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OGH vom 23.09.1999, 2Ob256/99g

OGH vom 23.09.1999, 2Ob256/99g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Gerstenecker und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. Alfred E*****, 2. Karl E*****, 3. Dr. Dieter G*****, 4. Ing. F*****, 5. Rudolf J*****, 6. Hubert L*****, 7. Rudolf R***** und 8. Fritz K*****, alle vertreten durch Rechtsanwälte Grassner, Lenz, Thewanger & Partner in Linz, wider den Antragsgegner Ernst Aschauer, Landwirt, 4081 Hartkirchen, Pfaffing 7, vertreten durch Prof. Dr. Alfred Haslinger und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Festsetzung einer Entschädigung nach § 77 OÖ Jagdgesetz (Streitwert S 20.627,20), infolge Revisionsrekurses des Antragsgegners gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom , GZ 23 R 18/99g-17, womit infolge Rekurses der Antragsteller der Beschluß des Bezirksgerichtes Eferding vom , GZ 1 Nc 47/98i-11, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die Antragsteller sind schuldig dem Antragsgegner die mit S 9.378,43 (darin enthalten USt von S 1.563,07, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Antragsgegner betreibt eine Landwirtschaft, deren Gegenstand die Aufzucht von Erdbeeren ist. Seit Ende der 80iger Jahre wird in derartigen Betrieben auf den Erdbeerfeldern im Frühjahr bis zur Blüte der Pflanzen ein Vlies ausgelegt, um eine frühere Ernte zu erreichen.

1997 pachtete er ein ca 2,6 ha großes Grundstück, welches in dem von den Antragstellern bejagten Jagdgebiet liegt und setzte noch im selben Jahr Erdbeerpflanzen. Ende Februar bzw Anfang März 1998 wurde das Grundstück zur Gänze mit einem Vlies belegt. In der Folge wurde dieses Vlies durch über das Feld laufendes Wild, welches Löcher in das Vlies trat, beschädigt, weshalb der beabsichtigte Effekt einer früheren Ernte nicht eintrat. Am Vlies entstand ein Schaden von S 20.627,20.

Die Antragsteller begehren die Feststellung, daß sie nicht für den vom Antragsgegner der Jagd- und Wildschadenskommission beim Gemeindeamt bekanntgegebenen Schaden haften. Der Schaden am Vlies sei kein Wildschaden im Sinne des § 65 Abs 2 OÖ JagdG.

Der Antragsgegner beantragte, diesem Antrag nicht Folge zu geben, weil das Vlies in untrennbaren Sachzusammenhang mit dem Grund und Boden bzw den noch nicht eingebrachten Erzeugnissen stehe.

Das Erstgericht wies das Begehren der Antragsteller ab und führte dazu in rechtlicher Hinsicht aus, es seien zwar nach § 65 Abs 2 und 3 OÖ JagdG nur Schäden an Grund und Boden und an den noch nicht eingebrachten Erzeugnissen zu ersetzen. Der Zweck des Gesetzes, dem Grundeigentümer einen Ersatzanspruch für ihm durch das Wild bzw die Jagd entstandene Schäden zu verschaffen, erfordere jedoch die Ausdehnung des Schadensbegriffes auch auf Nachteile an den Hilfsmitteln, soweit ihnen nicht der Charakter des bloß Experimentiellen oder des Unzweckmäßigen anhafte. Andernfalls käme man zu dem unbilligen Ergebnis, daß der Ersatz von Schäden durch freilaufendes Wild von der Art der beschädigten Sache abhängig sei, was mit dem Schutzzweck des § 65 OÖ JagdG nicht vereinbar sei.

Das dagegen von den Antragstellern angerufene Rekursgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß festgestellt wurde, daß die Antragsteller nicht für die vom Antragsgegner der Jagd- und Wildschadenskommission bekanntgegebenen Beschädigungen des auf seinem Grundstück ausgelegten Vlieses, entstanden im Zeitraum Februar bis April 1998, haften.

