OGH vom 30.09.2009, 7Ob168/09w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Christoph H. H*****, gegen die beklagte Partei Rudolf P*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hochsteger und andere Rechtsanwälte in Hallein, wegen Unterlassung, über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 168/09y-18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom , GZ 2 C 1195/08s-14, infolge Berufung des Beklagten abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:
Der Beklagte ist schuldig, es sofort zu unterlassen, dem Kläger ohne dessen ausdrückliche Einwilligung elektronische Post zum Zweck der Werbung für seine Sachverständigertätigkeit zuzumitteln.
Das Mehrbegehren, der Beklagte habe es sofort zu unterlassen, dem Kläger elektronische Post als Massensendung ohne seine ausdrückliche Einwilligung zuzumitteln, wird abgewiesen.
Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger anteilige Barauslagen des Verfahrens erster Instanz von 128,50 EUR und des Rechtsmittelverfahrens von 58,50 EUR binnen 14 Tagen zu ersetzen. Im Übrigen werden die Verfahrenskosten gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist gerichtlich beeideter Sachverständiger. Über seinen Antrag wurde er im Juli 2008 in die Sachverständigen-Liste in der Fachgruppe 08.01 (Allgemeine Kriminologie, Polizeieinsatztaktik) neu eingetragen („zertifiziert"). Bei der Eintragung in der Fachgruppe 16.01 (Schießwesen, Ballistik für Polizeitaktik mit Waffen und Ersatzmitteln) wurden Änderungen vorgenommen. Im August 2008 erhielt er den Anruf eines Wiener Rechtsanwalts, der ihm mitteilte, nicht gewusst zu haben, dass es einen Sachverständigen für Polizeieinsatztaktik gebe und dass er einen solchen in einem Zivilverfahren benötigt hätte. Deshalb versandte der Beklagte am an zehn oder elf Rechtsanwälte, darunter der Kläger, unter Angabe seiner Adresse, Telefonnummer, E-Mailadresse und Homepage E-Mails folgendenInhalts:
„Betreff: Bekanntmachung über Sachverständigenzertifizierung
Polizeieinsatztaktik und Polizeitaktik mit Waffen
und Einsatzmittel
(Ergänzung bzw. Neuzugang SV Fachgebiet)
Geschätzte Damen und Herren!
Ich erlaube mir, Sie über die erweiterte gerichtliche Zertifizierung meiner Sachverständigentätigkeit und der damit verbundenen Möglichkeit zur Erstellung von Befund und Gutachten über Vorgangsweise und Ablauf von Polizeieinsätzen zu informieren:
Neu in der Nomenklatur der Sachverständigenliste:
POLIZEIEINSATZTAKTIK
(Fachgruppe: Allgemeine Kriminologie 08.01)
POLIZEITAKTIK mit Waffen und Einsatzmittel
(Fachgruppe: Schießwesen und Ballistik 16.01)
Für detaillierte Auskünfte stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung."
Der Kläger, der in die gemäß § 7 Abs 2 ECG von der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) zu führende sogenannnte Robinson-Liste (Ausschluss der Zusendung kommerzieller Kommunikation im Wege der elektronischen Post) eingetragen war, teilte dem Beklagten daraufhin schriftlich mit, die betreffende Mail, die offensichtlich Werbezwecken diene, stelle einen „unerbetenen Anruf" im Sinn des § 107 TKG dar. Er forderte den Beklagten auf, derartige Verstöße ihm gegenüber in Hinkunft zu unterlassen, eine beigeschlossene Unterlassungserklärung zu unterfertigen und ihm die Kosten seines Einschreitens von 360 EUR zu ersetzen.
Der Beklagte antwortete, die E-Mail sei eine zulässige Bekanntmachung ohne „Werbehintergrund"; sie habe den Kläger als Rechtsanwalt lediglich informieren sollen. Der Vorwurf eines Verstoßes gegen das TKG werde daher zurückgewiesen.
