OGH vom 21.02.2018, 7Ob164/17v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 198/16v-19, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 10 Cg 55/15s-15, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Oberste Gerichtshof ist nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz (RIS-Justiz RS0002399 [T2]; RS0043414 [T14]). Fragen der Beweiswürdigung und bereits im Berufungsverfahren erfolglos geltend gemachte Verfahrensmängel erster Instanz können an den Obersten Gerichtshof nicht herangetragen werden (RIS-Justiz RS0042903 [T2, T 7, T 8, T 10]; RS0069246 [T1, T 2]; RS0043414 [T11]; RS0042963).
2. Bereits das Berufungsgericht hat auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen, wonach § 182a ZPO nichts daran geändert hat, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Auch die Pflicht nach § 182a ZPO kann nicht bezwecken, das Gericht zur Erörterung eines Vorbringens zu zwingen, dessen Schwächen bereits der Prozessgegner aufzeigte (RIS-Justiz RS0122365). Inwiefern eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht vorliegen soll, ist nicht ersichtlich.
Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
3.1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer (bzw – wie unstrittig hier – den Versicherten, dem die Rechte und Pflichten eines Versicherungsnehmers zukommen) motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS-Justiz RS0116978). Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe (RIS-Justiz RS0081313).
3.2. Für den Vorsatz iSd § 6 Abs 3 VersVG genügt das allgemeine Bewusstsein, dass ein Haftpflichtversicherter bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften mitwirken muss. Dieses Bewusstsein ist bei einem Versicherten in der Regel vorauszusetzen (RIS-Justiz RS0080477). Es kann daher nur der Nachweis besonders entschuldbarer Umstände den Vorsatz in Frage stellen (RIS-Justiz RS0080477 [T15]).
Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gebotenen Umständen hätte geschehen müssen (RIS-Justiz RS0080371). Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0030272). Bei der Beurteilung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, müssen die Umstände des einzelnen Falls und die persönlichen Verhältnisse berücksichtigt werden (RIS-Justiz RS0080387, RS0030309).
3.3. Dass – bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung – die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistungen Einfluss gehabt hat, ist vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0081313). Eine nur leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS-Justiz RS0043728 [T4]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat. Dies kann für den Gesamtschaden oder einen Teil des Schadens gelingen (RIS-Justiz RS0116979). Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt (RIS-Justiz RS0081253 [T10], RS0109766).
3.4. Die Verpflichtung, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen, besteht darin, dass der Versicherungsnehmer alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Schadenereignisses ins Werk zu setzen hat, dies selbst dann, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereicht. Durch die Aufklärung seitens des Versicherungsnehmers soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen. Eine in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entsprechende Darstellung des Schadenereignisses durch den Versicherungsnehmer stellt daher eine Verletzung der Aufklärungspflicht dar (RIS-Justiz RS0080972). Damit sollen nicht nur die nötigen Feststellungen über den Ablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des Schadens ermöglicht, sondern auch die Klarstellung aller Umstände gewährleistet werden, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können. Der Versicherer soll ganz allgemein in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen (7 Ob 33/16b mwN).
