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OGH vom 19.12.2006, 4Ob229/06i

OGH vom 19.12.2006, 4Ob229/06i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** Inc., ***** vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. P***** LL.C., ***** und 2. N***** m.b.H., ***** vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Beseitigung (Streitwert im Sicherungsverfahren 21.000 EUR), über den Revisionsrekurs der Zweitbeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 1 R 155/06f-32, in nichtöffentlicher Sitzung, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Inhaberin der österreichischen Wortmarke „5 HTP" und einer gleichlautenden Gemeinschaftsmarke. Beide Marken sind für die Klasse 5 geschützt (ua pharmazeutische Erzeugnisse, Nahrungsmittelergänzung und Vitaminpräparate). Die Klägerin vertreibt darunter Nahrungsergänzungsmittel.

Die Erstbeklagte ist Inhaberin der Domain „5htp.at". Sie betreibt unter dieser Domain eine Website, auf der sie ebenfalls Nahrungsergänzungsmittel anbietet. Die Zweitbeklagte ist die österreichische Domain-Vergabestelle; ihr obliegt die Vergabe und Verwaltung der Top-Level-Domain „.at".

„5-HTP" ist eine chemische Formel. Die damit bezeichnete Substanz wird ua in der Medizin verwendet. Eine Abfrage mit der Suchmaschine Google ergab für „5-HTP" über 5 Millionen Treffer, darunter Hunderttausende mit Hinweisen auf Wirkungsweise, Herstellung, Indikation und Bezugsmöglichkeiten.

Der Vertreter der Klägerin wies die Zweitbeklagte in zwei Schreiben auf seine österreichische Marke hin und forderte sie auf, die Nutzung der Domain durch die Erstbeklagte zu beenden. Weiters sollte sie zusichern, die Domain nicht an Dritte zu vergeben. Die Zweitbeklagte bot der Klägerin einen „Wartestatus" an, verweigerte aber ein weitergehendes Einschreiten. Dabei blieb sie auch, nachdem sie der Klagsvertreter im Verfahren auf die entsprechende Gemeinschaftsmarke hingewiesen hatte.

Die Klägerin beantragt zur Sicherung ihres auf Unterlassung und Beseitigung gerichteten Klagebegehrens, die Zweitbeklagte zu verpflichten, „den Zugriff auf die das Markenrecht der Klägerin verletzenden Domains unterhalb der Top-Level-Domain '.at', insbesondere die Domain '5htp.at', zu unterbinden und deren von Dritten allenfalls begehrte Registrierung zu verweigern."

Die Vorinstanzen haben diesen Sicherungsantrag mit der Begründung abgewiesen, die Rechtsverletzung durch die Erstbeklagte sei für die Zweitbeklagte trotz der Abmahnung nicht offenkundig gewesen. Insbesondere sei die Schutzfähigkeit der Wortmarke „5 HTP" wegen fehlender Unterscheidungskraft zweifelhaft.

Rechtliche Beurteilung

Diese Entscheidungen folgen der Rsp zur Haftung der Domain-Vergabestelle für Rechtsverletzungen durch einen Domain-Inhaber (4 Ob 166/00s - fpo.at; 4 Ob 176/01p = SZ 74/153 fpo.at II; RIS-Justiz RS0114374, RS0114373). Danach ist zwar eine allgemeine Prüfpflicht der Vergabestelle vor bzw im Zusammenhang mit der Registrierung einer Second-level-Domain zu verneinen. Die Vergabestelle ist aber zum Handeln verpflichtet, wenn der Verletzte unter Darlegung des entsprechenden Sachverhalts ein Einschreiten verlangt und die Rechtsverletzung auch für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschung offenkundig ist. Sperrt sie in einem solchen Fall die Domain trotz Aufforderung nicht, kann sie auf Unterlassung und unter bestimmten Umständen auch auf Beseitigung in Anspruch genommen werden.

Ob ein juristischer Laie die Verletzung auch ohne weitere Nachforschung erkennen kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist daher idR keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (4 Ob 78/05g = ÖBl-LS 2005/2002).

Im vorliegenden Fall stützt die Klägerin ihr Begehren auf die Verwendung ihrer Marke in der Sub-level-Domain der Erstbeklagten. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob diese Verwendung eine „Benutzung" iSv § 10a MSchG (Art 9 Abs 2 GMV) ist und ob dadurch Verwechslungsgefahr im Sinne des § 10 Abs 1 Z 2 MSchG (Art 9 Abs 1 lit b GMV) begründet wird, ist der Inhalt der Website, die unter der Domain ins Internet gestellt wird [4 Ob 327/00t = MR 2001, 194 [Pilz]

= wbl 2001, 337 [Thiele] = RdW 2001, 399 = ecolex 2001, 546 [Schanda]

= ÖBl 2001, 225 [Kurz] - cyta.at; RIS-Justiz RS0114773).

Hier ergibt sich aus den von der Klägerin selbst vorgelegten Urkunden, dass auf der Website 5-HTP-Produkte angeboten wurden. Damit ist der Schutzrechtseingriff keinesfalls offenkundig. Denn nach § 10 Abs 3 Z 2 MSchG und Art 12 lit b GMV gewährt die Marke dem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten (hier der Erstbeklagten) zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr Angaben über die Art einer Ware zu benutzen, sofern das den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht. Die Zweitbeklagte konnte in vertretbarer Weise annehmen, dass die allgemein gebräuchliche Bezeichnung des auf der Website angebotenen Produkts eine in diesem Sinn zulässige Angabe ist. Damit konnte sie aber auch annehmen, dass unabhängig vom aufrechten Bestand der Marke kein Schutzrechtseingriff vorlag. Daher kommt es auf die im außerordentlichen Revisionsrekurs angesprochenen Rechtsfragen nicht an. Die Klägerin argumentiert, dass Nichtigkeits- oder Verfallsgründe zumindest bei Eingriffen in Gemeinschaftsmarken wegen der dort bestehenden Vermutung der Rechtsgültigkeit (Art 95 GMV) nicht in die Beurteilung der Offenkundigkeit einer Schutzrechtsverletzung einbezogen werden dürften. Diese Frage ist aber unerheblich, wenn der Schutzrechtsinhaber die konkrete Verwendung auch bei Rechtsgültigkeit der Marke nicht untersagen könnte.

Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung führt die Verneinung des hier zu beurteilenden Anspruchs auch zu keinem Rechtsschutzdefizit. Sollte die Klägerin ihren Standpunkt aufrecht erhalten, dass eine unzulässige Benutzung vorlag, kann sie (weiter) gegen den Domain-Inhaber vorgehen. Erwirkt sie gegen ihn eine rechtskräftige Entscheidung, wäre der Schutzrechtseingriff auch für die Vergabestelle offenkundig. Ein unbekannter Aufenthalt des Domain-Inhabers oder Schwierigkeiten bei der Auslandszustellung - die es hier offenbar ohnehin nicht gab - sind angesichts der Möglichkeit einer Kuratorbestellung (§§ 116, 121 Abs 2 ZPO) kein Hindernis für diese Vorgangsweise.

Aus diesen Gründen war der Revisionsrekurs zurückzuweisen. Ob die konkret geltend gemachten Ansprüche bei einer offenkundigen Rechtsverletzung berechtigt gewesen wären, war daher nicht mehr zu prüfen (vgl dazu 4 Ob 166/00s - fpo.at: kein über die konkrete Domain hinausgehendes Verbot).