OGH vom 28.09.2006, 4Ob142/06w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Viktor T*****, geboren am , *****, vertreten durch Ing. Mag. Dr. Roland Hansely, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des inzwischen volljährigen Antragstellers Viktor T***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 43 R 740/05z-104, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom , GZ 38 P 103/03w-96, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Antragsteller ist der außereheliche Sohn von Margit B***** und DI Peter T*****. Seine Eltern waren verheiratet gewesen, die Ehe wurde aber zwei Jahre vor seiner Geburt einvernehmlich geschieden. Dennoch lebten sie weiterhin zusammen. Im Scheidungsvergleich hatten sie vorgesehen, dass das Eigentum an der Ehewohnung an den Vater fallen sollte. Dabei handelte es sich aber, wie zwischen den Eltern rechtskräftig feststeht, um ein Scheingeschäft. Die frühere Ehewohnung blieb daher in ihrem Miteigentum. In weiterer Folge bezog die Familie ein inzwischen errichtetes Haus, die Wohnung wurde vermietet.
Nach Auflösung der Lebensgemeinschaft zog die Mutter Mitte 2001 mit dem Antragsteller und einem weiteren Kind in die frühere Ehewohnung. Die Betriebskosten trägt sie seither allein. Für die Wohnung könnte ein Mietzins von etwa 645 EUR (inkl. 10 % USt) erzielt werden. Im vorliegenden Verfahren setzte das Erstgericht, soweit noch relevant, den vom Vater ab Jänner 2002 zu leistenden Unterhalt fest. Die monatlichen Beträge sind nicht mehr strittig. Weiters sprach es aus, dass Naturalunterhaltsleistungen von monatlich 110 EUR anzurechnen seien. Da der Vater seinen Anteil an der Wohnung ohne Gegenleistung zur Verfügung stelle, müsse sich der Antragsteller den auf ihn entfallenden Anteil an einem angemessenen Benutzungsentgelt anrechnen lassen. Die Wohnung werde von drei Personen bewohnt und gehöre zur Hälfte dem Vater. Daher sei ein Sechstel der angemessenen Miete als Naturalunterhalt anzurechnen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Zurverfügungstellen von Wohnraum sei iSd jüngeren Rsp als Gewährung von Naturalunterhalt zu werten. Der Mutter stehe kein Anspruch nach § 97 ABGB mehr zu, sodass die darauf gestützte Rsp zur Nichtanrechenbarkeit der Wohnraumüberlassung nicht anwendbar sei. Die Auffassung des Erstgerichts, dem Antragsteller sei ein Sechstel der fiktiven Miete als Ersparnis anzurechnen, sei nicht zu beanstanden. Eine Reduzierung dieses Betrags komme schon deswegen nicht in Betracht, weil der nach der Anrechnung verbleibende Geldunterhalt den sonstigen Lebensbedarf des Antragstellers den Lebensverhältnissen entsprechend ausgewogen abdecke. Dass die Mutter die Betriebskosten trage, sei unerheblich, weil ohnehin nur das aus dem Hälfteigentum des Vaters abgeleitete anteilige Benutzungsentgelt angerechnet werde. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht unter Hinweis auf uneinheitliche Judikatur zur Anrechnung der Überlassung von Wohnraum als Naturalunterhalt zu. Insbesondere gebe es keine höchstgerichtliche Rsp zur Frage, ob eine solche Naturalunterhaltsleistung auch dann zu berücksichtigen sei, wenn sie aus der Beibehaltung des gemeinsamen Wohnungseigentums der Eltern resultiere.
In seinem Revisionsrekurs stützt sich der Antragsteller in erster Linie darauf, dass die Mutter sämtliche Wohnkosten trage. Der Vater habe daher in Wahrheit nichts geleistet, die Mutter sei auch aufgrund einer inzwischen geschlossenen Vereinbarung die "wirtschaftliche" Alleineigentümerin. Abgesehen davon sei die eine Anrechnung ablehnende Rechtsprechung zu § 97 ABGB schon aus Gleichheitserwägungen auch auf die Rechtslage nach Auflösung einer Lebensgemeinschaft zu übertragen. Da für eine teilweise Fremdvermietung Umbauarbeiten erforderlich wären, müssten jedenfalls die dafür (fiktiv) erforderlichen Kosten auf den (fiktiven) Ertragswert angerechnet werden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Der Senat hat in der E 4 Ob 41/05s (= JBl 2005, 782 = immolex 2006, 26) nach ausführlicher Darstellung der älteren Judikatur und der daran im Schrifttum geübten Kritik (Deixler-Hübner, Zur Anrechnung von Geld- und Naturalunterhalt, ecolex 2001, 110; Gitschthaler, Unterhaltsrecht [2001] Rz 56/1) ausgesprochen, dass das Zurverfügungstellen einer Wohngelegenheit "auch beim Kindesunterhalt nicht mehr von vornherein als von der Beurteilung als anrechenbarer Naturalunterhalt ausgeschlossen angesehen werden kann". Der Unterhaltsberechtigte benötige wegen der vom Unterhaltsschuldner gewährleisteten Wohnversorgung nicht mehr den gesamten Geldunterhalt, um seinen Lebensbedarf zu decken. Das führe im Regelfall zur Anrechnung als Naturalunterhalt.
