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OGH vom 25.10.1967, 2Ob282/67

OGH vom 25.10.1967, 2Ob282/67

Norm

ABGB § 1295;

ABGB § 1319;

Kopf

SZ 40/136

Spruch

Haftung einer juristischen Person als Bauführer eines fehlerhaften Werkes, wenn der Schaden durch mangelhafte Organisation der Arbeit (Überlastung des Poliers) verursacht wurde.

Entscheidung vom , 2 Ob 282/67.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz; Oberlandesgericht Wien,

Text

Nach dem festgestellten Sachverhalt kam es am um 6 Uhr früh im 10. Wiener Gemeindebezirk auf der Kreuzung Quellenstraße-Senefeldergasse zu einem Verkehrsunfall, bei dem der von Johann B, gelenkte LKW.-Zug des Klägers beschädigt wurde. Auf der genannten Kreuzung wurden Straßenbauarbeiten von der beklagten Partei, einer Gesellschaft m. b. H., durchgeführt worden. Über die Fahrbahn der Quellenstraße wurde eine Künette gegraben, die mit Balken abgedeckt war, um den ungestörten Verkehr in der Quellenstraße zu ermöglichen. Als B. mit dem LKW-Zug über diese Abdeckung fuhr, stellte sich ein Balken auf und stemmte sich gegen die hintere Radachse. Diese riß ab und das Fahrzeug wurde schwer beschädigt. Die Arbeiten hatte der Polier der beklagten Partei Arnold H. zu beaufsichtigen. Der von der Staatsanwaltschaft gegen diesen erhobene Strafantrag wurde zurückgezogen und das Verfahren gemäß § 227 StPO. eingestellt. Der Kläger gab die Erklärung ab, daß er als Privatbeteiligter die Anklage aufrecht erhalte. Der Staatsanwalt trat in dieses Verfahren nicht ein. Über diesen Antrag wurde, soweit aus den Strafakten ersichtlich, noch nicht entschieden.

Mit der vorliegenden Klage machte der Kläger Schadenersatzansprüche gegen die beklagte Partei in der Höhe der Reparaturkosten, der Abschleppkosten und des Verdienstentganges von zusammen 373.546 S geltend und nahm die Haftung der beklagten Partei als des verantwortlichen Bauführers nach § 1319 ABGB. wegen unsachgemäßer Abdeckung der Künette in Anspruch.

Die beklagte Partei bestritt, begehrte Klagsabweisung und wendete ein, daß die Arbeiten sachgemäß durchgeführt worden seien, und sich der Unfall nur deshalb ereignet habe, weil B. die als gefährlich bezeichnete Stelle mit seinem überschweren Fahrzeug und mit einer überhöhten Geschwindigkeit befahren habe. Die Überdeckungsarbeiten seien als Provisorium erkennbar gewesen und B. hätte vorsichtiger fahren müssen. Er sei daher jedenfalls mitschuldig. Auch sei die Künette samt Überdeckung bereits an den Bauherrn, die Gemeinde Wien, übergeben worden, sodaß sie nicht mehr hatte. Die Beklagte sei eine juristische Person und könne nur durch ihre Organe handeln. Ein Verschulden der Organe liege nicht vor. Es seien geeignete und ausreichende Kontrollmaßnahmen getroffen worden. Der Polier H. sei keine untüchtige oder gefährliche Person. Sie hafte daher weder nach § 1319 ABGB. noch nach § 1315 ABGB.