Unter Berufung auf § 107 TKG und § 7 ECG begehrte der Kläger vom Beklagten die Unterlassung der Zumittlung elektronischer Post als Massensendung oder zu Werbezwecken. Die E-Mail-Mitteilung des Beklagten stelle, da sie keinem anderen Zweck als der Förderung der subjektiven wirtschaftlichen Interessen des Absenders diene, eine Direktwerbung dar.
Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die an weniger als 50 Empfänger gerichtete E-Mail habe nicht Werbezwecken gedient, sondern sei eine geschäftsspezifische Mitteilung. Der Kläger habe dadurch, dass er auf seiner Website seine E-Mail-Kontaktadresse bekanntgegeben habe, einer solchen Kontaktaufnahme zugestimmt. Aufgrund seiner Zusicherung, dass keine weiteren E-Mails an den Kläger beabsichtigt seien, bestehe keine Wiederholungsgefahr.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Bei der E-Mail des Beklagten vom handle es sich um eine Direktwerbung im Sinn des § 107 Abs 2 TKG. Der Beklagte habe damit künftige Dienste als Sachverständiger angeboten und damit Werbung betreiben wollen. Dass er sich an den Kläger als Rechtsanwalt für Gesellschafts-/Handels-/Wirtschaftsrecht gewandt habe, deute auf eine wahllose Zusendung zu Werbezwecken hin. Durch die bloße Veröffentlichung seiner Kontaktadresse auf seiner Website habe der Kläger auch nicht konkludent der Zusendung diverser elektronischer Post in seinem Geschäftsbereich zugestimmt. Wiederholungsgefahr sei schon deshalb gegeben, weil der Beklagte behaupte, zum beanstandeten Handeln berechtigt zu sein.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Der Beklagte sei in seiner E-Mail als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger und nicht auch als Wirtschaftsunternehmer aufgetreten. Seine Nachricht habe sich darauf beschränkt, den Kläger über die erweiterte Zertifizierung seiner Sachverständigentätigkeit und die damit verbundene Möglichkeit zur Erstellung von Prüfungen und Gutachten zu informieren. Obwohl Sachverständige einem Werbeverbot unterlägen, seien ihnen nach der einheitlichen, gefestigten Standesauffassung wahrheitsgemäße Mitteilungen über ihre Funktion als Sachverständige dort erlaubt, wo ein Informationsbedürfnis über diese Funktion bestehe. Deswegen sei die Bekanntmachung der Neueintragung eines Sachverständigen in die gerichtliche Sachverständigenliste für ein bestimmtes Fachgebiet an Gerichte, Behörden, Rechtsanwälte und Notare zulässig, zumal die Einrichtung des allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen ein Anliegen der Rechtspflege sei und die Bekanntmachung der Neueintragung in eine weitere Fachgruppe dem Informationsbedürfnis der Rechtspflege diene. Die E-Mail sei daher weder als „Direktwerbung" im Sinn des § 107 Abs 2 TKG noch als „kommerzielle Kommunikation" im Sinn des § 7 ECG zu qualifizieren.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Definition der Begriffe „Direktwerbung" gemäß § 107 Abs 2 TKG sowie „kommerzielle Kommunikation" gemäß § 7 ECG (und auch zur weitgehenden Zustimmungsfiktion nach dem Ausschussbericht des Nationalrats zur Novelle des Telekommunikationsgesetzes) fehle.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Klage „vollinhaltlich" stattgegeben (und daher das Ersturteil wiederhergestellt) werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel seines Prozessgegners keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist teilweise berechtigt.
