OGH vom 19.09.2012, 3Ob153/12i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Ing. J*****, vertreten durch Dr. Stefan Hoffmann und Dr. Thomas Herzog, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, gegen die verpflichtete Partei Reinhaltungsverband S*****, vertreten durch Dr. Heinrich Häupl, Rechtsanwalt in Nußdorf, wegen Entfernung, über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom , GZ 22 R 230/11x 10, womit infolge Rekurses der verpflichteten Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom , GZ 3 E 2090/11b 2, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs der betreibenden Partei wird dahin Folge gegeben, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Der betreibenden Partei werden für ihren Revisionsrekurs 373,68 EUR (darin 62,28 EUR Umsatzsteuer) als weitere Exekutionskosten bestimmt.
Text
Begründung:
Mit rechtskräftigem Urteil vom hat das Erstgericht die verpflichtete Partei, einen Reinhalteverband, schuldig erkannt,
1. es ab sofort zu unterlassen, das Grundstück des Klägers (= nun betreibende Partei), Grundstücknummer 51 … in welcher Form auch immer in Anspruch zu nehmen, insbesondere durch Betreten, Befahren, Baggern, Ablagern und Einbauen von Kanalrohren, und
2. binnen 1 Monat die in das Grundstück Nr 51 . vorgenommenen Einbauten, Kanalrohre etc zu entfernen ...“ (siehe 1 Ob 239/08s).
Am stellte die betreibende Partei einen Antrag auf Exekution zur Erwirkungen einer vertretbaren Handlung nach § 353 EO: Die betreibende Partei möge durch nachstehende konkretisierte Handlungen ermächtigt werden, die in ihr Grundstück Nr 51 vorgenommenen Einbauten, Kanalrohre etc auf Kosten der verpflichteten Partei selbst zu entfernen oder durch einen Dritten, ein Fachunternehmen für Tief-Kanalbau, entfernen zu lassen:
• Einrichten der Baustelle, umfassend Antransport von Gerätschaften, Handwerkzeug, Verbau, Stromkabel
• Vorhaltekosten der Gerätschaften, Spundwände, Bohlen, Verbau und deren Einsatz,
• Errichten eines Bauzauns, Vorhalten und Abtragen des Bauzaunes, um den Zutritt für Passanten zur Baustelle zu verhindern,
• Herstellen des Baustromverteilers, Vorhalten des Baustromverteilers,
• Aufstellen und Einrichten einer WC Zelle, Instandhalten, Reinigen und Abbauen einer WC Zelle für das Arbeitspersonal,
• Herstellung der Absturzsicherung (Umwehrung/Geländer) an Absturzkanten,
• Vorhalten der Absturzsicherung und Entfernen derselben,
• Abbrechung (Abbruch) der Betonrohre mit Gerätschaften oder händisch,
• Abtransportieren und Entsorgen des Betonabbruches (Betonrohre) Aushub, Freilegen der abzutragenden Einbauten und anschließendes Wiederverfüllen der Baugrube,
• Abkappen und Verschließen der Druckleitung an der Grundgrenze,
• Hinterfüllen des Baukörpers und der Gräben mit Aushubmaterial,
• Liefern und Einbringen sowie Hinterfüllen von Baukörper und Gräben mit beizuschaffenden Schüttmaterial,
• Anbringen und Umstellen der Schneideanrichtung für das Abtrennen der Betonrohre entlang der Grundgrenze,
• Ansetzen der Schneideeinrichtung am Kanalrohr zur Durchführung des Längsschnittes,
• Durchsägen des Kanalrohres in Längsrichtung mit unterschiedlicher Schnitttiefe.
Zugleich beantragte die betreibende Partei, der verpflichteten Partei aufzutragen, die voraussichtlichen Kosten der Entfernung von 90.229,90 EUR binnen 14 Tagen an die betreibende Partei zu zahlen. Zur Bescheinigung dieser Kosten und deren Angemessenheit wurde auf eine vorgelegte Kostenschätzung eines Bauunternehmens und eine (dieser Schätzung zugrunde liegenden) Plankopie des Grundstücks 51 verwiesen.
Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom (ON 2) die Exekution antragsgemäß.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der verpflichteten Partei dahin Folge, dass es den Exekutionsantrag zur Gänze abwies (ON 10).
Zwar bestehe im Rekursverfahren Neuerungsverbot, weshalb die Unmöglichkeit der Beseitigung eines bestehenden Zustands nicht mit Rekurs, sondern mit Impugnationsklage geltend zu machen sei. Offenkundige Umstände könnten allerdings auch im Exekutionsverfahren wahrgenommen werden. Nach dem Antrags- wie auch nach dem Titelinhalt seien Abwasserleitungsrohre (Kanalrohre) zu entfernen. Es sei als offenkundig (§ 269 ZPO) anzunehmen, dass in Abwasserleitungen eben Abwässer abgeleitet würden. Daher bedürfe es sowohl im Fall des Absperrens einer Leitung (Abschneiden und Verschließen der offenen Mündung) wie auch im Fall des bloßen Abschneidens (ohne Verschließen der Mündung) offenkundig weiterführender Maßnahmen, um sowohl das ungehinderte Austreten der Abwässer in die Umgebung der Schnittstelle wie auch die Beeinträchtigung einer öffentlichen Versorgungsanlage (präziser: Entsorgungsanlage) zu verhindern. In Frage käme hier beispielsweise das Errichten eines neuen Leitungsstücks im öffentlichen Weg neben dem klägerischen Grundstück und der Anschluss des bestehenden Leitungssystems an dieses neue Stück, wonach die am Grundstück der betreibenden Partei verlaufenden Rohre ohne Abwasseraustritt und ohne Beeinträchtigung des Entsorgungszwecks entfernt werden könnten. Die Schaffung eines Zustands, bei dem Kanalstränge außer Funktion gesetzt werden und das Grundstück der betreibenden Partei durch Abwasser allenfalls noch mehr beeinträchtigt werde als durch das Vorhandensein der funktionsfähigen Rohre, könne nicht mehr als vom Normzweck des § 353 EO umfasst angesehen werden. Die Konsequenz daraus sei, dass die betreibende Partei wegen der Notwendigkeit unvertretbarer Mitwirkungshandlungen des verpflichteten Verbands auf die Exekutionsführung nach § 354 EO verwiesen werden müsse. Die betreibende Partei sei dann auch in der Lage zu bescheinigen, dass unvertretbare Mitwirkungshandlungen des verpflichteten Verbands erforderlich seien. Im Hinblick auf dieses Ergebnis müsse auf die weiteren Argumente im Rekurs der verpflichteten Partei nicht mehr eingegangen werden.
Angesichts der weitreichenden Folgen und Kosten einer Kanalstrangabtrennung sei der Wert des Entscheidungsgegenstands mit mehr als 30.000 EUR festzusetzen. Der Revisionsrekurs sei trotz der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung zulässig, weil zur Frage, ob die Exekution zur Entfernung von Teilen von in Betrieb befindlichen Leitungssträngen (gleich, ob Kanal, Trinkwasser, Öl etc) nach § 353 oder nach § 354 EO zu führen sei, eine Rechtsprechung des Höchstgerichts fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der betreibenden Partei aus dem Revisionsrekursgrund der Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie die unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Exekution nach § 353 EO abgewichen ist; er ist auch im Sinne einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidungen berechtigt.
Im Vordergrund des Revisionsrekursvorbringens stehen folgende zwei Punkte:
- Das Rekursgericht habe seine Erörterungspflicht dadurch verletzt, dass es seiner Entscheidung zweifelhafte Tatsachen als offenkundig zugrunde gelegt habe, ohne diese mit den Parteien zu erörtern. Eine Erörterung hätte die Unrichtigkeit der Annahme des Rekursgerichts hervorgebracht, dass durch die zu entfernenden Kanalrohre ständig Fäkalabwässer abgeleitet würden. Vielmehr dienten die Kanalrohre der Ableitung von Oberflächenniederschlagswässern im Fall von Niederschlägen; sonst seien die Kanäle trocken. Folglich sei eine „Abschaltung“ und Entleerung der Kanalisation gar nicht erforderlich, abgesehen davon, dass es auch anders möglich sei, den Zweck der Entsorgungsanlage unbeeinträchtigt zu lassen.
