OGH vom 19.02.1976, 6Ob1/76

OGH vom 19.02.1976, 6Ob1/76

Norm

Anerbengesetz § 3;

Außerstreitgesetz § 16;

Kopf

SZ 49/27

Spruch

Die Auswahl des Anerben wurde - abgesehen vom Gleichaltrigkeitsfall bei gleich nahen Angehörigen - genau geregelt; eine Entscheidung nach billigem Ermessen, die sich darüber hinwegsetzt, ist offenbar gesetzwidrig

Das Anerbengesetz vom , BGBl. 106, stellt auf die Erhaltung der Erbhöfe als gesunde, krisenfeste landwirtschaftliche Betriebseinheiten ab, also auf eine Vermeidung ihrer Zersplitterung durch Erbteilung

OGH 19. Feber 1976, 6 Ob 1/76 (KG Wiener Neustadt R 373/75; BG Pottenstein A 286/74)

Text

Die am ohne Hinterlassung einer letztwilligen Anordnung verstorbene Landwirtin Josefa F war Alleineigentümerin eines landwirtschaftlichen Betriebes, dessen Eigenschaft als Erbhof im Sinne des Gesetzes rechtskräftig feststeht. Sie war unverheiratet und hatte weder uneheliche noch Wahlkinder. Ihre Eltern sind vorverstorben. Als gesetzliche Erben kommen die der zweiten Linie zuzurechnenden Neffen Franz Sch. als Nachkomme des erblasserischen Bruders gleichen Namens und der Neffe Ferdinand Sch. sowie die Nichte Margarete Sch., die beiden Letztgenannten als Kinder eines weiteren vorverstorbenen Bruders Ferdinand Sch. sen., in Betracht. Franz Sch, ist am , Ferdinand Sch. am geboren. Franz Sch. gab auf Grund des Gesetzes zum halben Nachlaß, Ferdinand Sch. und Margarete Sch. gaben zu je einem Viertel des Nachlasses auf Grund des Gesetzes Erbserklärungen ab, die zu Gericht angenommen wurden. Die gesetzlichen Miterben konnten sich über die Person des Anerben nicht einigen. Ferdinand und Franz Sch. streben beide die Bestimmung als Anerben an.

Die Untergerichte bestimmten Ferdinand Sch. nach § 3 Abs. 1 Z. 4 AnerbenG zum Anerben. Den dahin zielenden Antrag des Franz Sch. wiesen sie ab. Folgende Tatsachen wurden den Entscheidungen der Vorinstanzen zugrunde gelegt: Franz Sch. hat vom 7. bis zum 15. Lebensjahr, also während seines Schulbesuches, auf dem Hof der Erblasserin gelebt und anschließend nach einer neunmonatigen Lehrzeit, die wegen Einstellung des Handwerksbetriebes abgebrochen werden mußte, von Ende 1945 bis Ende 1947 auf einem landwirtschaftlichen Betrieb des Eigentümers N gelebt und gearbeitet. Während dieser Zeit hat er seinem Vater geholfen, den durch die Kriegsereignisse zu Schaden gekommenen Hof der Erblasserin wiederaufzubauen. Dabei hat er wohl alle am Hof anfallenden Arbeiten, mit Ausnahme der Leitung derselben, verrichtet. Daß aber trotzdem bei ihm von einer Erziehung für die Landwirtschaft keine Rede sein kann, ergibt sich schon aus dem Umstand, daß er im Jahre 1948 über Wunsch seines Vaters den Beruf eines Zimmermanns erlernte und sodann in diesem Beruf und anschließend bis zum Jahre 1957 als Bauhilfsarbeiter tätig war. Seit dieser Zeit arbeitet er in der Firma "K", einem Industriebetrieb, wo er derzeit die Funktion eine Kontrollors ausübt. Er hat also seit 1948 niemals mehr in der Landwirtschaft gearbeitet. Ferdinand Sch. wuchs in einem landwirtschaftlichen Betrieb auf und übernahm nach dem Tod seines Vaters den elterlichen Betrieb in S Nr. 8. Derzeit ist er mit seiner Gattin je zur Hälfte Miteigentümer dieses Betriebes, der neben einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude ausschließlich landwirtschaftlich genutzte Liegenschaften im Ausmaß von 5.0625 ha umfaßt. Dazu kommen noch Pachtliegenschaften. An Großvieh werden derzeit auf dem Hof 27 Stück Rinder und 10 Schweine gehalten. Seine Familie besteht aus seiner Gattin und zwei Kindern im Alter von 14 und 16 Jahren, die alle in der Landwirtschaft mitarbeiten. Im Winter beschäftigt sich Ferdinand Sch. mit dem Holzabstreifen für die Bundesforste, um, wie das bei Kleinlandwirten der Fall ist, sein Einkommen Aufzubessern. Franz Sch. begrundet seinen Antrag auf Bestimmung als Anerbe mit dem Ältestenrecht gemäß § 3 Abs. 2 Z. 3 AnerbenG, weil ein abweichender Brauch fehlt.

