OGH vom 06.03.1969, 2Ob300/68
Norm
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 176 (1) Z 6;
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 333 (4);
Kopf
SZ 42/39
Spruch
Für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit ist wesentlich, daß es sich um eine, wenn auch nur kurzfristige Arbeit handelt, die hiefür erbrachte Arbeitsleistung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und von wirtschaftlicher Bedeutung ist.
Entscheidung vom , 2 Ob 300/68.
I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Am fuhr der Kläger als zahlender Gast mit dem von der Erstbeklagten betriebenen Schlepplift zur Bergstation. Der vor ihm laufende Bügel konnte wegen Bruchs der Einzugsfeder nicht aufgezogen werden, weshalb der Zweitbeklagte, der in der Bergstation Dienst versah, auf Weisung des in der Talstation Dienst versehenden Drittbeklagten den Kläger ersuchte, mit dem Bügel zur Talstation abzufahren. Der Kläger erklärte sich hiezu bereit. Während der Abfahrt wickelte sich das Seil des Bügels um den rechten Fuß des Klägers. Der Kläger stürzte, wurde weitergeschleift und schwer verletzt. Zweit- und Drittbeklagter wurden wegen Übertretung nach § 335 StG. verurteilt, weil sie den Kläger veranlaßt hatten, mit dem defekten Schleppgehänge talwärts zu fahren.
Der Kläger begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Bezahlung eines Schmerzengeldes in der Höhe von 120.000 S, den Ersatz der Kosten der ärztlichen Behandlung und des Krankenhausaufenthaltes in der Höhe von 83.076.78S sowie des Verdienstentganges bis in der Höhe von 101.200 S. Ferner begehrt er die Feststellung, daß ihm die Beklagten allen künftigen Schaden aus diesem Unfall solidarisch zu ersetzen hätten. Er stützt sein Klagebegehren darauf, daß der Zweit- und Drittbeklagte auf Grund ihrer Tätigkeit beim Schilift hätten wissen müssen, daß eine solche Abfahrt besonders gefährlich sei. Die Bedenken des Klägers seien vom Zweitbeklagten zerstreut worden. Der Zweit- und Drittbeklagte hätten grob fahrlässig gehandelt. Die Erstbeklagte hafte dem Kläger, denn sie habe sich des Zweit- und Drittbeklagten als Erfüllungsgehilfen gegenüber dem Kläger als zahlenden Gast bedient. Der Zweit- und Drittbeklagte seien ausgesprochen untüchtig und geradezu gefährlich gewesen. Der Kläger stützt sein Klagebegehren gegen die Erstbeklagte auch darauf, daß sie es entgegen der Vorschrift des § 363 ASVG. unterlassen habe, eine Unfallsmeldung zu erstatten.
Die Beklagten wenden ein, daß es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt habe; sie seien von ihrer Haftung gegenüber dem Kläger frei. Der Zweitbeklagte sei Aufsichtsorgan bei der Bergstation gewesen, der Drittbeklagte Leiter des Betriebes. Im übrigen sei der Kläger infolge eigener Unvorsichtigkeit zum Sturz gekommen. Die Haftung nach § 1313a ABGB. sei nicht gegeben, weil der Unfall in keinem direkten Zusammenhang mit der Auffahrt anläßlich der vertraglichen Beförderung des Klägers stehe. Es werde auch die Behauptung der Untüchtigkeit des Zweit- und Drittbeklagten bestritten. Die Ansprüche des Klägers seien auch der Höhe nach nicht gerechtfertigt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren gegen den Zweit- und Drittbeklagten mit Teilurteil ab. Es teilte die Ansicht der Beklagten, daß es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 176 (1) Z. 6 ASVG. gehandelt habe und den genannten Beklagten der Haftungsausschließungsgrund des § 333 (4) ASVG. zugutekomme. Die Entscheidung hinsichtlich der Erstbeklagten behielt das Erstgericht dem Endurteil vor.
Das Berufungsgericht hat nach Wiederholung der Beweisaufnahme durch Darlegung der Strafakten U .../67 des Bezirksgerichtes B. das erstgerichtliche Teilurteil aufgehoben und die Rechtssache zur Fortsetzung der Verhandlung und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht unter Rechtskraftvorbehalt zurückverwiesen. Es ging davon aus, daß dem Zweit- und Drittbeklagten der Haftungsausschließungsgrund des § 333 (4) ASVG. nicht zugutekomme.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Zweitbeklagten nicht Folge, hob aber in Ansehung des Drittbeklagten den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht insoweit die neuerliche Entscheidung über die Berufung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Bei Beurteilung der Rechtsrüge ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Die Erstbeklagte betreibt einen Schilift. Beim Betrieb dieses Liftes bediente sie sich zur Zeit des Unfalls des Zweitbeklagten in der Bergstation. Dieser hatte u. a. darauf zu achten, daß die Fahrgäste von den Bügeln wegkämen und die Bügel eingezogen würden. Der Drittbeklagte war als Maschinist in der Talstation eingesetzt. Bei einem Bügel war die Einzugfeder gebrochen, er konnte deshalb nicht eingezogen werden, sondern hing auf den Boden hinunter. Der Zweit- und Drittbeklagte besprachen miteinander die zu ergreifenden Maßnahmen telephonisch und kamen zum Entschluß, daß ein Schifahrer ersucht werden solle, mit dem Bügel zur Talstation abzufahren. Dieser Schifahrer war der Kläger, der gerade von der Tal- zur Bergstation befördert worden war, von wo er die Schiabfahrt machen wollte. Der Kläger fuhr also mit dem Bügel, den er unterhalb der Stütze 15 ergriffen hatte, ab. Bei dieser Abfahrt kam es zum Unfall.