Das Rekursgericht führte unter Hinweis auf die Entscheidung SZ 68/233 aus, es sei die Sonderregelung des § 67 OÖ JagdG, welche ua den Ersatz von Wildschäden in Obst-, Gemüse- und Ziergärten regle, auf landwirtschaftliche Betriebe, auch wenn sie sich mit Gemüse- oder Obstbau befaßten, nicht anzuwenden. Rechtsgrundlage sei hier allein die Bestimmung des § 65 OÖ JagdG, welche als Wild- bzw Jagdschäden solche an Grund und Boden und an den noch nicht eingebrachten Erzeugnissen definiere. Rein nach dem Wortsinn (sprachliche, grammatikalische Auslegung), könne die im konkreten Fall beschädigte Sache nicht unter die Begriffe "Grund und Boden" und "noch nicht eingebrachte Erzeugnisse" subsumiert werden. Der äußerst mögliche Wortsinn stecke die Grenze jeglicher Auslegung ab, die auch mit sonstigen Interpretationsmethoden - auch der im Einzelfall gebotenen objektiv-teleologischen Auslegung - nicht überschritten werden dürfe. Selbst bei objektiv-teleologischer Auslegung führe die Wortinterpretation nicht zu dem vom Antragsgegner angestrebten Ergebnis. § 65 OÖ JagdG gewähre einen Ausgleichsanspruch auch für Schäden am Grundstückszubehör, doch sei die Haftung des Jagdausübungsberechtigten ausdrücklich beschränkt auf Schäden an Grund und Boden und die noch nicht eingebrachten Erzeugnisse, also den natürlichen Zuwachs, der bis zur Abtrennung nicht bloß Zubehör, sondern unselbständiger Bestandteil von Grund und Boden bleibe. Die ausdrückliche Beschränkung ersatzfähiger Schäden auf bestimmte Arten des Zugehörs verbiete die Übertragung der eine Haftung der Jagdausübungsberechtigten begründenden Bestimmungen auch auf Schäden an zur Ertragsverbesserung bzw -beschleunigung eingesetzten technischen Hilfsmitteln. Die Ausschöpfung des noch möglichen Wortsinnes - "Grund und Boden" - führe selbst bei objektiv-teleologischer Auslegung nicht zur Annahme einer Haftung der Jagdausübungsberechtigten auch für Schäden an Hilfsmitteln. Es sei daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine ergänzende Rechtsfortbildung gegeben seien. Voraussetzung einer solchen sei das Vorliegen einer Gesetzeslücke, also einer planwidrigen Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts. Bei der (unechten) Gesetzeslücke fordere die ratio legis in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlichen nicht unmittelbar geregelten Fall. Es treffe dann zwar nicht der Wortlaut des Gesetzes, wohl aber die ihm zugrundeliegende Wertung bzw Zwecksetzung auf den offenen Fall zu. Eine solche Analogie sei hier aber nicht geboten, spreche doch der vom Gesetzgeber gewählte eingeschränkte Schadensbegriff trotz der Absicht des Gesetzes, einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch des Grundstückeigentümers, dem die Möglichkeit der Abwehr von Schäden durch Tiere durch deren Tötung genommen worden sei, zu gewähren, gegen eine Ausdehnung der Haftung des Jagdausübungsberechtigten über den im Gesetz definierten Umfang hinaus. Auch wenn zur Zeit der Schaffung des Gesetzes der Einsatz von Hilfsmitteln in der hier vorliegenden Art in der Landwirtschaft noch nicht üblich und daher vom Gesetzgeber möglicherweise nicht zu bedenken gewesen sei, seien Schäden an anderen Vermögensgütern als an "Grund und Boden" bzw an "noch nicht eingebrachten Erzeugnissen" denkbar gewesen, was den Gesetzgeber aber nicht bewogen habe, sie in den Kreis der schützenswerten Rechtsgüter aufzunehmen. Dies verbiete eine analoge Auslegung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung. Es fehle an einer Gesetzeslücke und daher an der Möglichkeit einer ergänzenden Rechtsfindung durch Analogieschluß.

Ausgehend von einer gewollten Beschränkung der Begriffe Jagd- und Wildschäden sei der hier geltend gemachte Schaden nicht ersatzfähig, auch wenn eine Verpflichtung des Grundeigentümers zur Einzäunung der zu schützenden Fläche nicht bestehe.

Den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht für zulässig, weil der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Ausdehnung der Haftung auf Schäden an zur Bodenbewirtschaftung eingesetzten Hilfsmitteln wegen der zunehmenden Verwendung derartiger Mittel in der Landwirtschaft gesteigerte Bedeutung zukomme, und hiezu eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsteller haben Revisionsrekursbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Der Antragsgegner macht in seinem Rechtsmittel geltend, zu den unbeweglichen Sachen gehörten nach § 297 ABGB auch diejenigen Dinge, "die zum anhaltenden Gebrauche eines Ganzen bestimmt sind". Es handle sich dabei um das Zugehör einer unbeweglichen Sache. Der Begriff "Grund und Boden" lasse somit den Interpretationsspielraum offen, darunter auch das Zugehör im Sinn des ABGB zu verstehen. Allerdings wäre eine generelle Ausdehnung des Begriffes "Grund und Boden" auf das Zugehör zu weit. Bei der Festlegung der Haftung für Jagd- und Wildschäden müsse man sich den Grundgedanken des Jagdrechtes vor Augen führen, in dem eine verschuldensunabhängige Schadenersatzpflicht des Jagdausübungsberechtigten festgelegt sei.

