OGH vom 14.08.1996, 6Ob2156/96v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am verstorbenen Josef Georg S***** *****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des erblasserischen Vaters Georg S*****, vertreten durch Dr.Günter Schnitzer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom , GZ 1 R 109,110/96-91, womit der Rekurs des erblasserischen Vaters gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Klagenfurt je vom , GZ 25 A 1/94a-47 und 48 (nunmehr ON 82 und 83), zurückgewiesen wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Es wird dem Rekursgericht eine meritorische Entscheidung über den Rekurs des erblasserischen Vaters aufgetragen.
Text
Begründung:
Die Witwe und die minderjährige eheliche Tochter des am ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorbenen Josef Georg S***** sind nach dem Gesetz zu Erben berufen. Zum Nachlaß gehören ua eine Liegenschaftshälfte in Klagenfurt mit einem darauf errichteten Rohbau (die andere Liegenschaftshälfte steht im Eigentum der Witwe) und ein Erbhof mit rund 15 ha Grundfläche (davon 10,2 ha landwirtschaftlich genutzt). Der Erbhof ist ua mit einer Höchstbetragshypothek von 1,4 Mio S, mit bücherlichen Ausgedingsrechten zugunsten der Eltern des Erblassers, also der Großeltern der minderjährigen Erbin, und mit einem Agrarinvestitionskredit belastet. Am schlossen die Witwe und die durch eine Kollisionskuratorin vertretene minderjährige Erbin ein Erbübereinkommen dahin, daß die Witwe zur Anerbin und Hofübernehmerin des Erbhofes bestimmt werde, die Minderjährige die Liegenschaftshälfte des Erblassers mit dem Rohbau in Klagenfurt erhalte und der restliche Nachlaß der Witwe zufalle, die auch die Verbindlichkeiten übernehme. Weiters wurde vereinbart, daß die Vertragsteile sich wechselseitig ein bücherliches Belastungs- und Veräußerungsverbot einräumen. Am stellte der Vater des Erblassers, also der Großvater der minderjährigen Erbin, beim Erstgericht Anträge auf Akteneinsicht in den Verlassenschaftsakt, auf Enthebung der Kollisionskuratorin und Bestellung eines anderen Kollisionskurators und auf Versagung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung des Erbübereinkommens. Das Erstgericht wies sämtliche Anträge des Vaters des Erblassers ab (ON 59). Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers gegen die verweigerte Akteneinsicht Folge und bewilligte diese. Der Rekurs gegen die vom Erstgericht abgelehnte Verweigerung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung des Erbübereinkommens sei mangels Beschwer unzulässig. Diese fehle, weil der erstinstanzliche Beschluß zwar vom Erstrichter unterschrieben, aber noch nicht an die Geschäftsabteilung übergeben gewesen sei. Hinsichtlich der beantragten Enthebung der Kollisionskuratorin sei ein Rekursrecht des Großvaters als nächsten Verwandten der mj.Erbin nur zu bejahen, wenn anders die Interessen des Kindes nicht gewahrt werden könnten. Dieser Fall liege hier nicht vor (ON 64).
Mit den Schriftsätzen vom (ON 68) und vom (ON 70) meldete der Vater des Erblassers verschiedene Verlassenschaftsforderungen an.