- Das Rekursgericht sei bei der Beurteilung ob Exekution nach § 353 EO oder nach § 354 EO zu führen sei, von den vom Obersten Gerichtshof entwickelten Grundsätzen abgewichen. Allein der Umstand, dass die durchzusetzende Handlung in die Sphäre der verpflichteten Partei eingreife, mache die Handlung nicht unvertretbar. Aus dem auf die Entfernung der Rohre lautenden Exekutionstitel ergäben sich keine allein von der verpflichteten Partei zu erbringenden Leistungen. Die Entfernung der Rohre könne ebenso gut von einem Dritten durchgeführt werden.
Dazu wurde erwogen:
1. Welche Exekutionsart anzuwenden ist, richtet sich nach dem Inhalt des Exekutionstitels (RIS Justiz RS0004357 [T2]). Im vorliegenden Fall wurde die verpflichtete Partei schuldig erkannt, „die in das Grundstück Nr 51 … vorgenommenen Einbauten, Kanalrohre etc zu entfernen“.
Eine Bezugnahme auf eine mit einer Exekution nach § 353 EO verbundene Unbrauchbarmachung einer öffentlichen (Fäkal )Abwässerentsorgungsanlage, wie sie das Rekursgericht unterstellt, ist im Titel nicht enthalten.
Anders als das Rekursgericht vermeint ergibt sich eine solche Folge auch nicht aus der Begründung des Titelurteils (zur eingeschränkten Maßgeblichkeit siehe unten 4.1.): In diesem heißt es, dass der beklagte Reinhalteverband unter dem Projekt „... und Regenbecken ... unter anderem Kanalstränge zur Ableitung der aus dem Gemeindegebiet … anfallenden Abwässer zu ihrer Verbandskläranlage“ errichtete. Auf Seite 9 des Urteils wird auf einen (vor dem Verwaltungsgerichtshof erfolgreich bekämpften) Bescheid einer Verwaltungsbehörde Bezug genommen, in dem von Abwasserleitungen und einem Regenbecken die Rede ist.
2. Nach dem für den Rekurs im Exekutionsverfahren geltenden Neuerungsverbot (RIS Justiz RS0002371) hat das Rekursgericht auf der gleichen Sachverhaltsgrundlage zu entscheiden, wie sie dem Erstgericht vorlag oder bei mängelfreier Führung des Verfahrens vorliegen hätte müssen. Daher verstößt es nicht gegen das Neuerungsverbot, wenn sich der Rekurswerber auf Tatsachen beruft, die das Erstgericht entweder von Amts wegen oder aufgrund entsprechenden Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren zu ermitteln gehabt hätte ( Jakusch in Angst 2 § 65 EO Rz 33).
Angesichts des Inhalts des Titels und des Exekutionsantrags (wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass dessen Fassung maßgeblich durch die vom Rekursgericht im vorangegangenen Exekutionsverfahren gesetzten Anforderungen beeinflusst ist) bestand für das Erstgericht kein Anlass für weitere Erhebungen. Dem Rekursgericht war es daher verwehrt, die Tatsachengrundlage seiner Entscheidung durch Bezugnahme auf „offenkundige“ Umstände zu verbreitern. Überhaupt können die angenommenen Umstände keineswegs als unzweifelhaft angesehen werden, weshalb ihre Berücksichtigung jedenfalls einer Erörterung mit den Parteien bedurft hätte (RIS Justiz RS0040219 [T9]).
3. Die §§ 353 und 354 EO enthalten eine zwingende Regelung der jeweils zugelassenen Exekutionsart. Verstöße gegen diese Bestimmungen sind von Amts wegen zu beachten; der Vollzug einer unzulässigen Exekution darf abgelehnt werden (RIS Justiz RS0004781). Eine Handlung ist vertretbar iSd § 353 EO, wenn sie nicht nur von der verpflichteten Partei, sondern auch von einem Dritten vorgenommen werden kann, ohne dass es für den betreibenden Gläubiger einen rechtlichen oder wirtschaftlichen Unterschied macht, wer sie tatsächlich vornimmt (RIS Justiz RS0004706 [T2]). Im Zweifel wird die Handlung (zunächst) als vertretbar angesehen, weil die Exekution vertretbarer Handlungen den Verpflichteten weniger belastet, vor allem aber, weil sie eher zur „inhaltlichen“ Durchsetzung des Exekutionstitels führt (RIS-Justiz RS0004652).
