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OGH vom 29.10.1998, 2Ob279/98p

OGH vom 29.10.1998, 2Ob279/98p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinrich R*****, vertreten durch Dr. Heinz Pratter, Rechtsanwalt in Leibnitz, wider die beklagten Parteien 1. Walter W*****, und 2. Renate W*****, vertreten durch Dr. Johann Grasch, Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen Aufhebung eines Kaufvertrages sowie Räumung einer Liegenschaft und Herausgabe eines Rangordnungsbeschlusses (Gesamtstreitwert S 1,350.000,--), infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 133/98s-14, womit die Berufung der beklagten Parteien gegen das Versäumungsurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 39 Cg 82/97a-2, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger, daß den Beklagten als Käufer einer Liegenschaft gegenüber, wegen Nichtzahlung des für die Liegenschaft vereinbarten Kaufpreises die Aufhebung des Kaufvertrages vom 29./ festgestellt werde und daß sie zur Übergabe der Liegenschaft und zur Herausgabe eines Rangordnungsbeschlusses verpflichtet würden.

Derselbe Kläger hatte die Beklagten bereits zuvor auf Zahlung des aus dem Verkauf der Liegenschaft noch offenen Kaufpreises von S 1,250.000,-- sA in Anspruch genommen. Im Vorprozeß wurden die Beklagten mit Versäumungsurteil vom zur Zahlung verpflichtet. Das Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.

Die vorliegende Klage wurde gemeinsam mit der Aufforderung, innerhalb einer vierwöchigen Frist die Klagebeantwortung zu erstatten, an den Erstbeklagten nach Vornahme eines ersten Zustellversuches am anläßlich eines zweiten Zustellversuches am durch Hinterlegung zugestellt. Die Zustellung an die Zweitbeklagte wurde am zu eigenen Handen vorgenommen.

Da die Beklagten innerhalb offener Frist keine Klagebeantwortung erstatteten, fällte das Erstgericht auf Antrag des Klägers am ein der Klage stattgebendes Versäumungsurteil. Die Zustellung des Versäumungsurteiles erfolgte an beide Beklagten am . Auf dem Zustellschein ist unter Pkt 2. "Annahmeverweigerung durch Ersatzempfänger" angekreuzt und der Name des Ersatzempfängers mit Maria W***** handschriftlich eingefügt, wobei ein Pfeil auf das mit "Unterschrift" gekennzeichnete Feld hinweist. Angekreuzt wurde auch, daß die Sendung an der Abgabestelle zurückgelassen wurde.

Mit einem am zur Post gegebenen Schriftsatz beantragten die beklagten Parteien die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erstattung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil vom und erhoben zugleich Nichtigkeitsberufung nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde rechtskräftig zurückgewiesen.

Die Beklagten machten in ihrer Berufung geltend, daß Versäumungsurteil sei ihnen nie rechtswirksam zugestellt worden, weil die beim Zustellversuch vom anwesende Mutter der Zweitbeklagten die Entgegennahme der Schriftstücke verweigert habe. Aufgrund ihres hohen Alters und einer fortgeschrittenen Erkrankung und Sehbehinderung sowie wegen ihrer Vergeßlichkeit sei sie keine geeignete Ersatzempfängerin gewesen. Sie sei nicht in der Lage gewesen, Poststücke zu kontrollieren, und habe die Schriftstücke irrtümlich weggeworfen.

Das Berufungsgericht wies mit dem angefochtenen Beschluß die Berufung als verspätet zurück. Es führte aus, daß sich auf den Zustellscheinen kein Hinweis auf eine Annahmeverweigerung durch die dort mit ihrer Unterschrift ausgewiesene und an der Abgabestelle wohnhafte Ersatzempfängerin Maria W***** finde. § 16 Abs 2 ZustG stelle weder auf eine Eigenberechtigung der Ersatzempfängerin noch auf sonstige bestimmte Eigenschaften ab. Der Hinweis auf das Alter und eine Erkrankung der Ersatzempfängerin reiche für die Annahme, daß sie eine ungeeignete Ersatzempfängerin gewesen sei, nicht aus. Es sei daher davon auszugehen, daß eine Ersatzzustellung des Versäumungsurteiles an Maria W***** zulässig gewesen sei. Im Fall der Zulässigkeit der Ersatzzustellung gelte die Zustellung an den Empfänger mit dem Zeitpunkt der Übernahme des Schriftstückes durch den Ersatzempfänger unabhängig davon als bewirkt, wann der Ersatzempfänger dem Empfänger das Schriftstück aushändige. Daraus folge, daß die Zustellung des Versäumungsurteiles an die Beklagten mit dem Zeitpunkt der Übernahme durch die Ersatzempfängerin, nämlich am , bewirkt wurde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Parteien mit dem Antrag, sie zu beheben und dem Erstgericht die Zustellung des Versäumungsurteiles an die Beklagten aufzutragen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und im Sinne des Eventualantrages berechtigt.