Demgegenüber behauptete der Kläger, daß die Arbeiten im Zeitpunkt des Unfalles noch nicht von der Gemeinde Wien als Bauherrn übernommen worden seien und daß das Verschulden der Organe der beklagten Partei wegen der mangelhaften Betriebsorganisation und der damit verbundenen mangelhaften Beaufsichtigung und Überprüfung der Bauarbeiten gegeben sei. Der Polier H. habe so viele Agenden über gehabt, daß er nicht in der Lage gewesen sei, den besonders gefährlichen Künettenübergang bei seiner Errichtung zu überwachen und die fertige Abdeckung zu kontrollieren. H. sei aber auch als eine untüchtige Person anzusehen, weil anders ein derartiger Fall nicht hätte unterlaufen dürfen. Ein Verschulden des Johann B. sei nicht gegeben, weil er nicht mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß der Anspruch des Klägers dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es stellte fest, daß die Künette samt Überdeckung von der Gemeinde Wien noch nicht übernommen war; die beklagte Partei sei daher zur Zeit des Unfalles noch im Besitz des Bauwerkes im Sinne des § 1319 ABGB. gewesen. Sie treffe daher die Haftung für die Folgen des Unfalles, ohne Rücksicht darauf, ob ein Verschulden vorliege oder nicht. Auch aus dem Rechtsgrund des Verschuldens im Sinne der §§ 1295, 1311 ABGB. sei eine Haftung der beklagten Partei gegeben. Zu der Abdeckung sei ein überlanger Balken verwendet worden. Die Folgen dieser Verwendung seien auch einem Laien bekannt und müßten daher umsomehr den Arbeitern und vor allem dem Polier H. bekannt gewesen sein. Wenn dem Polier die Verwendung des ungeeigneten Balkens wegen Unaufmerksamkeit oder infolge unzeitgemäßer Teilung seiner Aufmerksamkeit entgangen sei, so treffe ihn daran ein Verschulden. Das Verschulden der Organe der beklagten Partei sei darin gelegen, daß entweder die Arbeiter über die Folgen einer solchen fehlerhaften Tätigkeit und über den Ernst der Situation nicht genügend aufgeklärt worden seien oder daß sie durch übermäßige Beanspruchung übermüdet gewesen seien oder daß der die Aufsicht führende Polier zuviel Agenden übertragen erhalten habe. In den beiden letzten Fällen läge ein Mangel in der Arbeitsorganisation vor, den die beklagte Partei als Verschulden ihrer Organe zu vertreten hätte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, lehnte jedoch dessen Ansicht, daß eine Haftung nach § 1319 ABGB. ohne Rücksicht auf das Verschulden gegeben sei, als unrichtig ab. Vielmehr habe die beklagte Partei zu beweisen, daß sie ein Verschulden an der mangehalten Überdeckung der Künette nicht treffe. Die beklagte Partei hafte als juristische Person auch für das Verschulden ihrer Organe. Ein Verschulden dieser könnte nur darin gelegen sein, daß sie keine zur Durchführung dieser Arbeiten geeignete Person bestellt haben, wozu auch die Bestellung einer an sich fachlich geeigneten Person mit einem zu großen Aufgabenbereich gehören würde. Dafür, daß der Polier H. als eine untüchtige oder gefährliche Person anzusehen sei, seien keine Anhaltspunkte gegeben. Die Organe der beklagten Partei treffe kein Verschulden, weil sie den Polier H. nicht nur mit den Arbeiten im Zusammenhang mit der Künette, sondern noch mit weiteren Überwachungsaufgaben bezüglich anderer Aufgrabungsarbeiten betraut haben. Die Organe der beklagten Partei hätten für die Herstellung der Künettenabdeckung geeignete Maßnahmen getroffen. Die Durchführung dieser Arbeiten sei einer befugten Person anvertraut worden. Eine weitergehende Sorgfalt könne von den Organen der beklagten Partei nicht verlangt werden. Eine Haftung nach § 1318 ABGB. komme nicht in Betracht. Auch von der Übertretung einer Schutznorm könne nicht die Rede sein. Der Hinweis auf § 90 StVO. 1960 gehe ins Leere, weil die Bewilligung der Behörde für diese Arbeiten vorgelegen sei. Im übrigen würde die Haftung für die Übertretung der Schutznorm nur den Polier H. oder die Arbeiter, nicht aber die beklagte Partei als Unternehmer treffen. Es sei ohne Bedeutung, ob dem Polier ein zu großer Aufgabenbereich zugewiesen worden sei, weil er verpflichtet und berechtigt gewesen sei, mit der Beaufsichtigung der Arbeiten an der Künette und der Abdeckung derselben einen Arbeiter zu beauftragen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß das erstgerichtliche Zwischenurteil wiederhergestellt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In rechtlicher Hinsicht wendet sich der