Unter Zugrundelegung des Titelinhalts und des Exekutionsantrags ist von einer zu vollstreckenden vertretbaren Handlung iSd § 353 EO auszugehen. Es ist nicht erkennbar, dass die geschuldete Handlung nicht durch einen Dritten, sondern nur durch den verpflichteten Reinhalteverband persönlich vorgenommen werden könnte bzw dass die Vornahme der geschuldeten Handlung ausschließlich vom Willen der verpflichteten Partei abhinge (vgl RIS Justiz RS0004489). Zutreffend verwies das Rekursgericht darauf, dass mit der Exekutionsbewilligung nach § 353 EO auch die Ermächtigung des betreibenden Gläubigers verbunden ist, allenfalls erforderliche verwaltungsbehördliche Genehmigungen einzuholen ( Klicka in Angst , EO² § 353 Rz 12 mwN).
4. Im Hinblick auf dieses Ergebnis ist auf die vom Rekursgericht nicht behandelten Rekursgründe einzugehen. Wegen des Neuerungsverbots (siehe oben 2.) sind allerdings nur die angeblich fehlende Übereinstimmung zwischen Titel und Exekutionsantrag sowie die gerügte Unbestimmtheit des Titels und der Angaben im Exekutionsantrag zu behandeln.
4.1. Bei der Entscheidung über den Exekutionsantrag hat das Bewilligungsgericht zu prüfen, ob das Exekutionsbegehren vom Exekutionstitel gedeckt ist (RIS Justiz RS0000217 [T1]). Nach der Rechtsprechung (RIS Justiz RS0000296) ist für die Beurteilung „des Umfanges des Gegenstandes des Exekutionstitels“ der Spruch des Exekutionstitels maßgebend; die Exekution hat sich streng an den Wortlaut des Exekutionstitels zu halten. Im Fall einer Undeutlichkeit des Spruchs ist es zulässig, die Gründe zur Auslegung des Willens des Richters heranzuziehen (RIS Justiz RS0000296 [T1]).
Wie schon mehrfach erwähnt wurde die verpflichtete Partei im Titelurteil schuldig erkannt, die in das Grundstück Nr 51 … vorgenommenen Einbauten, Kanalrohre etc zu entfernen. Der Exekutionsantrag bezieht sich grob gesagt auf die Entfernung von Kanalrohren samt den dazu erforderlichen Nebenarbeiten. Es ist weder erkennbar, dass der Exekutionstitel einer Auslegung bedürfte noch, dass der Exekutionsantrag vom Exekutionstitel abweichen würde.
4.2. Die Beschreibung der geschuldeten Leistung hat zwar soweit dies ihrer Natur nach möglich ist so genau wie möglich zu erfolgen; hinlänglich bestimmt ist aber zB die in einem Exekutionstitel enthaltene Verpflichtung zur Vornahme aller zu einem bestimmten Zweck notwendigen Handlungen, wenn sich deren Umfang abgrenzen lässt (RIS Justiz RS0000534). Dem betreibenden Gläubiger soll die Exekution nicht durch einen überzogenen Formalismus unmöglich gemacht werden (RIS Justiz RS0000534 [T1]). In diesem Sinn ist es nicht notwendig, im Exekutionsantrag alle Ausführungsdetails zu beschreiben (RIS Justiz RS0000808 [T11]).
4.3. Im vorliegenden Fall sind sowohl der Titel als auch die Angaben im Exekutionsantrag im Sinne der dargestellten Rechtsprechung ausreichend bestimmt.
5. Daher ist dem Revisionsrekurs der betreibenden Partei dahin Folge zu geben, dass die erstinstanzliche, die Exekution nach § 353 EO bewilligende Entscheidung wiederhergestellt wird.
Der betreibenden Partei sind die Kosten ihres erfolgreichen Revisionsrekurses zuzusprechen.
Fundstelle(n):
VAAAD-42121