zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 31.10.2018, 7Ob171/18z

OGH vom 31.10.2018, 7Ob171/18z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** M*****, vertreten durch Dr. Manfred Rath, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei W***** AG, *****, vertreten durch Mag. Dieter Hauser, Rechtsanwalt in Wien, wegen 46.614,78 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 24/18v40, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 17 Cg 19/16f36, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.227,92 EUR (darin enthalten 371,32 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Kraftfahrzeug des Klägers, ein „Nissan GTR“ mit einer Motorleistung von 485 PS ist bei der Beklagten seit April 2015 haftpflicht und vollkaskoversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (AKHB 2015) und die Allgemeinen Bedingungen für die Vollkaskoversicherung (VK 2013) zugrunde. Die VK 2013 lauten auszugsweise:

Art 6 Was ist nicht versichert? (Risikoausschlüsse)

Ausgeschlossen von der Versicherung sind Schadenereignisse,

[…]

2.

[...]

Der Kläger nahm mit seinem Fahrzeug im September 2015 an der sogenannten A*****Rally teil, deren Zweck als CharityVeranstaltung darin besteht, einen Erlös zu erzielen, der gespendet wird. Die Veranstaltung dauert vier Tage, wobei die teilnehmenden Fahrzeuge eine Motorleistung von zumindest 200 PS aufweisen müssen; es werden aber auch Fahrzeuge mit einer geringeren Motorleistung akzeptiert, wenn es sich um besondere Fahrzeuge handelt. Die etwa 100 Teilnehmer trafen einander in F*****, wo die Fahrzeuge auf dem für die Veranstaltung gesperrten Hauptplatz aufgestellt wurden, um sie der Bevölkerung präsentieren zu können. Sodann begaben sich die Teilnehmer jeder für sich mit ihren Fahrzeugen nach R***** zu einer Rennstrecke, die vom Veranstalter der A*****Rally für mehrere Stunden gemietet worden war und während dieser Zeit den Teilnehmern zur Verfügung stand. Nachdem sich die Teilnehmer an der Rennstrecke in R***** gesammelt hatten, fuhren sie im Konvoi auf die Rennstrecke auf. Beim Befahren der Rennstrecke wurden die Fahrzeuge der Teilnehmer vom Veranstalter gefilmt und fotografiert. Die Rennstrecke konnte von den Teilnehmern frei befahren werden, sie erreichten dabei Geschwindigkeiten bis zu 150 km/h. Während der Veranstaltung fand kein Wettbewerb statt, es wurde keine Wertung vorgenommen und es erfolgte keine Preisverleihung.