Diese Begründung erfasst auch Fälle, in denen der Geldunterhaltsverpflichtete die Wohnung dem betreuenden Elternteil nach § 97 ABGB überlassen muss. Denn auch in diesem Fall vermindert sich durch das - wenngleich nicht freiwillige - Zurverfügungstellen der konkrete Bedarf des Unterhaltsberechtigten. Die auf § 97 ABGB gestützte Rsp zur Nichtanrechenbarkeit von Naturalunterhalt (RIS-Justiz RS0009551) wurde daher mit dieser Entscheidung ebenfalls, wenngleich nur obiter, abgelehnt.
Die E 4 Ob 41/05s wurde in einer E des 7. Senats zustimmend zitiert (7 Ob 95/05d). In einer anderen E dieses Senats wurde jedoch die ebenfalls auf § 97 ABGB gestützte Differenzierung zwischen Wohnungsbenützungs- und Wohnungsbeschaffungskosten (vgl RIS-Justiz RS0110549, RS0047457) aufrecht erhalten (7 Ob 191/05x). Erstere seien auf alle Nutzer der Wohnung aufzuteilen, letztere kämen bis zur Erledigung eines Aufteilungsverfahrens oder einer sonstigen vermögensrechtlichen Regelung nur dem anderen Ehegatten zugute. Darin könnte ein Widerspruch zur Auffassung des erkennenden Senates gesehen werden, wonach (im Ergebnis) auch das Zurverfügungstellen der Wohnsubstanz anteilig allen Nutzern zuzurechnen ist.
2. Auf diese Erwägungen kommt es hier aber nicht an. Denn die Bindung durch § 97 EheG besteht zwar nach einer Scheidung der Ehe zunächst fort. Sie endet aber jedenfalls mit der Beendigung eines Aufteilungsverfahrens nach den §§ 81 ff EheG oder mit dem ungenutzten Ablauf der Frist des § 95 EheG (RIS-Justiz RS0009580; zuletzt etwa 3 Ob 51/03a = JBl 2003, 929, und 10 Ob 14/06s, beide mwN). Im vorliegenden Fall haben die Parteien kein Aufteilungsverfahren eingeleitet, die Antragsfrist war bereits vor der Geburt des Antragstellers abgelaufen. Der Antragsgegner könnte daher jederzeit die Aufhebung der Gemeinschaft am Mindestanteil oder die Erlassung einer Benutzungsordnung begehren; einen § 97 ABGB vergleichbaren Anspruch seiner Miteigentümerin gibt es nicht. Unterlässt er die Durchsetzung seiner Rechte und duldet statt dessen die Nutzung (auch) durch den Antragsteller, steht einer Anrechnung auch nach der älteren Rsp nichts entgegen (Gitschthaler aaO Rz 57 mwN; vgl insb die auf dieser Unterscheidung beruhende E 1 Ob 570/95 = SZ 68/157). Die Anrechnung träfe unter den konkreten Umständen auch ein eheliches Kind. Insofern liegt daher keine unsachliche Differenzierung vor. Ob eine Verschiedenbehandlung von Ehewohnungen iSv § 97 ABGB und anderen zur Verfügung gestellten Wohngelegenheiten grundsätzlich sachgerecht ist (dagegen mit guten Gründen Deixler-Hübner aaO bei FN 12), kann hier dahinstehen. Durch die vom Senat für beide Fälle vertretene Anrechenbarkeit wird sie jedenfalls vermieden. Unabhängig davon wäre dem Antragsteller aber aus den aufgezeigten Gründen nicht geholfen, wenn man - entgegen der Auffassung des Senats - die ältere Rsp zu § 97 ABGB aufrecht erhielte. Sein Anspruch wäre davon jedenfalls nicht erfasst. Die vom Rekursgericht als Begründung des Zulassungsausspruchs angeführten Divergenzen in der Rechtsprechung sind daher für den hier zu beurteilenden Fall nicht von Bedeutung.
