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OGH vom 19.02.2020, 7Ob164/19x

OGH vom 19.02.2020, 7Ob164/19x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Poduschka Anwalts GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 71/19d-14, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 63 Cg 96/18i-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.411,20 EUR (darin enthalten 235,20 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger hat mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2001) zugrunde lagen. Diese lauten auszugsweise:

[…]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen; […]

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) von der Verpflichtung zur Leistung frei.

[…

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des

Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

2.1 dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen;

[…]

Artikel 23

Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz

[…]

2. Was ist versichert?

2.1 Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur- und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen.

Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen. […]

Die Vorinstanzen bejahten die Pflicht der Beklagten auf Gewährung von Rechtsschutz für die vom Kläger angestrebte klageweise Geltendmachung von Ansprüchen aus einem auf die unrichtige Belehrung über das Rücktrittsrecht gegründeten Spätrücktritt von einer bereits abgewickelten Lebensversicherung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, inwieweit auch Ansprüche des Versicherungsnehmers außerhalb des Hemmungstatbestands des § 12 Abs 2 VersVG einer absoluten Verjährungsfrist unterliegen (analoge Anwendung des § 12 Abs 1 letzter Satz VersVG).

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die in § 33 Abs 1 VersVG normierte Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls gilt für die Rechtsschutzversicherung nur eingeschränkt, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall, sondern nur dann zu unterrichten hat, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“. Art 8.1.1 ARB 2001 normiert für den Fall, dass der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz verlangt, seine Verpflichtung, den Versicherungsfall dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen und enthält damit auch eine Anzeigepflicht. Art 8.1.1 ARB 2001 beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kann. Erst wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, das heißt, wenn sich die rechtliche Auseinandersetzung so weit konkretisiert hat, dass der Versicherungsnehmer mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, entsteht für ihn die Obliegenheit, den Versicherer unverzüglich zu informieren und kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen. Dessen Unterrichtung hat spätestens in einem Stadium zu erfolgen, das dem Versicherer noch die Prüfung seiner Eintrittspflicht und die Abstimmung von Maßnahmen erlaubt. Insbesondere ist der Versicherer – abgesehen von eiligen Fällen – so zeitig zu unterrichten, dass er noch ausreichend Zeit hat, die Erfolgsaussichten der Prozessführung abzuklären (7 Ob 140/16p mwN).

1.2. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen musste der Kläger nicht schon beim ersten anwaltlichen Beratungsgespräch am , sondern erst mit Erhalt des den Rücktritt ablehnenden Schreibens des Lebensversicherers am mit Kosten für eine rechtliche Auseinandersetzung rechnen, die eine Einschaltung des Rechtsschutzversicherers erforderlich machten. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage eine Schadensmeldung am , also rund eine Woche danach, für noch zeitgerecht erachtet, ist diese Einzelfallbeurteilung nicht zu beanstanden. Überdies ist, worauf bereits das Erstgericht (unbekämpft) hinwies, im Hinblick auf die wenigen Tage kein Umstand erkennbar, der die Beklagte beim gegebenen Zeitlauf gehindert hätten, die Prüfung ihrer Eintrittspflicht, die Abstimmung von Maßnahmen und insbesondere die Erfolgsaussichten der Prozessführung abzuklären.

2.1. Der Kläger leitet aus einer behaupteten fehlerhaften Belehrung über sein Rücktrittsrecht durch den Lebensversicherer ein unbefristetes Rücktrittsrecht vom Lebensversicherungsvertrag und darauf aufbauend Rückabwicklungsansprüche ab, für deren Verfolgung er vom Rechtsschutzversicherer Kostendeckung begehrt. In diesem Fall liegt bereits in der behaupteten fehlerhaften Belehrung im Jahr 2007 der Keim der späteren Auseinandersetzung über die Wirksamkeit des Rücktritts. Dieser allein maßgebliche Verstoß (fehlerhafte Belehrung) ist der Versicherungsfall (7 Ob 194/18g). Die darauf aufbauende Rechtsansicht der Beklagten, ein allfälliger Anspruch des Klägers aus dem RechtsschutzVersicherungsvertrag sei nach § 12 VersVG verjährt, ist allerdings verfehlt:

2.2. Die Verjährung des Anspruchs aus der Rechtsschutzversicherung beginnt zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich die Notwendigkeit einer Interessenwahrnehmung für den Versicherungsnehmer so konkret abzeichnet, dass er mit der Entstehung von Rechtskosten rechnen muss, deretwegen er den Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will (vgl 7 Ob 163/17x; RS0054251). Dieser Zeitpunkt ist hier der (Zugang des Ablehnungsschreibens), sodass bis zur Klageerhebung am die dreijährige Frist nach § 12 Abs 1 Satz 1 VersVG bei weitem nicht abgelaufen war.

2.3. Nach § 12 Abs 2 VersVG endet die Fortlaufhemmung der Verjährung im Zeitpunkt des Zugangs der im Sinn dieser Gesetzesstelle begründeten Ablehnung (RS0114507). Begründet der Versicherer sie unzureichend oder gar nicht oder fällt er keine schriftliche Entscheidung, dann bleibt es bei der Hemmung der Verjährung. Die Hemmung kann aber keine endlose Verjährungsfrist auslösen, weshalb nach § 12 Abs 2 Satz 2 VersVG die Verjährung nach zehn Jahren jedenfalls eintritt. Damit ist eine absolute Verjährungsfrist normiert, die nur für den Fall einer Hemmung der Verjährung nach der genannten Bestimmung eine Rolle spielt (7 Ob 91/10y mwN). Die Rechtsansicht, dass sie daher nicht für den vorliegenden Fall gilt, entspricht der Judikatur.

3.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann. Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0116448; RS0117144). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Rechtsschutzversicherung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0081929 [T3]).

3.2. Ob der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht auch noch nach Kündigung und Erfüllung aller Verpflichtungen aus dem Vertrag ausüben kann, war seinerzeit Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH. Diese Frage hat der EuGH erst mit Urteil vom , C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, beantwortet, sodass bis dahin keine eindeutige Rechtslage zu dieser Frage bestand. Die Vorinstanzen haben daher im Einklang mit den genannten Judikaturgrundsätzen die Annahme, dass keine oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bestehe, nicht für gerechtfertigt erachtet. Insoweit liegt auch der von der Beklagten behauptete Begründungsmangel nicht vor.

4. Schließlich haben die Vorinstanzen in Übereinstimmung mit bestehender Rechtsprechung auch den Rechtsschutz für die vom Kläger verfolgten Ansprüche aus der Vertragsrückabwicklung bejaht. Die Wendung „Wahrnehmung rechtlicher Interessen“ aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers umfasst nicht nur die Geltendmachung oder Abwehr von Ansprüchen auf Erfüllung und Erfüllungssurrogate, sondern auch die Ausübung von Gestaltungsrechten wie zum Beispiel Kündigung, Rücktritt oder Anfechtung. Für die Rückabwicklung eines solchen Vertrags nach Bereicherungsrecht oder sonstigen Rechten besteht nach dem Sinn und Zweck des Vertragsrechtsschutzes bereits nach dem Basistatbestand Versicherungsschutz (7 Ob 96/13p; vgl auch 7 Ob 193/18k [Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrags]; RS0128752 [T2]). Die von der Beklagten dagegen ins Treffen geführte Entscheidung 7 Ob 45/89 betraf die Verfolgung eines nicht vergleichbaren Anspruchs.

5.1. Die Beklagte vermag insgesamt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht aufzuzeigen. Die Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

5.2. Die Kostenentscheidung gründet auf § 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00164.19X.0219.000

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