OGH vom 16.10.2013, 7Ob166/13g

OGH vom 16.10.2013, 7Ob166/13g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Ing. M***** G*****, vertreten durch Mag. Sonja Fragner, Rechtsanwältin in Krems an der Donau, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Mag. K***** M*****, vertreten durch Dr. Andrea Wukovits, Rechtsanwältin in Wien, wegen einstweiliger Verfügung gemäß §§ 382b und 382e EO, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom , GZ 2 R 79/13z 15, womit die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom , GZ 10 C 13/13m 9, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die gefährdete Partei hat dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 225,07 EUR (darin 37,51 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht verbot dem Antragsgegner mit einstweiliger Verfügung gemäß § 382b EO für sechs Monate die Rückkehr in die Ehewohnung und erteilte ihm ein Kontaktverbot. In Punkt 6. des Spruchs ordnete es an, bei Einleitung eines Scheidungsverfahrens innerhalb dieser Frist und eines danach fristgerechten Antrags auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens „gilt die einstweilige Verfügung bis zu dessen rechtskräftiger Beendigung“.

Über Rekurs des Antragsgegners behob das Rekursgericht den Punkt 6. des Spruchs ersatzlos. Dazu berief es sich auf die ständige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0116471), wonach eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO nicht bis zum Abschluss eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherungsantrag noch nicht anhängigen Hauptverfahrens erlassen werden könne, sodass auch keine Frist für die Einleitung eines solchen Verfahrens zu setzen sei. Durch das 2. GeSchG sei diesbezüglich die Rechtslage nicht geändert worden. Insoweit sei jedoch der ordentliche Revisionsrekurs zulässig, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nach Inkrafttreten des 2. GeSchG nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine einstweilige Verfügung gemäß § 382b Abs 1 EO nicht bis zum Abschluss eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherungsantrag noch nicht anhängigen Hauptverfahrens erlassen werden kann (RIS-Justiz RS0116471 [T1]): Die Bescheinigung eines künftigen, noch ungewissen Sachverhalts (wie die befürchtete weitere Gewalt im Aufteilungsverfahren) kann nämlich nicht schon zum Zeitpunkt der Einbringung des Sicherungsantrags erbracht werden, also nicht schon vorweg bei der Entscheidung über den vor oder im Scheidungsverfahren gestellten Sicherungsantrag. Sie hat vielmehr im Verlängerungsverfahren zu erfolgen (vgl RIS-Justiz RS0116471 [T2 und T 3]).

Soweit der Revisionsrekurs geltend macht, der Oberste Gerichtshof habe nach diesen Grundsätzen nur bis zum Inkrafttreten des 2. GeSchG (am ) judiziert, wird (wie die Revisionsrekursbeantwortung zutreffend aufzeigt) übersehen, dass der zuständige Fachsenat an dieser Rechtsprechung erst jüngst in der Entscheidung 7 Ob 95/13s (EF Z 2013/143, 221 [zust Beck ]) ausdrücklich festgehalten und ausgeführt hat, dass eine einstweilige Verfügung nach § 382b Abs 1 und 2 EO nicht bis zum Abschluss eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherheitsantrag noch nicht anhängigen Hauptverfahrens erlassen werden kann (RIS-Justiz RS0116471).

Auch der Hinweis der Revisionsrekurswerberin auf den Ausschussbericht zum 2. GeSchG (106 BlgNR XXIV. GP 10), wonach dem Gericht nicht die Möglichkeit genommen werden soll, „schon bei Erlassung der einstweiligen Verfügung eine Verlängerung für den Fall auszusprechen, dass innerhalb dieser Frist ein Hauptverfahren eingeleitet wird“, vermag daran nichts zu ändern:

Unter Berufung darauf wird diese Möglichkeit von einem Teil der Literatur zwar befürwortet ( König , Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren 4 Rz 5/41a; Mohr , Neuerungen bei den einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und Stalking Änderungen durch das 2. Gewaltschutzgesetz, ÖJZ 2009/56, 485 ff [488]; Bauer , Zur Geltungsdauer der Gewaltschutz EV - Eine Replik zu EF Z 2010/100, EF Z 2010/127, 190 f).

Zu Recht spricht sich jedoch Beck (Gewaltschutz neu - ein Überblick, EF-Z 2009/110, 157 [158, insb FN 21]; Geltungsdauer der Gewaltschutz-EV - Eine Besprechung der E 9 Ob 32/09k, EF-Z 2010/100, 147 [148]; EF-Z 2013/143, 222 [zust Glosse zu 7 Ob 95/13s]) aus folgenden Gründen für die Beibehaltung der bisherigen Judikatur aus:

