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OGH vom 30.08.2006, 7Ob170/06k

OGH vom 30.08.2006, 7Ob170/06k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna B*****, vertreten durch Gloß Pucher Leitner & Schweinzer, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Leopold B***** , vertreten durch Dr. Karl Haas und Mag. Andreas Friedl, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Unterhalt, über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 23 R 76/06h-25, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Melk vom , GZ 4 C 85/04a-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:

„Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin zusätzlich zum Unterhaltsbetrag laut Vergleich des Bezirksgerichtes Melk im Verfahren 4 C 80/02p vom in Höhe von EUR 536,-- für die Monate November 2003 bis Dezember 2004 einen weiteren Unterhaltsbetrag in Höhe von insgesamt EUR 506,30 und ab einen zusätzlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von EUR 25,-- monatlich zu bezahlen, wobei die bereits fälligen Beträge binnen 14 Tagen sowie die zukünftigen Unterhaltsbeträge am Ersten eines jeden Monates im Vorhinein zu bezahlen sind.

Das Mehrbegehren auf Zahlung eines weiteren Unterhaltsbetrages von insgesamt EUR 48,-- für die Zeit von November 2003 bis Dezember 2004 und eines weiteren zusätzlichen monatlichen Unterhaltsbetrages von EUR 15,-- ab wird abgewiesen."

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin an Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen EUR 611,62 (darin EUR 97,03 USt und EUR 29,37 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Melk vom , GZ 4 C 121/02t gemäß § 55 Abs 1 EheG rechtskräftig geschieden und gemäß § 61 Abs 3 EheG das Alleinverschulden des Beklagten (dort Kläger) an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen. In dem von der Klägerin noch während der Ehe zu 4 C 80/02p des Bezirksgerichtes Melk angestrengten Unterhaltsverfahren hatte sich der Beklagte am vergleichsweise zu monatlichen Unterhaltszahlungen von EUR 536,-- ab verpflichtet. Dieser Regelung wurde ein monatliches Einkommen des Beklagten von EUR 1.623,-- zugrundegelegt. Nach einem Arbeitsplatzwechsel erzielte der Beklagte als Mechaniker später ein etwas geringeres Einkommen als jenes, auf dem der Unterhaltsvergleich basiert; und zwar im Jahr 2004 monatlich etwa EUR 1.611,-- und im Jahr 2005 monatlich etwa EUR 1.579,--. Die Klägerin war nie berufstätig, sondern hatte den Haushalt versorgt und die drei ehelichen Kinder betreut, die bei Vergleichsbeschluss bereits selbsterhaltungsfähig waren. Bis zur Scheidung war die Klägerin bei der Krankenversicherung des Beklagten mitversichert. Danach hatte sie für eine freiwillige Krankenversicherung zunächst monatlich EUR 37,15 und ab Jänner 2004 monatlich EUR 40,76 zu bezahlen. Bis einschließlich Oktober 2003 erstattete ihr der Beklagte diese Beträge zusätzlich zu seinen monatlichen Unterhaltsleistungen von EUR 536,--.

Die Forderungen der Klägerin auf Erstattung auch der in der Zeit von November 2003 bis Dezember 2004 aufgelaufenen Krankenversicherungsbeiträge von EUR 554,30 sowie auf Weiterzahlung eines zusätzlichen monatlichen Unterhaltsbetrages von EUR 40,-- ab zur Abdeckung der laufenden Krankenversicherungsbeiträge waren zuletzt (nach einer Klagsänderung und -ausdehnung) Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites. Zur Begründung ihres Begehrens führte die Klägerin, soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich, aus, sie werde durch die Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge zusätzlich belastet. Der Beklagte sei auf Grund seines Einkommens in der Lage, die begehrten zusätzlichen Unterhaltsleistungen zu erbringen.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Die vorübergehenden zusätzlichen monatlichen Zahlungen von EUR 37,15 seien titellos und in rechtlicher Unkenntnis erfolgt. Sein Einkommen sei nun etwas niedriger als zum Zeitpunkt des Unterhaltsvergleiches. Es bestehe daher kein Anlass für eine Unterhaltserhöhung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Krankenkassenbeiträge seien nach überwiegender Lehre und Rechtsprechung vom gesetzlichen Unterhaltsanspruch nach § 94 ABGB umfasst. Die Klägerin habe mangels eines Eigeneinkommens einen Unterhaltsanspruch von rund 33 % des Einkommens des Beklagten. Da sich der Anspruch der Klägerin in den Jahren 2004/2005 mit ca EUR 528,-- errechne, sei eine Unterhaltserhöhung nicht gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Anders als in der Entscheidung 1 Ob 25/04i, auf die sich die Klägerin berufen habe, lägen hier keine atypischen Verhältnisse vor. Es bestehe daher kein Anlass, der Klägerin einen, den üblichen Prozentsatz (von 33 %) übersteigenden Anteil am Einkommen des Beklagten zuzubilligen. Auch die von der Klägerin für die freiwillige Krankenversicherung zu leistenden Beiträge rechtfertigten die begehrte Unterhaltserhöhung nicht. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung normiere § 69 Abs 2 EheG keinen gesonderten Unterhaltsanspruch; vielmehr umfasse der gesetzliche Unterhaltsanspruch nach § 94 EheG auch die Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung.

