OGH vom 24.04.2020, 7Ob171/19a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** Gesellschaft, *****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde B*****, vertreten durch Mag. Franz Paul, Rechtsanwalt in Wien, wegen 57.006,56 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 90/19d19, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom (richtig: 2019), GZ 55 Cg 6/18h14, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.253,60 EUR (darin 375,60 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Beklagte lud im Rahmen einer Ausschreibung zur Angebotslegung für ein Immobilienleasing betreffend einen nach den Wünschen der Beklagten zu errichtenden Kindergarten ein, wobei „die Leasingrate (…) in den ersten drei Jahren fix bleiben und sich danach an der Sekundärmarktrendite Emittenten gesamt lt. Tabelle 5.4. der OeNB orientieren (sollte)“. Die Beklagte entschied sich letztlich für das Angebot der Klägerin. Der von den Parteien abgeschlossene Leasingvertrag vom 22. 6./ hat auszugsweise folgenden Inhalt:
„...
III.
LEASINGENTGELT
(1) Das Leasingentgelt besteht aus der Leasingrate, den Betriebskosten und der Umsatzsteuer in der jeweiligen gesetzlichen Höhe.
(2) Die monatliche Leasingrate beträgt aufgrund der geschätzten Gesamtinvestitionskosten in Höhe von ATS 12,750.000,- … sowie des derzeit zugrundeliegenden kalkulatorischen Zinssatzes ATS 55.474,-. Verändern sich die Gesamtinvestitionskosten oder der kalkulatorische Zinssatz, so verändert sich auch die Leasingrate aliquot. …
…
IV.
KAPTIALMARKTANPASSUNG
(1) Die Leasinggeberin ist berechtigt die Leasingrate der Entwicklung des Kapital- und Geldmarktes anzupassen. Als Anpassungsindikator dient derzeit der 6MonatsVIBOR. Der Wert für den 6MonatsVIBOR ist dem statistischen Monatsheft der Oesterreichischen Nationalbank, Tabelle 3.1.0 Österreichische Geldmarktzinssätze, zu entnehmen.
(2) Die Anpassung gemäß VIBOR erfolgt zum 1. März und 1. September eines jeden Jahres – erstmals jedoch bei Übergabe des Leasingobjekts dergestalt, daß der kalkulatorische Zinssatzbestandteil der Leasingrate entsprechend der Änderung des VIBORWertes (6MonatsVIBOR) geändert wird, wobei als Basis der Wert für den Monat März 1998 = 3,67 % vereinbart wird (Offertbasis). Der der Leasingratenberechnung zugrundeliegende kalkulatorische Zinssatz von 4,03 % p.a. eff. ändert sich um denselben Absolutbetrag, wie sich der dem Änderungszeitpunkt unmittelbar zuletzt veröffentlichte Monatswert gegenüber dem Basisindexwert verändert hat. Sollte dieser Monatswert unter einem Wert von 3,25 % liegen, so gilt als Zinssatz für die Leasingratenberechnung ein Wert von 3,25 % zuzüglich 0,36 %-Punkte p.a. dek. Nom.
...“
Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagte
– auf Basis des Mindestzinssatzes – zur Zahlung restlicher Leasingraten. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vor, ob die von der Klägerin vorgebrachten Argumente ausreichten, die Vereinbarung einer Mindestzinsklausel sachlich zu rechtfertigen. Insofern weiche der zu beurteilende Sachverhalt auch von dem ab, welcher in der Entscheidung 3 Ob 47/16g zu beurteilen gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
A. Der Senat hat die von der Beklagten behauptete Aktenwidrigkeit geprüft; sie liegt nicht vor. Die tatsächliche oder vermeintlich unrichtige Auslegung oder Wiedergabe des Prozessvorbringens einer Partei im angefochtenen Urteil ist für die Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung ohne Bedeutung; hierin liegt keine Aktenwidrigkeit (RS0041814).
B. Im Revisionsverfahren ist vorrangig strittig, ob die im Rahmen der vereinbarten Kapitalmarktanpassung vorgesehene Mindestzinsklausel der Prüfung nach § 879 Abs 3 ABGB unterliegt und – gegebenenfalls – nach der genannten Bestimmung nichtig ist:
1. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) liegen nur dann nicht vor, wenn solche Bedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt worden sind (RS0123499 [T2]). Es reicht dabei nicht aus, dass die betreffende Klausel zwischen den Vertragsteilen erörtert und dem anderen Teil bewusst gemacht worden ist. Vielmehr muss der die Klausel verwendende Vertragsteil zu einer Änderung des von ihm verwendeten Textes erkennbar bereit gewesen sein (2 Ob 22/12t). Ob diese Voraussetzungen hier vorlagen, lässt sich – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – lediglich anhand des (vermeintlich) nicht konkret bestrittenen Parteienvorbringens nicht abschließend beurteilen. Diese Frage kann allerdings dahingestellt bleiben.
