OGH vom 27.02.2019, 6Ob224/18m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragsteller 1. P***** C***** S*****, geboren am ***** 1989, 2. R***** A***** S*****, geboren am ***** 1991, beide *****, Vereinigte Staaten von Amerika, vertreten durch Dr. Eric Heinke, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner Dr. P***** S*****, vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 258/18v-147, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Perg vom , GZ 2 Fam 1/14z-141, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Antragsteller bemängeln in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs, das Rekursgericht sei in der angefochtenen Entscheidung von der in seinem Aufhebungsbeschluss vom dem Erstgericht überbundenen Rechtsansicht abgegangen. Eine Abweichung des Gerichts zweiter Instanz von seiner im ersten Rechtsgang zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht ist allerdings kein Revisionsrekursgrund, weil die Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof unabhängig von der Entscheidung des Zweitinstanzgerichts zu lösen ist (RIS-Justiz RS00
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2181 [T10]). Dies gilt auch im Verfahren außer Streitsachen.
2. Zwischen den Parteien ist nicht (mehr) strittig, dass für die von den Antragstellern geltend gemachten Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem Vater, dem Antragsgegner, internationale Zuständigkeit des Erstgerichts gegeben ist (vgl Art 3 lit a EuUVO) und dass im Hinblick auf Art 4 Abs 3 HUP 2007 (zur Anwendbarkeit des HUP 2007 selbst dann, wenn der grenzüberschreitende Bezug kein Binnenmarktbezug ist, vgl 7 Ob
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16/12b EF-Z 2013/35 [Nademleinsky] = EvBl 2013/44 [Rudolf]; 5 Ob 152/15mEFZ 2016/105 [Gitschthaler]; Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ [2015] Rz 1818) die Unterhaltsansprüche – grundsätzlich – nach materiellem österreichischen Unterhaltsrecht (Unterhaltsstatut) zu beurteilen sind. Nach Satz 1 dieser Bestimmung ist, wenn die berechtigte Person (hier: die Antragsteller) die zuständige Behörde (hier: das Erstgericht) des Staats angerufen hat, in dem die verpflichtete Person (hier: der Antragsgegner) ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (hier: Österreich), das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden.
3. Für die Anknüpfung an das Unterhaltsstatut am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltspflichtigen nach Art 4 Abs 3 Satz 1 HUP 2007 kommt es allerdings grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, also auf die Verfahrenseinleitung, an (Gitschthaler in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 4 HUP Rz 23; vgl auch Mankowski in Staudinger, BGB [2016] Art 4 HUP Rz 65; Hausmann, Int EuFamR² [2018] C Rz 592), hier also auf den . Für rückständigen Unterhalt gilt Art 4 Abs 3 Satz 1 HUP 2007 hingegen nicht; maßgeblich ist dann vielmehr jenes Unterhaltsstatut, welches zu dieser Zeit (jeweils) die Unterhaltsbeziehung zwischen den Parteien regelte (Nademleinsky/Neumayr, IFR² [2017] Rz 10.65; Gitschthaler aaO Art 4 HUP Rz 21; vgl auch Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 V [2016] Art 11 HUntStProt Rz 20). Erst mit der Anrufung des Gerichts im Aufenthaltsstaat des Unterhaltspflichtigen kommt es nach Art 4 Abs 3 Satz 1 HUP 2007 zur Anwendung dessen materiellen Unterhaltsrechts (arg: Hat die berechtigte Person … angerufen, … ist das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden.).