Mit der Abkehr von der Aussage, wonach eine einstweilige Verfügung im Rahmen eines bereits anhängigen Scheidungsprozesses nur bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens erlassen werden darf und nicht schon ein Aufteilungsverfahren erfassen kann (von dem nicht einmal klar ist, ob es innerhalb der Jahresfrist des § 95 EheG überhaupt eingeleitet werden wird), würde die Rechtslage gravierend geändert. Weshalb dies keinen Niederschlag im Gesetzestext finden sollte, sei daher „unerklärlich“. Deshalb sei an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten; seien doch die allgemeinen Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO nicht verändert worden. Außerdem lasse sich eine einstweilige Verfügung mit absehbar mehrjähriger Geltungsdauer bis zum Abschluss noch nicht einmal anhängiger Scheidungs- und Aufteilungsverfahren kaum mehr als Provisorialmaßnahme bezeichnen. Nur wenn das Hauptverfahren innerhalb der Geltungsfrist der ursprünglichen einstweiligen Verfügung eingeleitet werde, könne ihre Verlängerung für die Dauer dieses Verfahrens aufgrund eines entsprechenden Antrags sachgerecht sein; bei einer einstweiligen Verfügung ohne Zusammenhang mit einem Hauptverfahren setze die Ausdehnung ihrer Wirksamkeitsdauer ja auch einen Prozessbeginn innerhalb der Verfügungsfrist voraus. Wertungswidersprüche müssten auch im Bereich des Gewaltschutzes tunlichst vermieden werden.

Das wesentliche Argument für den in der Lehre vertretenen gegenteiligen Standpunkt liegt offenbar darin, dass sich die bisherige Rechtsprechung [auch] auf § 382b Abs 4 EO stützte, der auf ein anhängiges Gerichtsverfahren abgestellt habe und nunmehr weggefallen sei (vgl Mohr aaO); sowie in der Behauptung, der Ehegatte sei sonst gegenüber dem Lebensgefährten, der im Räumungsverfahren Schutz bis zur endgültigen Klärung der Rechte an der Wohnung habe, schlechter gestellt ( Bauer aaO).

Mit dem Wegfall des Abs 4 in der Bestimmung des § 382b EO ist ein Abgehen von der einhelligen Judikatur aber nicht zu rechtfertigen. Den Gesetzesmaterialien kommt keine entscheidende Bedeutung zu, weil sie weder das Gesetz selbst sind noch dieses authentisch interpretieren (RIS-Justiz RS0008799 [T3]), wobei das Gesetz [selbst] mit seinem Wortlaut, mit seiner Systematik und in seinem Zusammenhang mit anderen Gesetzen über der Meinung der Redaktoren steht (RIS-Justiz RS0008776 [T1]).

Auch das Argument Bauers (aaO) überzeugt nicht, weil es dem Ehegatten unbenommen bleibt, nicht nur eine einstweilige Verfügung zu beantragen, sondern auch ein Scheidungsverfahren anhängig zu machen. Der Ehegatte ist daher nicht schutzlos; auch dem Lebensgefährten wird die einstweilige Verfügung ja nur für die Dauer des anhängigen Verfahrens über die Benützungsberechtigung gewährt.

Vor allem wird von den Gegnern der bisherigen Rechtsprechung nicht berücksichtigt, dass sich an dem zentralen Argument für den Standpunkt der Judikatur das auch vom Rekursgericht angeführt wurde gar nichts geändert hat: Bereits in 9 Ob 41/06d ist dazu festgehalten, dass bei Gewalttätigkeiten und gefährlichen Drohungen in der Familie, denen mit einstweiliger Verfügung begegnet werden soll, eine Zukunftsprognose erforderlich ist. Die Bescheinigung eines künftigen, noch ungewissen Sachverhalts kann aber nicht schon zum Zeitpunkt der Einbringung des Sicherungsantrags erbracht werden; die Tatfrage, ob die Einleitung eines (dort: Aufteilungs-)Verfahrens weitere Gewalttätigkeiten befürchten lässt, ist vielmehr in dem über Antrag einzuleitenden Verlängerungsverfahren zu klären, also nicht vorweg bei Erlassung der einstweiligen Verfügung. Rechtsschutzlücken sind nicht zu erblicken, weil nach der Rechtsprechung die einstweilige Verfügung mit ihrem Ablauf nicht erlischt, sondern aufzuheben ist. Dem kann die gefährdete Partei durch Einleitung eines Hauptverfahrens samt Verlängerungsantrag begegnen.

Da gegen diese Auffassung kein zwingendes und überzeugendes Argument ins Treffen geführt wird, besteht kein Anlass, von den dargelegten Grundsätzen ständiger Rechtsprechung abzugehen:

Der Revisionsrekurs macht nämlich abschließend nur noch geltend, die Formulierung des § 382b Abs 2 EO schließe nach Ansicht der Antragstellerin nicht aus, dass eine Verlängerung möglich sei, wenn (innerhalb der Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung) ein Hauptverfahren anhängig gemacht werde; gerade dies wurde in den Entscheidungen 9 Ob 32/09k (vgl Becks zust Besprechung EF-Z 2010/100, 147 f) und 7 Ob 95/13s (EF Z 2013/143, 221 [zust Beck ]) aber ohnehin bereits ausgesprochen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 2 EO und §§ 50, 41 ZPO.