OGH vom 27.11.2018, 4Ob227/18p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** L*****, vertreten durch Mag. Michael Rettenwander, Rechtsanwalt in Saalfelden, gegen die beklagte Partei K***** GesmbH, *****, vertreten durch Mag. Werner Piplits und Mag. Marko MacKinnon, Rechtsanwälte in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hartmut Ramsauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 18.236,90 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 125/18t-45, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Filiale in S*****. Vor dem Geschäftslokal der Beklagten sowie auch vor dem Nachbargeschäft befindet sich ein durchgehendes Holzpodest (als Teil der dortigen überdachten Holzterrasse), das zirka 15 cm höher als die anschließende Parkfläche ist. Vom Holzpodest führt eine Holzrampe auf die Parkfläche, damit Fußgänger nicht vom Podest heruntersteigen müssen. Die Klägerin verließ am gegen 12:40 Uhr das Geschäft (die Filiale) der Beklagten und stieg im Bereich des ersten Drittels der Holzrampe mit ihrem linken Fuß auf den Parkplatz, ohne bis zum Ende der Holzrampe zu gehen. Dabei kippte sie um, stürzte und verletzte sich schwer.
Die begehrte – aus dem Titel des Schadenersatzes – Schmerzengeld, Verdienstentgang, Kosten für eine Haushaltshilfe, Fahrtkosten und pauschale Unkosten; zudem beantragte sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen unfallskausalen Schäden. Der Parkplatz vor dem Geschäft der Beklagten sei nicht geräumt gewesen, sodass die Holzrampe für sie nicht auszumachen gewesen sei. Außerdem sei die Holzkonstruktion samt Rampe nicht entsprechend der Baubewilligung errichtet worden, weshalb es an der Nutzungssicherheit mangle.
Die wiesen das Klagebegehren ab. Der Höhenunterschied zwischen dem Holzpodest und der Parkfläche sei der Klägerin nicht nur bekannt, sondern für sie auch konkret erkennbar gewesen. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten liege nicht vor. Eine (allenfalls) formale Verletzung der Baubewilligung für das Gebäude stehe mit den Verletzungsfolgen der Klägerin nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang.
In ihrer beruft sich die Klägerin nur noch auf die von ihr behauptete Schutzgesetzverletzung. Auch der Bescheid einer Verwaltungsbehörde und die zugrunde liegenden baurechtlichen Bestimmungen seien Schutznormen im Sinn des § 1311 ABGB. In der Einreichplanung, auf deren Basis die Baubewilligung erteilt worden sei, sei ein ebener Zugang zum Geschäft der Beklagten ohne Absatz bzw Stufe vorgesehen; als Bodenbelag sei ein Plattenbelag im Mörtelbett zugrunde gelegt worden. Die vom Gesetz geforderte Nutzungssicherheit nach § 1 Abs 1 Z 3 des Salzburger Bautechnikgesetzes hätte nur auf Basis der Einreichplanung gewährleistet werden können.
Damit zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf.
Rechtliche Beurteilung
1. Schutzgesetze sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RISJustiz RS0027710). Sie bezwecken durch die Umschreibung konkreter Verhaltenspflichten, einem Schadenseintritt vorzubeugen (RISJustiz RS0027367; 2 Ob 143/09g; 8 Ob 57/17s). Schutzgesetze sind nicht nur Gesetze im formellen Sinn, sondern alle Rechtsvorschriften, die inhaltlich einen Schutzzweck verfolgen (RISJustiz RS0027415). In diesem Sinn werden nicht nur zahlreiche Bestimmungen der Bauordnungen der Länder (RISJustiz RS0087587; RS0117106), sondern auch im Rahmen einer Baubewilligung erteilte Auflagen (3 Ob 70/03w; 2 Ob 143/09g) oder sonst in einem Bescheid einer Verwaltungsbehörde enthaltene konkrete Sicherungsvorschreibungen (10 Ob 237/02d) als Schutzgesetze angesehen. Der Schutzzweck der Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das anzuwendende Schutzgesetz ist teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten sollte (RISJustiz RS0008775; 3 Ob 70/03w).
2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die von der Klägerin ins Treffen geführte Einreichplanung in Verbindung mit dem Baubescheid keine tragfähige Grundlage für ihre Ansprüche bilde, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung. Die von der Klägerin zitierte Bestimmung des Salzburger Bautechnikgesetzes enthält einen allgemeinen Verweis auf den einzuhaltenden technischen Sicherheitsstandard, ohne jedoch eine konkrete Verhaltenspflicht des Bauwerbers zur Gefahrenvermeidung zu normieren. Die Klägerin vermag sich auch nicht auf eine konkrete Auflage oder eine konkrete Sicherheitsanordnung im Baubescheid zu berufen. Der allgemeine Hinweis der Klägerin auf den Einreichplan und den sich aus der planerischen Darstellung ergebenden ebenen Zugang zum Geschäftslokal der Beklagten genügt für die Bejahung des Schutzgesetzcharakters nicht, weil sich daraus keine konkrete Verhaltensanordnung in Bezug auf eine konkrete Schutzmaßnahme entnehmen lässt.
3. Mangels einer tauglichen Anspruchsgrundlage kommt es auf die von der Klägerin sonst noch aufgeworfenen Fragen eines allfälligen rechtmäßigen Alternativverhaltens der Beklagten und des Mitverschuldens der Klägerin nicht mehr an.
4. Insgesamt gelingt es der Klägerin mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00227.18P.1127.000 |
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