OGH vom 02.10.2013, 7Ob173/13m

OGH vom 02.10.2013, 7Ob173/13m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Unterbringungssache des A***** K*****, vertreten durch den Verein *****, (Patientenanwältin Mag. C***** P*****), dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Abteilungsleiterin Prim. Dr. A***** R*****, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 44 R 394/13m 83, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 28 Ub 831/12w 79, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahingehend bestätigt, dass die Unterbringung des Kranken bis für zulässig erklärt wird.

Im Übrigen werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben. Die Unterbringungssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Revisionsrekursbeantwortung des Abteilungsleiters wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der am ***** geborene Kranke leidet an paranoider Schizophrenie, er ist ernstlich und erheblich selbstgefährdend.

Er wurde erstmals am ohne sein Verlangen auf der 1. Psychiatrischen Abteilung des O***** Spitals untergebracht.

Mit Beschluss vom wurde seine Unterbringung bis für zulässig erklärt. Die weitere Unterbringung in der Einrichtung wurde fortlaufend überprüft und für zulässig erklärt, so auch mit Beschluss des Erstgerichts vom bis zum .

Am verständigte die genannte Einrichtung das Erstgericht davon, dass die Unterbringung des Kranken durch seine Transferierung auf die orthopädische Abteilung des O***** Spitals zur Durchführung einer Operation an der rechten Hüfte beendet worden sei. Der Kranke wurde vom psychiatrischen Stationspersonal auf die orthopädische Abteilung begleitet und dort psychiatrisch weiter behandelt. Am wurde der Kranke wieder in Begleitung des psychiatrischen Stationspersonals in die geschlossene Abteilung zurückgebracht. Das Erstgericht wurde am davon verständigt, dass der Kranke um 8:20 Uhr ohne sein Verlangen untergebracht worden sei.

Das Erstgericht erfasste diesen Vorgang zum Akt 28 Ub 529/13k und verfügte die Einbeziehung dieses Aktes in den Akt 28 Ub 831/12w. Am führte es die Erstanhörung durch und erklärte die Unterbringung vorläufig für zulässig.

Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens eines Sachverständigen erklärte es mit Beschluss vom die weitere Unterbringung des Kranken bis für zulässig. Die Voraussetzungen einer weiteren Unterbringung nach §§ 3, 30 Abs 1 UbG lägen vor. Der gesamte Aufenthalt des Kranken in der genannten Einrichtung sei als Einheit zu betrachten; der Kranke sei, obwohl er körperlich auf einer anderen Station gewesen sei, tatsächlich unverändert weiter untergebracht gewesen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Patientenanwalts keine Folge. Die bis zum ununterbrochen währende und bis für zulässig erklärte Unterbringung habe am durch deren Aufhebung geendet. Die am angeordnete Unterbringung ohne Verlangen stelle daher keine weitere Unterbringung im Sinn des § 30 UbG dar, bei welcher infolge einer Überschreitung der Jahresfrist die Kriterien des § 30 Abs 2 UbG zu beachten wären. Zu prüfen sei lediglich, ob die formellen und materiellen Unterbringungsvoraussetzungen nach § 3 UbG vorlägen. Eine Person dürfe nur dann in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden, wenn sie an einer psychischen Krankheit leide und im Zusammenhang damit ihr Leben oder ihre Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährde; weitere Voraussetzung einer Unterbringung sei, dass der Kranke nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend behandelt oder betreut werden könne. Die Gefährdung müsse erheblich sein, also eine besondere Schwere der drohenden Schädigung aufweisen, weshalb eine bloß geringfügige körperliche Beeinträchtigung nicht ausreiche. Ausgehend von dem auch gar nicht bestrittenen Zustandsbild des Kranken sei die Beurteilung des Erstgerichts, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung ohne Verlangen vorgelegen seien, nicht zu beanstanden. Die vom Erstgericht festgestellte Frist sei nach den Umständen des Einzelfalls angemessen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage bestehe, ob bei Aufhebung einer zulässigen Unterbringung, anschließendem Transfer des Kranken auf eine nichtpsychiatrische Abteilung derselben Krankenanstalt zu Operationszwecken und Rücktransfer am Folgetag mit anschließender neuerlicher Unterbringung, letztere nur unter den Voraussetzungen des § 30 Abs 2 UbG zulässig sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs des Patientenanwalts mit einem Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist teilweise berechtigt.

1. Unterliegt ein Patient Bewegungs einschränkungen, dann ist er im Sinn des UbG „untergebracht“, unabhängig davon, ob er sich im geschlossenen Bereich befindet oder nicht. Aus dem Zusammenhang zwischen § 2 und § 33 UbG ergibt sich, dass sämtliche in § 33 UbG erwähnte Formen von Beschränkungen auch zum Vorliegen einer „Unterbringung“ im Sinn des § 2 UbG führen. Eine besondere „Erheblichkeitsschwelle“ hinsichtlich Dauer und Ausmaß der Beschränkung sieht das Gesetz nicht vor; therapeutische und pflegerische Beweggründe können die Qualifikation einer solchen Maßnahme als Unterbringung nicht verhindern (RIS Justiz RS0075831). Typische Erscheinungsform der allgemeinen Bewegungseinschränkung, die von § 33 Abs 2 UbG umfasst wird, ist die Beschränkung auf einzelne Abteilungen oder Stationen, zum Beispiel auf einen geschlossenen Bereich (6 Ob 198/02i). Eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Es kommt nur darauf an, ob der Kranke nach den konkreten Verhältnissen den Bereich, in dem er sich aufhält, auf Grund seiner freien Entscheidung verlassen kann oder nicht (RIS Justiz RS0075871). Die ständige Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines anderen ist bereits eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit (RIS Justiz RS0075766).

