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OGH vom 22.11.2016, 4Ob226/16p

OGH vom 22.11.2016, 4Ob226/16p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. J***** L*****, geboren am ***** 2010, 2. S***** L*****, geboren am ***** 2013, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters T***** L*****, vertreten durch List Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 482/16z 94, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Minderjährigen befinden sich in der gemeinsamen Obsorge der Eltern, wobei nach § 180 Abs 2 ABGB festgelegt ist, dass die Kinder im Haushalt der Mutter betreut werden.

Die Vorinstanzen wiesen den Antrag des Vaters ab, den hauptsächlichen Aufenthalt der Kinder bei ihm festzusetzen. Nach den Feststellungen liegen keine Umstände vor, die die Erziehungsfähigkeit der Mutter einschränken, wobei auch an ein (zu einem vorhergehenden Antrag eingeholtes) psychiatrisches Sachverständigengutachten aus dem Jahre 2014 angeknüpft wurde, das beiden Eltern eine ausreichende Erziehungskompetenz attestiert.

Rechtliche Beurteilung

In seinem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt der Vater keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Entscheidungen in Obsorgeangelegenheiten können typischerweise nur nach den Umständen des Einzelfalls getroffen werden, sodass Einzelfallentscheidungen, sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde, keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 AußStrG zukommt (RIS-Justiz RS0115719; RS0007101). Das trifft auch auf die Frage der hauptsächlichen Betreuung im Haushalt bei gemeinsamer Obsorge zu (8 Ob 20/15x).

2. Der Vater zeigt in seinem Rechtsmittel nicht auf, dass die von den Vorinstanzen getroffene Entscheidung wegen nicht ausreichender Bedachtnahme auf das Kindeswohl einer höchstgerichtlichen Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung bedarf. Der vom Vater dazu ins Treffen geführte Plan der Mutter, die Kinder ab September 2016 an einer konfessionellen (jüdischen) Privatschule bzw einem entsprechenden Privatkindergarten anzumelden, ist nicht mehr aktuell. Bereits Monate vor der Entscheidung des Erstgerichts hat die Mutter diese Überlegung aufgegeben, um Konfrontationen mit dem Vater zu vermeiden und Bedenken des Gerichts zu entsprechen. Die Kinder befinden sich seit dem Schuljahr 2016/2017 in einer öffentlichen Volksschule bzw in einem öffentlichen Kindergarten. Die Vorinstanzen konnten auch nicht feststellen, dass die Mutter dem älteren Knaben mit der zunächst für ihn beabsichtigten Schulwahl Angst gemacht hat. Auch der bloße Umstand, dass die aus der Ukraine stammende Mutter mit den Kindern auf Russisch spricht, indiziert noch nicht die vom Vater behauptete Gefährdung des Kindeswohls.

3. Das Rechtsmittel rügt die vom Erstgericht unterlassene Einholung eines (neuerlichen) Gutachtens zur Erziehungsfähigkeit der Mutter.

3.1 Fragen, welche Beweisaufnahmen notwendig sind, bevor das Gericht eine Obsorgeentscheidung fällen kann, sind einzelfallbezogen (RIS-Justiz RS0114147 [T1]) und begründen daher keine erhebliche Rechtsfrage.

3.2 Im Allgemeinen kann ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bilden (8 Ob 25/16h; RIS-Justiz RS0050037; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 66 Rz 21).

3.3 Für eine ausnahmsweise Durchbrechung dieses Anfechtungsverbots im Interesse des Kindeswohls (RIS-Justiz RS0050037 [T1]) besteht hier keine greifbare Grundlage (siehe Punkt 2).

3.4 Entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel weicht die Entscheidung auch nicht von der Entscheidung 5 Ob 278/06b ab, zumal sich die jeweiligen Grundlagen bzw der Verfahrensgegenstand beider Verfahren deutlich unterscheiden. Bei der Entscheidung 5 Ob 278/06b war nicht die Regelung des hauptsächlichen Aufenthalts bei Aufrechterhaltung der gemeinsamen Obsorge, sondern die Entziehung und Übertragung der elterlichen Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger zu prüfen. Letztendlich wurde zu 5 Ob 278/06b ein Verfahrensmangel verneint. Im dortigen Verfahren wurden gravierende Verfehlungen (Verwahrlosung, sexueller Missbrauch, etc) behauptet, die sich nicht mit den vom Vater im gegenständlichen Verfahren erhobenen Vorwürfen im Zusammenhang mit der Schulanmeldung oder der Wahl der Alltagssprache vergleichen lassen.

4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG war der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen. Die Zurückweisung des Rechtsmittels bedarf keiner näheren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00226.16P.1122.000