3.1. Nach dem Akteninhalt lebten die Antragsteller am und auch davor im Bundesstaat Kalifornien in den Vereinigten Staaten von Amerika, weshalb vor diesem Zeitpunkt nach der Grundsatzanknüpfung des Art 3 Abs 1 HUP 2007 deren materielles Recht, im Hinblick auf Art 16 Abs 1 lit a, Abs 2 lit a HUP 2007 konkret kalifornisches Unterhaltsrecht anzuwenden war. Das HUP 2007 wurde mit Art 4 des Beschlusses des Rates 2009/941/EG (ABl EU L 331/17) ab für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreichs) für anwendbar erklärt (vgl die Nachweise bei Gitschthaler in Gitschthaler, Internationales Familienrecht Art 15 EuUVO FN 8); mit Art 5 des genannten Beschlusses wurde darüber hinaus festgelegt, dass das HUP 2007 auch auf Zeiträume vor dem anzuwenden ist, sofern die Einleitung des Verfahrens – wie im vorliegenden Fall – ab dem erfolgte (ausführlich Mankowski in Staudinger, BGB [2016] Art 22 HUP Rz 6–11); auf diese Weise wurde sichergestellt, dass in allen ab dem eingeleiteten Verfahren einheitlich das HUP 2007 gilt, unabhängig davon, für welchen Zeitraum Unterhalt begehrt wird (vgl die Nachweise bei Gitschthaler aaO Art 15 EuUVO FN 13).
3.2. Nach dem von den Vorinstanzen gemäß § 4 Abs 1 IPRG ermittelten, im Revisionsrekursverfahren von den Antragstellern auch nicht in Frage gestellten kalifornischen Unterhaltsrecht haben die Eltern für den Unterhalt eines unverheirateten Kindes, das das 18. Lebensjahr vollendet hat und in Vollzeit die High School besucht und nicht selbsterhaltungsfähig ist, aufzukommen, bis das Kind die 12. Schulklasse abschließt oder das 19. Lebensjahr vollendet, je nachdem, was zuerst eintritt. Die einzige Grundlage für eine Verlängerung von Kindesunterhalt nach dem 19. Lebensjahr stellt eine Behinderung dar, wobei das Kind behindert, bedürftig sowie unfähig zu arbeiten sein und eine wahrscheinliche Belastung für die Allgemeinheit darstellen muss (Family Code Abschnitt 3910).
Da die Antragsteller am ***** 2008 bzw am ***** 2010 jeweils das 19. Lebensjahr beendeten und sich im Revisionsrekursverfahren auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Family Code Abschnitt 3910 nicht (mehr) berufen, standen ihnen für Zeiträume ab den genannten Daten nach kalifornischem Unterhaltsrecht keine Kindesunterhaltsansprüche mehr zu. Für die Zeiträume ab diesen Daten bis (Verfahrenseinleitung vor einem österreichischen Gericht; ErwG 3.) haben die Vorinstanzen den Antragstellern somit jedenfalls zutreffend keinen Unterhalt zuerkannt. Auf eine (allfällige) ordre publicWidrigkeit (Art 13 HUP 2007) kalifornischer Bestimmungen, weil diese grundsätzlich ein Ende der Kindesunterhaltspflicht der Eltern mit Ende des 19. Geburtstags anordnen, berufen sich die Antragsteller im Revisionsrekursverfahren nicht.
4. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen schlossen die Mutter der Antragsteller und der Antragsgegner am vor einem kalifornischen Gericht einen Vergleich, mit dem unter anderem vereinbart wurde, dass mit Zahlung einer pauschalen Abfindung durch den Antragsgegner alle Fragen hinsichtlich rückwirkender, vom Antragsgegner zu leistender Zahlungen an Kindesunterhalt einschließlich aller behaupteten Unterzahlungen und Überzahlungen bereinigt seien. Die Antragsteller gehen in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs davon aus, dass die Vereinbarung „die vergangenen Unterhaltsansprüche der Kinder endgültig regelt[e]“; ein Antrag auf laufenden Unterhalt der volljährigen Antragsteller und auf deren Sonderbedarf sei hingegen im österreichischen Verfahren möglich. Damit haben aber die Vorinstanzen den Antragstellern zutreffend Unterhalt (auch) bis nicht zuerkannt, wurde auf diesen doch verzichtet.
