OGH vom 11.11.1998, 7Ob157/98h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C ***** GesmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei A*****-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 75.000 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom , GZ 7 R 19/98k-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 4 C 641/97v-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die klagende Partei verleaste an Rudolf J***** einen PKW Fiat Kombi, den dieser bei der beklagten Partei kaskoversicherte. Die Kaskoversicherung wurde zugunsten der klagenden Partei vinkuliert. Die beklagte Partei verpflichtete sich, im Schadenfall die Versicherungsleistung aus dieser Kaskoversicherung nur mit Zustimmung der klagenden Partei auszuzahlen.
Am verursachte Rudolf J***** mit dem geleasten PKW in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall, bei dem am PKW ein Schaden von S 227.218 entstand. Rudolf J***** wurde von der Verwaltungsbehörde gemäß § 99 Abs 1 lit a StVO iVm § 5 Abs 2 StVO rechtskräftig verurteilt. Die beklagte Partei zahlte an Rudolf J***** aufgrund eines Kulanzansuchens "rein aus kaufmännischen Erwägungen" S 75.000. Über das Vermögen des Rudolf J***** wurde das Konkursverfahren eröffnet.
Die klagende Partei begehrte die Zahlung von S 75.000, weil die Kulanzzahlung an Rudolf J***** aufgrund der Vinkulierungsvereinbarung nur mit Zustimmung der klagenden Partei zulässig gewesen wäre. Die Kulanzzahlung sei keine Schenkung gewesen, sondern eine vergleichsweise Zahlung, weil als Schadensursache auch ein Reifenplatzer in Betracht gekommen sei, so daß die Alkoholisierung des Rudolf J***** allenfalls nicht kausal gewesen sei. Die Zustimmung zur Auszahlung an Rudolf J***** wäre von der klagenden Partei verweigert worden, so daß keine Zahlung erfolgen hätte dürfen. Der klagenden Partei wäre in diesem Fall die Möglichkeit offengestanden, gegen Rudolf J***** die Klage einzubringen und dessen Leistungsanspruch gegen die beklagte Partei zu pfänden und einzuziehen. Dieser Weg stehe der klagenden Partei nun nicht mehr offen, weshalb die beklagte Partei aus der Vertragsverletzung für den eingetragenen Schaden in Höhe des Klagsbetrages hafte. Die Schadenersatzforderung der klagenden Partei gegen Rudolf J***** sei infolge der Konkurseröffnung über dessen Vermögen uneinbringlich.
Die beklagte Partei begehrte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie sei Rudolf J***** gegenüber wegen dessen grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens gemäß § 61 VersVG leistungsfrei gewesen, so daß ihrerseits keine Versicherungsleistung zu erbringen gewesen sei. Die Zahlung sei nach mehrfacher Intervention des für Rudolf J***** zuständigen Außendienstmitarbeiters aus rein geschäftlichen Überlegungen erfolgt, ohne daß ein Anspruch des Rudolf J***** bestanden habe. Die Zahlung sei lediglich aus buchhalterischen Gründen aus dem Schadensakt erfolgt. Mangels eines Anspruches des Rudolf J***** auf die Kulanzzahlung wäre auch keine Pfändung oder Überweisung eines Anspruches möglich gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aufgrund der Verurteilung des Rudolf J***** im Verwaltungsverfahren bestehe seinerseits kein Anspruch auf Erbringung der Versicherungsleistung, so daß die Kulanzzahlung von der Vinkulierungszusage nicht umfaßt sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Durch die Kulanzzahlung der beklagten Partei sei im Vermögen der klagenden Partei kein Schaden entstanden, weil aufgrund der 0,8 %o übersteigenden Alkoholisierung des Rudolf J***** gemäß § 61 VersVG keine Leistungspflicht der beklagten Partei bestanden habe. Die Zahlungssperre der klagenden Partei als Vinkulargläubigerin gehe ins Leere, weil kein Auszahlungsanspruch des Versicherungsnehmers bestanden habe. Der Vinkulargläubiger müsse es gegen sich gelten lassen, wenn der Versicherungsnehmer einen Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführe. Die trotz Leistungsfreiheit erbrachte Kulanzzahlung an den Versicherungsnehmer sei daher von der Zahlungssperre nicht umfaßt. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage eines Schadenersatzanspruches eines Vinkulargläubigers bei Kulanzzahlungen des Versicherers an den Versicherungsnehmer eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Die Revision der klagenden Partei ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach den vom Berufungsgericht ausdrücklich gebilligten Feststellungen des Erstgerichtes erfolgte die Kulanzzahlung "aus rein geschäftlichen Gründen". Damit ist für den Obersten Gerichtshof bindend klargestellt, daß die beklagte Partei nicht etwa die Möglichkeit eines Reifenplatzers als Unfallsursache in Erwägung gezogen hat. Sie hat sich demnach auch nicht davon leiten lassen, daß Rudolf J***** den Beweis antreten könnte, daß seine Alkoholisierung nicht unfallkausal sei. Die diesbezüglichen Ausführungen der Revision gehen somit insgesamt nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.