Die Rennstrecke war in einem schlechten Zustand, weil sich auf der Fahrbahnoberfläche Wellen und Schlaglöcher befanden. Nachdem der Kläger einige Runden absolviert hatte, näherte er sich bei einer Geschwindigkeit von etwa 140 km/h bis 150 km/h einer Linkskurve von etwa 90 Grad und führte eine Vollbremsung durch. Aufgrund der Bodenunebenheiten verlor das Fahrzeug trotz ABS teilweise den Bodenkontakt, sodass es tangential aus der Kurve geriet, über eine etwa acht bis zehn Meter breite Schotterfläche außerhalb der Rennstrecke rutschte und gegen einen festmontierten Reifenstapel prallte, wodurch das Fahrzeug beschädigt wurde. Die Reparaturkosten zur Behebung des unfallkausalen Schadens betragen 46.947,78 EUR. Der Kaskoselbstbehalt beträgt 333 EUR.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 46.614,78 EUR sA. Zum Unfall sei es im Rahmen der CharityVeranstaltung „A*****Rally“ bei einem Schaufahren im Automotodrom G***** in R***** gekommen. Die Veranstaltung sei in keiner Weise auf die Erzielung hoher Geschwindigkeiten ausgelegt gewesen und es habe keine rennähnliche Situation bestanden. Der Unfall habe sich damit nicht im Rahmen einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung ereignet, weshalb der Risikoausschluss nach Art 6.2 VK 2013 nicht zur Anwendung gelange.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Bei der A*****Rally habe es sich um eine kraftfahrsportliche Veranstaltung im Sinne der Versicherungsbedingungen gehandelt. Eine solche sei dann gegeben, wenn die Veranstaltung einen Leistungsbewerb zum Gegenstand habe, nach dem die Fahrzeuge und die Lenker bewertet würden. Es komme nicht darauf an, welche Geschwindigkeiten erzielt werden könnten, sondern vielmehr darauf, ob die Strecke die von den Fahrern benutzt werde, für den übrigen Verkehr gesperrt sei und allenfalls auch eine Bewertung der Fahrer und der Fahrzeuge erfolge. Das Erzielen von Höchstgeschwindigkeiten sei aber auch Bestandteil dieser Veranstaltung gewesen, die mit den Schlagwörtern „Adventure, Speed, Fun and Charity“ beworben worden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Eine kraftfahrsportliche Veranstaltung sei ein Wettbewerb, an dem Automobile oder Motorräder teilnehmen würden und bei welchen gewisse Voraussetzungen zu erfüllen seien, die in Form von Ausschreibungen im Vorhinein festgelegt würden. Darunter fielen alle Rennen, Rekordversuche, Leistungsbewerbe, Zulässigkeitsfahrten, Stern und Zielfahrten. Der Unfall habe sich auf einer abgesperrten Rennstrecke ereignet. Für einen Risikoausschluss im Sinn von Art 6.2 VK 2013 sei daher die Ausrichtung der Veranstaltung auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten nicht erforderlich. Während der gesamten Veranstaltung habe kein Wettbewerb stattgefunden. Auch wenn sich der Unfall auf einer abgesperrten Rennstrecke ereignet habe, läge unter diesen Gesichtspunkten keine kraftfahrsportliche Veranstaltung im Sinn von Art 6.2 VK 2013 vor, weshalb der Kläger Anspruch auf Deckung des beim Unfall entstandenen Fahrzeugschadens habe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehe unter kraftfahrsportlichen Veranstaltungen solche, die den Sport betreffen, zum Sport gehören und ehrlich, fair und meist im Rahmen eines sportlichen Wettkampfs erfolgen würden. Die veranstaltete A*****Rally enthalte keine Elemente eines Wettkampfs. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verbinde mit einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung aber jedenfalls irgendeine (Be)Wertung im Rahmen eines ausgeübten Sports. Eine Sportausübung könne aus dem festgestellten Sachverhalt nicht abgeleitet werden. Das Vorliegen des eingewendeten Risikoausschlusses sei zu verneinen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Klausel auslegungsbedürftig sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RISJustiz RS0050063 [T71], RS0112256 [T10], RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RISJustiz RS0008901 [insb T 5, T 7, T 87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RISJustiz RS0050063 [T3]).

1.2 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RISJustiz RS0080166 [T10]; RS0080068).

1.3 Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RISJustiz RS0107031).

2. Im vorliegenden Fall geht es um die Auslegung des Begriffs „kraftfahrsportliche Veranstaltung“ in Art 6.2 VK 2013.

2.1.1 Rechtsbegriffe haben in der Rechtssprache eine bestimmte Bedeutung und sind daher in diesem Sinn auszulegen. Dieser Grundsatz kann allerdings nur dann zur Anwendung kommen, wenn dem zu beurteilenden Rechtsinstitut nach herrschender Ansicht ein unstrittiger Inhalt beigemessen wird und es deshalb in der Rechtssprache eine einvernehmliche Bedeutung hat. Entsprechendes hat nicht nur für die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verwendeten Rechtsbegriffe zu gelten, sondern auch für jene Rechtsinstitute, die bei der Prüfung, ob Deckung in den vereinbarten Rechtsschutzbausteinen besteht, unter die Allgemeinen Versicherungsbedingungen subsumiert werden müssen (RISJustiz RS0123773).