Kläger gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß eine Haftung der beklagten Partei nicht gegeben sei. Seinen Ausführungen kommt insoweit Beachtung zu, als auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes in diesem Fall eine Haftung der beklagten Partei für die dem Kläger aus dem Unfall entstandenen Schäden anzunehmen ist. Das Berufungsgericht hat die Sache richtig nach § 1319 ABGB. beurteilt. Es handelt sich hier um die Herstellung eines Werkes. Als solches gilt auch eine Aufgrabung und deren Überdeckung (ZVR. 1963 Nr. 94 u. a.). Von dieser Abdeckung hat sich ein Teil, nämlich ein hiezu ungeeigneter Balken, gelöst, wodurch dem Kläger ein Schaden zugefügt wurde. Die Beklagte war zur Zeit des Unfalles noch als Besitzer des Werkes im Sinne der bezogenen Gesetzesstelle anzusehen, weil eine Übergabe dieses Werkes an die Gemeinde Wien als Bauherrn noch nicht vorgenommen worden war. Sie ist somit noch in einer Beziehung zu dem Werk gestanden, welche ihr die Möglichkeit gegeben hat, gegen die von diesem Werk ausgehenden Gefahren Vorkehrungen zu treffen (SZ. XXX 22, SZ. XXXVII 145, EvBl. 1965 Nr. 48, ZVR. 1963 Nr. 94). Daß es sich bei der Haftung nach § 1319 ABGB. um eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast handelt, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt. Es hat daher die beklagte Partei zu beweisen, daß sie kein Verschulden trifft. Da die beklagte Partei eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und daher eine juristische Person ist, haftet sie nur, wenn ihre Organe ein Verschulden trifft. Diesen könnte im vorliegenden Fall nur dann ein Verschulden angelastet werden, wenn der Schaden durch einen Mangel in der Organisation der ausführenden Arbeiten verursacht worden wäre. Dies ist hier nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes der Fall. Es kann dahingestellt bleiben, ob die unsachgemäße Ausführung der Überdeckung auf die Übermüdung der Arbeiter und diese auf eine mangelhafte und fehlerhafte Organisation der Arbeiten zurückzuführen ist, die die Organe der beklagten Partei zu verantworten hätten. Jedenfalls liegt ein Mangel und Fehler in der Organisation der Arbeiten darin, daß der Polier H. nach dem festgestellten Sachverhalt einen zu weiten Wirkungsbereich hatte, sodaß er die einzelnen Arbeiten während der Durchführung und nach der Beendigung nicht ausreichend überwachen konnte. Es steht nämlich fest, daß zur gleichen Zeit noch wichtige Aufgrabungsarbeiten durchgeführt wurden, die den Polier voll und ganz in Anspruch nahmen und denen er sein Hauptaugenmerk zuwenden mußte und zugewendet hat. Wenn diese Arbeiten auch in der Nähe der Künette durchgeführt wurden und wenn H. auch die Möglichkeit hatte, einen Arbeiter mit der Aufsicht bei der Abdeckung der Künette zu betrauen, so kann dies kein Grund sein, die Haftung der beklagten Partei in diesem Fall zu verneinen. Der Polier H. war, wie der Fall zeigt, überfordert. Er hatte einen Aufgabenbereich, der es ihm nicht ermöglichte, die einzelnen Arbeiten mit der gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu überwachen. Er hatte nebeneinander gleich wichtige Arbeiten zu überwachen. Daß er beiden nicht die erforderliche Aufmerksamkeit zuwenden konnte, steht fest. Er hat dies selbst damit begrundet, daß er die Überdeckungsarbeiten an der Künette nur hie und da beobachten habe können und sich schließlich mit der Besichtigung der fertigen Abdeckung zufriedengegeben habe, obwohl er dabei die ordentliche Lagerung der Balken nicht mehr kontrollieren konnte. Diese Überforderung des Poliers H. stellt einen Mangel und Fehler der Betriebsorganisation der beklagten Partei dar, den sie zu vertreten hat. Diese mangelhafte und fehlerhafte Organisation stellt ein Verschulden (Fahrlässigkeit) der Organe der beklagten Partei dar, für die sie zu haften hat (siehe auch JBl. 1963 S. 154). Die beklagte Partei hat somit den ihr nach § 1319 ABGB. obliegenden Entlastungsbeweis nicht erbracht. Ihre Haftung für die Unfallschäden des Klägers ist daher grundsätzlich anzunehmen. Ein Mitverschulden des Johann B., das der Kläger zu vertreten hätte, ist nicht zu erkennen. Es steht weder fest, daß er sein Fahrzeug überladen hatte, noch auch daß er mit einer für die damaligen Verhältnisse zu hohen Geschwindigkeit gefahren ist. Besondere Geschwindigkeits- und Belastungsbegrenzungen waren für die Unfallstelle nicht vorgesehen.