Allerdings habe der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 1 Ob 180/01d ausgesprochen, dass dieser Grundsatz nicht gelte, wenn der Unterhaltsberechtigte, müsste er die Sozialversicherungsbeiträge aus eigenem Vermögen tragen, auf geringere Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes als das Existenzminimum beschränkt wäre. Die Frage, ob in einem solchen Fall gemäß § 69 Abs 2 zweiter Satz ABGB (soll heißen EheG) dem Unterhaltsberechtigten die Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung zusätzlich zu erstatten seien, sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung, weshalb die ordentliche Revision zulässig sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Der Beklagte stellt in der Revisionsbeantwortung den Antrag, dem Rechtsmittel seiner Prozessgegnerin keine Folge zu geben, sondern die Berufungsentscheidung zu bestätigen.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und teilweise auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung werden sowohl im Ehegatten- als auch im Kindschaftsrecht grundsätzlich nur bei durchschnittlichen Verhältnissen (aus Gründen der Einfachheit und der Gleichbehandlung) pauschalierte, nach Prozenten der Einkommensbemessungsgrundlage festgesetzte Unterhaltsbeträge zugesprochen (vgl etwa 1 Ob 122/97s); eine gesetzliche Grundlage für die (starre) Anwendung eines bestimmten Berechnungssystems besteht - nach wie vor - nicht. Der Oberste Gerichtshof kann auch nicht Regeln der Unterhaltsbemessung derart aufstellen, dass sich gleichsam eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall ergibt, sondern vielmehr in Fragen der Unterhaltsbemessung nur aussprechen, auf welche Umstände es im Wesentlichen ankommt (RIS-Justiz RS0047419). Insoweit stellen die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Prozentsätze zur Ermittlung der Höhe des Unterhaltes bloß eine Orientierungshilfe dar, um für Durchschnittsfälle eine generalisierende Regel zur Verfügung zu haben (8 Ob 503/94; 7 Ob 288/01f). Die Unterhaltsbemessung nach der Prozentkomponente bietet also zwar für durchschnittliche Verhältnisse eine brauchbare Handhabe, bei atypischer Sachlage ist jedoch eine Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse erforderlich (5 Ob 168/02w, ÖA 2003, 179; 3 Ob 31/05p). Atypische Verhältnisse wurden etwa in der Entscheidung 1 Ob 25/04i angenommen, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat. Dessen Ansicht, der vorliegende Fall weise hingegen keine atypischen Besonderheiten auf und sei mit jenem, der der zitierten Entscheidung zugrunde liegt, daher nicht vergleichbar, weshalb die Unterhaltsbemessung nach der Prozentkomponente zu erfolgen habe (und der Anspruch der Klägerin nach den festgestellten Umständen 33 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage betrage), ist grundsätzlich zu billigen. Da sich bereits die Unterhaltsvereinbarung vom ganz offensichtlich an der Prozentkomponente orientierte (der vom Beklagten zu leistende monatliche Unterhalt wurde in Höhe von 33 % der Bemessungsgrundlage festgesetzt), stellt sich nun die vom Berufungsgericht zu Recht für erheblich erachtete Frage, ob die Klägerin die von ihr seit der Scheidung für die freiwillige Krankenversicherung zu entrichtenden Beiträge gemäß § 69 Abs 2 EheG zusätzlich zu den vergleichsweise vereinbarten Unterhaltsleistungen beanspruchen kann.

Nach der genannten Gesetzesstelle umfasst der Unterhaltsanspruch jedenfalls auch den Ersatz der Beiträge zur freiwilligen Versicherung des unterhaltsberechtigten Ehegatten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wie die Gesetzesmaterialien (AB 916 BlgNR 14. GP 2) erläutern, ist es Ziel dieser Bestimmung, „den schuldlos gegen seinen Willen geschiedenen Ehegatten unterhaltsrechtlich möglichst so zu stellen, wie wenn die Ehe nicht geschieden wäre". Genießt der Unterhaltsberechtigte während aufrechter Ehe als Angehöriger des pflichtversicherten Unterhaltspflichtigen Krankenversicherungsschutz, so soll er auch nach der Scheidung, ohne dass ihm dadurch ein zusätzlicher Aufwand erwächst, in dieser Beziehung geschützt sein. Als Lösung sehen die Sozialversicherungsgesetze die freiwillige Versicherung des schuldlos Geschiedenen in der Krankenversicherung vor. Die von diesem hiefür benötigten Beträge sind aber im Sinne der Formel von der unveränderten unterhaltsrechtlichen Stellung des schuldlos nach § 55 EheG geschiedenen Ehegatten dem anderen früheren Ehegatten im Rahmen seiner Unterhaltspflicht aufzuerlegen. Um darüber keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wurde dies ausdrücklich angeordnet (1 Ob 577/82, EFSlg 41.340 ua). Nach nunmehr ständiger, bereits gefestigter Rechtsprechung wird dabei zwar kein neben dem allgemeinen Unterhaltsanspruch bestehender gesonderter Unterhaltsanspruch auf Bezahlung dieser Beiträge normiert (Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 713 mwN; 10 Ob 1519/88, EFSlg 57.279; 1 Ob 180/01d, JBl 2002, 172 ua; RIS-Justiz RS0057332). Der Ersatz der Beiträge bildet jedoch eine absolute Untergrenze des zustehenden Unterhaltes (vgl RIS-Justiz RS0057261), also ein Unterhaltsprivileg, das selbst dann zukommt, wenn sonst keinerlei oder nicht einmal dieser Unterhalt geleistet werden kann (7 Ob 576/82, EFSlg 41.338; 10 Ob 1519/88, EFSlg 57.279; 1 Ob 568/93, RZ 1994/65; 1 Ob 180/01d ua; Zankl in Schwimann, ABGB3 § 69 EheG Rz 10; Gitschthaler aaO Rz 713 mwN).