Mit den Beschlüssen je vom verfügte das Erstgericht die Einantwortung der erblasserischen Witwe in die Verlassenschaft zu einem Drittel und der minderjährigen Tochter zu zwei Dritteln unter Hinweis auf das Erbübereinkommen vom . Das Erstgericht erklärte die Verlassenschaft für beendet (ON 47, nunmehr richtig ON 82). Es legte der Abhandlung ferner ein Hauptinventar mit einem Reinnachlaß von 279.910,41 S zugrunde und genehmigte pflegschaftsbehördlich das Erbübereinkommen vom sowie die Zustimmungs- und Vorrangseinräumungserklärung vom hinsichtlich der mj.Erbin (ON 48, nunmehr richtig ON 83). Die pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Erbübereinkommens begründete das Erstgericht damit, daß das in Klagenfurt gelegene Einfamilienhaus nach dem Tod des Erblassers von der Witwe mit einem zusätzlichen Investitionsaufwand von zumindest 310.000 S fertiggestellt worden sei, sodaß der Wert des der Minderjährigen zufallenden Hälfteanteils den Schätzwert zum Todeszeitpunkt bei weitem übersteige. Die Witwe habe sich überdies gegenüber der Tochter verpflichtet, sie hinsichtlich sämtlicher auf der Liegenschaft aushaftenden Verbindlichkeiten vollkommen schad- und klaglos zu halten. Für den Erbhof errechne sich selbst unter Berücksichtigung des Wegfalls des Wohnrechts für die Mutter des Erblassers (die in der Zwischenzeit ebenfalls verstorben ist) ein Übernahmswert von 639.104 S, welchem Verbindlichkeiten aus dem Agrarinvestitionskredit von 738.302 S gegenüberstünden. Mit dem aus der Verpachtung des Landwirtschaftsbetriebs erzielbaren jährlichen Pachtschilling von 45.000 S könne nur die Hälfte der jährlichen Kreditrate von rund 93.000 S abgedeckt werden. Im Erbübereinkommen übernehme die Witwe die Landwirtschaft und verpflichte sich, die Minderjährige hinsichtlich sämtlicher aushaftender Verbindlichkeiten schad- und klaglos zu halten. Darüber hinaus leiste sie für den wohnberechtigten Vater des Erblassers ein monatliches Verköstigungsentgelt von 4.000 S. Zur Erfüllung dieser Verbindlichkeit wäre die mj.Erbin nicht in der Lage.
Das Rekursgericht wies den Rekurs des Vaters des Erblassers, mit dem er anstrebt, daß die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Erbübereinkommens versagt, die Verlassenschaft nicht eingeantwortet und das Verlassenschaftsverfahren nicht für beendet erklärt wird, zurück. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes werde den nächsten Verwandten im Pflegschaftsverfahren in besonders gelagerten Fällen ausnahmsweise ein Rekursrecht zugebilligt, wenn die Interessen des Pflegebefohlenen nicht anders in angemessener Weise gewahrt werden könnten oder das Wohl des Kindes mißachtet werde und es notwendig sei, Gefahren abzuwenden, insbesondere wenn diese von seinem gesetzlichen Vertreter drohten. Im vorliegenden Fall sei es zweifelhaft, ob der Rekurswerber als väterlicher Großvater der mj Erbin zum Kreis der nächsten Verwandten zähle. Diese Frage brauche aber nicht gelöst zu werden. Der Minderjährigen sei nämlich eine Kollisionskuratorin beigegeben worden, auf die das Recht der gesetzlichen Vertretung im Verlassenschaftsverfahren übergegangen sei. Die Kollisionskuratorin hätte die nach der Lage der Sache im Interesse des Kindes gebotenen Schritte setzen, den Abschluß des Erbübereinkommens ablehnen oder nach dem Abschluß sich dem Wohl des Kindes entsprechend gegen die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung wenden können und dagegen Rekurs erheben können. Der väterliche Großvater sei nicht berechtigt, anstelle der Kollisionskuratorin Rekurs zu erheben. Ein Einschreiten des väterlichen Großvaters für das Kind sei wegen der Bestellung einer Kollisionskuratorin verzichtbar. Der Umstand, daß die Kollisionskuratorin die Schwester der erblasserischen Witwe (und Tante der Minderjährigen) sei, sei nicht geeignet, Zweifel an der Fähigkeit oder Bereitschaft der Kollisionskuratorin, ihre Tätigkeit im Interesse der Minderjährigen auszuüben, zu wecken. Eine Pflichtwidrigkeit oder einen Mißbrauch der Vertretungsbefugnis der Kollisionskuratorin habe der Rekurswerber nicht behauptet.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß der ordentliche Rekurs an den Obersten Gerichtshofs nicht zuzulassen sei, weil die Einschreitungsbefugnis naher Verwandter von Minderjährigen im Interesse der Pflegebefohlenen regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage berühre.
Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs strebt der Vater des Erblassers und Großvater der mj.Erbin die Abänderung dahin an, daß die pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Erbübereinkommens versagt, die Verlassenschaft nicht eingeantwortet und das Verlassenschaftsverfahren nicht für beendet erklärt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichtes zulässig. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Rekurslegitimation von nächsten Verwandten eines Minderjährigen ist vor allem in den Fällen, wo es um die Vermögensverwaltung des obsorgeberechtigten Elternteils und dessen namens des Minderjährigen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte geht, nicht einhellig. Im vorliegenden Fall oblag überdies die Vertretung des Kindes beim Abschluß des zu prüfenden Rechtsgeschäftes einem Kollisionskurator. Zu einer solchen Fallkonstellation hat der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht Stellung genommen. In der vom Rekursgericht zur Stützung seiner Rechtsansicht herangezogenen, in RZ 1992/30 veröffentlichten Entscheidung ging es um das vom Obersten Gerichtshof verneinte Rekursrecht eines nahen Verwandten des Kindes gegen die verfügte Enthebung des Kollisionskurators. Dieser Fall ist nicht ohne weiteres mit dem vorliegenden vergleichbar, in dem es um die Zweckmäßigkeit eines vom Kollisionskurator namens des Kindes abgeschlossenen Rechtsgeschäftes unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls geht.
Ein Teil der Lehre (Wentzel/Piegler in Klang I/2, 372 f; Ott, Rechtsfürsorgeverfahren 243 f) und die überwiegende, vor allem jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bejaht die Rekurslegitimation der nächsten Angehörigen eines Minderjährigen im Pflegschaftsverfahren. Die Rekurslegitimation setzt voraus, daß es sich um einen besonders gelagerten Fall handeln und der Rekurs im Interesse des Pflegebefohlenen insbesondere deshalb notwendig sein muß, um Gefahren abzuwenden, die dem Pflegebefohlenen allenfalls auch von seinem gesetzlichen Vertreter drohen, weil die Angehörigen diese natürlichen Schutzpflichten in bestimmten Fällen nur durch eine Beschwerde gegen Verfügungen der Unterinstanzen zur Geltung bringen können (EvBl 1974/57; SZ 42/48; 7 Ob 615/93 mwN). § 217 ABGB räumt den nächsten Verwandten das Recht ein, dem Gericht im Interesse des Pflegebefohlenen Anzeige zu erstatten, wenn der Vormund seine Macht auf was immer für eine Art mißbraucht oder die Pflichten der nötigen Obsorge und Pflege hintansetzt. Dieses Recht ist extensiv dahin auszulegen, daß es die Rechtsmittelbefugnis in den Fällen einschließt, wo die Interessen des Pflegebefohlenen mangels Rekurslegitimation einer anderen Person nicht gewahrt werden können. Dieser Fall liegt hier vor. Hinsichtlich des zu prüfenden Rechtsgeschäfts oblag die Obsorge (Vermögensverwaltung) nicht der Mutter, sondern dem Kollisionskurator, dem in diesem Teilbereich die Vertretung des Kindes zukam (RZ 1992/30). Wenn der Kurator also namens des Kindes die Erbübereinkunft schloß und die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung antragsgemäß erteilt wurde, wäre ein allenfalls vom Kurator namens des Kindes oder der Mutter erhobener Rekurs wegen der antragsgemäßen Erledigung mangels Beschwer zurückzuweisen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich daher von der zitierten Vorentscheidung dadurch, daß es dort um die Enthebung eines Kollisionskurators ging. Der Oberste Gerichtshof vertrat die Auffassung, daß auch dann, wenn man an dem in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz festhalte, daß nächsten Verwandten eine Rechtsmittelbefugnis einzuräumen