Das Erstgericht beurteilte die Sache dahin, daß bei Ferdinand Sch. die Voraussetzung der Erziehung für die Landwirtschaft zweifellos gegeben sei. Beide Anwärter hätten als "anderweitig versorgt" zu gelten.

Während bei Franz Sch. davon ausgegangen werden müsse, daß er nicht für die Landwirtschaft erzogen und anderweitig versorgt sei, liege bei Ferdinand Sch. eine der im § 3 Abs. 1 Z. 4 letzter Satz AnerbenG genannten Voraussetzungen vor, nämlich die landwirtschaftliche Erziehung, doch sei auch er anderweitig versorgt.

Für einen so gelagerten Fall habe das Gesetz kein ausdrückliches Ausscheidungskriterium geschaffen. Das Anerbengesetz müsse aber im Sinne des von ihm beabsichtigten Zweckes, nämlich der Erhaltung eines gesunden und leistungsstarken Bauernstandes, ausgelegt werden. Eine daran orientierte Auslegung müsse davon ausgehen, daß das wesentliche Kriterium die Ausbildung für die Landwirtschaft darstelle, hingegen das Versorgtsein nur von untergeordneter Bedeutung wäre. Es solle damit offensichtlich verhindert werden, daß ein für die Landwirtschaft erzogener, aber unversorgter Hoferbe nur deshalb leer ausgehe, weil ihm ein anderer als Landwirt erzogener, aber z. B. durch Einheirat oder auf sonst eine Weise bereits Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes gewordener Miterbe vorgezogen werden müßte, z. B. bloß wegen des bestehenden Ältestenrechtes. Es handle sich dabei also um eine Schutzbestimmung für einen Miterben, der aber im vorliegenden Fall keine Bedeutung zukomme. Im Hinblick auf seine landwirtschaftliche Ausbildung und seine fortdauernde Tätigkeit in der Landwirtschaft sei daher Ferdinand Sch. als Anerbe zu bestimmen. Der erblasserische Neffe Franz Sch. hingegen müsse als Anerbe schon mangels Erziehung zur Landwirtschaft ausscheiden, so daß es zur Anwendung des bloß subsidiär geltenden Abs. 2 des § 3 AnerbenG gar nicht komme.