Der Revisionswerber macht geltend, dass die E-Mail des Beklagten vom entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts eine „unerbetene Nachricht" im Sinn des § 107 Abs 2 TKG darstelle. Nach dieser Gesetzesstelle, deren Zweck im Schutz der Privatsphäre zu erblicken ist (1 Ob 104/05h mwN), bedarf die Zusendung elektronischer Post zu Zwecken der Direktwerbung (Z 1) oder an mehr als 50 Empfänger (Z 2) der vorherigen Einwilligung des Empfängers. Die Qualifikation als „unerbetene Nachricht" setzt demnach voraus, dass die Zusendung der E-Mail des Beklagten entweder zu Werbezwecken erfolgte oder eine „Massensendung" darstellte (vgl Ruhle/Freund/Kronegger/Schwarz, Das neue österreichische Telekommunikations- und Rundfunkrecht, 494). Letzteres ist auszuschließen: Es steht positiv fest, dass der Kläger damals (nur) 10 oder 11 Mails versendet hat und nach dem Schreiben des Beklagten vom keine weiteren E-Mails mehr von ihm versendet wurden.
Strittig ist im Revisionsverfahren daher vor allem, ob die E-Mail im Sinn der genannten Bestimmung „zu Zwecken der Direktwerbung" versendet wurde. Wie der Oberste Gerichtshof (auch schon zur wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 101 Abs 1 TKG 1997), sich an den Gesetzesmaterialien orientierend (ErlRV 128 BlgNR 22. GP, 20), bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist dieser Begriff weit auszulegen (4 Ob 113/99tecolex 1999, 622 = ÖBA 2000, 91; 4 Ob 251/00s; 1 Ob 104/05h). Er erfasst jede elektronische Post, die für ein bestimmtes Produkt, aber auch für eine bestimmte Idee (einschließlich politischer Anliegen) wirbt oder dafür Argumente liefert. Darunter fällt auch jede Maßnahme, die dazu dient, auf ein eigenes Bedürfnis und die Möglichkeit seiner Befriedigung hinzuweisen, wobei auch schon die Anregung zur Inanspruchnahme bestimmter Leistungen diesem Begriff unterstellt werden kann (4 Ob 113/99t; 4 Ob 251/00s). Dabei hindert die Gestaltung als Newsletter oder Informations-Mail die Qualifikation als Werbung nicht (Parschalk/Otto/Weber/Zuser, Telekommunikationsrecht, 222 f).
Ausgehend von einer solchen, im Lichte der Erfahrungen und Bedürfnisse der Praxis notwendigen weiten Interpretation des Begriffs der „Direktwerbung" (vgl etwa auch Zanger/Schöll, Telekommunikationsgesetz2, 691), ist der E-Mail des Beklagten entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts Werbecharakter im Sinn des § 107 Abs 2 Z 1 TKG beizumessen. Bei lebensnaher Betrachtung kann nicht bezweifelt werden, dass der Beklagte damit nicht nur ein Informationsinteresse im Rahmen der Rechtspflege befriedigen wollte, sondern dabei insbesondere auch seine wirtschaftlichen Vorteile im Auge hatte. Der Hinweis auf die „Möglichkeit der Erstellung von Befund und Gutachten" als Sachverständiger muss jedenfalls auch unter einem kommerziellen Aspekt gesehen werden, wobei sich aus der E-Mail keine Einschränkung auf gerichtliche Gutachtensaufträge ergibt, sondern - nach dem objektiven Erklärungswert - auch Privatgutachten gleichermaßen angeboten wurden. Im Übrigen liegt aber ohnehin auch die Erstellung von gerichtlichen Sachverständigengutachten im kommerziellen Interesse des Beklagten. Da demnach ein kommerzieller Aspekt der „Informations-Mail" über die Tätigkeit des Beklagten als Sachverständiger zu bejahen ist, stehen die Überlegungen des Berufungsgerichts, einem Sachverständigen sei nach den Standesregeln zwar Werbung verboten, es sei ihm aber erlaubt, über seine Neueintragung in die Sachverständigenliste zu informieren, der Qualifikation als unzulässige Direktwerbung im Sinn des § 107 Abs 2 TKG nicht entgegen. Die Problematik solcher „Informationen" per E-Mail wird auch in den auf der Homepage des Hauptverbandes der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs (http:\\ www.sachverstaendige.at) veröffentlichten Ausführungen von A. Schmidt „Kann Werbung Sünde sein?" aufgezeigt. Dort wird zwar betont, dass die Bekanntmachung der Neueintragung von Sachverständigen für ein bestimmtes Fachgebiet in die gerichtliche Sachverständigenliste unter anderem an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zulässig sei, aber hinzugefügt, dass von einer Bekanntmachung mittels Telefax oder E-Mail „im Hinblick auf die für diese Übermittlungsart bestehenden Beschränkungen (vgl insb § 107 TKG) abzuraten" sei. Eine Einschränkung dieser - berechtigten - „Warnung" auf „Massensendungen" nach § 107 Abs 2 Z 2 TKG ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht erkennbar.
