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OGH vom 10.12.2014, 7Ob157/14k

OGH vom 10.12.2014, 7Ob157/14k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Unterbringungssache des I***** S*****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz Patientenanwaltschaft (Patientenanwältin DSA MMag. S***** G*****), vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Abteilungsleiter Prim. Univ. Doz. Dr. C***** G*****, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer LL.M., PLL.M., Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterbringung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Abteilungsleiters gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 157/14f 14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 35 Ub 203/14w 8, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Der Kranke leidet an paranoider Schizophrenie mit ausgeprägter psychotischer Denkstörung. Er ist seinem Wahngebäude massiv verhaftet und weder krankheits- oder behandlungseinsichtig noch paktfähig. Eine Behandlung im offenen Bereich würde er mit großer Wahrscheinlichkeit abbrechen; dies entgegen seinen Angaben, die insoweit als Anpassungsleistung zu werten sind.

(Auch) Am , also zum Zeitpunkt der Aufnahme in den geschlossenen Bereich der C***** (nach einer Zuweisung gemäß § 8 UbG), war er ausgeprägt wahnhaft. Er hatte die Medikation abgesetzt, glaubte für den russischen Geheimdienst als hochrangiger österreichischer Politiker bis zum Sturz durch die „nationalsozialistische Revolution im Jahr 2005“ oder als Cobra-Pilot zu arbeiten, äußerte dies auch im Zuge der Amtshandlungen gegenüber den Beamten und „hörte sehr laut Musik“. Nach der Erstanhörung am wurde seine Unterbringung vorläufig für zulässig erklärt.

Das Erstgericht sprach mit Beschluss vom aus, dass die Unterbringung des Kranken für weitere zwei Wochen, also bis , zulässig sei und stellte dazu noch Folgendes fest:

Im Fall der Aufhebung seiner Unterbringung ist zu befürchten, dass es zu ernsthaften und erheblichen fremdgefährlichen Handlungen kommt; dies insbesondere in Bezug auf Personen, die ihn in seinen Handlungen begrenzen, wobei anzumerken ist, dass der Kranke vor der Aufnahme seine Mutter, mit der er „gemeinsam“ lebt, „mehrfach in ernsthafter Weise körperlich attackiert hat“. Die Selbstgefährdung steht (zwar) im Hintergrund; bei Aufhebung der Unterbringung ist aber davon auszugehen, dass die psychotischen Symptome des Kranken wieder zunehmen, und es sind diesfalls selbstgefährdende Unsinnshandlungen zu befürchten. Aus ärztlicher Sicht ist daher eine weitere Unterbringung von zwei Wochen notwendig, um die Gefährdungsmomente in den Hintergrund zu drängen. Eine Alternative zur Unterbringung besteht mangels Paktfähigkeit des Kranken nicht.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass aufgrund der Erkrankung „vordergründig“ ernste und erhebliche fremdgefährliche Handlungen insbesondere der Mutter des Kranken gegenüber zu befürchten seien, wobei auch selbstgefährdende psychotische Unsinnshandlungen nicht ausgeschlossen werden könnten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kranken Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass die Unterbringung im Zeitraum bis (an diesem Tag wurde er entlassen) unzulässig gewesen sei. Die erforderliche Gefährdung müsse auf objektiven und konkreten Anhaltspunkten beruhen und erheblich im Sinn einer Gesundheitsschädigung zumindest nach dem Grad einer schweren Körperverletzung im Sinn des § 84 StGB sein; das Wahngebäude des Kranken beschränke sich jedoch auf „Agentenspiel“ und „politischen Umsturz“. Es sei zwar nachvollziehbar, dass der paranoide Kranke, wenn ihm Grenzen aufgezeigt würden, aggressiv werde; allerdings habe sich diese Aggressivität bislang durchwegs in Attacken verbaler Art manifestiert. Dass er zu tätlichen Angriffen mit erheblichen Folgen neige, sei nicht konkret festgestellt worden; es sei nur bescheinigt, dass er seine Mutter „einmal körperlich attackiert“ habe. Der angefochtene Beschluss gebe nur die verba legalia wieder, ohne subsumierbare Feststellungen zu treffen. Welche konkreten Handlungen beim Kranken mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien, die erheblich das Leben oder die Gesundheit des Kranken oder Dritter gefährden würden, führe der erstgerichtliche Beschluss nicht aus. Daher sei die Unterbringung für unzulässig zu erklären.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei unzulässig, weil die Beurteilung der Frage, ob eine Selbst- oder Fremdgefährdung anzunehmen sei, von den Umständen des Einzelfalls abhänge.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Abteilungsleiters mit dem Antrag, den erstinstanzlichen Beschluss wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Verein beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Kranke hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

