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OGH vom 31.10.2018, 7Ob167/18m

OGH vom 31.10.2018, 7Ob167/18m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** SE *****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei HR Mag. H***** W*****, vertreten durch Dr. Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 5.753,61 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 105/18x-16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 15 C 455/17k-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

Die Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt. Dies ist hier nicht der Fall, sodass die Revision zurückzuweisen ist und sich die Entscheidung auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Der nunmehrige Beklagte, ein Jurist, hatte mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin (in der Folge: Klägerin bzw Versicherer) einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen. Der Versicherer hat den Versicherungsvertrag „rückwirkend aufgelöst“, weil der nunmehrige Beklagte im Antragsformular die Frage, ob ihm oder einer mitversicherten Person bereits eine Rechtsschutzversicherung gekündigt/abgelehnt bzw eine solche einvernehmlich aufgelöst worden sei, bewusst wahrheitswidrig verneint hatte. Tatsächlich war ein früherer Rechtsschutzversicherungs-vertrag von einem anderen Versicherer wegen 23 Schadensmeldungen in den Jahren von 2000 bis 2006 gekündigt worden.

3. In einem Vorverfahren zwischen denselben Verfahrensparteien begehrte der nunmehrige Beklagte Rechtsschutzdeckung für mehrere Gerichts- und Disziplinarverfahren. In ausdrücklicher Erwiderung darauf, dass sich dort der Versicherer auf die Auflösung des Versicherungsvertrags berief und dies den Deckungsbegehren entgegenhielt, erhob der nunmehrige Beklagte zusätzlich ein Begehren auf Feststellung, dass der Versicherungsvertrag „nach wie vor rechtsgültig aufrecht“ sei; er habe kein zur Vertragsauflösung berechtigendes Verhalten gesetzt.

Das gesamte Klagebegehren im Vorprozess wurde in allen Instanzen abgewiesen.

Die außerordentliche Revision zu 7 Ob 54/17t wies der Oberste Gerichtshof unter anderem mit der Begründung zurück, dass der nunmehrige Beklagte die Frage im Antragsformular vorsätzlich falsch beantwortet und so die nunmehrige Klägerin über diesen für den Vertragsabschluss wesentlichen Umstand getäuscht hat, bei dessen Kenntnis sie vom Vertragsabschluss Abstand genommen hätte. Es liegt ein Anwendungsfall des § 22 VersVG vor, womit der Versicherer infolge Unanwendbarkeit des § 21 VersVG gänzlich leistungsfrei ist. Der Versicherer ist aber auch nach Rücktritt zufolge § 21 VersVG leistungsfrei, weil dem nunmehrigen Beklagten der Beweis der fehlenden Kausalität zwischen dem nicht oder falsch angezeigten erheblichen Gefahrenumstand und dem Eintritt des Versicherungsfalls oder dem Umfang der Leistungspflicht des Versicherers misslungen ist: Genau das durch die gestellte Frage nach der Kündigung von Vorversicherungen abzuklärende Risiko – nämlich die außergewöhnliche Anfälligkeit des nunmehrigen Beklagten für gehäufte Schadensfälle im Rahmen der Rechtsschutzversicherung – hat sich verwirklicht.

4. Der nunmehrigen Klage auf Rückzahlung der an den Beklagten erbrachten Versicherungsleistungen abzüglich der von ihm gezahlten Prämien gaben die Vorinstanzen statt. Über das Vorliegen der Voraussetzungen der Leistungsfreiheit des Versicherers sei im Vorprozess bindend abgesprochen worden.

5.1. Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung ist dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet. Maßgebend sind die rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes erforderlich sind (vgl RISJustiz RS0127052). Worüber im Vorprozess als Hauptfrage bzw Hauptgegenstand entschieden wurde, ist jeweils im Einzelfall konkret zu prüfen; dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an. Zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen (RISJustiz RS0127052 [T5]). Die Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft einer Vorentscheidung für den Folgeprozess erstreckt sich auf das Vorbringen von Tatsachen, die zur Vervollständigung oder Entkräftung jenes rechtserzeugenden Sachverhalts dienten, aus dem das erste Urteilsbegehren abgeleitet wurde; die rechtskräftige Verneinung eines Anspruchs ist auf den vom Gericht zur Abweisung herangezogenen Sachverhalt – den „maßgeblichen“ Sachverhalt – beschränkt (RISJustiz

RS0039843 [T3, T 13]). Ein zur Bindung führender Sonderfall der Präjudizialität liegt vor, wenn ein bestimmtes Rechtsverhältnis als Ganzes den Gegenstand der Vorentscheidung bildete (RIS-Justiz

RS0039843 [T5]).

5.2. Der nunmehrige Beklagte begegnete im Vorprozess mit seinem Feststellungsbegehren ausdrücklich den Einwendungen des Versicherers, das Versicherungsverhältnis wegen der falschen Angaben im Versicherungsantrag rückwirkend aufgelöst zu haben und deshalb leistungsfrei zu sein; der Versicherer hat sich dabei auch auf Vorsatz des nunmehrigen Beklagten berufen. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass im Vorverfahren die Beendigung des Vertragsverhältnisses als Hauptfrage behandelt und bindend entschieden wurde, ist im Einzelfall nicht zu beanstanden und wird von der Revision auch nicht konkret in Frage gestellt.

5.3. Infolge der Rechtskraftwirkung der Vorentscheidung ist die Berufung auf Tatsachen, die bei Schluss der Verhandlung erster Instanz im Vorprozess schon existent waren, aber nicht vorgebracht wurden, im Folgeprozess ausgeschlossen (vgl RISJustiz RS0041321, RS0039843 [T10, T 14, T 40]). Die Vorgangsweise der Vorinstanzen, die Frage des Vertragsrücktritts durch eine (wie vom Beklagten nun behauptet) nicht zur Vertretung der Klägerin befugte Person in diesem Sinne nicht zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, bedarf keiner Korrektur. Rechtliche Feststellungsmängel oder eine Nichtigkeit liegen diesbezüglich nicht vor.

6.1. Mit der Rüge der Nichtbeischaffung eines exekutionsgerichtlichen Akts macht der Revisionswerber Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens geltend, deren Vorliegen bereits das Berufungsgericht verneint hat und die daher in der Revision nicht mehr mit Erfolg neuerlich geltend gemacht werden können (RISJustiz RS0042963).

6.2. Im Übrigen ist die Klägerin – eine in der Bundesrepublik Deutschland registrierte Europäische Gesellschaft (SE) – bereits in der Klage mit Angabe der österreichischen Firmenbuchnummer bezeichnet worden. Eine Rechtsperson kann unter der (hier zudem ebenfalls im Firmenbuch registrierten) Firma ihrer Zweigniederlassung im Prozess auftreten, Prozesspartei ist immer der Inhaber des Unternehmens selbst (vgl 5 Ob 71/18d mwN). Erhebliche Rechtsfragen stellen sich auch in diesem Zusammenhang nicht.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00167.18M.1031.000

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