Dass der Kläger einer solchen Zusendung des Beklagten durch Anführung seiner Kontaktadresse auf seiner Homepage konkludent zugestimmt hätte, wie der Beklagte nach wie vor behauptet, ist schon im Hinblick auf die von allen Diensteanbietern zu beachtende (vgl Ruhle/Freund/Kronegger/Schwarz aaO, 496) Eintragung in die „Robinson-Liste" zu verneinen. Der im Schrifttum vertretenen Ansicht, die bloße Angabe der E-Mail-Adresse sei weder als ausdrückliche noch als konkludente Zustimmung zu werten, Werbesendungen empfangen zu wollen (Seidelberger in Brenn, ECG, 61; Zanger/Schöll aaO, 697), ist beizupflichten. Die in RV 1127 BlgNr 22. GP, 2 vertretene gegenteilige Ansicht findet, wie Lehofer, Spamverbot und kommunale Informationstätigkeit, RFG 2006/14, zutreffend aufzeigt, im Gesetz keine Deckung. Eine Wiederholungsgefahr ist schon im Hinblick auf das Prozessverhalten des Beklagten anzunehmen (vgl 4 Ob 320/97f uva). Ohne dass auch noch auf § 7 ECG eingegangen werden müsste, erweist sich demnach das Unterlassungsbegehren des Klägers betreffend elektronische Post zu Werbezwecken als berechtigt. Da Gegenstand des Urteilsantrags nur die konkrete Verletzungshandlung sein kann (4 Ob 131/02x mwN), war der Zuspruch entsprechend zu präzisieren.
Entgegen der Ansicht des Klägers rechtfertigt dies allerdings nicht auch eine - wahlweise - Ausdehnung des Unterlassungsgebots auf Massensendungen. Wie bereits ausgeführt, steht fest, dass der Kläger nur 10 oder 11 E-Mails desselben Inhalts versandt hat. Damit ist die vom Revisionswerber vertretene Ansicht, dass den Versender die Beweislast für den Adressatenkreis treffen müsse, weil er allein imstande sei, zu beweisen, dass eine E-Mail an weniger als 50 Personen gerichtet wurde, unbeachtlich. Da der Beklagte nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen nicht mehr als 50 Mails mit dem beanstandeten Inhalt versandt hat und demnach keine „Massensendung" im Sinn des § 107 Abs 2 Z 2 TKG vorlag, ist das von ihm mit der Revision ausdrücklich aufrecht erhaltene Mehrbegehren auf Unterlassung elektronischer Post auch „als Massensendung" abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50 und 43 Abs 1 ZPO. Da die Unterlassung elektronischer Postsendungen zu Werbezwecken einerseits und als Massensendungen andererseits etwa gleich zu gewichten ist, ist der Kläger im gesamten Verfahren mit 50 % als obsiegend und mit 50 % als unterlegen anzusehen. Deshalb sind die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen gegeneinander aufzuheben. Die jeweils von einer der Parteien getragenen Pauschalgebühren sind von der Gegenseite nach § 43 Abs 1 Satz 3 ZPO zur Hälfte zu ersetzen; der Zuspruch für das Rechtsmittelverfahren beruht auf einer Saldierung der wechselseitigen Ansprüche (292 EUR minus 233,50 EUR).