In einer psychiatrischen Abteilung darf unter anderem nur untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet (§ 3 Z 1 UbG). Der erkennende Senat hat in der (einen vergleichbaren Fall betreffenden) Entscheidung 7 Ob 202/13a festgehalten, dass unter einer ernstlichen Gefährdung eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verstehen ist. Die Schädigung muss direkt aus der Krankheit drohen. Eine bloß vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdschädigung ist nicht ausreichend. Die mit dem Aufenthalt im geschlossenen Bereich verbundenen Beschränkungen dürfen im Verhältnis zu der mit der Krankheit verbundenen Gefahr nicht unangemessen sein (RIS Justiz RS0075921).

Wie sich ebenfalls aus dieser Entscheidung (7 Ob 202/13a) ergibt, muss sich die Gefährdung nicht bereits realisiert haben; es reicht vielmehr aus, wenn nach der Lebenserfahrung krankheitsbedingte Verhaltensweisen zur Gefährdung von Leben und Gesundheit führen (7 Ob 84/13y; RIS Justiz RS0075921 [T3]). Bei besonders schwerwiegenden Folgen genügt bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit (7 Ob 84/13y; RIS Justiz RS0075921 [T7]).

Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts ist der vorliegende Fall mit jenen Fällen, die zu 7 Ob 84/13y und 7 Ob 202/13a entschieden wurden, durchaus vergleichbar. Der Hinweis darauf, dass sich das „Wahngebäude“ des Kranken hier wie das Rekursgericht meint auf „Agentenspiel“ und „politischen Umsturz“ beschränke, führt zu keiner anderen Beurteilung: Auch nach der Rekursentscheidung ist nämlich nachvollziehbar, dass der paranoide Kranke, wenn ihm Grenzen aufgezeigt werden, „aggressiv wird“. Demgegenüber treffen die Ausführungen des Rekursgerichts, dass sich diese Aggressivität „bislang durchwegs“ in Attacken verbaler Art manifestiert habe wie auch die Revisionsrekursbeantwortung des Vereins einräumt nicht zu:

Hat doch der Kranke unstrittig jedenfalls einmal (auch) eine körperliche Attacke gegen seine Mutter geführt, die er im Zuge der Erstanhörung als „Notwehrhandlung wegen häuslicher Gewalt“ bezeichnet hat (ON 2). Auch wenn nicht festgestellt wurde, dass er zu tätlichen Angriffen „neigt“, ergibt sich schon daraus eine erhebliche Fremdgefährdung und dadurch auch eine mögliche solche Selbstgefährdung: Wird er doch jedenfalls dann aggressiv, wenn ihm Grenzen gesetzt werden [müssen]. Der subjektiv erlebte Zustand lässt also auch hier auf eine potentielle Fremdgefährdung oder allenfalls auch Selbstgefährdung mit ernsten und erheblichen Verletzungsfolgen schließen.

Es ist naturgemäß nicht genau vorhersehbar, wann und welche Art von Aggressionshandlungen der Kranke in vermeintlicher Notwehr setzen wird. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts bedeutet dies aber nicht, dass bloß eine vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdschädigung bestünde, die nicht ausreichend wäre, um die Zulässigkeit der Unterbringung zu rechtfertigen; in beiden zitierten Entscheidungen (7 Ob 84/13y und 7 Ob 202/13a) hat der Oberste Gerichtshof nämlich jeweils dargelegt, dass in solchen Fällen auch dann eine Fremdgefährdung zu bejahen ist, wenn der Kranke zwar noch keine gefährdenden Handlungen gesetzt hat, aber eine derart massive Erkrankung vorliegt, dass auf Grund der subjektiven Wahrnehmung des Kranken jederzeit schwerwiegende Verletzungen befürchtet werden müssen (vgl RIS-Justiz RS0075921 [T8] zum Vollbild einer paranoiden Schizophrenie ohne gefährdende Handlungen und zu deren Wahrscheinlichkeit).

Die Unterbringung des Kranken, der auf Grund seiner paranoiden Schizophrenie bereits eine körperliche Attacke gegen seine Mutter führte, wobei ohne Behandlung im Rahmen der hier strittigen Unterbringung weitere solche Attacken zu befürchten waren, ist daher wie das Erstgericht zutreffend erkannte zulässig, weshalb der erstgerichtliche Beschluss wiederherzustellen ist.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00157.14K.1210.000