Die von den Antragstellern im außerordentlichen Revisionsrekurs aufgeworfene Frage, ob ein derartiger Verzicht auf Unterhalt den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widerspricht (ordre public; Art 13 HUP 2007), kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Abgesehen davon, dass die Antragsteller ja die Wirksamkeit der Vereinbarung vom nicht (mehr) bestreiten, soweit sie sich auf rückständigen Unterhalt bezog, entspricht es durchaus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass Kinder auf Teile von Unterhaltsleistungen und auf einzelne Unterhaltsleistungen, und zwar auch für die Zukunft, wirksam verzichten können (RIS-Justiz RS0047340); dies muss erst recht für Ansprüche auf rückständigen Unterhalt gelten.
5. Aufgrund der Einleitung des vorliegenden Unterhaltsverfahrens am ist ab diesem Zeitpunkt (ErwG 3.1.) materielles österreichisches Kindesunterhaltsrecht (§ 231 ABGB) anzuwenden. Dieses sieht den Zuspruch sowohl von laufendem Unterhalt (Regelunterhalt) als auch von Sonderunterhalt vor.
5.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 1 Ob 1
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9/99g klargestellt, dass der im Laufe des Monats eintretende Herabsetzungsgrund die Verringerung der Unterhaltspflicht erst mit dem nächsten Monatsersten rechtfertigt. Dies folge nicht zuletzt aus der gebotenen Analogie zu § 1418 Satz 3 ABGB. Nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung würden Alimente wenigstens auf einen Monat voraus bezahlt. Sind aber selbst die Erben nach dem dritten Satz nicht schuldig, „etwas von der Vorausbezahlung“ an den „Verpflegten zurückzugeben“, so müsse das umso mehr für den Unterhaltsberechtigten selbst gelten, dessen Alimente bereits fällig waren. Die analoge Anwendung von § 1418 Satz 3 ABGB auf alle anderen während des Monats eintretenden Endigungsgründe sei demnach nur folgerichtig. Daraus folgt aber für den vorliegenden Fall, dass die Antragsteller in der Vereinbarung vom jedenfalls auf ihre Unterhaltsansprüche bis Ende März 2013 (wirksam; 3.) verzichteten und somit in weiterer Folge nur mehr auf ihre Ansprüche ab einzugehen ist.
5.2. Für diesen Zeitraum begehren die Antragsteller einen laufenden monatlichen Unterhalt in Höhe von jeweils 1.615,62 USD, der Zweitantragsteller allerdings lediglich bis (Bd I AS 455). Die Vorinstanzen vertraten die Auffassung, die Antragsteller hätten durch ihre Mutter auch für den Zeitraum nach der Vereinbarung vom auf jegliche Unterhaltsansprüche verzichtet.
5.2.1. Nach Art 11 lit d HUP 2007 bestimmt das auf die Unterhaltspflicht anzuwendende Recht auch, wer zur Einleitung eines Unterhaltsverfahrens berechtigt ist, dies unter Ausschluss von Fragen der Prozessfähigkeit und der Vertretung im Verfahren. Zwar käme nach österreichischem Recht eine gesetzliche Vertretung eines volljährigen, eigenberechtigten Kindes durch einen Elternteil (hier: in einem Unterhaltsverfahren) nicht in Betracht, und kennt das österreichische Unterhaltsrecht auch keine Prozessstandschaft, auf die etwa nach in Deutschland vertretener Auffassung (vgl BGH XII ZR 245/90; vgl auch Hausmann, Int EuFamR² C Rz 735) das Unterhaltsstatut anzuwenden wäre. Allerdings stellen die Antragsteller in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht in Frage, dass die Mutter sie bei Abschluss der Vereinbarung vom wirksam vertrat.
5.2.2. Diese Vereinbarung enthält auch das „Anerkenntnis, dass die Kindesunterhaltspflicht des [Antragsgegners] gegenüber der Mutter [der Antragsteller] nach kalifornischem Recht in Bezug auf die erwachsenen Kinder der Parteien bereits erloschen ist“. Die Ausführungen des außerordentlichen Revisionsrekurses, der Geltendmachung von laufendem Unterhalt stehe nichts im Wege, weil die Vereinbarung „diesbezüglich gar nichts regelt“, gehen somit nicht vom festgestellten Sachverhalt aus: Die Vereinbarung hielt zum einen fest, dass kein Unterhaltsrückstand offen war (ErwG 4.), und zum anderen, dass (weitere) Unterhaltsansprüche nicht mehr bestehen. Die von den Vorinstanzen in diesem Sinn vorgenommene Vertragsauslegung, die nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich eine solche des Einzelfalls ist (vgl etwa 5 Ob 570/85; 8 Ob 132/08g), ist somit jedenfalls vertretbar.