3. Die Anrechnung könnte zwar ausgeschlossen sein, wenn der Geldunterhaltspflichtige für das Zurverfügungstellen des Wohnraums eine Gegenleistung erhält oder erhalten hat (4 Ob 41/05 s; vgl auch 1 Ob 159/03v = MietSlg 55.003; Gitschthaler aaO Rz 57/3). Dafür gibt es hier aber keinen Anhaltspunkt. Eine Vereinbarung über die Nutzung und/oder die Übertragung des Eigentums wurde von den Tatsacheninstanzen nicht festgestellt. Soweit sich der Antragsteller noch immer auf die angebliche Übertragung des gesamten Mindestanteils an seine Mutter beruft, ist er auf die diesbezügliche Negativfeststellung des Rekursgerichts zu verweisen. Auch der im Revisionsrekurs angesprochene Umstand, dass die Mutter offenbar seit Mitte 2001 den gesamten Wohnraumkredit zurückzahlt, hat keine Auswirkungen auf den hier zu beurteilenden Unterhaltsanspruch. Diese Rückzahlung führt ebenso wie das Tragen (zumindest) der verbrauchsunabhängigen Aufwendungen auf die Liegenschaft (zB Grundsteuer, Versicherungsprämien etc) nach § 839 ABGB zu einem anteiligen Rückersatzanspruch der Mutter gegen den Vater (RIS-Justiz RS0013804; vgl Gamerith in Rummel3 § 839 Rz 4). Diese Leistungen der Mutter können daher mangels darauf gerichteter Vereinbarung nicht, wie in der E 1 Ob 159/03v erwogen, als Äquivalent für die Überlassung der gesamten Wohnung an sie und die Kinder gedeutet werden. Denn der Vater wäre doppelt belastet, wenn die Anrechnung als Naturalunterhalt um den letztlich von ihm zu tragenden Anteil an den Kosten beschränkt würde: einerseits müsste er entsprechend mehr Geldunterhalt zahlen, andererseits wäre er aber auch seiner Miteigentümerin zum Ersatz verpflichtet. Dieses Problem kann nur durch eine auf die formalen Rechtspositionen abstellende Betrachtungsweise gelöst werden. Der Antragsteller kann sich daher bei der Anrechnung von Naturalunterhalt nicht auf mögliche Regressansprüche seiner Mutter berufen. Umgekehrt könnten aber auch Kreditrückzahlungen durch den Vater bei einer Anrechnung der Wohnversorgung als Naturalunterhalt nicht gleichzeitig von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Das wäre wiederum eine schon in der E 4 Ob 41/05s abgelehnte doppelte Bevorzugung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils.
4. Das Ausmaß der Anrechnung ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls (4 Ob 41/05s, 7 Ob 95/05d; vgl RIS-Justiz RS0053263). Eine vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung liegt nicht vor.
Dass die Kreditrückzahlungen durch die Mutter auf das Ausmaß der Anrechnung keinen Einfluss haben, wurde bereits dargestellt. Auch die weiteren Argumente des Revisionsrekurses können nicht überzeugen. Die dort angesprochenen (fiktiven) Kosten eines Wohnungsumbaus, der für die teilweise Vermietung erforderlich wäre, sind unerheblich: Der Grund für die Anrechnung liegt darin, dass sich der Antragsteller (anteilige) Mietkosten erspart. Stünde die Wohnung nicht zur Verfügung, müssten die drei Bewohner für eine gleichwertige Wohnversorgung den vom Erstgericht angenommenen Betrag aufwenden. Auf den Antragsteller entfiele ein Drittel. Diesen Betrag erspart er sich, weil der Vater seine Rechte aus der Miteigentumsgemeinschaft nicht geltend macht. Wegen des Hälfteigentums des Vaters an der Wohnung (am Mindestanteil) ist es nicht zu beanstanden, wenn das Rekursgericht die Hälfte des ersparten Betrags als anrechenbaren Naturalunterhalt ansieht; die andere Hälfte "leistet" die Mutter (zur grundsätzlichen Aufteilung des Naturalunterhalts nach Kopfteilen vgl RIS-Justiz RS0009509).
Eine allein auf den Kopfteil abstellende Anrechnung der Mietersparnis könnte zwar zu einer (fiktiven) Überalimentierung in diesem Teilbereich und, damit verbunden, zu einer unangemessenen Verkürzung des Geldunterhalts führen (vgl Gitschthaler aaO Rz 56). Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn die überlassene Wohnung, etwa wegen ihrer nicht (mehr) erforderlichen Größe, nicht den Lebensverhältnissen der Beteiligten entspricht. Ob das zutrifft, hängt aber ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Auffassung des Rekursgerichts, dass der Geldunterhalt durch die Anrechnung nicht unangemessen verkürzt wird, ist nicht zu beanstanden.
5. Zusammengefasst gilt daher Folgendes: Eine fiktive Mietersparnis ist auch dann als Naturalunterhalt anzurechnen, wenn der Unterhaltsschuldner nur Miteigentümer der dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung stehenden Wohnung ist. Der Umstand, dass der betreuende Elternteil Kreditrückzahlungen leistet und die Betriebskosten der Wohnung trägt, steht der Anrechnung nicht grundsätzlich entgegen. Das Ausmaß der Anrechnung ist eine Frage des Einzelfalls, die von den Vorinstanzen in vertretbarer Weise gelöst wurde. Aus diesen Gründen war dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.