OGH vom 24.03.2015, 4Ob228/14d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin B***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien, wider die Antragsgegnerin F***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Stefan Warbek, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Widerspruchs gegen eine Markenregistrierung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 34 R 92/14w 4, mit welchem der Beschluss der Rechtsabteilung des Österreichischen Patentamts vom , GZ WM 39/2013 3, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der Beschluss der Rechtsabteilung des Österreichischen Patentamts wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Antragstellerin erhebt Widerspruch gegen die Registrierung der von der Antragsgegnerin in der Klasse 5 für „Herbizide“ angemeldeten Wortmarke AT 269086 ARKTIS. Es bestehe Verwechslungsgefahr mit ihrer älteren Wortmarke IR 688053 ARTIST, die für folgende Waren eingetragen sei:
Klasse 1: Chemical products for use in agriculture, horticulture and forestry, seed dressing products (included in this class), fertilizers)
Klasse 5: Preparations for weed and pest control, insecticides, herbicides, fungicides.
Die Antragsgegnerin gesteht Warenidentität zu, wendet aber ein, dass wegen der hohen Aufmerksamkeit der angesprochenen Kreise und des unterschiedlichen Sinngehalts der beiden Marken keine Verwechslungsgefahr bestehe.
Das Patentamt wies den Widerspruch ab. Die angesprochenen Kreise (Landwirte) seien in Bezug auf Herbizide überdurchschnittlich informiert; es sei hohe Aufmerksamkeit anzunehmen. Die Übereinstimmung der Zeichen im Wortbild werde vom unterschiedlichen Sinngehalt überlagert. Dieser führe zu völlig unterschiedlichen gedanklichen Assoziationen, nämlich einerseits zu einem körperlich geschickten Menschen und andererseits zu einer Polarregion. Im Gesamteindruck bestehe daher keine reale Gefahr der Verwechslung.
Das Rekursgericht gab dem Widerspruch statt und hob die Registrierung der Marke auf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Nach ausführlicher Wiedergabe der Grundsätze für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr führte das Rekursgericht aus, dass wegen Warenidentität ein deutlicher Abstand der Zeichen erforderlich sei, um die Verwechslungsgefahr auszuschließen. Beide Marken beträfen in Österreich zulassungspflichtige Herbizide für den landwirtschaftlichen Bereich, wobei die angegriffene Marke ARKTIS (gemeint wohl: das damit bezeichnete Herbizid) noch nicht zugelassen sei. Nach dem in Umsetzung von Unionsrecht erlassenen Pflanzenschutzmittelgesetz 2011 müssten Landwirte, die ab Pflanzenschutzmittel verwendeten, „sachkundig und/oder im Besitz eines Sachkundenachweises“ sein. Tatsächlich hätten Landwirte aber erst ab dem beim Einkauf von Pflanzenschutzmitteln einen Sachkundenachweis vorzulegen. Daher könne die Ansicht des Patentamts nicht geteilt werden, dass die beteiligten Verkehrskreise schon jetzt aus überdurchschnittlich informierten Personen bestünden. Zudem seien die Landwirte vor allem am Anwendungsgebiet und an der Wirkung der Herbizide interessiert, nicht an deren Bezeichnung. Insofern sei ihre Aufmerksamkeit nur als durchschnittlich einzustufen. Die Marken stimmten in den Anfangsbuchstaben, der Wortlänge und den Selbstlauten überein, nur bei den Mitlauten unterschieden sie sich. In Bezug auf den Klang werde der Verkehr bei gleichem Wortbeginn und gleicher Vokallänge auch die gleiche Betonung wählen, weil beide Wortmarken bezogen auf die jeweiligen Waren Phantasiebezeichnungen seien. Zwar bestehe ein Unterschied im Sinngehalt. Dieser könne aber die optische und klangliche Ähnlichkeit nicht neutralisieren.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig , weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des EuGH zur Bedeutung des Wortsinns bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr abgewichen ist. Er ist aus diesem Grund auch berechtigt .
1. Bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr ist bezogen auf den Anlassfall von folgenden Grundsätzen auszugehen, die das Rekursgericht an sich richtig wiedergegeben hat:
1.1. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Zu berücksichtigen sind die Kennzeichnungskraft der verletzten Marke, die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen und die Ähnlichkeit der von den Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen (RIS-Justiz RS0121500). Dabei ist auf die Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren Bedacht zu nehmen. So kann ein geringer Grad der Gleichartigkeit der erfassten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (RIS-Justiz RS0121482).
1.2. Bei ausschließlich aus Worten bestehenden Zeichen ist für die Ähnlichkeitsprüfung auf Wortklang, Wortbild und Wortsinn Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0117324, RS0066753, insb [T9]; EuGH C-251/95, Sabèl ; C-206/04 P, Mülhens/HABM ). Dabei ist jedoch immer der Gesamteindruck maßgebend; entscheidend ist die Wirkung auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren oder Dienstleistungen, der die Marke regelmäßig als Ganzes wahrnimmt und nicht auf die Einzelheiten achtet (RIS-Justiz RS0117324; 4 Ob 124/06y = ÖBl 2007, 210 [ Gamerith ] - Hotel Harmonie/Harmony Hotels).
