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OGH vom 27.02.2019, 6Ob222/18t

OGH vom 27.02.2019, 6Ob222/18t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny, die Hofrätinnen Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer sowie Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****krankenkasse, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch Dr. Anna Schlosser-Péter, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, wegen Feststellung (Revisionsinteresse 33.387,72 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 35 R 170/18m-44, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Insolvenzverwalterin Zahlungen der Gesellschaft an die Klägerin infolge deren Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gemäß § 31 Abs 1 Z 2 IO zu Recht angefochten hat. Aufgrund des (am außergerichtlich) abgeschlossenen Vergleichs sei die Bürgenhaftung des Beklagten wieder aufgelebt (vgl hiezu die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs RIS-Justiz RS0032229). Diese Auffassung lässt der Beklagte in seiner außerordentlichen Revision ausdrücklich unbekämpft. Er verweist allerdings darauf, dass die Insolvenzverwalterin in dem nach § 31 Abs 2 IO maßgeblichen Zeitraum von sechs Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens lediglich drei Teilzahlungen in der Gesamthöhe von 26.612,28 EUR angefochten habe. Unter Berücksichtigung des von der Klägerin selbst vorgelegten Anfechtungsschreibens der Insolvenzverwalterin vom handelt es sich dabei erkennbar um die Zahlungen vom in Höhe von 8.700 EUR, vom in Höhe von 15.000 EUR und vom in Höhe von 2.912,28 EUR. Davon ausgehend bekämpft der Beklagte die Feststellung einer Insolvenzforderung in seinem eigenen Schuldenregulierungsverfahren in Höhe von 26.612,28 EUR im Revisionsverfahren zutreffend nicht mehr.

2. Aus dem Anfechtungsschreiben der Insolvenzverwalterin ergibt sich die Anfechtung einer weiteren Zahlung in Höhe von 4.051 EUR am , die nach den Feststellungen des Erstgerichts am auf dem Konto der Klägerin gebucht wurde (Wertstellungsdatum ). Auch diese Zahlung lag noch innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 31 Abs 2 IO:

Die Einhaltung dieser Frist ist materielle Voraussetzung des Anfechtungsanspruchs, die der Kläger behaupten und beweisen muss; aus welchen Gründen die Frist (allenfalls) versäumt wurde, ist bedeutungslos (RIS-Justiz RS0064615). Bei Barzahlung ist auf den Zeitpunkt der Übereignung des Geldes abzustellen, bei Überweisung auf die Gutschrift auf dem Empfängerkonto (Rebernig in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 30 KO [2006] Rz 150 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die Sechsmonatsfrist ist eine materiell-rechtliche Frist, die nach § 902 ABGB zu berechnen ist (König, Die Anfechtung nach der Insolvenzordnung5 [2014] Rz 6/3). Die Formulierung „Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ in § 30 Abs 2 bzw § 31 Abs 2 IO ist dabei so zu verstehen, dass die Fristen von jenem Tag an zurückzurechnen sind, der der öffentlichen Bekanntmachung des Inhalts des Insolvenzedikts folgt (vgl § 2 Abs 1 IO) (Rebernig aaO Rz 154; König aaO Rz 6/4 beide mit Berechnungsbeispielen). Da das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft am eröffnet wurde und damit für eine Anfechtung nach § 31 IO auf Rechtshandlungen (hier: Gutschrift auf dem Konto der Klägerin) abzustellen ist, die ab dem vorgenommen worden waren, erfolgte die Anfechtung auch hinsichtlich der Zahlung in Höhe von 4.051 EUR fristgerecht und damit – nach dem eigenen Standpunkt des Beklagten im Revisionsverfahren – zu Recht. Insoweit kommt der außerordentlichen Revision somit keine Berechtigung zu.

3. Schließlich hat die Insolvenzverwalterin mit ihrem Schreiben vom Zahlungen vom in Höhe von 25.000 EUR und vom in Höhe von 4.051 EUR angefochten, bei denen es sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen (ebenfalls) um Beitragszahlungen der Gesellschaft an den klagenden Sozialversicherungsträger handelte. Diese Zahlungen lagen außerhalb der Anfechtungsfrist des § 31 Abs 2 IO.

3.1. Das Wiederaufleben der Hauptschuld aufgrund erfolgreicher Anfechtung ihrer Befriedigung (Zahlung) betrifft auch die Haftung des Bürgen, der (wieder) in Anspruch genommen werden kann, wenn die vom Schuldner erbrachte und vom Gläubiger angenommene Leistung später erfolgreich angefochten wird (RIS-Justiz RS0032229). Nach zutreffender Ansicht von König (Die Anfechtung nach der Insolvenzordnung5 [2014] Rz 16/33 unter Hinweis auf Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs) ist das Ergebnis eines Anfechtungsprozesses für den Bürgen allerdings nicht bindend, wenn diesem dort nicht der Streit verkündet wurde, was erst recht für eine vergleichsweise Bereinigung der Anfechtungsansprüche zu gelten hat. Dem vom Anfechtungsgegner in Anspruch genommenen Bürgen steht deshalb der Einwand zu, der Anfechtungsgegner habe sich (teilweise) zu Unrecht den Anfechtungsansprüchen des Insolvenzverwalters unterworfen.

Darauf hat sich der Beklagte bereits im Verfahren erster Instanz berufen. Seiner Auffassung, das Wiederaufleben der Hauptforderung bedürfe jedenfalls einer gerichtlichen Prüfung, vermag sich der Oberste Gerichtshof allerdings nicht anzuschließen, sollte damit gemeint sein, es müsse jedenfalls ein Anfechtungsprozess geführt werden (vgl 5 Ob 544/84); war dies nicht der Fall, ist die Berechtigung der Anfechtungsansprüche im Verfahren gegen den Bürgen als Vorfrage zu prüfen.