Dessenungeachtet hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (ZVR 1965/249; SZ 30/2), daß eine Kulanzzahlung des Versicherers auch dann, wenn sie weder einen Vergleich noch ein Anerkenntnis zur Grundlage hat, kein Geschenk ist. Wenn eine Versicherungsanstalt auf Verlangen eine Zahlung leistet, so tut sie dies aus geschäftlichen Gründen und nicht aus Freigiebigkeit (ZVR 1965/249). Auch dann, wenn einen Versicherer aus irgendeinem Grund eine rechtliche Zahlungsverpflichtung nicht trifft, geht eine Kulanzzahlung einer Versicherungsgesellschaft stets auf einen bestimmten Versicherungsvertrag zurück. Die Kulanzzahlung tritt, soweit sie reicht, an die Stelle der Versicherungssumme und hat dieselbe Bestimmung wie diese (SZ 30/2). Mit der Zustimmung der beklagten Partei auf Leistung einer Kulanzzahlung erwuchs Rudolf J***** auch ein Anspruch auf Leistung, wobei es nicht darauf ankommen kann, ob die Kulanzleistung vor Auszahlung dem Rudolf J***** zugesichert wurde oder die Auszahlung als schlüssige Zustimmung zum Kulanzbegegehren des Rudolf J***** anzusehen ist. Der dem Rudolf J***** seitens der beklagten Partei zugebilligte Kulanzbetrag hätte daher nur mit Zustimmung der klagenden Partei an ihn ausbezahlt werden dürfen.
Die klagende Partei ist die primär durch den Unfall des Rudolf J***** Geschädigte. Um diesem Umstand gerecht zu werden, hätte die Kulanzzahlung zur (teilweisen) Abdeckung ihres Schadens verwendet werden müssen. Bei Auszahlung an die direkt geschädigte klagende Partei wäre dem Rudolf J***** ebenfalls geholfen gewesen, und zwar insoweit, als sich dadurch die Schadenersatzforderung der klagenden Partei an ihn entsprechend verringert hätte. Durch die Mißachtung der Zahlungssperre und mangels Weiterleitung dieses Betrages seitens Rudolf J***** an die klagende Partei kam er dieser nicht zugute, obwohl die Kulanzzahlung in unabdingbarem Zusammenhang mit dem Versicherungsverhältnis zu sehen ist.
Im vorliegenden Fall ist auch darauf hinzuweisen, daß eine Versicherung für fremde Rechnung vorliegen könnte, weil Rudolf J***** als Leasingnehmer allenfalls das Eigentümerinteresse des Leasinggebers versichern ließ (Fenyves, ÖBA 1991, 19; Schauer, Versicherungsvertragsrecht3, 287; VR 1993/310 mvN). Der Entschädigungsanspruch könnte daher materiell der klagenden Partei als Leasinggeberin und damit als Versicherte zustehen (§ 75 Abs 1 VersVG). Die klagende Partei wäre somit unter Umständen gegenüber der beklagten Versicherungsgesellschaft selbst zur Klage auf die mit Rudolf J***** ausgehandelte Kulanzzahlung legitimiert, jedoch unter der Voraussetzung, daß entweder Rudolf J***** als Versicherungsnehmer zustimmte oder daß sie sich im Besitz der Polizze befindet (§ 75 Abs 2 VersVG). Da Rudolf J***** aber selbst die Kulanzzahlung kassierte, ist anzunehmen, daß weder die eine noch die andere Voraussetzung für eine direkte Klagsführung der klagenden Partei als Leasinggeberin gegen die beklagte Versicherungsgesellschaft aus dem Versicherungsvertrag selbst gegeben ist. Es hat daher dabei zu bleiben, daß die Vinkulierung im vorliegenden Fall als (bloße) Zahlungssperre aufzufassen ist (vgl Fenyves aaO, 18), die verhindern soll, daß der Leasinggeber (und Versicherte) seine Deckungsforderung dadurch verliert, daß der Leasingnehmer (als Versicherungsnehmer) die - schuldbefreiende - Zahlung des Versicherers gemäß § 76 Abs 2 VersVG ohne Zustimmung des Versicherten annimmt. Die Verletzung der vereinbarten Zahlungssperre macht somit die beklagte Partei für den der klagenden Partei dadurch entstandenen Schaden nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen ersatzpflichtig.
Versicherungsforderungen und diesen - wie ausgeführt - gleichzustellende Forderungen aus Kulanzzusagen sind als Geldforderungen taugliche Zugriffsobjekte für Gläubiger des Versicherungsnehmers und können daher gepfändet werden. Durch die vereinbarungswidrige Auszahlung der Kulanzsumme an den Versicherungsnehmer steht die betreffende Forderung des Versicherungsnehmers an die beklagte Partei nicht mehr als Befriedigungsobjekt der klagenden Partei, die zugleich Gläubigerin gegenüber Rudolf J***** infolge der Beschädigung des in ihrem Eigentum stehenden PKWs ist, zur Verfügung. Sollte daher von Rudolf J***** keine oder keine ausreichende Befriedigung zu erlangen sein, etwa weil die auf die Konkursgläubiger entfallende Quote nicht hinreicht, wäre das Vorliegen eines entsprechenden Schadens zu bejahen. Da aufgrund der vom erkennenden Senat nicht geteilten Rechtsansicht der Vorinstanzen der Schadenseintritt und die allfällige Schadenshöhe bislang ungeprüft blieben, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und war dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung aufzutragen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.