Das Rekursgericht führte zur Begründung seiner bestätigenden Entscheidung aus, es teile die Auffassung des Erstgerichtes, daß in einem Fall, wie dem hier vorliegenden, in welchem nicht, wie es als gesetzlicher Hauptanwendungsfall gedacht sei, Kinder des Erblassers um die Position des Anerben konkurrieren, sondern vielmehr Seitenverwandte, nämlich Geschwisterkinder des Erblassers, von den im § 3 Abs. 1 Z. 4 AnerbenG erwähnten Kriterien jenem der landwirtschaftlichen Erziehung, gemessen an dem vom Erstgericht richtig erkannten Sinn des Anerbengesetzes, ungleich größere Bedeutung zuerkannt werden müsse als jenem der anderweitigen Versorgung. In einem solchen Fall müsse davon ausgegangen werden, daß die Geschwisterkinder bei der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse keinesfalls als gesichert hätten ansehen können, daß ihnen der Landwirtschaftsbetrieb ihrer Tante nach deren Ableben als Erwerbsquelle zur Verfügung stehen würde. Ihren Erwerb hätten sie sich anderweitig suchen müssen. Daß sie ihn beide, im Alter von über 40 Jahren stehend, auch anderweitig gefunden hätten, entspreche einer Lebensnotwendigkeit. Unter zwei derartigen um die Position des Anerben konkurrierenden Miterben, die anderweitig ihren Lebensunterhalt gefunden hätten und zwangsläufig hätten finden müssen, brauche bei der Bestimmung des Anerben eine Schutzfunktion nicht erfüllt werden, wie sie die Z. 4 des Abs. 1 des § 3 AnerbenG vornehmlich bei unversorgten Kindern des Erblassers im Auge habe. Auf die "anderweitige Versorgung" des einen oder des anderen konkurrierenden Miterben werde daher nur insofern Bedacht zu nehmen sein, als sie so gestaltet sei, daß sie zur berechtigten Annahme, Anlaß gebe, der betreffende Miterbe würde wirtschaftlich gar nicht interessiert sein, den Erbhof mit allen aus der Anerbenstellung sich ergebenden Verpflichtungen zu übernehmen. Eine so gestaltete "anderweitige Versorgung" liege jedoch bei Ferdinand Sch. keinesfalls vor. Seine eigene, vom Vater übernommene Landwirtschaft von knapp über 5 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche reiche nicht aus, um mit einer vierköpfigen Familie wirtschaftlich bestehen zu können. Er müsse auf Pachtliegenschaften greifen bzw. sich während der Wintermonate als Forstarbeiter verdingen, um die wirtschaftliche Existenz seiner Familie zu sichern. Im Hinblick auf diese Lage stelle die Möglichkeit, den erblasserischen Hof als Anerbe zu übernehmen, einen echten wirtschaftlichen Anreiz dar und biete damit auch die Gewähr der Erhaltung dieses landwirtschaftlichen Betriebes unter der Leitung des vom Erstgericht bestimmten Anerben. Abgesehen von der mangelnden Erziehung zur Landwirtschaft bestunde die Gefahr, würde man Franz Sch. zum Anerben bestimmen, schon deshalb nicht, weil nicht angenommen werden könne, der Genannte werde seine durch jahrzehntelange Arbeit in einem Industriebetrieb erworbenen sozialen Rechte aufgeben.

All diese Überlegungen zeigten, daß die vom Rekurswerber gewünschte Anwendung des Ältestenrechtes im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 3 AnerbenG zu einem mit dem Sinn dieses Gesetzes nicht in Einklang zu bringenden und daher abzulehnenden Ergebnis führen würde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem ao. Revisionsrekurs des Erbenanwärters Franz Sch. Folge und bestimmte diesen zum Anerben nach Josefa F.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rechtsmittelwerber vertritt den Standpunkt, die von den Vorinstanzen herangezogenen Bestimmungen des Anerbengesetzes seien eindeutig und klar formuliert und sie ließen keinen Spielraum für eine Ermessensentscheidung, wie sie die Vorinstanzen getroffen hätten. Diese Auffassung entspricht dem Gesetz.