Der zu beurteilende Begriff wird zwar auch in § 1 Abs 2 lit 2 KFG gebraucht. Eine für den Versicherungsnehmer verbindliche Bedeutung ist der Formulierung des Risikoausschlusses aber nicht zu entnehmen.

2.1.2 Unter einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung wird nach dem KFG einerseits jeder Wettbewerb verstanden, an dem Automobile oder Motorräder teilnehmen und bei welchen gewisse Voraussetzungen zu erfüllen sind, die in Form von Ausschreibungen im Vorhinein festgesetzt werden. Darunter fallen Rennen, Rekordversuche, Leistungswettbewerbe, Zuverlässigkeitsfahrten, Stern und Zielfahrten (Novak, Österreichisches StraßenverkehrsrechtKraftfahrrecht81, § 1 KFG, zu Abs 2 lit c ). Der Oberste Gerichtshof hat ebenfalls bereits ausgeführt, dass eine kraftfahrsportliche Veranstaltung im Sinn des § 1 Abs 2 lit c KFG gegeben ist, wenn es sich dabei um einen „Leistungswettbewerb“ (arg: Bewertung der Fahrzeuge und Lenker) handelt, mag auch eine technischmotorische Kraftleistung nicht im Vordergrund stehen (7 Ob 51/03f). Andererseits wurde aber auch ein auf einer für den sonstigen Verkehr gesperrten öffentlichen Straße durchgeführter Rally-Lehrgang, der nicht in Form eines öffentlichsportlichen Wettbewerbs abgewickelt wurde, als motorsportliche Veranstaltung angesehen (8 Ob 215/76).

3. Sport wird allgemein sowohl als Körper und Bewegungskultur als auch als Wettbewerbs und Wettkampfkultur verstanden. Sport und somit auch der Kraftfahrsport setzt daher nicht zwingend eine Wettbewerbs oder Wettkampfsituation voraus. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verbindet aber mit dem Begriff Kraftfahrsport eine Leistungsbewertung, entweder in Form eines Leistungsvergleichs, sei es zwischen dem Können der Fahrer oder den Leistungen der Fahrzeuge, sei es eine Steigerung (vgl Trainingsfahrten) oder eine Zurschaustellung dieser Leistungen. Unter einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung im Sinn der Versicherungsbedingungen ist damit die Teilnahme an einem solchen Leistungsvergleich, einer Steigerung oder Zurschaustellung dieser Leistungen zu verstehen, bei welcher gewisse Voraussetzungen zu erfüllen sind, die in Form von Ausschreibungen im Vorhinein festgelegt werden.

4.1 Im vorliegenden Fall wurden nach den Feststellungen aber weder die Leistungen der Fahrer oder Fahrzeuge verglichen, noch gesteigert, noch zur Schau gestellt. Vielmehr erfolgte lediglich eine Zurschaustellung der Fahrzeuge selbst. Die Veranstaltung war mit keiner Art einer Leistungsorientierung verbunden.

4.2. Dagegen spricht auch nicht, dass die Fahrzeuge – in der Regel – 200 PS haben mussten. Die Demonstration dieser Leistungsstärke war nicht Teil der Veranstaltung, handelte es sich doch bloß um eine rollende Ausstellung, wobei es auch nicht schadet, dass diese teilweise auf einer abgesperrten Rennstrecke stattfand. Abgesehen davon, dass sich der Ausschluss nicht explizit auf das Fahren auf Rennstrecken bezieht, bestand auch nach der Ausschreibung kein besonderer Anreiz für besonders schnelles oder riskantes Fahren.

5. Das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen und die darauf gegründete Verneinung des Vorliegens des Ausschlusstatbestands erfolgten somit zutreffend.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41, 50 ZPO.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00171.18Z.1031.000

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.