2. § 879 Abs 3 ABGB ist nur auf Vertragsbestimmungen anzuwenden, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegen. Diese Ausnahme von der Inhaltskontrolle ist nach ständiger Rechtsprechung möglichst eng zu verstehen (RS0016908). Nicht jede Vertragsbestimmung, die die Leistung oder das Entgelt betrifft, ist damit von der Inhaltskontrolle ausgenommen, sondern lediglich die individuelle ziffernmäßige Umschreibung der Hauptleistungen (RS0016908 [T1]). Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 3 Ob 47/16g (= ÖBA 2017/2269 [krit Zöchling-Jud]) § 879 Abs 3 ABGB auf eine – mit der vorliegenden Entgeltvereinbarung weitgehend übereinstimmende – zwischen zwei Unternehmern (Leasingnehmer und Leasinggeber) vereinbarte Mindestzinsklausel angewandt. Der 3. Senat ist dort – wenngleich ohne nähere Stellungnahme zu dieser Frage – offenkundig davon ausgegangen, dass die Mindestzinsklausel der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB unterliegt. Diese Beurteilung bedarf im Lichte der Entscheidung 1 Ob 75/19i (ÖBA 2020/2634 [zust Riss]) jedenfalls im vorliegenden Fall keiner neuerlichen Überprüfung:
3. Wer die Nichtigkeit einer Klausel nach § 879 Abs 3 ABGB behauptet, hat die tatsächlichen Umstände, aus denen im Einzelfall die Nichtigkeit abzuleiten ist, zu behaupten und im Bestreitungsfall zu beweisen (RS0016441). Dabei steht der Umstand, dass die Vertragspartner Unternehmer sind (vgl § 1 Abs 2 Satz 2 KSchG), der Beurteilung als gröblich benachteiligend zwar nicht grundsätzlich entgegen. Im Einzelfall kann aber eine besonders gravierende Ungleichgewichtslage in den durch den Vertrag festgelegten Rechtspositionen zu fordern sein (RS0119324). Die Beurteilung der Voraussetzungen des § 879 Abs 3 ABGB hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (arg „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls“; 4 Ob 90/19t mwN).
4. Die nur unvollständige Zweiseitigkeit der Mindestzinsklausel ist im Rahmen eines beweglichen Systems und im Verhältnis zwischen Unternehmern jedenfalls kein Grund, der allein die Nichtigkeit nach § 879 Abs 3 ABGB begründen könnte. Immerhin hat die Beklagte in ihrer Ausschreibung selbst für einen bestimmten Zeitraum eine variable Leasingrate nachgefragt, sodass die Klägerin davon ausgehen konnte, dass der Beklagten daraus resultierende Entwicklungsmöglichkeiten (zumindest im Grundsatz) klar waren. Damit verbietet sich auch die Annahme einer relevant verdünnten Willensfreiheit der Beklagten. Der vereinbarte Mindestzinssatz lag nahe dem Ausgangszinssatz und beide Zinssätze bewegten sich im Nahbereich des gesetzlichen Zinssatzes, was keine auffällige wirtschaftliche Schieflage zu Lasten der Beklagten indiziert. Die den spezifischen weltwirtschaftlichen Entwicklungen geschuldete Niedrigzinsentwicklung war bei Vertragsabschluss im Jahr 1998 nicht absehbar. Schließlich steht im vorliegenden Fall auch kein Verhalten der Leasinggeberin fest, durch welches die betreffende Klausel auf ähnlich nachteilige Weise in den Vertrag eingeführt worden wäre, wie dies gerade für die Entscheidung 3 Ob 47/16g kennzeichnend war und wodurch sich die beiden Sachverhalte wesentlich unterscheiden. Der Mindestzinssatz ist – entgegen der Ansicht der Beklagten – auch kein „Zinsderivat“. Die Klägerin traf demnach keine besonderen, von der Beklagten aus dieser Bezeichnung als „Zinsderivat“ abgeleiteten Aufklärungspflichten und daraus folgt auch nicht die Anwendbarkeit des Wertpapieraufsichtsgesetzes.
5.1. Die Verneinung der von der Beklagten auf § 879 Abs 3 ABGB gestützten Unwirksamkeit der Mindestzinsklausel durch das Berufungsgerichts hält sich damit im Rahmen des bei Anwendung eines beweglichen Systems einzuräumenden Beurteilungsspielraums und ist somit nicht korrekturbedürftig. Die Revision ist daher mangels der Vorsetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und zurückzuweisen.
5.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00171.19A.0424.000 |
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