Unter Hinweis auf dieses Unterhaltsprivileg hat der Oberste Gerichtshof in der bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 1 Ob 180/01d ausgesprochen, dass der schuldlos geschiedene Ehegatte gemäß § 69 Abs 2 Satz 2 EheG nicht nur dann den Ersatz der von ihm entrichteten Beiträge zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung erlangt, wenn sie in dem nach den allgemeinen Bemessungskriterien zu berechnenden Unterhalt gemäß § 94 ABGB Deckung finden, sondern auch dann, wenn ihm zwar mangels Leistungsfähigkeit des an sich Unterhaltspflichtigen ein solcher Unterhaltsanspruch nicht zustünde, er aber, müsste er die Sozialversicherungsbeiträge aus eigenem Vermögen tragen, auf geringere Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes als das Existenzminimum beschränkt wäre.

Der erkennende Senat teilt diese Ansicht, die dem erläuterten Sinn und Zweck der betreffenden Gesetzesbestimmung entspricht. Danach haben die für die freiwillige Krankenversicherung aufzuwendenden Beiträge eines Unterhaltsberechtigten, der lediglich über Mittel verfügt, die unter dem - unter sinngemäßer Anwendung des § 292b Z 1 EO nach dem Ausgleichszulagenrichtsatz zu ermittelnden (vgl RIS-Justiz RS0109823) - so genannten Existenzminimum liegen, bei der Unterhaltsbemessung Berücksichtigung zu finden. Dass der im Vergleich vereinbarte Unterhaltsbeitrag von monatlich EUR 536,-- unter dem Existenzminimum liegt, ist unstrittig.

Dies rechtfertigt allerdings die von der Klägerin begehrte Erhöhung der monatlichen Unterhaltsleistung des Beklagten um EUR 40,-- deshalb nicht ohne weiteres, weil auch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten berücksichtigt werden muss. Werden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung neben einem bereits bestehenden Unterhaltstitel für die Vergangenheit begehrt, steht dem Unterhaltspflichtigen - wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat - die Einwendung offen, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit habe sich seit Schaffung des Unterhaltstitels vor Scheidung der Ehe derart gemindert, dass ein neu festzusetzender Betrag zuzüglich der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung im alten Unterhaltstitel ganz oder teilweise Deckung fände (RIS-Justiz RS003352).

Zu berücksichtigen ist demnach auch, dass das vom Beklagten nunmehr erzielte monatliche Einkommen etwas geringer ist als jenes, das dem Unterhaltsvergleich vom zugrunde gelegt wurde. Ausgehend von den Einkünften des Beklagten im Jahr 2004 von EUR 1.611,-- und ab dem Jahr 2005 von EUR 1.579,-- errechnen sich die zusätzlichen Ansprüche der Klägerin unter Bedachtnahme auf die von dieser entrichtenden Versicherungsbeiträge unter Anwendung der Prozentkomponente für die Zeit von November 2003 bis Dezember 2004 mit insgesamt EUR 506,30 bzw mit monatlich EUR 25,-- ab . Damit wird einerseits die im Sinne des § 69 Abs 2 Satz 2 EheG angestrebte Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes „ohne zusätzlichen Aufwand" der schuldlos geschiedenen Klägerin sichergestellt. Andererseits wird auch der Leistungsfähigkeit des Beklagten angemessen Rechnung getragen: Erscheint doch die Alimentierung der Klägerin mit etwa 35 % des Einkommens des Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände auch aus Sicht der üblichen „Richtsatz-Praxis" vertretbar.

In teilweiser Stattgebung der Revision waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher spruchgemäß abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO, für die Kosten der Rechtsmittelverfahren überdies auf § 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin bis zur in der Verhandlung am erfolgten Klagsausdehnung zur Gänze durchgedrungen ist, hat ihr der Beklagte ihre bis dahin aufgelaufenen Verfahrenskosten zur Gänze zu ersetzen. Im weiteren Verfahren erster Instanz sowie im Rechtsmittelverfahren hat sich die Klägerin mit rund fünf Achtel ihres Begehrens durchgesetzt, weshalb ihr der Beklagte ein Viertel aller weiteren Verfahrenskosten sowie 62,5 % der richtig verzeichneten Barauslagen schuldet.