2. Gemäß § 32 UbG hat der Abteilungsleiter unbeschadet der Fälle, in denen das Gericht die Unterbringung des Kranken für nicht oder nicht mehr zulässig erklärt, die Unterbringung jederzeit aufzuheben, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.

2.1 Ebenso wie es für die Anwendbarkeit des UbG und die sich daraus ergebende besondere Rechtsstellung des Patienten nicht auf die „Aufnahme“ in die Anstalt, sondern auf seine „Unterbringung“ ankommt, knüpft das Gesetz auch für das Ende dieses Rechtsverhältnisses nicht an die tatsächliche Entlassung, sondern an die „Aufhebung der Unterbringung“ an. Insofern handelt es sich um den contrarius actus zur Verhängung der Unterbringung gemäß § 10 UbG.

2.2 Das maßgebliche Kriterium einer Aufhebung der Unterbringung liegt darin, dass die in § 2 UbG angeführten Merkmale der Unterbringung nicht mehr gegeben sind. Darunter ist daher die Aufhebung jener Beschränkungen der Bewegungsfreiheit seitens der Anstalt zu verstehen, durch welche die Unterbringung definiert ist ( Kopetzki , Grundriss des Unterbringungsrechts³ Rz 774 ff).

2.3 Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Der Kranke wurde kurzfristig ausschließlich zu einer medizinischen Behandlung auf eine andere Abteilung desselben Spitals gebracht. Bereits am nächsten Tag, unmittelbar nach der Operation, wurde er wieder auf die geschlossene Abteilung transferiert; dies immer in Begleitung des psychiatrischen Stationspersonals. Auch während seiner medizinischen Versorgung auf der orthopädischen Abteilung wurde er psychiatrisch weiter behandelt. In einem solchen Fall, in dem von vornherein die Transferierung von der geschlossenen auf eine offene Abteilung desselben Spitals nur kurzfristig, nämlich ausschließlich zur Durchführung einer medizinischen Behandlung, noch dazu unter Aufrechterhaltung der psychiatrischen Betreuung, geplant ist, kann nicht davon gesprochen werden, dass der Kranke seine Bewegungsfreiheit wiedererlangte. Ihm stand es zweifelsohne im vorliegenden Fall nicht frei, die Anstalt endgültig zu verlassen. Es ist daher von einer durchgehenden Unterbringung auszugehen.

3. Mit der „weiteren Unterbringung“ im Sinn des § 30 UbG ist jede Verlängerung einer gemäß § 26 UbG für zulässig erklärten Unterbringung gemeint. Bereits der zweite Beschluss betrifft daher eine „weitere Unterbringung“, unabhängig davon, ob im ersten Beschluss tatsächlich die Höchstfrist von drei Monaten (§ 26 Abs 2 UbG) ausgeschöpft wurde.

3.1 Für die Verlängerung einer Unterbringung sieht § 30 UbG materielle und verfahrensrechtliche Sonderbestimmungen vor.

Wird die Unterbringung nicht spätestens mit Ablauf der im ersten Beschluss bereits gesetzten Frist aufgehoben, so hat das Gericht erneut über die Zulässigkeit der (weiteren) Unterbringung zu entscheiden. Dies kann mehrmals erfolgen, die jeweils festzusetzende Frist ist aber mit höchstens sechs Monaten begrenzt (§ 30 Abs 1 UbG). Eine Verlängerung „über ein Jahr hinaus“ unterliegt der abweichenden Vorschrift des § 30 Abs 2 UbG. Daraus folgt, dass in Anwendung des § 30 Abs 1 UbG die Verlängerung nur maximal ein Jahr betragen darf ( Kopetzki aaO Rz 397 ff, Koppensteiner/Zierl , Unterbringungsrecht [2012] Kap IV Rz 57).

3.2 Für die Verlängerung über ein Jahr hinaus gelten erhöhte materielle und formelle Voraussetzungen. Sie darf vom Gericht nur dann für zulässig erklärt werden, wenn dies aus besonderen medizinischen Gründen erforderlich ist und übereinstimmende Gutachten zweier Sachverständigen vorliegen, die im bisherigen Verfahren tunlichst noch nicht beigezogen worden sind. Diesfalls kann die weitere Unterbringung längstens für ein Jahr für zulässig erklärt werden (§ 30 Abs 2 UbG).

3.3 Im ersten Beschluss gemäß § 26 UbG wurde die Unterbringung bis für zulässig erklärt. Aus den obigen Ausführungen folgt, dass daher die nach § 30 Abs 1 UbG zulässige weitere Verlängerung der Unterbringung von maximal einem Jahr am endete.

4. In diesem Sinn sind die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin zu bestätigen, dass die weitere Unterbringung bis für zulässig erklärt wird. Im Übrigen aber ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben und die Unterbringungssache an das Erstgericht zur bisher nicht erfolgten Prüfung und neuerlichen Entscheidung über das Vorliegen der in § 30 Abs 2 UbG für eine weitere Unterbringung geforderten Voraussetzungen ab zurückzuverweisen.

5. Dem Abteilungsleiter steht das Recht der Revisionsrekursbeantwortung nicht zu (§ 28 Abs 3 UbG).