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OGH vom 21.10.2019, 2Nc39/19m

OGH vom 21.10.2019, 2Nc39/19m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Musger und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj C***** B*****, geboren am ***** 2003, *****, Schweiz, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Übertragung der Zuständigkeit für diese Pflegschaftssache vom Bezirksgericht Döbling an das Bezirksgericht Salzburg wird nicht genehmigt.

Text

Begründung:

Die Obsorge für den Minderjährigen kommt aufgrund des Scheidungsvergleichs vor dem Bezirksgericht Salzburg vom ***** 2011 der Mutter alleine zu. Das Kind lebte mit seiner Mutter zunächst in Salzburg. In der Folge verzogen beide nach Zürich (Schweiz), wo sie nach wie vor wohnen.

Infolge eines Unterhaltsherabsetzungsantrags des Vaters übertrug das Bezirksgericht Salzburg die Zuständigkeit für das gesamte Pflegschaftsverfahren an das Bezirksgericht Döbling, weil der Vater seinen Sitz im Sprengel dieses Gerichts hatte. Das Bezirksgericht Döbling übernahm die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache (ON 69, ON 72), gab dem Antrag des Vaters teilweise statt und setzte seine monatlich zu erbringende Unterhaltsleistung mit Beschluss vom herab. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Am beantragte der Vater die Neuberechnung (gemeint: Herabsetzung) seiner monatlichen Unterhaltsleistung für den Minderjährigen aufgrund geänderter Verhältnisse. Mit Beschluss vom (ON 96) übertrug das Bezirksgericht Döbling das Pflegschaftsverfahren an das Bezirksgericht Salzburg, weil der Vater seinen Wohnsitz nunmehr in Salzburg habe. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft. Das Bezirksgericht Salzburg lehnte die Übernahme der Zuständigkeit am unter Hinweis auf den Wohnsitz des Minderjährigen in der Schweiz ab. Gemäß Art 5 Abs 2 LGVÜ sei für Unterhaltssachen jenes Gericht zuständig, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt habe.

Das Bezirksgericht Döbling legte den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetes Gericht nach § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung der Zuständigkeit ist nicht zu genehmigen:

1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der Pflegschaftssache zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder einer sonst schutzberechtigten Person gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Gemäß § 111 Abs 2 Satz 2 JN bedarf im Falle der Weigerung des anderen Gerichts die Übertragung der Zuständigkeit zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des beiden Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichts.

2. Der unterhaltsberechtigte Minderjährige hat seinen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz, einem Vertragsstaat des LGVÜ 2007. Dieses Übereinkommen gilt auch für Unterhaltssachen, und zwar für eigentliche Zivilprozesse und auch für außerstreitige Verfahren (3 Nd 506/97). Ob dem LGVÜ 2007 im Verhältnis zur Schweiz Vorrang vor der Anwendung der EuUVO zukommt (so ohne Begründung Weber in Mayr, Handbuch IZVR Rz 6.87 mwN auch zur gegenteiligen Auffassung in FN 3612; ausführl Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR IV4 Art 69 EuUVO Rz 16 mwN auch zur gegenteiligen Auffassung in FN 17), kann aber offen bleiben, weil (derzeit) keine der beiden Rechtsquellen eine österreichische Zuständigkeit begründet:

2.1 Gemäß Art 3 lit a und lit b EuUVO ist für die Entscheidung in Unterhaltssachen das Gericht des Orts zuständig, an dem der Beklagte/Antragsgegner oder die berechtigte Person seinen/ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die allgemeinen Vorschriften der EuUVO regeln auch die Zuständigkeit für Abänderungsentscheidungen (Weber in Mayr, Handbuch IZVR Rz 6.95; Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR IV4 Vor Art 3 EuUVO Rz 9), zumal ein Fall des Art 8 EuUVO nicht vorläge. Danach ergäbe sich– außer bei einer rügelosen Einlassung durch den Beklagten/Antragsgegner nach Art 5 EuUVO – keine Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Denn auch die Auffangzuständigkeit nach Art 6 oder die Notzuständigkeit nach Art 7 EuUVO würden nicht schlagend, weil sich eine Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte nach dem LGVÜ 2007 ergäbe (dazu sogleich).

2.2 Art 2 Abs 1 LGVÜ 2007 sieht eine allgemeine Zuständigkeit am Wohnsitz des Beklagten/Antragsgegners vor. Nach Art 5 Z 2 LGVÜ 2007 kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, und zwar, wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Orts, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (...). Für Klagen/Anträge auf Abänderung einer Unterhaltsentscheidung ist im Anwendungsbereich des LGVÜ 2007 die internationale Zuständigkeit nach Art 2 oder Art 5 Z 2 LGVÜ 2007 neu zu bestimmen. Das LGVÜ 2007 begründet keine internationale Zuständigkeit des Staats, dessen Gericht die abzuändernde Unterhaltsentscheidung gefällt hat (vgl 4 Ob 7/02m mwN [zum insoweit gleichlautenden EuGVÜ]; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht³ [2010] Art 5 EuGVVO/LGVÜ/EuGVO Rz 195 f; vgl Burgstaller/Ritzberger in Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht [2000] Rz 2.75). Auf die strittige Frage, ob dem klagenden/antragstellenden Unterhaltsschuldner auch die internationale Zuständigkeit nach Art 5 Z 2 LGVÜ 2007 am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten zur Verfügung stünde (vgl dazu 4 Ob 7/02m mwN), müsste nicht eingegangen werden, weil der Minderjährige als Antragsgegner seinen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hat und sich daher auch nach dem LGVÜ 2007 – außer bei einer rügelosen Einlassung durch den Minderjährigen nach Art 24LGVÜ 2007 – jedenfalls keine Zuständigkeit der österreichischen Gerichte ergäbe.

3. Aus alldem folgt, dass (derzeit) weder das Bezirksgericht Döbling noch das Bezirksgericht Salzburg für die Behandlung des Unterhaltsantrags des Vaters zuständig ist; eine Zuständigkeit könnte sich nur durch eine rügelose Einlassung des unterhaltsberechtigten Minderjährigen ergeben (Art 24 LGVÜ 2007 oder Art 5 EuUVO). Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, weshalb die Übertragung der Zuständigkeit für diese Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Salzburg im Interesse des Minderjährigen liegen sollte. Sie ist daher nicht zu genehmigen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0020NC00039.19M.1021.000

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Fundstelle(n):
VAAAD-42001