4. Die Klägerin als Mitversicherte einer von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder als Versicherungsnehmerin für ihre Mitglieder mit der Beklagten abgeschlossenen Excedenten-Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung hat dieser über eine interne Notiz aus dem Jahr 2001 und darin dokumentierte Vorgänge nicht von sich aus Meldung erstattet. Aus dieser Notiz gehen von Anfang an bestehende Bedenken der Klägerin gegen die Übernahme des Prüfmandates für zwei Aktiengesellschaften hervor, und zwar auch wegen Umständen in Ansehung einer trotz Rücknahmeverpflichtung von Genussscheinen der Gesellschaften erfolgten Bilanzierung des Genussscheinkapitals als Eigenkapital. Aus dieser Notiz ergibt sich unter anderem weiters, dass auch ein anderer Wirtschaftsprüfer des Zusammenschlusses von Wirtschaftsprüfungskanzleien, dem die Klägerin angehörte, ihr gegenüber aufgrund seiner Erfahrung mit Genussscheinbetrug Bedenken dahin äußerte, dass nur ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt werden sollte. Daraufhin habe sich die Klägerin – ausdrücklich entgegen dem Ratschlag jenes anderen Wirtschaftsprüfers – doch entschlossen, die Prüfung der Aktiengesellschaften für das Jahr 2000 und in den Folgejahren mit uneingeschränktem Bestätigungsvermerk vorzunehmen. Die ersten Anspruchsschreiben an die Klägerin, über die sie die Beklagte informierte, langten im Juli 2010 – kurz nach Eröffnung der Konkurse über das Vermögen der geprüften Aktiengesellschaften am – ein. In einem gegen die Klägerin geführten Musterverfahren wurde Ende 2012 ein – 445 Seiten umfassendes – Sachverständigengutachten erstellt, dem – neben einer Vielzahl anderer Unterlagen in elf Ordnern – die vom Rechtsvertreter der Klägerin erstmals dem Sachverständigen vorgelegte Notiz aus dem Jahr 2001 angeschlossen war. Eine ausdrückliche Frage der Beklagten weitere zweieinhalb Jahre später, im Mai 2015, ob es im Zusammenhang mit der Übernahme des Prüfmandates irgendwelche (anderen) Bedenken gegeben habe, beantwortete die Klägerin mit „Nein“.
5. Ausgehend von dieser für den Obersten Gerichtshof bindenden Tatsachengrundlage zeigt die Klägerin in ihrer Revision keine erheblichen Rechtsfragen auf.
Wenn die Vorinstanzen der Klägerin im Zusammenhang mit der Nichtoffenbarung der in der Notiz festgehaltenen Umstände der Mandatsübernahme eine zumindest grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung anlasten und den Schluss zogen, ihr sei der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen, halten sie sich im Rahmen der ständigen Rechtsprechung. Dabei kommt es nicht auf die Beantwortung der Fragenliste der Beklagten im Jahr 2015 an. Dass nämlich schon die Nichtoffenlegung der in der Notiz geschilderten Umstände über einen Zeitraum von mehreren Jahren davor eine Obliegenheitsverletzung darstellt, ist im Einzelfall vertretbar. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es sei die Aufklärungsobliegenheit gegenüber dem Versicherer auch nicht (ohnehin erst Jahre nach Eintritt des Versicherungsfalls) durch die Vorlage eines Gutachtens aus einem Gerichtsverfahren erfüllt worden, ist im vorliegenden Einzelfall ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Notiz, die Aufklärung über die Vorgänge und die vorhandenen Bedenken anlässlich der Auftragserteilung an die Klägerin gibt, war unter einer Vielzahl von Urkunden dem Gutachten wie festgestellt angeschlossen. Die Klägerin bringt selbst vor, sie habe die Notiz der Beklagten nicht übermittelt, sondern nur dem Gutachter übergeben. Befindet sich aber ein Beweismittel bloß in einem umfangreichen, einem Gutachten angeschlossenen Konvolut von einer Vielzahl von Unterlagen ohne näheren Hinweis auf seinen konkreten Inhalt, musste die Klägerin geradezu damit rechnen, dass diese Notiz in der Fülle der Unterlagen, insbesondere unter Berücksichtigung der Komplexität der Sachlage, voraussichtlich vom Versicherer unbemerkt bleiben würde. Dass diese Urkunde für die Beklagte wesentlich sein würde, war einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Hinblick auf die in Art II 10.1 des Versicherungsscheins vereinbarten Risikoausschlüsse bei vorsätzlicher Schadenszufügung (oder gleichzuhaltenden Vorgangsweisen) leicht erkennbar. Die Beurteilung, dass die Beklagte infolge Verletzung der Aufklärungsobliegenheit leistungsfrei ist, hält sich damit im Rahmen der Judikatur. Der Vollständigkeit halber sei aber noch erwähnt, dass die Klägerin die Richtigkeit der von der Beklagten vorgelegten und vom Klagevertreter selbst erstellten Urkunde Beil ./30 vom zugestanden hat. In dieser hat der Geschäftsführer der Klägerin ausdrücklich verneint, dass ihm Verfehlungen, Abgrenzungs-
und Ausweisfragen in Bezug auf die Darstellung der Vermögenslage bewusst gewesen wären.
6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00164.17V.0221.000 |
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Fundstelle(n):
PAAAD-41352