OGH vom 12.11.1998, 2Ob296/98p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am geborenen Matthias L*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Betroffenen gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 4 R 346/98v-35, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom , GZ 4 P 334/96g-28, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Das Erstgericht leitete aufgrund einer Mitteilung des Bezirksgerichtes Tamsweg das Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen einer Sachwalterbestellung für den Betroffenen ein. Nach (zweimaliger) persönlicher Anhörung gewann die Erstrichterin den Eindruck, der Betroffene sei unter Umständen nicht in der Lage, seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen, woraus sich die Notwendigkeit der Fortsetzung des Sachwalterschaftsverfahrens ergab. Mit Beschluß vom wurde der Rechtsanwalt, der dem Betroffenen in zwei Rechtsstreitigkeiten nach Bewilligung der Verfahrenshilfe beigegeben worden war, zum einstweiligen Sachwalter bestellt.
Dem gegen diesen Beschluß vom Betroffenen erhobenen Rekurs wurde in Ansehung der Anordnung einer einstweiligen Sachwalterschaft gemäß § 238 Abs 1 AußStrG keine Folge gegeben und der angefochtene Beschluß insoweit bestätigt. Lediglich hinsichtlich der Person des bestellten einstweiligen Sachwalters wurde in Stattgebung des Rekurses der Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Nunmehr bestellte das Erstgericht den ihm vom Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft namhaft gemachten Peter F***** zum einstweiligen Sachwalter gemäß § 238 Abs 1 AußStrG für den Betroffenen.
Dem dagegen vom Betroffenen erhobenen Rekurs wurde nicht Folge gegeben; das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig.
Es führte aus, bei der Auswahl der Person des einstweiligen Sachwalters sei § 281 ABGB anzuwenden. Grundsätzlich - sofern die Besorgung der Angelegenheiten der betroffenen Person nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordere (§ 281 Abs 3 ABGB) - sei primär der gesetzliche Vertreter (wenn der Betroffene minderjährig sei) bzw eine dem Betroffenen nahestehende Person als Sachwalter zu bestellen. Eine vom Sachwalterverein namhaft gemachte Person sei dagegen erst zu bestellen, wenn eine nach § 281 Abs 1 ABGB geeignete Person nicht vorhanden sei.
Da im vorliegenden Fall die Vertretung in einem Sachwalterbestellungsverfahren keine besondere Rechtskenntnisse erfordere und auch eine dem Betroffenen nahestehende Person, die zur Übernahme der einstweiligen Sachwalterschaft bereit sei, nicht vorhanden sei, habe das Erstgericht zu Recht den vom Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft namhaft gemachten und zur Übernahme dieser Funktion auch bereiten Peter F***** zum Verfahrenssachwalter gemäß § 238 Abs 1 AußStrG bestellt.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen; dieser ist zulässig, weil es zur Frage, wer zum Verfahrenssachwalter im Sinne des § 238 Abs 1 AußStrG zu bestellen ist, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gibt, er ist auch berechtigt.
Der Betroffene macht in seinem Rechtsmittel geltend, die Vorinstanzen hätten darauf zu achten gehabt, daß eine ihm nahestehende Person als einstweiliger Sachwalter bestellt werde. Es sei unrichtig, daß keine ihm nahestehende Person zur Übernahme der einstweiligen Sachwalterschaft bereit sei. Er habe Geschwister, Verwandte und Freunde, die durchaus in der Lage und auch bereit seien, als einstweiliger Sachwalter tätig zu sein. Der Erstrichterin wolle aufgetragen werden, konkrete Angaben darüber zu machen, welche geeignete Personen sie kontaktierte und bekannt zu geben, welche Personen die einstweilige Sachwalterschaft ablehnten.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu wurde erwogen:
§ 238 AußStrG sieht die Bestellung von Sachwaltern in zwei völlig unterschiedlichen Fällen vor: Als Rechtsbeistand für das Verfahren hat das Gericht dem Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen einen einstweiligen Sachwalter nach § 238 Abs 1 AußStrG zu bestellen; das Gericht hat aber nach § 238 Abs 2 AußStrG dem Betroffenen, wenn es sein Wohl erfordert, auch zur Besorgung "sonstiger" dringender Angelegenheiten für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen (1 Ob 252/97h mwN). Im vorliegenden Fall geht es um die Bestellung eines Verfahrenssachwalters nach § 238 Abs 1 AußStrG. Auch bei der Auswahl eines solchen einstweiligen Sachwalters ist § 281 ABGB anzuwenden (Gitschthaler, Verfahrenssachwalter und einstweiliger Sachwalter, ÖJZ 1990, 762 [764]; Maurer/Tschugguel, Das österreichische Sachwalterrecht in der Praxis**2, Rz 1 zu § 281 ABGB und Rz 1 zu § 238 AußStrG). Das Gericht ist auch bei der Bestellung eines Verfahrenssachwalters nach § 238 Abs 1 AußStrG grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Rechtsanwalt oder eine andere rechtskundige Person zu bestellen, weil im Sachwalterbestellungsverfahren das Schwergewicht der Probleme mehr im Tatsächlichen und weniger im Rechtlichen liegt. Auch der Wortlaut des § 238 Abs 1 AußStrG schließt keineswegs die Bestellung einer nicht rechtskundigen Person als Verfahrenssachwalter aus, weil nämlich die Auslegung, das Gesetz verstehe unter Rechtsbeistand jedenfalls eine rechtskundige Person, nicht zwingend ist (Gitschthaler, ÖJZ 1990, 764).
Die Reihenfolge der Tatbestände im § 281 ABGB ist als Reihung der Prioritäten zu verstehen (Schlemmer in Schwimann**2, ABGB Rz 1 zu § 281). Es ist daher - sofern die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person nicht im konkreten Fall vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert - primär der gesetzliche Vertreter (wenn der Behinderte minderjährig ist) bzw eine dem Behinderten nahestehende Person als Sachwalter zu bestellen; eine vom Sachwalterverein namhaft gemachte Person ist dagegen erst dann zu bestellen, wenn eine nach § 281 Abs 1 ABGB geeignete Person nicht vorhanden ist (1 Ob 252/97h).
Im vorliegenden Fall hat nun das Erstgericht nicht versucht, eine dem Betroffenen nahestehende Person im Sinne des § 281 Abs 1 ABGB ausfindig zu machen. Es hat lediglich versucht, über den Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft sowie über die Rechtsanwaltskammer für Kärnten und die Notariatskammer für Kärnten eine geeignete Person ausfindig zu machen. Die Ansicht des Rekursgerichtes, es sei keine dem Betroffenen nahestehende Person vorhanden, die zur Übernahme der einstweiligen Sachwalterschaft bereit sei, findet im Akt keine Deckung.
Es waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren (allenfalls nach weiterer Vernehmung des Betroffenen) zu ermitteln haben, ob nicht doch eine geeignete nahestehende Person vorhanden ist. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß die bestellte Person analog § 200 ABGB grundsätzlich zur Übernahme der Sachwalterschaft verpflichtet ist (RZ 1994/15, ÖA 1994, 70; ÖA 1998, 70).