3.2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen bot die Klägerin der Insolvenzverwalterin eine vergleichsweise Bereinigung der Anfechtungsansprüche mit 60.000 EUR an, weil sie aufgrund ihrer Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft befürchtete, im Fall eines Anfechtungsprozesses weit mehr als nur die innerhalb des letzten halben Jahres vor Insolvenzeröffnung getätigten Beitragszahlungen zurückzahlen zu müssen; tatsächlich hatte sie innerhalb dieses Zeitraums von der Gesellschaft 59.094,63 EUR an Beitragszahlungen angenommen. Daraus lässt sich aber zwanglos schließen, dass die vergleichsweise Bereinigung vom nicht bloß die von der Insolvenzverwalterin in ihrem bereits mehrfach erwähnten Schreiben ausdrücklich angefochtenen Zahlungen, sondern sämtliche Beitragszahlungen in den letzten sechs Monaten vor Insolvenzeröffnung erfasste. Diese waren ja bei Abschluss der Vereinbarung noch nicht gemäß § 43 Abs 2 IO erloschen.

3.3. Das Erstgericht hat sich auch mit dem Vorliegen der Voraussetzungen einer Anfechtung wegen Begünstigung nach § 30 Abs 1 IO beschäftigt, für welche dessen Abs 2 eine Frist von 1 Jahr vor Insolvenzeröffnung vorsieht. Die beiden Zahlungen vom in Höhe von 25.000 EUR und vom in Höhe von 4.051 EUR lagen innerhalb dieser Frist.

3.3.1. Nach § 30 Abs 1 Z 1 IO sind vom Gläubiger erlangte Befriedigungen anfechtbar, die dieser nicht oder nicht in der Art oder nicht in der Zeit zu beanspruchen hatte (inkongruente Deckung). Diese Anspruchsgrundlage ist hier allerdings nicht gegeben, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Anfechtung von Sozialversicherungsbeiträgen die genannte Voraussetzung nicht vorliegt, wenn die beklagte Partei Anspruch auf die Beitragszahlungen hatte, ihre Forderungen zur Zeit der Zahlung somit fällig waren; in diesem Fall hätten die Zahlungen nämlich den materiellen Rechtsverhältnissen entsprochen, die beklagte Partei habe nur das erhalten, was ihr gebührte, sodass keine inkongruente Befriedigung vorgelegen habe (2 Ob 543/92; RIS-Justiz RS0064367). Da weder die Klägerin noch der Beklagte in Frage stellen, dass es sich bei den beiden genannten Zahlungen um fällige Sozialversicherungsbeiträge handelte, waren sie nicht wegen Begünstigung anfechtbar.

3.3.2. Allerdings sind nach § 30 Abs 1 Z 3 IO erlangte Befriedigungen anfechtbar, wenn dem Gläubiger die Absicht des Schuldners, ihn vor anderen Gläubigern zu begünstigen, bekannt war oder bekannt sein musste; ob die gewährte Deckung kongruent oder inkongruent war, ist hier nicht maßgebend (2 Ob 114/99z).

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt diese Begünstigungsabsicht etwa vor, wenn der Schuldner durch die Befriedigung des Gläubigers von einem ihm seitens desselben drohenden Insolvenzverfahrens befreit werden sollte (8 Ob 593/86) oder der Schuldner im Bewusstsein der eigenen Überschuldung Befriedigung tätigte (6 Ob 2086/96 ÖBA 1997, 205 [Koziol]). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte die Gesellschaft den (unter anderem angefochtenen) Betrag in Höhe von 25.000 EUR nach dem ersten Insolvenzantrag der Klägerin am gezahlt, woraufhin der Antrag vom Insolvenzgericht abgewiesen wurde. Die Gesellschaft hatte jedenfalls ab 2011 ein negatives Eigenkapital von mehreren hunderttausend Euro; die Lage verschlimmerte sich jedes Jahr. Dass die Gesellschaft (durch ihren Geschäftsführer, den Beklagten) in Begünstigungsabsicht handelte, ist somit nicht zu bezweifeln.

Die Begünstigungsabsicht musste dem Anfechtungsgegner auch bekannt sein, wenn ihm genügend verdächtige Umstände bekannt waren oder bei gehöriger Sorgfalt bekannt sein mussten, die den Schluss auf eine Begünstigungsabsicht des Schuldners rechtfertigten (6 Ob 37/01m; 3 Ob 99/10w); leichte Fahrlässigkeit genügt (RIS-Justiz RS0064379). Lag eine krisenhafte Situation vor, hatte sich der Anfechtungsgegner über die finanziellen Verhältnisse seines Schuldners zu informieren; tat er dies nicht, handelte er fahrlässig (vgl 3 Ob 99/10w betreffenden einen Sozialversicherungsträger). Der Klägerin war im vorliegenden Fall die krisenhafte Situation der Gesellschaft (deren Zahlungsunfähigkeit) bekannt; damit musste ihr aber auch deren Begünstigungsabsicht bekannt sein.

3.3.3. Damit hat die Klägerin aber die von der Insolvenzverwalterin erhobenen Anfechtungsansprüche auch insoweit zu Recht anerkannt, als die Zahlungen in den letzten zwölf Monaten vor Insolvenzeröffnung erfolgt waren, somit insgesamt mit einem Betrag von 59.714,28 EUR.

3.4. Berücksichtigt man die Ausführungen beider Vorinstanzen, es habe „weitaus höher liegende tatsächlich anfechtbare Zahlungen“ der Gesellschaft gegeben, ist die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von 60.000 EUR durch die Vorinstanzen vertretbar.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00222.18T.0227.000

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