Unstrittig ist, daß das Versäumungsurteil vom den Beklagten am nicht persönlich zugestellt werden konnte. In diesem Falle darf nach § 16 Abs 1 ZustG die Sendung an einen an der Abgabestelle anwesenden Ersatzempfänger zugestellt werden, sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Ersatzempfänger kann nach Abs 2 leg cit jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist.

Die Beklagten haben vorgebracht, daß die Mutter der Zweitbeklagten die Annahme der Sendung verweigert und auch die Zustellnachweise nicht unterfertigt habe. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts, auf den Zustellnachweisen befinde sich kein Hinweis auf eine Annahmeverweigerung durch die dort mit ihrer Unterschrift ausgewiesene und an der Abgabestelle wohnhafte Ersatzempfängerin Maria W*****, ist durch den Akteninhalt nicht gedeckt. Wie eingangs festgehalten, ist nämlich auf den Zustellnachweisen der Sachverhalt "Annahmeverweigerung durch Ersatzempfänger" angekreuzt. Auch der Namenszug Maria W***** ist nicht im Unterschriftsfeld bei der Übernahmsbestätigung, sondern in dem für die "Annahmeverweigerung" vorgesehenen Feld angebracht. Auch wenn es sich dabei um die Unterschrift der Person handeln sollte, die vom Zusteller als Ersatzempfängerin in Anspruch genommen worden ist, würde dies nichts daran ändern, daß nach dem Inhalt des Zustellscheines von der Verweigerung der Annahme der Sendung auszugehen ist.

Gemäß § 20 Abs 2 ZustG gilt eine Sendung, deren Annahme vom Empfänger oder Ersatzempfänger zu Unrecht verweigert wurde, mit der Zurücklassung durch den Zusteller als zugestellt. Bei Verweigerung durch die als Ersatzempfänger in Anspruch genommene Person ist allerdings neben dem - hier nicht strittigen - Bestehen eines gemeinsamen Haushalts mit dem Empfänger noch Voraussetzung, daß diese Person ein geeigneter Ersatzempfänger im Sinn des § 16 Abs 2 ZustG war. Hiezu haben die Beklagten vorgebracht, daß die als Ersatzempfängerin in Anspruch genommene Mutter der Zweitbeklagten infolge ihres hohen Alters sowie der drastisch eingeschränkten Sehkraft und Krankheit nicht in der Lage gewesen sei, Poststücke zu "kontrollieren". Dies muß entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes als ausreichende Behauptung in der Richtung angesehen werden, daß die Mutter der Zweitbeklagten keine geeignete Ersatzempfängerin gewesen sei.

Nach § 16 Abs 2 ZustG kommt als Ersatzempfänger jede erwachsene Person in Betracht, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt. In der Rechtsprechung ist eine erwachsene Person, die an derselben Abgabestelle wohnt, auch dann als Ersatzempfänger im Sinn des § 16 Abs 2 ZustG angesehen worden, wenn gegen sie ein Entmündigungsverfahren lief, weil das Gesetz nicht darauf abstelle, daß der Ersatzempfänger selbst eigenberechtigt ist (SZ 57/22). Diese Ansicht wurde als bedenklich angesehen (Pfersmann, ÖJZ 1987, 108). Ferner wurde ausgesprochen, daß "Erwachsensein" im Sinne der angeführten Gesetzesstelle, nicht Volljährigkeit voraussetzt ( = AnwBl 1989, 692 [Arnold]). Darüberhinaus wird in der Lehre gefordert, daß der Ersatzempfänger handlungsfähig sein muß (Berchtold, Zustellgesetz 32; Gitschthaler in Rechberger Rz 1 zu § 103 ZPO). Der erkennende Senat vertritt hiezu die Ansicht, daß an einen Ersatzempfänger im Sinne des § 16 Abs 2 ZustG dann zugestellt werden darf, wenn er nach dem äußeren Eindruck des Zustellers in der Lage ist, den Ernst und die Tragweite einer gerichtlichen Zustellung zu erkennen, und dem Anschein nach über ein genügendes Verantwortungsbewußtsein verfügt, dem Empfänger das zuzustellende Schriftstück auszufolgen bzw ihm unverzüglich von der erfolgten Zustellung genügend klare und verständliche Mitteilung zu machen (vgl Fasching, Kommentar II 586). Es ist allerdings Sache des Empfängers darzutun, daß der anwesende Ersatzempfänger diese Voraussetzungen nicht erfüllt und dies dem Zusteller bekannt sein mußte.

Das Berufungsgericht wird daher bei neuerlicher Prüfung der Rechtzeitigkeit der Berufung diejenigen Feststellungen zu treffen haben, die erforderlich sind, um beurteilen zu können, ob die Mutter der Zweitbeklagten im Sinne der vorstehenden Ausführungen eine geeignete Ersatzempfängerin war.

Der Ausspruch über die Rekurskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.