Im vorliegenden Fall sind zwei von der Erblasserin gleich weit entfernte Verwandte der zweiten Linie vorhanden, die beide im Sinne des Anerbengesetzes anderweitig versorgt sind. Ein Unterschied besteht darin,daß Ferdinand Sch. von Beruf Landwirt ist, während Franz Sch. zwar vor langen Jahren in der Landwirtschaft mitarbeitete, sei 1948 aber in anderen Berufen nicht landwirtschaftlicher Art tätig ist. Die Vorinstanzen haben bei ihren rechtlichen Erwägungen im Zusammenhang mit § 3 Abs. 1 Z. 4 AnerbenG eine Abwägung des Gewichtes der Kriterien der landwirtschaftlichen Erziehung und der anderweitigen Versorgung mit dem Ergebnis vorgenommen, daß dem Kriterium der landwirtschaftlichen Erziehung gemessen an dem Sinn des Anerbengesetzes "ungleich größere Bedeutung" zuerkannt werden müsse als jenem der anderweitigen Versorgung. Das Gesetz bietet indes keine Handhabe für eine derartige Abwägung der Kriterien. Es geht um die Frage, ob ein Anerbe nach den Bestimmungen des ersten Absatzes des § 3 AnerbenG bestimmt werden kann oder ob diese zu verneinen ist und die Lösung nach dem zweiten Absatz der Gesetzesstelle gefunden werden muß.

Nach der klaren Bestimmung des § 3 Abs. 1 Z. 4 AnerbenG scheidet Franz Sch. nicht deshalb aus, weil Ferdinand Sch. Landwirt ist. Dies würde ja voraussetzen, daß der konkurrierende Miterbe für die Landwirtschaft erzogen wurde oder wird und nicht anderweitig versorgt ist. Da aber Ferdinand Sch. ebenso wie Franz Sch. anderweitig versorgt ist, kann der Anerbe nicht nach den Bestimmungen des ersten Absatzes des § 3 AnerbenG bestimmt werden. Für die Ermessensentscheidung läßt die klare Regelung des Gesetzes keinen Raum. Der Gesetzgeber hat es bewußt vermieden, dem Verlassenschaftsgericht einen derartigen Ermessensspielraum zu überlassen und hat es vorgezogen, sehr präzise Bestimmungen zu erlassen (Edlbacher, Anerbengesetz, 27).

Läßt sich also auf diesem Wege der Anerbe nicht bestimmen, dann ist nach dem zweiten Absatz des § 3 AnerbenG vorzugehen. Das aber bedeutet im Sinne der zutreffenden Auffassung des Rechtsmittelwerbers die Anwendung des Ältestenrechts gemäß § 3 Abs. 2 Z. 3 AnerbenG, weil in dieser Gegend kein abweichender Brauch besteht. Franz Sch. ist älter als Ferdinand Sch., weshalb er in dieser Sache Anspruch auf Bestimmung als Anerbe hat. Unter den rechtlichen Voraussetzungen, wie sie in dieser Sache vorliegen, könnte auch ein persönlich der Landwirtschaft sehr fern stehender Miterbe als Anerbe bestimmt werden. Die Art der Nutzung des Erbhofs (Beispiel: Verpachtung) ist dann seine Sache. Die Vorinstanzen haben sich darauf berufen, daß das Anerbengesetz die Erhaltung eines gesunden und leistungsstarken Bauernstandes anstrebe. Dem ist gewiß zuzustimmen, doch ist zu beachten, auf welchem Wege das Gesetz, das nur besondere Erbteilungsvorschriften gebracht hat (Edlbacher, 26), dieses Ziel anstrebt. Das Anerbengesetz vom , BGBl. 106, stellt auf die Erhaltung der Erbhöfe als gesunde, krisenfeste landwirtschaftliche Betriebseinheiten ab, also auf eine Vermeidung der Zersplitterung der landwirtschaftlichen Betriebe durch Erbteilung. Dieses Ziel wird weitgehend unabhängig von der Person des Anerben erreicht. Die Auswahl des Anerben wurde - abgesehen vom Gleichaltrigkeitsfall bei gleich nahen Angehörigen - genau geregelt und eine Entscheidung nach billigem Ermessen, die sich über diese genaue Regelung hinwegsetzt, ist im Sinne des § 16 AußStrG offenbar gesetzwidrig. Daß durch die gesetzlichen Auslegungsregeln nicht alle Härtefälle vermieden werden können, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen (vgl. Edlbacher, 28).