Diese beruhe auf zwei Gedanken: 1. spiele das Moment der Gefährlichkeit der Tiere eine Rolle; 2. sei dem Grundeigentümer oder Nutzungsberechtigten die Abwehr des Schadens durch Tötung der Tiere genommen, weshalb ihm als Ausgleich für das Verbot derartiger Maßnahmen ein Ersatzanspruch gegeben werde (SZ 68/233). Um ordnungsgemäß zu wirtschaften, sei ein derartiges Vlies ausgebracht worden. Dem Grundeigentümer sei es verwehrt das Wild zu erlegen, weshalb ihm ein Ausgleichsanspruch zuerkannt worden sei. Der Jäger könne sich von der Haftung dadurch sehr einfach schützen, daß er entsprechende Verhütungsmaßnahmen setze. Würde man im vorliegenden Fall den Landwirt verpflichten, den Schaden am Vlies selbst zu tragen, so bedeutete dies letztlich eine Verlagerung der Schadenersatzpflicht bzw der Kostentragung für die Verhütungsmaßnahmen auf diesen. Dies widerspreche der Wertung des OÖ JagdG.

Der Begriff "Grund und Boden" sei daher dermaßen zu interpretieren, daß darunter nicht nur der Boden an sich, sondern alle damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Zubehörssachen zu verstehen seien. Für die Dauer der Ausbreitung des Vlieses sei sohin auch dieses ein Teil von "Grund und Boden". Da dies durch einen ordentlichen Landwirt bei richtiger Bewirtschaftung geschehe, handle es sich nicht um irgendwelche Sonderbelastung für die Jägerschaft. Diese hätten die ortstypischen Bewirtschaftungsverhältnisse zur Kenntnis zu nehmen.

Selbst wenn man diese Auslegung des Begriffes "Grund und Boden" nicht teile, so sei noch immer die Frage der Analogie aufgrund einer vorliegenden Lücke zu erwägen. Aufgrund der fortschreitenden landwirtschaftlichen Technik seien die gesetzlichen Bestimmungen den zugrundeliegenden Wertungen entspechend anzupassen. Es liege ein Wertungswiderspruch vor, hielte man die Beschädigung des Vlieses nicht für ersatzfähig.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 65 Abs 2 und 3 OÖ JagdG umfasst der vom Jagdausübungsberechtigten zu ersetzende Wild- bzw Jagdschaden den Schaden "an Grund und Boden und an den noch nicht eingebrachten Erzeugnissen". Ohne Zweifel fällt das hier beschädigte Vlies nicht unter die "noch nicht eingebrachten Erzeugnisse", wohl aber nach Ansicht des erkennenden Senates unter dem Begriff "Grund und Boden". Gemäß § 296 ABGB werden alle zu einem liegenden Gute gehörige Werkzeuge und Gerätschaften insofern für unbewegliche Sachen gehalten, als sie zur Fortsetzung des ordentlichen Wirtschaftsbetriebes erforderlich sind. Auch das hier durch die Tiere beschädigte Vlies ist ein "Werkzeug" im Sinne des § 296 ABGB, das zur Fortsetzung des ordentlichen Wirtschaftsbetriebes erforderlich ist. Diese Bestimmung vermutet die Zubehörwidmung für solche Gegenstände (Spielbüchler in Rummel2 ABGB, Rz 1 zu § 296). Daraus folgt, daß das hier beschädigte Vlies Zubehör der Liegenschaft des Antragsgegners ist und unter den Begriff "Grund und Boden" im Sinne des § 65 OÖ JagdG zu subsumieren ist. Auch aus den dem OÖ JagdG zu entnehmenden Wertungen ergibt sich nichts Gegenteiliges. Vielmehr beruht die im OÖ JagdG vorgesehene verschuldensunabhängige Schadenersatzpflicht der Jagdausübungsberechtigten auf zwei Gedanken: 1. Es spielt das Moment der Gefährlichkeit der Tiere eine Rolle; 2. Es wird dem Grundeigentümer oder Nutzungsberechtigten die Abwehr des Schadens durch Tötung der Tiere genommen, weshalb ihm ein Ausgleich für das Verbot derartiger Maßnahmen ein Ersatzanspruch gegeben wird (SZ 68/233; Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 413).

Zutreffend hat daher das Erstgericht den Antrag auf Feststellung, daß die Antragsteller nicht für den Schaden des Antragsgegners am Vlies zu haften haben, abgewiesen.

Es war daher dem Revisionsrekurs stattzugeben und der Beschluß des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf § 77 Abs 1 OÖ JagdG iVm § 44 EisbEG.