sei, wenn anders die Interessen des Pflegebefohlenen nicht gewahrt werden können, diese Voraussetzung fehle, wenn ein Kollisionskurator in der Lage sei, gegen seine unberechtigte Enthebung zu rekurrieren (RZ 1992/30). Im vorliegenden Fall könnte der Kollisionskurator einen Rekurs nicht mit Aussicht auf Erfolg einbringen. Der von der Rechtsprechung geforderte besondere Ausnahmefall zur Bejahung der Rekurslegitimation nächster Verwandter liegt daher grundsätzlich vor. Fraglich könnte es nun sein, ob dieses Rekursrecht in allen Angelegenheiten, die das Kind betreffen, zu bejahen ist, oder ob Fragen der Vermögensverwaltung davon auszunehmen sind, wie dies in älteren Entscheidungen (EvBl 1952/386 und 1962/87) vertreten wurde. In jüngeren Entscheidungen wurde das Rekursrecht der nächsten Verwandten allerdings auch hinsichtlich von Beschlüssen bejaht, in denen es um das Vermögen des Pflegebefohlenen und insbesondere um die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung von Verträgen ging (7 Ob 615/93 mwN; 7 Ob 501/94, Leitsatz veröffentlicht in EFSlg 76.360 f). Der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht für den zuletzt genannten Fall an. Wenn der Vertragsabschluß eine Vermögensangelegenheit ist, die nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb im Sinne des § 154 Abs 3 ABGB gehört und die Vertretungshandlungen des Elternteils der gerichtlichen Genehmigung bedürfen, steht den nächsten Verwandten unter der schon angeführten Voraussetzung, daß das Wohl des Kindes nicht anders gewahrt werden kann, ein Rekursrecht zu. Zu den nächsten Verwandten gehören auch die Großeltern des pflegebefohlenen Kindes. Das Rekursrecht des Großvaters wäre also nur dann zu versagen, wenn für das Kind der nicht obsorgeberechtigte Elternteil (hier also der Vater) einschreiten könnte, dem nach § 178 ABGB in den im § 154 Abs 2 und 3 ABGB angeführten wichtigen Fällen ein Äußerungsrecht zukommt und der als zunächst berufener nächster Blutsverwandter rekurslegitimiert wäre. Diese Interessenswahrung scheidet im Verlassenschaftsverfahren nach dem verstorbenen Vater des Kindes naturgemäß aus, sodaß es zur Wahrung des Kindeswohls der Bejahung der Rekurslegitimation des Großvaters bedarf. Das vorliegende Erbübereinkommen gehört zweifelsfrei nicht zur ordentlichen Vermögensverwaltung.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist noch zu bemerken, daß der Rekurs des Großvaters (ON 89) jedenfalls rechtzeitig war. Er wurde innerhalb der 14-tägigen Rekursfrist ab Zustellung, aber auch innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung an die Verfahrensbeteiligten (Mutter und Kollisionskurator) erhoben. Die Beteiligtenstellung des Großvaters könnte überdies aus seiner Beteiligung am erstinstanzlichen Verfahren abgeleitet werden. Es braucht daher nicht die Frage untersucht zu werden, ob die nächsten Verwandten eines Minderjährigen auch gegen formell rechtskräftig gewordene Beschlüsse, die ihnen mangels Beteiligung am Verfahren (und mangels Erhebung der Verwandten durch das Pflegschaftsgericht) nicht zugestellt wurden, Rekurs erheben können.
Das Rekursgericht hätte aus den dargelegten Gründen die Rekurslegitimation des Großvaters nicht verneinen dürfen. Dies gilt nicht nur für die Anfechtung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung des Erbübereinkommens, sondern auch wegen des untrennbaren Sachzusammenhanges der beiden erstinstanzlichen Beschlüsse für die ebenfalls bekämpften verlassenschaftsgerichtlichen Anordnungen.
Dem Rekurs des Großvaters der mj Erbin ist daher Folge zu geben. Das Rekursgericht wird seinen Rekurs im zweiten Rechtsgang meritorisch zu erledigen haben.