

Zuletzt macht die Rekurswerberin geltend, dass infolge widersprechender Erbserklärungen (gemeint wohl auch wegen widerstreitender Anträge zur Bestimmung des Anerben) die Sache auf den Rechtsweg verwiesen hätte werden müssen. Dem ist nicht beizutreten: Die Feststellung der Erbhofeigenschaft, die Bestimmung des Anerben und die Festsetzung des Übernahmspreises sind nach ständiger Rechtsprechung vom Abhandlungsgericht nach den anerbenrechtlichen Sonderbestimmungen im außerstreitigen Verfahren vorzunehmen. Ein förmliches Beweisverfahren (§ 2 Abs 2 Z 7 AußStrG) ist hier nicht erforderlich (vgl Kathrein, Anerbenrecht Anm 3 zu § 10 und Anm 6 zu § 18 AnerbenG mwN).