1.3. Zeichenähnlichkeit ist zwar bei Wortmarken im Regelfall schon dann anzunehmen, wenn Übereinstimmung in einem der Kriterien Bild, Klang oder Bedeutung besteht (OPM Om 4/02, PBl 2003, 8 Kathreiner; 17 Ob 36/08f, jusIT 2009, 136 [ Thiele ] Cobra; RIS-Justiz RS0079190 [T22]). Allerdings ergibt sich schon aus älteren Entscheidungen des Senats, dass ein abweichender Begriffsinhalt trotz Ähnlichkeit im Wortbild oder Wortklang die Verwechselbarkeit ausschließen kann (4 Ob 30/89 mwN; RIS-Justiz RS0079571 [T17, T 18]). Dies stimmt mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH überein, wonach Bedeutungsunterschiede die optische und klangliche Ähnlichkeit zweier Zeichen „neutralisieren“ können. Dies setzt voraus, dass zumindest eine der kollidierenden Marken aus Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise eine eindeutige und bestimmte Bedeutung hat, welche die Verkehrskreise ohne weiteres erfassen können (C 361/04 P, Ruiz-Picasso ua/HABM [Picaro/Picasso]; C 206/04 P Mühlens /HABM [ZIRH/SIR]; C 16/06 P Les Éditions Albert René Sàrl/HABM [Mobelix/Obelix]; weitere Nachweise bei Ingerl/Rohnke , Markengesetz 3 [2010] § 14 Rz 928, und bei Onken in Beck'scher Online-Kommentar Markenrecht [Stand ] § 8 Rz 22; vgl auch BGH I ZR 102/07, GRUR 2010, 235 AIDA/AIDU, mwN zur deutschen Rsp).
2. Auf dieser Grundlage besteht im vorliegenden Fall keine Verwechslungsgefahr.
2.1. Die Zeichen „Arktis“ und „Artist“ haben einen eindeutigen Sinngehalt, der von den Angehörigen der angesprochenen Kreise auch bei bloß durchschnittlicher Aufmerksamkeit wahrgenommen wird. Nach der Rechtsprechung des EuGH genügt schon ein eindeutiger Sinngehalt bei einem der Zeichen; liegt er wie hier bei beiden Zeichen vor, so wiegt er umso schwerer. Zudem besteht anders als etwa bei den Zeichen Mobelix und Obelix (C 16/06 P) wegen der unterschiedlichen Betonung („Arktis“ am Wortanfang, „Artist“ am Wortende) auch ein Unterschied im Wortklang. Dieser würde zwar für sich allein nicht ausreichen, um eine sonst anzunehmende Verwechslungsgefahr zu beseitigen; zusammen mit dem eindeutigen Sinngehalt der Zeichen reicht er aber jedenfalls aus, um einen unterschiedlichen Gesamteindruck zu begründen.
2.2. Die in der Rechtsmittelbeantwortung zitierten Entscheidungen stehen dieser Beurteilung nicht entgegen.
In C-22/10 P, REWE-Zentral AG/HABM , standen einander bei teilweiser Warenidentität (Wasch- und Bleichmittel) die Zeichen „Clina“ und „Clinair“ gegenüber. Maßgebend für die vom EuGH gebilligte Beurteilung durch das Gericht erster Instanz war, dass beide Zeichen mit „Clin“ einen auf Sauberkeit hinweisenden Begriffsinhalt hatten, der geeignet war, einen allfälligen begrifflichen Unterschied abzuschwächen (Rz 44 ff). Eine vergleichbare Abschwächung des Sinngehalts ist hier nicht zu erkennen.
In C-171/06 P, T.I.M.E. ART/HABM , hatte das Gericht erster Instanz einen eindeutigen Sinngehalt der Zeichen „Quantum“ und „Quantième“ verneint, sodass die Rechtsprechung zur Neutralisierung von bildlichen oder klanglichen Ähnlichkeiten von vornherein nicht anwendbar war; auch dies wurde vom EuGH gebilligt (Rz 50 f). Der hier vorliegende Fall ist damit wegen des eindeutigen Sinngehalts beider Zeichen nicht vergleichbar.
Die Entscheidung T 99/01, Mystery drinks GmbH/HABM , ist zeitlich vor den oben (1.3.) genannten Entscheidungen des EuGH ergangen. Ein allenfalls abweichender Standard bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr das EuG nahm offenbar an, dass beide Zeichen einen eindeutigen Sinngehalt haben müssten, um Ähnlichkeiten im Wortbild und Wortklang zu neutralisieren (Rz 47) ist daher überholt.
2.3. Auf die in den Rechtsmittelschriften ausführlich erörterte Frage, ob den angesprochenen Landwirten eine besonders hohe Aufmerksamkeit bei der Zeichenwahrnehmung unterstellt werden könne, kommt es nicht an. Denn die Unterschiede im Sinngehalt sind so deutlich, dass sie auch ein bloß durchschnittlich aufmerksamer Angehöriger der angesprochenen Kreise, dessen Interesse in erster Linie den Eigenschaften des Produkts gilt, wahrnehmen wird. Welchen Einfluss insofern ein allenfalls erforderlicher „Fachkundenachweis“ haben könnte, ist für den Senat nicht erkennbar.
3. Aus diesen Gründen ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben und die Entscheidung der Rechtsabteilung des Österreichischen Patentamts wiederherzustellen.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 MSchG iVm § 139 Z 7 PatG 1970. Die Parteien haben die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gegen Beschlüsse der Rechtsabteilung des Patentamts unabhängig vom Ausgang selbst zu tragen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00228.14D.0324.000