5.3. Die Antragsteller meinen in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs – unter unzutreffendem Hinweis auf § 6 IPRG (ordre public), es ist ja ohnehin österreichisches Recht anzuwenden –, Kinder könnten nicht schlechthin auf den ihnen zustehenden gesetzlichen Unterhalt verzichten. Es wurde allerdings bereits auf die dem widersprechende ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hingewiesen (ErwG 4.), die einen Verzicht auch für die Zukunft auf Teile von Unterhaltsleistungen und auf einzelne Unterhaltsleistungen zulässt (RISJustiz RS0047
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40), auch wenn der Unterhaltsanspruch des Kindes aufgrund eines Größenschlusses aus § 94 Abs 3 ABGB dem Grunde nach unverzichtbar ist (4 Ob 231/99w). Dabei ging es regelmäßig um Ansprüche für „einen überschaubaren Zeitraum bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit“ des Kindes (7 Ob 209/97d; 2 Ob 7/15s).
Die Antragsteller befanden sich zum Zeitpunkt ihres Unterhaltsverzichts am im 25. bzw im 23. Lebensjahr und gingen jeweils einem Hochschulstudium nach; der Zweitantragsteller wurde mit selbsterhaltungsfähig. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs schiebt ein im Anschluss an die Mittelschule (hier: High School) begonnenes Hochschulstudium die Selbsterhaltungsfähigkeit grundsätzlich nur solange hinaus, als die Ausbildung ernsthaft und zielstrebig verfolgt wird (vgl bloß 4 Ob 377/97p; 6 Ob 118/14t [ErwG 1]). Auch wenn bei Lösung dieser Frage nicht allein das Lebensalter des unterhaltsberechtigten Kindes herangezogen werden kann, sondern es (auch) auf die durchschnittliche Studiendauer ankommt (RISJustiz RS0083694), kann doch im vorliegenden Fall zwanglos davon ausgegangen werden, dass aus der damaligen Perspektive (März 2013) der Eintritt der (fiktiven) Selbsterhaltungsfähigkeit nicht nur beim Zweitantragsteller, sondern auch bei der Erstantragstellerin innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eintreten werde. Damit bedarf aber auch die Auffassung der Vorinstanzen, die Antragsteller hätten rechtswirksam auf ihre (künftigen) Ansprüche ab April 2013 gegenüber ihrem Vater, dem Antragsgegner, verzichtet, keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
6. Die Antragsteller strebten bereits in ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz vom die Verpflichtung des Antragsgegners auch zur Leistung von Sonderunterhalt (Schul- und Studienkosten) in Höhe von 51.569 USD (Erstantragstellerin) und 61.430,66 USD (Zweitantragsteller) an. Da sich diese Ansprüche auf Zeiträume vor Verfahrenseinleitung bezogen, ist deren Berechtigung nach kalifornischem Unterhaltsrecht zu prüfen (ErwG 3.); dieses sieht aber ohne gesonderte Vereinbarung keine Verpflichtung der Eltern vor, Studienkosten oder Unterhalt (ausgenommen aufgrund einer Behinderung) zu tragen.
In der Tagsatzung vom dehnte die Erstantragstellerin ihren „Sonderbedarf“ um 11.375 USD auf insgesamt 62.188 USD aus, „zumal die bisherigen Studienkosten sich insgesamt auf 124.376 USD belaufen“. Da dieses Mehrbegehren allerdings völlig unsubstanziiert und in sich unschlüssig ist, begegnet auch dessen Abweisung durch die Vorinstanzen keinen Bedenken.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00224.18M.0227.000 |
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