OGH vom 28.07.2017, 2Nc16/17a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** K*****, vertreten durch Dr. Christian Lang, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. G***** AG, *****, 2. B***** E*****, vertreten durch Dr. Eva Kamelreiter, Rechtsanwältin in Wien, wegen 24.668,13 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.500 EUR), über den Antrag der erstbeklagten Partei auf Delegierung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Zur Verhandlung und Entscheidung dieser Rechtssache wird hinsichtlich der erstbeklagten Partei statt des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien das Landesgericht Salzburg bestimmt.
Text
Begründung:
Am ereignete sich auf der Pinzgauer Bundesstraße im Bundesland Salzburg ein Verkehrsunfall, an dem der in Wien ansässige Kläger als Lenker eines Motorrollers und der in Kaprun ansässige Zweitbeklagte als Lenker eines bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren. Der Sitz der Erstbeklagten ist in Wien.
Mit der am eingebrachten Klage begehrt der von beiden Beklagten Schadenersatz von (zuletzt) 24.668,13 EUR sA, weiters erhebt er ein Feststellungsbegehren. Bereits in der Klage führte er aus, dass er für den Fall, dass das Gericht seine Zuständigkeit hinsichtlich des Zweitbeklagten verneinen sollte, einen Überweisungsantrag an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Salzburg stellen werde. In weiterer Folge werde er dort jedoch die „Rücküberweisung“ an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien beantragen, damit die Verfahren (wieder) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden könnten.
Der wandte in der Klagebeantwortung die Unzuständigkeit des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien ein und beantragte die Zurückweisung der Klage. Die beantragte für den Fall einer insofern erfolgenden Überweisung die Delegierung auch der sie betreffenden Rechtssache an das Landesgericht Salzburg.
In weiterer Folge wurde das Verfahren auf Antrag beider Seiten bis zur Erledigung eines beim Bezirksgericht Zell am See gegen den Zweitbeklagten anhängigen Strafverfahrens unterbrochen. Dieses Verfahren endete mit einer Diversion, worauf das Zivilverfahren auf Antrag des Klägers fortgesetzt wurde. Mit Beschluss vom sprach das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien aus, dass es hinsichtlich des Zweitbeklagten nicht zuständig sei, und überwies die Rechtssache insofern nach § 261 Abs 6 ZPO an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Salzburg. Dieser Beschluss ist rechtskräftig.
Hinsichtlich der legt das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien die Akten zur vor. Es spricht sich für die Delegierung aus, weil beim Landesgericht Salzburg die Verfahren gegen beide Beklagten geführt werden könnten und (zumindest) eine neuerliche Begutachtung durch einen Sachverständigen erfolgen müsse. Getrennte Verfahren über den gleichen Gegenstand würden für alle Beteiligten einen Mehraufwand bedeuten.
Der spricht sich gegen die Delegierung aus. Er sei deutscher Staatsangehöriger, weswegen „gemäß Art. 9 Pkt 11 EuGVVO“ die Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer an seinem Wohnsitz zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der ist .
Nach § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Zwar soll eine Delegierung nach ständiger Rechtsprechung (RISJustiz RS0046324, RS0046441, RS0046589) den Ausnahmefall bilden, allerdings sprechen im Allgemeinen Gründe der Zweckmäßigkeit dafür, Schadenersatzprozesse aus einem Verkehrsunfall bei jenem Gericht durchzuführen, in dessen Sprengel sich der Unfall ereignet hat (RISJustiz RS0046149). Diesem Umstand hat der Gesetzgeber auch dadurch Rechnung getragen, dass er für solche Prozesse einen Gerichtsstand bei dem für den Unfallort zuständigen Gericht geschaffen hat (§ 20 EKHG).
Schon diese Erwägungen sprechen im vorliegenden Fall für eine Delegierung an das Landesgericht Salzburg. Hinzu kommt, dass durch die beantragte Delegierung ein Verfahren gegen beide Beklagten durch dasselbe Gericht ermöglicht werden kann. Da auch der Zweitbeklagte und ein Zeuge im Sprengel des Landesgerichts Salzburg ansässig sind, fallen der Wiener Wohnsitz des Klägers und einer von ihm geführten Zeugin nicht entscheidend ins Gewicht. Die Voraussetzungen für eine Delegierung liegen daher vor.
Mit seinem Hinweis auf Regelungen des Europäischen Zivilprozessrechts bezieht sich der Kläger möglicherweise auf Art 11 Abs 1 lit b iVm Art 13 Abs 2 VO (EU) Nr 1215/2012 (EuGVVO neu) und die zu den Vorgängerbestimmungen in der VO (EG) 44/2001 (EuGVVO) ergangene Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C463/06, FBTO Schadeverzekeringen NV. Danach ist der Verweis in Art 11 Abs 2 EuGVVO (Art 13 Abs 2 EuGVVO neu) auf die Art 8 bis 10 EuGVVO (Art 10 bis 12 EuGVVO neu) dahin zu verstehen, dass sich der Geschädigte, der über ein Direktklagerecht verfügt, gegen den beklagten Haftpflichtversicherer auf die Zuständigkeiten nach Art 9 Abs 1 EuGVVO (Art 11 Abs 1 EuGVVO neu) berufen kann. Art 11 Abs 1 EuGVVO neu lautet:
„(1) Ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden:
a) vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat,
b) in einem anderen Mitgliedstaat bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, oder
c) falls es sich um einen Mitversicherer handelt, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem der federführende Versicherer verklagt wird.“
Der Kläger stützt sich offenbar auf die Wohnsitzzuständigkeit nach Art 11 Abs 1 EuGVVO neu. Er übersieht dabei, dass diese Bestimmung schon nach ihrem Wortlaut nur dann anwendbar ist, wenn die Klage in einem Mitgliedstaat als jenem erhoben wird, in dem der Versicherer seinen Wohnsitz (iSv Art 63 Abs 1 EuGVVO neu) hat (Simotta in Fasching/Konecny2 Art 9 EuGVVO Rz 6 mwN). Im vorliegenden Fall liegt allerdings der Wohnsitz des erstbeklagten Versicherers ebenso wie jener des Klägers in Österreich. Damit bestimmt sich die Zuständigkeit ausschließlich nach Art 11 Abs 1 EuGVVO neu, der generell die österreichischen Gerichte beruft („... vor den Gerichten ...“). Die Zuständigkeit ergibt sich in weiterer Folge aus dem nationalen Recht (Simotta in Fasching/Konecny2 Art 9 EuGVVO Rz 4 mwN), sodass eine Delegierung in Anwendung von § 31 JN jedenfalls möglich ist.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0020NC00016.17A.0728.000 |
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