Zunächst war die Frage zu klären, ob es sich um einen Unfall im Sinne des § 176 (1) Z. 6 ASVG. gehandelt habe. Nach dieser Gesetzesstelle sind Unfälle den Arbeitsunfällen gleichgestellt, die sich bei einer betrieblichen Tätigkeit ereignen, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG. Versicherter ausübt, auch wenn dies nur vorübergehend geschieht. Für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit ist wesentlich, daß es sich um eine, wenn auch nur kurzfristige, Arbeit handelt, die hiefür erbrachte Arbeitsleistung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Auf die Beweggrunde des Tätigwerdens (z. B. familienrechtliche Beziehungen oder sittliche Verpflichtungen) kommt es nicht an. Geigel, Haftpflichtprozeß[13], S. 855, führt aus, daß es sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit handeln muß, die dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht, es muß durch diese Tätigkeit ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt sein, ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Unternehmen ist nicht erforderlich. Der Unfallsbetroffene muß jedoch in dem fremden Betrieb wie ein Arbeitnehmer eingegliedert und bereit sein, den Weisungen des fremden Unternehmens Folge zu leisten. Die Einordnung einer Arbeitskraft in den fremden Betrieb ist anzunehmen, wenn sie sich mit dem Betriebsunternehmer oder mit dessen bevollmächtigten Vertreter und den anderen hinzugezogenen Arbeitskräften derart zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließt, daß sie unter der den Arbeitsgang bestimmenden Leitung des Betriebsunternehmers tätig wird und nach dessen Anordnungen handelt, damit gleichzeitig aber auch diesem die Verantwortung für die Durchführung der Arbeiten in größerem Umfang überläßt und sich seinem Schutz anvertraut (siehe hiezu auch Wussow, Unfallhaftpflichtrecht[9], S. 651 ff.).
Daß es sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine ernstliche, dem Unternehmen der Erstbeklagten dienende Tätigkeit handelte, kann keinem Zweifel unterliegen. Diese Tätigkeit hat auch dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprochen. Denn der als Maschinist in der Talstation eingesetzte Drittbeklagte, nach dessen Weisung der Zweitbeklagte an den Kläger das Ersuchen um Beförderung des Bügels zur Talstation richtete, war für das Zusammenspiel der vorhandenen Kräfte verantwortlich, und muß nach den Umständen dieses Falles mangels der Anwesenheit eines Vorgesetzten als namens der erstbeklagten Partei befugt angesehen werden, das zur Fortführung des Betriebes Erforderliche zu veranlassen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Betriebe des Unternehmens der erstbeklagten Partei stand. Der Kläger war auch bereit, den Weisungen des fremden Betriebes Folge zu leisten. Auf Ersuchen des Zweit- bzw. Drittbeklagten unternahm der Kläger die Talfahrt. Er wurde dadurch in den fremden Betrieb wie ein Arbeitnehmer eingegliedert. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, die Tätigkeit des Klägers sei nicht eine solche gewesen, wie sie sonst ein Versicherter ausübe, ist nicht beizupflichten. Wie der Rekurs richtig ausführt, trifft die Annahme nicht zu, daß die Anwendung des § 176 (1) Z. 6 ASVG. nur auf normale und gefahrlose Arbeit beschränkt sei. Die Art, wie der Zweit- und Drittbeklagte versuchten, ohne besondere Unterbrechung des Liftbetriebes den Defekt zu beheben, war ungewöhnlich und unsachgemäß. Hätte aber ein bei der Erstbeklagten ständig beschäftigter Arbeiter versucht, den Schaden auf dieselbe Art zu beheben wie der Kläger, und wäre er dabei verunglückt, wäre die rechtliche Qualifikation eines Arbeitsunfalles im Sinne der Bestimmungen der §§ 175 ff. ASVG. nicht in Frage gestanden.
Bei diesen Umständen genießt der Drittbeklagte als Betriebsaufseher den Haftungsausschluß des § 333 (4) ASVG., wie bereits das Erstgericht erkannt hat.
Dies trifft jedoch für den Zweitbeklagten nicht zu. Er war in der Bergstation des Lifts eingesetzt und hatte lediglich dafür zu sorgen, daß die Liftbenützer von den Bügeln wegkämen und die Bügel eingezogen würden. Wenn er auch den Lift abstellen konnte, so reicht dies nicht für die Annahme aus, daß er für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich gewesen wäre. Daß er Überwachungsaufgaben zu besorgen hatte, daß er anderen Liftbediensteten übergeordnet oder ihnen gegenüber weisungsbefugt war, ist nicht hervorgekommen. Der Umstand, daß er im gegenständlichen Fall Weisungen vom Drittbeklagten einholte, beweist das Gegenteil. Ihm kommt aus diesen Erwägungen der Haftungsausschluß des § 333 (4) ASVG. nicht zugute.
Während also hinsichtlich des Zweitbeklagten der angefochtene Beschluß zu bestätigen ist, muß in Ansehung des Drittbeklagten der Beschluß der Berufungsinstanz aufgehoben und dem Berufungsgerichte insoweit die Bestätigung der klagsabweisenden Entscheidung des Erstgerichtes aufgetragen werden.