OGH vom 26.02.2010, 2Nc3/10d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj N***** T*****, geboren am , *****, wegen § 111 Abs 2 JN, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 37 PS 174/09s S 10, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Spittal an der Drau wird nicht genehmigt.
Text
Begründung:
Die am geborene Antragstellerin beantragte am beim Bezirksgericht Innsbruck, sie im Hinblick auf die geplante Verehelichung mit ihrem bereits volljährigen Partner für ehemündig zu erklären. Das angerufene Gericht führte Erhebungen durch, indem es eine - den Antrag befürwortende - Stellungnahme des Jugendwohlfahrtsträgers einholte und sich sowohl von der Antragstellerin (am ) als auch von ihrem zukünftigen Ehemann (am ) durch Anhörung einen persönlichen Eindruck verschuf. Anlässlich seiner Befragung erwähnte der letztere, dass er gemeinsam mit der Antragstellerin von Innsbruck nach Lienz an die Adresse „*****" übersiedelt sei.
Das Bezirksgericht Innsbruck fasste daraufhin am den Beschluss, das Verfahren gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Lienz zu übertragen. Dieser Beschluss wurde nicht ausgefertigt und den Parteien daher auch nicht zugestellt.
Das Bezirksgericht Lienz erhob, dass die Antragstellerin mit ihrem Hauptwohnsitz zwar nach wie vor in Innsbruck, mit ihrem Nebenwohnsitz aber seit in ***** gemeldet ist. Es verfügte die Weiterleitung des Aktes an das für diese Adresse örtlich zuständige Bezirksgericht Spittal an der Drau. Dieses retournierte den Akt dem Bezirksgericht Innsbruck (ua) mit dem Bemerken, dass eine allfällige Übertragung der Zuständigkeit wegen bereits vorliegender Spruchreife der Sache jedenfalls unzweckmäßig sei.
Mit Beschluss vom entschied das Bezirksgericht Innsbruck, das Verfahren an das Bezirksgericht Spittal an der Drau gemäß § 111 JN „abzutreten". Dabei verwies es auf den mittlerweile eingetretenen Richterwechsel. Ob eine Person „reif" genug für eine Eheschließung sei, könne nur nach dem persönlichen Eindruck des Richters beurteilt werden. Es sei daher eine neuerliche Anhörung erforderlich, die für die Antragstellerin bei einer Anreise nach Innsbruck mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden sei. Auch von diesem Beschluss wurden keine Ausfertigungen hergestellt.
Das Bezirksgericht Spittal an der Drau lehnte die Übernahme des Verfahrens mit Beschluss vom ab. Der Übertragung stehe die Spruchreife des Verfahrens entgegen. Die Antragstellerin sei vom Gericht bereits vernommen worden; eine Beweiswiederholung sei trotz Richterwechsels nicht zwingend erforderlich.
Nachdem ihm der Akt neuerlich rückgemittelt worden war, sprach das Bezirksgericht Innsbruck mit weiterem Beschluss vom aus, dass die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Spittal an der Drau übertragen werde. Dieser Beschluss, der in der Folge an die Antragstellerin zugestellt wurde, erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Rechtliche Beurteilung
Sodann legte das Bezirksgericht Innsbruck den Akt gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Die Übertragung wird nicht genehmigt.
Wenn dies im Interesse einer Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium für eine Zuständigkeitsübertragung nach dieser Gesetzesstelle ist stets das Kindeswohl (RIS Justiz RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (2 Nc 1/09h).
Offene Anträge sprechen grundsätzlich nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RIS Justiz RS0046895 [T5], RS0047032). Dieses Kriterium spricht hier wegen des eingetretenen Richterwechsels trotz der bereits durchgeführten Beweisaufnahmen ausnahmsweise nicht für die Belassung der Pflegschaftssache beim übertragenden Gericht (vgl 5 Nc 11/09a). Das übernehmende Bezirksgericht könnte die vorhandenen Verfahrensergebnisse ebenso verwerten wie das übertragende Gericht bzw die Anhörung der Antragstellerin und ihres zukünftigen Ehemannes wiederholen.
Dennoch ist die Übertragung der Zuständigkeit im gegebenen Verfahrensstadium nicht (mehr) zweckmäßig. Als Ausnahmebestimmung zu § 29 JN ist § 111 JN grundsätzlich restriktiv auszulegen (5 Nc 11/09a). Unter diesem Gesichtspunkt ist im vorliegenden Fall beachtlich, dass die Antragstellerin demnächst volljährig wird und damit auch die Ehemündigkeit erlangt (§ 1 Abs 1 EheG). Der mit der Antragstellung offensichtlich verfolgte Zweck, der „Heirat nach türkischem Brauch", die nach der Aktenlage am stattgefunden haben soll (vgl ON S 3), möglichst rasch die staatliche Eheschließung nachfolgen zu lassen, wurde ohnedies bereits verfehlt. Die ausstehende Entscheidung, mag sie ohne oder nach neuerlicher Anhörung der Antragstellerin ergehen, ist in absehbarer Zeit jedenfalls überholt. Unter diesen Voraussetzungen rechtfertigt aber das vom übertragenden Gericht ins Treffen geführte Argument, die Überprüfung der Ehereife der Antragstellerin erfordere deren neuerliche Anhörung, keine Ausnahme vom Grundsatz der perpetuatio fori gemäß § 29 JN. Es sprechen auch keine Gründe des Kindeswohls dafür, dass die allein auf die Erledigung des Ehemündigkeitsantrags beschränkte Pflegschaftssache vom Bezirksgericht Spittal an der Drau weitergeführt werden soll. Im vorliegenden Fall erscheint es vielmehr zweckmäßiger, von einer Übertragung der Pflegschaftssache an dieses Bezirksgericht abzusehen.